Carl Maria von Weber
Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 19
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Werkhintergrund:
Mit seinem „Freischütz“ und einer Reihe weiterer Opern leistete Carl Maria von Weber Bahnbrechendes auf dem Gebiet des Musiktheaters, und was er daneben an reinen Konzertwerken hinterließ, wirkt oft wie vom Geist der Oper durchweht. Tatsächlich war Weber ja auch mit dieser Kunstform aufgewachsen, hatte von Kindesbeinen an Theateratmosphäre geschnuppert. Als Sohn eines reisenden Schauspielunternehmers und einer Sängerin stand er bereits mit knapp fünf Jahren erstmals auf der Bühne. Wann immer die Truppe seiner Eltern ein wenig länger an einem Ort blieb, erhielt der junge Weber Unterricht von den dort ansässigen Musikern – so etwa von Michael Haydn in Salzburg oder Abbé Vogler in Wien. Dennoch bleibt es unerklärlich, wie er bei diesem Wanderleben zu einem der großen Klaviervirtuosen seiner Zeit heranreifen und gründliche Kenntnisse in Kompositionslehre und Orchesterleitung erwerben konnte. Doch offenbar gelang ihm das – denn bereits im Sommer 1804, noch nicht einmal 18 Jahre alt, ernannte man ihn zum Operndirektor in Breslau. Dort blieb er zwei Jahre lang und hob durch erfolgreiche Probenarbeit und eine Reihe von Reformen das Niveau des Orchesters. Den Herbst und Winter 1806/07 verbrachte er dann am Hof des Herzogs Eugen Friedrich Heinrich von Württemberg-Oels im oberschlesischen Carlsruhe (heute Pokój in Polen). Der Herzog spielte selbst recht gut Oboe, und er verfügte offenbar über ein Orchester mit einer besonders leistungsfähigen Bläsergruppe. Aber ohne die von Weber zumindest später so geliebten Klarinetten. Das lässt sich jedenfalls aus den beiden Sinfonien schließen, die Weber für diese Kapelle schrieb. Die erste beschäftigte ihn vom 14. Dezember 1806 bis zum 2. Januar 1807, die zweite vom 22. bis zum 28. Januar 1807. Beide stehen in C-Dur.
Während Weber seine zweite Sinfonie nie zur Veröffentlichung freigeben wollte, arbeitete er die erste für ihre Publikation durch den Offenbacher Verlag Johann André im Jahr 1810 noch einmal um. Sie beginnt fanfarenartig mit einem unisono vorgetragenen Dreiklangsmotiv, gefolgt von einer aufschießenden Tonleiter. Eine zarte, gesangliche Passage schließt sich an, zuerst wieder ein-, dann mehrstimmig und schließlich mit einem Crescendo zum Eingangsmotiv zurückleitend. Ein zweites, marschartiges Thema präsentiert Weber zuerst im unerwarteten h-Moll und erst später im regulären G-Dur. Schon dieser unkonventionelle Beginn voller origineller Ideen und widerstreitender Charaktere ist symptomatisch für die dramatisch gedachten Sinfonien des jugendlichen Weber.
Spart schon das eröffnende Allegro con fuoco nicht mit frappierenden Instrumentationseffekten, so gilt das erst recht für das Andante in c-Moll. Hier zeugen feierliche Hörner- und Trompetenakkorde, geheimnisvolle Streichertremoli, unheilvoll grollende Bässe, melancholische Oboensoli und serenadenhaftes Geigen-Pizzicato von Webers Gespür für Atmosphäre und Klangfarben.
Das folgende rasche Scherzo neckt das Ohr mit Trillertakten, Pausen und Akzenten auf der unbetonten Taktzeit. Im ruhigeren Trio-Mittelabschnitt dominieren wieder die Bläser.
Den Abschluss bildet ein mitreißendes, vor Lebensfreude nur so sprühendes Presto. Kurze, kontrastierende Motive, höchst einfallsreich instrumentiert, werden hier furios durcheinandergewirbelt – eine Musik, so geistvoll und turbulent wie das Schlussensemble einer Opera buffa.
Im Rückblick beurteilte Weber seine frühen Sinfonien übrigens erstaunlich kritisch – so etwa 1815 im Anschluss an eine Konzertaufführung gegenüber einem Freund: "Dass ich an meiner [ersten] Sinfonie manches jetzt anders schreiben würde, das weiß Gott; ich bin eigentlich mit nichts darin ganz zufrieden, als mit der Minuett [gemeint ist das Scherzo] und allenfalls dem Adagio – das erste Allegro ist ein toller Phantasiesatz, im Ouvertüren-Style allenfalls, in abgerissenen Sätzen, und das letzte könnte noch ausgeführter sein."
(zitiert aus einem Artikel des Programmheftchen eines Konzertes der DRP vom 26.2.2021, Verfasser: Jürgen Ostmann)
Der Widmungsträger Gottfried Weber, eines Musiktheoretikers, Komponisten, Juristen, Politikers und ganz nebenbei auch der ältere Bruder von Carl Maria, der den jüngeren aber um zehn Jahre überlebte, schriebt übrigens höchstselbst die erste Kritik zum gerade frisch herausgekommenen Werk:
„Indem er (damit meint Gottfried Weber sich selbst) die Feder zur gegenwärtigen Arbeit ansetzt, fühlt sich doppelt geehrt dadurch, dass die öffentliche Beurtheilung dieser, ihm selbst vom Componisten dedicirten Symphonie, von der Redaction der allgem. musikal. Zeitg. ihm übertragen worden: ein doppelt Verhältnis, welches ihm die Pflicht strengster Genauigkeit und Freymüthigkeit im zwiefachen Maase auflegt. Er wird dieser Forderung rücksichtlos entsprechen. Da er übrigens zum Theil aus eigner Erfahrung weiss, wie wenig – und vielleicht mit Recht – weitläufige Zergliederungen neu erscheinender Instrumental-Compositionen den grössten Theil der Leser zu interessieren pflegen – zumal diejenigen, welche das besprochne Werk noch nicht selbst kennen, um die Zergliederung mit ihrer eignen Ansicht vergleichen zu können: so soll die gegenwärtige Relation weniger eine ausgeführte Analyse der Einzelnheiten, als eine Charakteristik der, die Symphonie bildenden vier Tonstücke im Allgemeinen werden.
Den Hauptcharakter des ganzen ersten Satzes kündigt gleich das, vom vollen Orchester vorgetragne, höchstkräftige erste Thema an:
worauf unmittelbar das 2te von den Bässen
allein pianissimo vorgetragen, ¦und in der Folge vom Orchester aufgenommen wird, doch nicht, um es auszuführen, sondern nur, um sogleich wieder zum Hauptthema einzulenken, von wo dann der erste Theil des Allegro eigentlich erst recht anfängt,
und bald mit einem allerliebsten dritten Thema ausgestattet wird:
welches unmittelbar darauf das volle Orchester fortissimo in G dur aufnimmt und fortführt.
Vollkommen consequent und mit Feuer und Einsicht sind nun diese drey Themata zu einem Allegro verarbeitet, das, an Kraft und Leben, keinem dieses Meisters nachsteht – wol aber sehr an Anmuth. Und dies ist der große Vorwurf, den Ref. diesem Satze zu machen hat. Hätte doch der sonst so liebliche Tondichter die Zartheit und Anmuth seines 5ten (da meint er sicher das 3. Thema, Anm. des Verfassers) Thema fester gehalten, und es öfter in verschiednen Beziehungen und Verflechtungen benutzt und wieder gebracht, oder, was ihm ebenfalls zu Gebote stand, aus dem zweyten Thema singbare und minder kunstreiche Figuren entwickelt – ein Mangel, der hier um so empfindlicher ist, da ohnehin die Art, wie Hr. v. Weber einigemal mit dem 1sten Thema arbeitet, (indem er es nämlich viele Takte hindurch in den Bass legt, und die Violinen in gehackten Noten darüber rauschen lässt)eine etwas verbrauchte und das Gehör abstumpfende, man möchte sagen, betäubende Methode ist, und an einen veralteten Styl erinnert, den man sonst wol auch Ouverturen-Styl nannte.
So wahr indessen der obige Vorwurf seyn mag, dass im vorliegenden Tonstück des Starken zu viel, des Zarten aber zu wenig sey: so sind doch eben von den vielen Kraftstellen manche einzelne durch frappante Effecteauszeichnenswerth; z. B. da, wo das erste Thema zerstückelt in Imitationen, unter andern auch in den Blechinstrumenten erscheint: In jeder Hinsicht stehen indessen die drey folgenden Sätze, Andante, Scherzo und Finale presto, weit höher an Gehalt und Effect.
Das Andante, wie die meisten dieses Meisters, von höchster Einfachheit, aber mit einem hinreissenden Anstrich romantischer Schwermuth ausgestattet, und mehr Phantasie, als geregeltes Tonstück, spricht eindringlich zum Herzen. Schon der schwellende Anfang: stimmt das Gemüth zur Empfänglichkeit für die stille Melancholie, welche durch das ganze Andante athmet; und in schmelzenden Klagetönen der wechselnden Blasinstrumente sich ausspricht.
Von erhebender Wirkung, und ein schön berechneter Contrast ist es dagegen, wenn dann, ungefähr in der Mitte des Satzes, die Klage versiegt, das Gemüth sich aufrichtet und wieder emporstrebt in einer kräftigen Dur-Stelle, aber doch bald wieder in die vorige Schwermuth versinkt. Das Ganze ist ein rührendes und doch zugleich erhebendes Bild eines, nach einem unbekannten höhern Etwas sich sehnenden Gemüths,
„So gross und so erhaben, und doch so sanft und mild.”
Von der süssen Schwärmerey zurück ins rege wirkliche Leben führt uns das Scherzo-presto. Es spricht uns wieder an mit frischer, ja brausender Lebenslust, sowol im melodiösen, anmuthigen Trio, als im schroffen, bezeichnenden Scherzo selbst. – Nicht eben von besonderer Wirkung ist indessen im 6ten bis 9ten Takt des Scherzo die Reihe von, je nach zwey Viertheilen des ¾ Takts wechselnden Septimen-Harmonien, deren erste mit grosser Septime ohne Bindung auf dem leichten Takttheile eintritt: voll Wirkung dagegen der Ausfall in die fremde Tonart, h dur – so recht eine gewisse, man möchte sagen, übermüthige Ausgelassenheit bezeichnend.
Dem Charakter des Scherzo analog ist im Ganzen das Finale presto, nur dass dieses letztere vollends im höchsten Grade den lebhaftesten Ausdruck jovialer Lebenslust ausspricht. Diese verkündigt schon gleich der Anfang:|
- s. w.dessen Stoff der Tondichtereine kurze Zeit lang ausführt, aber bald, mit einem feurigen Unisono aller Saiteninstrumente, sich in den sprudelnden Strom der Lebensfülle stürzt:
Doch der Rausch verbrauset, und gefälligere Tändeleyen treten an seine Stelle:
So wechseln und verflechten sich im lieblichsten Reigen die verschiedentlich individualisirten Ausdrücke glücklicher Laune, bis – plötzlich, beym Anfang des 2ten Theils, eine gar altklug und ehrsam in den Bässen pizzicato eintretende Figur Miene macht, eine gemessnere und geregeltere Lebensweise einführen zu wollen; aber freylich mit keinem weitern Erfolg, als dass, wie sie sich kaum blicken lässt, freye Imitationen des ersten Thema, ihrer steifen Weisheit spottend, sie, wie muthwillige Knaben, umgaukeln, sich in ihr kunstgerechtes Gewebe zur Lust verflechten:
¦
und sie so lange und immer ärger necken und verfolgen, bis jene endlich, den Klügern spielend, dem jovialen 3ten Thema unerwartet den Kampfplatz räumt.
So wechseln Scherz und Ernst, doch mit stets entschiedenem Uebergewicht des erstern, bis zum freudigen Schlusse, wo man ausrufen möchte: die Fröhlichkeit triumphirt! verbannt ist der düstre Ernst, und im hellen Sonnenglanze stralt das Reich der Freude! –
Soll aber Ref. nun auch noch Einiges nennen, was ihm die vorliegende Symphonie sonst noch zu wünchen übrig lässt, so wär’ es etwa dies: dass nicht alle vier Sätze des Werks aus C (drey in Dur und einer in Moll) gehen sollten, was der Mannigfaltigkeit nicht günstig ist; dann, dass nicht Manches allzuschwer für gewisse Instrumente gesetzt seyn möchte, wie z. B. die Bassstimme im Finale; auch die Stelle nach der 2ten Fermate des 2ten Theils im ersten Allegro gehört unter diejenigen, welche eben nicht jedes Orchester ganz rein intoniren wird – ja selbst schon der oben abgeschriebene Anfang des Finale ist für die Hörner sehr schwer geschliffen herauszubringen, und es gelingt selten, weil auf Blechinstrumenten eben bey’m Schleifen, z. B. von e’’ zu g’’, immer der Zwischen-Ton f’’ mit ansprechen will; noch schwieriger ist aus gleichem Grunde die Imitation:
wo dem Hornisten, indem er das e’’ schleifend nach e’ sinken lassen will, gar all die Zwischentöne d’’, c’’, b’, g’ mit ansprechen möchten.
Endlich thut es nicht ganz gute Wirkung, wenn zum D7 und D64-Accord die Pauke häufig G und c anschlägt, z. B.:
Wollte der Verfasser hier die Pauke nun einmal nicht lieber ganz entbehren, so hätte er besser gethan, drey Pauken vorzuschreiben, in c, d, G, wie er in der Ouvert. zum Beherrscher der Geister mit d, e, A-Pauken gethan hat. Dann hätte er auch bey’m Anfange des 2ten Theils des Finale | nothwendig den Saiteninstrumenten durchgängig pianissimo geben sollen, weil sich sonst die neckischen Imitationen der Blasinstrumente nicht bemerkbar machen können, und der Sinn verloren geht.
Zum Schlusse muss Rec. die vielen Nachlässigkeiten im Notenstich bedauern, einige derselben, welche ihm, obgleich er keine Partitur vor sich liegen hat, auffielen, hier anmerken, und Musik-Directoren, deren Verbesserung (so wie auch das Beyschreiben des eben erwähnten pianissimo der Saiten Instrumente im Finale, 2ten Theil) empfehlen.
(übernommen aus: Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe. Digitale Edition, http://weber-gesamtausgabe.de/A030647 (Version 4.4.0 vom 14. September 2021) Letzte Änderung dieses Dokuments am 10. August 2021)
Wir bekennen gerne, dass die Rechtschreib- und Tippfehler dieses Mal nicht auf unser Konto gehen und dass sie Teil des authentischen Textes des Bruders sind, der übrigens auf das „von“ im Namen verzichtete.
Beethoven angeblich ignorierend und somit schnell als rückwärtsgewandte epigonale Stücke geltend, fanden die beiden Sinfonien bis heute nur schwer Eingang ins sinfonische Repertoire.
Bei all der Kritik, die auch der Bruder formuliert und der man vielleicht auch selbst anheim fallen könnte, liegt hier jedoch ein Werk vor, das es vielleicht (noch) nicht in die Topp 250 der Werke des heutigen Konzertalltages geschafft hat, die landauf und landab immer wieder gegeben werden und auch bis heute nicht gerade von den Schallplatten- bzw. CD-Produzenten favorisiert werden, das es aber mehr als verdient hätte, häufiger gehört zu werden.
Handelt es sich eben nicht um epigonale Studienwerke oder konservative Anachronismen, sondern um reizvolle Musizierstücke, die bereits Webers differenzierte Orchestrationskunst und seinen Esprit, sowie seine typische Vitalität und Poesie aufweisen.
Zusammengestellt bis 3.1.2022 (leider konnten wir die Notenbeispiele bis jetzt noch nicht einfügen)

Carl Maria von Weber, Bildnis von Caroline Bardua, 1821
Vergleichende Rezensionen:
Aufnahmen unter Einfluss der historisch informierten Aufführungspraxis unter Verwendung von (mehr oder weniger) alten Instrumentariums:
5
Roger Norrington
London Classical Players
EMI
1994
7:73 4:58 4:40 6:38 23:59
Wie wenige andere wird Roger Norrington dem dramatischen Gestus es ersten Satzes gerecht. Die historischen Blasinstrumente und die aufmerksam an der Rhetorik orientierte Spielweise des ganzen Orchesters tragen viel dazu bei. Das Spiel ist so besonders akzentuiert, das Holz enorm farbig und quicklebendig, das Blech auch einmal derb dreinfahrend erhält hier ein ganz eigenes Profil. Die Linienführung erscheint besonders klar, die dynamischen Vorzeichen werden genauestens beachtet. Bisweilen erscheint der Verlauf aufgewühlt und die Diktion geschärft. Der Con-fuoco-Charakter wird weniger durch ein schnelles Tempo als durch die fulminante dynamische Zuspitzung erreicht. Auch beim poco piu agitato wird am Ende des Satzes eine waschechte Stretta hin gezaubert. Oh lá lá! Was die Briten da ein Temperament entfachen!
Der 2. Satz wird als eine cantable, dramatische Szene, fast wie in einer Oper, nur eben ohne Gesang dargestellt. Webers Imaginationskraft eine besonders atmosphärische Szenerie zu entwerfen, entspricht man hier nachschöpferisch bestmöglich. Die Tremoli kommen deutlich und steigern sich zum ff urwüchsig. Die Bläsersoli kommen energisch und enorm ausdrucksstark. Der 3. Satz, das Scherzo, wirkt sehr tänzerisch, erfreut sich ebenfalls deftiger Akzente und farbiger Soli. Betont kontrastreich: Das Trio. Dennoch, bei allem Ausdruckswillen, wird nichts dogmatisch übertrieben. Der Charakter bleibt sehr lebendig.
Das Presto des 4. Satzes setzt der Darbietung jedoch die Krone auf. Es ist ein echtes Presto, sehr rhythmisch und leidenschaftlich. Die Musizierweise ist von aufmüpfigen, prallen Temperament geprägt. Das Orchester (Hörner, Oboe) erscheint beseelt und inspiriert, spielt mit virtuosem Aplomb und einem leuchtenden, jubilierendem Ton. Einfach köstlich. Wem hier kein riesiger Spaß bereitet wir, ist selbst schuld.
Das Klangbild unterstützt die inspirierte Darbietung hervorragend. Es wirkt nicht wie die meisten anderen Vergleichsaufnahmen hallig, sondern präsent und knackig. Zudem besonders transparent, dynamisch, luftig und besonders farbig.
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5
Claus Peter Flor
Wiener Concert-Verein
Pan Classics, Christophorus
2002
7:50 6:13 4:20 6:30 24:53
Claus Peter Flor ist der einzeige Dirigent unseres Vergleiches, der die Sinfonie zwei Mal eingespielt hat. Gegenüber der Londoner Produktion von 1995 hat es dabei eine bemerkenswerte Wandlung, man könnte fast behaupten eine Kehrtwendung gegeben. Jedenfalls gebührt von den beiden der Wiener Aufnahme eindeutig der Siegerkranz.
Der Name des Orchesters könnte dem belesenen Musikfreund bereits bekannt vorkommen. Er war bereits der Gründungsname der Wiener Symphoniker. So wundert es kaum, dass das Orchester mit dem alten Namen 1987 von Wiener Symphonikern wieder ins Leben gerufen wurde. Gegenüber der Einspielung mit dem Philharmonia Orchestra London ist die Streicherbesetzung drastisch verkleinert, das Spiel weitgehend vibratolos, erheblich energischer, rhythmisch präziser (z.B. bei den Punktierungen), kontrastreicher und schließlich wird auch mit mehr Einfühlungsvermögen und mit mehr Schwung musiziert. Ob die Zuwendung zur historisch informierten Praxis oder nur ein frisch belebter Geist in Verbindung mit einem engagierteren Orchester (oder auch beides) zu der Wandlung des Dirigenten beigetragen haben, können wir nicht beurteilen.
Auch der 2. Satz gelingt farbiger, atmosphärischer und nun mit einer klar umrissenen ausdrucksvollen Melancholie versehen. Die starken Bläser mit der typischen Wiener Einfärbung bilden eine tolle Einheit mit den beweglichen, gewandt artikulierenden und glänzend klingenden Streichern.
Das Scherzo wird sprechender, pointierter phrasiert und schattierungsreicher und tänzerischer dargeboten als sieben Jahre zuvor in London. Auch dieser Satz wirkt deutlich einfühlsamer auf den Punkt gebracht.
Im 4. Satz wiederholt Flor nun die Exposition, was er sich in London „geschenkt“ hatte. In Wien hören wir nun ein ruheloses, fast schon fiebriges Presto voller Drive. Erneut pointiert, witzig, übermütig, wie bei Norrington. Prickelnd wie bester „Londoner“ Haydn und so spannend wie Beethoven. Furios.
Auch der erreichte Klang der Aufnahme ist erheblich klarer, dynamischer als in London. Transparenz, Brillanz, Farbigkeit, Präsenz, natürliche Räumlichkeit und Lebendigkeit sind nur zu loben. Diese Einspielung sollte nicht mehr, wie lange auch bei uns, unter dem Radar fliegen müssen. Nun sollten ihre Qualitäten hinreichend bekannt sein. Unter dem neuen Label gibt es sie zudem für kleines Geld. Und auch das Orchester sollte sich ermutigt fühlen, mehr Einspielungen dieser Güteklasse zu veröffentlichen.
▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgt weiter unten in der Liste
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4-5
Roy Goodman
Hanover Band
Nimbus
1989
7:14 6:03 3:53 6:53 24:03
Um es gleich vorwegzunehmen: Diese Einspielung hat, wie bereits in den zuvor besprochenen Einspielungen des Ensembles zu den Vergleichen der „Militärsinfonie“ und zu „Semiramide“, mit einer sehr, sehr halligen ungedämpften Kirchenakustik zu kämpfen. Man muss sich wundern, dass sich alle Instrumente noch so gut orten lassen, auch die recht weit entfernten Bläser. Das gebotene Übermaß an Resonanz hätte eigentlich zu einem akustischen Tohuwabohu führen müssen. Auch die Linien und Verläufe bleiben noch gut verfolgbar, erscheinen nur selten verunklart oder überlagert. Dennoch muss man hier von einer Klangwolke schreiben, in der lange Klangfahnen durch das großräumige, leere Kirchenhaus schwirren.
Die Darbietung könnte in einem stabileren Klangbild noch mehr überzeugen. Der Gestus im 1. Satz ist, obwohl man das Gefühl hat, dass die Ausführenden Rücksicht auf das akustische Ambiente nehmen, durchaus aufgeweckt, temperamentvoll und betont dramatisch. Das Orchester selbst präsentiert sich mit anspringender Virtuosität. Insbesondere das burschikose Blech würzt den Gesamtklang mit seiner aufgerauten Schärfe.
Im 2. Satz stellt Goodman Hörner und Trompeten auffallend fanfarenähnlich heraus. Die Oboe überzeugt mit ihrem freien Vortrag mittels sprechender Artikulation. Die Gestaltung gelingt insgesamt sehr ausdrucksvoll. Nur das Fagott klingt sehr schmal und kommt viel zu flach und entfernt ins akustische Bild.
Im hier auffallend bukolischen Trio des 3. Satzes profitiert die Einspielung sogar ein wenig von dem halligen Gesamtklang. Hier sind die Instrumente leise und es spielen auch nur wenige, das wirkt im großen Raum dann sehr atmosphärisch, fast ist da schon ein wenig Magie im Spiel. Im Scherzo selbst sieht es leider ganz anders aus. Es bleibt gerade noch strukturiert genug, um die instrumentalen Linien gut genug verfolgen zu können. Gelbe Karte für die Tontechniker, die den Raum nicht abhängen wollten (war wahrscheinlich aussichtslos) und vor allem für den Produzenten, der keinen anderen Aufnahmeraum gefunden hat.
Im 4. Satz werden die einzelnen Töne in den schnellen Passagen zwar leidlich vermischt, insgesamt jedoch erfreuen wir uns an einer geistvollen, sprühend-furiosen Darbietung. Vor allem die Hörner begeistern mit den bei ihnen besonders abenteuerlich klingenden Sprüngen über die großen Intervalle hinweg. Eine echte Herausforderung für die Naturhörner, denen man hier die Freude über das Meistern des tückischen Metiers anmerken kann. Durch den langen Nachhall wirken die Intervallsprünge übrigens fast schon wie ein Akkord. Aber auch die Oboe und die Flöte (fantastisch schwebender Klang) begeistern.
Die Einspielung hätte von weniger Hall deutlich profitieren können. Das exzellente Spiel des Orchesters wäre dann in klarerem Licht zu bewundern gewesen. Aber auch so macht das Zuhören sehr viel Spaß.
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4-5
Bruno Weil
Capella Coloniensis, Köln
Deutsche Harmonia Mundi
2003
10:24 6:05 3:36 6:49 26:54
Die lange Gesamtspieldauer täuscht hier über die Temponahme hinweg. Denn im 1. Satz wiederholt Bruno Weil nicht nur die Expostion, wie in der Partitur vorgeschrieben, sondern auch die Durchführung. Anscheinend wurde hier eine andere Quelle genutzt. Das an den Tag gelegte Temperament erscheint im 1. Satz fast ungezügelt und ruppig (Pauke!) Die Darstellung gelingt sehr kontrastreich und dynamisch. Die Artikulation ist detailreich und (fast ein wenig zu) deutlich. Während die Bläser schön farbig klingen, erscheinen die vibratolos spielenden Streicher ziemlich dünn. Auch ist die Virtuosität hier nicht ganz so ausgeprägt oder auch umwerfend wie in den drei Einspielungen zuvor. Durch die Wiederholungen wirkt der Kopfsatz natürlich gewichtiger als üblich. Wenn man die Sinfonie erstmalig hört ist auch die Wiederholung der Durchführung sicher begrüßenswert, wenn man die Einspielung aber als fünfzehnte hört, erscheint diese Maßnahme jedoch als durchaus entbehrlich.
Auch der 2. Satz erscheint differenziert gestaltet, eindrücklich und atmosphärisch, während im 3. Satz die schnellen Partien der Oboe nicht immer ganz sauber gespielt werden (grifftechnisch, nicht intonatorisch).
Im letzten Satz rücken die Hörner leider etwas nach hinten. Der Gestus erreicht nicht den Presto-Wirbel von Norrington oder Flor (Wien), wirkt aber immer noch temperamentvoll. Ein wenig zu sehr auf exakte Ausführung erpicht wirkt es hier und nicht so selbstverständlich. Auch spielt das Orchester nicht so virtuos wie die LCP bei Norrington oder der Wiener Concert-Verein.
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Aufnahmen in herkömmlicher Aufführungspraxis:
5
Juanjo Mena
BBC Philharmonic, Manchester
Chandos
2012
6:31 7:10 3:23 6:12 23:16
Dem 1. Satz verleihen Juanjo Mena und das Orchester; dessen Chef er übrigens bis 2018 war, einen feurigen, elektrisierenden und jugendlich-stürmischen Charakter. Die ff kommen gepfeffert, beim fff der recht prägnant aber nicht isoliert klingenden Pauke knallt es dann auch mal. Die Staccati werden kurz und prägnant artikuliert. Ingesamt hat das schlanke, besonders antreibende Musizieren kein Gramm Speck zu viel. Das Holz kommt sehr gut zur Geltung und weiß jederzeit klanglich und artikulatorisch voll zu überzeugen. Es kommt mit wenig Vibrato aus. Wäre die Artikulation noch ein wenig gestenreicher, könnte man diese Produktion auch der Liste mit den „historisch informierten“ Einspielungen zufügen. Der 1. Satz erinnert mit seinem Elan sehr an die Pendants in den ersten beiden Sinfonien Beethovens.
Im 2. Satz bekommt das wunderbar gesangliche Oboensolo nun aber doch ein gutes Maß an Vibrato mit. In dieser Auflistung scheint die Einspielung nun also doch etwas besser aufgehoben zu sein. Die dynamischen Kontraste spielt das Orchester auch hier voll aus und folgt nicht nur dabei sehr präzise den Partituranweisungen. Überhaupt wurde hier gründlich in die Partitur geschaut. Die Spielkultur des Orchesters ist ganz ausgezeichnet. Die farbigen Bläser bereichern das hervorragend motivierte, präzise agierende Orchester ungemein. Zur Entfaltung einer stimmigen Atmosphäre lässt der Dirigent genügend Zeit. Nur die Tremoli hat man in einigen Einspielungen schon „gefährlicher“ gehört. Nach tief romantischer „Wolfsschlucht“ hört sich dieser Satz jedoch, nicht nur wegen des nicht ausgereizten Tremolos, noch nicht an.
Der 3. Satz wirkt ungemein beschwingt. Im geht jede Massivität ab, wirkt leicht und locker, aber keineswegs leichtgewichtig. Das Tempo im Trio wird nicht abgesetzt (auch das vorschriftsmäßig), daher wirkt es auch überhaupt nicht schwer. So kontrastreich wie in den Einspielungen, die das Trio verlangsamen, wirkt es daher nicht.
Im 4. Satz hören wir ein wunderbar akzentuiertes echtes Presto. Das Musizieren erscheint voller Lust und guter Laune. Dem Zuhörer und der Zuhörerin wird es sehr schwerfallen nicht mitzuswingen. Besonders erfreut auch das Duo von Flöte und Oboe (ab D) das musikalisch gestimmte Herz. Geschmeidig kommt hier zum Wollen auch das Können hinzu. Wie schön, dass Mena diese Kabinettstückchen wiederholen lässt. Manche lassen die Wiederholung ja leider einfach weg. Beendet wird die Sinfonie von einem stürmisch gesteigerten Finale. Bravi!
Es scheint, dass sich die Londoner Orchester warm anziehen müssen, wenn sie weiterhin die besten des Landes bleiben wollen.
Der Klang erfüllt sehr hohe Erwartungen. Er ist sehr transparent, farbig und schön räumlich. Das Orchester wird sehr gut gestaffelt wiedergegeben. Von der etwas uferlosen Räumlichkeit und der Tendenz zur Halligkeit (besonders auch aus Glasgow) hat sich Chandos offensichtlich mittlerweile gänzlich verabschiedet.
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5
Jean-Jacques Kantorow
Tapiola Sinfonietta, Espoo
BIS
2009
7:01 5:15 3:29 6:22 22:17
Das Orchester aus Finnland trifft den jugendfrischen Charakter des Werkes sehr gut. Es spielt mit feurigem Schwung, sowohl virtuos und impulsiv als auch kontrastreich. Vor allem die vortrefflichen Holzbläser bringen die pointierten instrumentalen Effekte bestens zur Geltung, aber auch die Streicher stehen ihnen kaum nach. Das strettaähnliche Finale des 1. Satzes gelingt packend.
Auch im blühenden Andante macht das Orchester einen vorzüglichen Eindruck. Die sanften, vollen und farbigen Klänge, wie so oft bei Orchestern aus dem hohen Norden Europas, umschmeicheln die Hörer. Die vorgeschriebene Dynamik wird genauestens befolgt, die Phrasierung erscheint sinnfällig, der Duktus erneut kontrastreich.
Das Scherzo erklingt besonders übermütig und frech, teils derb, teils tänzerisch leicht und luftig. Das Trio wird dazu ganz besonders stark abgesetzt.
Im 4. Satz wird der jugendlichen Abenteuerlust nur so gefrönt. Leicht und beweglich mit quirligen Streichern, übermütigem Holz und prägnant zupackendem Blech erleben wir Musik gewordene Lebenslust. Pur und klar. Direkt und erwärmend aus der Nachbarstadt Helsinkis.
Der Klang wirkt sehr klar und natürlich, dynamisch, körperhaft und farbig. Gegenüber dem vom Label BIS gewohnten erscheint die Tiefenstaffelung dieses Mal nicht so auffällig ausgeprägt. Das tut hier der Präsenz sehr gut.
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5
Otmar Suitner
Staatskapelle Dresden
Eterna, Berlin Classics, Eurodisc
1972
7:44 6:06 3:43 4:42 22:15
Dies ist die erste orchestral großformatige Produktion des Vergleiches, was hier jedoch lediglich bedeutet, dass die Streicher in stattlicherer Besetzung spielen, als die in unserer Liste bisher aufgeführten mehr kammorchestral orientierten Einspielungen.
Und die Staatskapelle startet gleich fulminant und zündet in den ersten vier Takten eine Effekt-Rakete. Dieser Effekt, von Weber sicher von den von den räumlich und auch zeitlich noch nahen und daher Weber sicher bestens bekannten Mannheimern (Stamitz, Cannabich, Holzbauer) übernommen, wird von niemandem sonst so deutlich herausgearbeitet wie von Suitner. Der Coup bleibt aber nicht isoliert, denn direkt danach bremst er das Tempo ganz deutlich ab, nur um es nach dem poco rallentando alsbald umso rasanter wieder anzufeuern. Von poco (wenig) ist allerdings keine Spur. Suitner geht dann wieder in die Vollen und sein Allegro con fuoco (mit Feuer) braucht sich auch vor den neueren Aufnahmen nicht zu verstecken. Die Dresdner sind sehr engagiert bei der Sache, sodass dem hochdramatischen, ernsten Gestus fast schon jeder Rest von jugendlicher Verspieltheit ausgetrieben wird. Noch weiter in der „Beehovenisierung“ des Gestus geht nur noch Erich Kleiber. Die ersten Geigen dominieren bisweilen, nicht zuletzt auch wegen der stattlichen Besetzung, ein wenig über Gebühr das Geschehen im ersten Satz.
Der 2. Satz profitiert indes von den stattlich besetzten Bässen, die das unheimliche Grollen erst so richtig plastisch machen. Die Tremoli wirken hier besonders geheimnisvoll und furchteinflößend. Lange Schatten bei Mondlicht lassen so bereits an die Wolfsschluchtszene denken. Oboe, Fagott und Flöte sind richtig „gut drauf“ und leuchten farbig um die Wette.
Der 3. Satz wird schwungvoll und prall musiziert, hat so kaum noch was graziles an sich und ist bereits ein ausgewachsenes Scherzo Allerdings, als kleiner Wermutstropfen, ist der Bläserteil des Trios, der pp sein sollte, zu laut geraten. Er kann sich so kaum vom ff -Teil absetzen.
Diese kleine Nachlässigkeit begegnet uns auch im 4. Satz wieder, in dem Suitner auf eine Wiederholung der Exposition verzichtet. Daher auch die allzu kurze Spielzeit dieser höchst gelungenen Darbietung. Ausgelassen und mit heißblütigem Temperament ausgestattet erfreut der Gestus jedoch die Herzen der Zuhörer. Vor allem das voll klingende, sonore Fagott weiß hier zu begeistern, ebenso die beiden herzhaft zupackenden Hörner. Die mitunter auch hier etwas vorlauten ersten Geigen stören die erquickliche Unternehmung jedoch kaum. Dieser Satz wird nicht als kleiner Beethoven hingestellt, sondern als echter, inspirierter Weber. Insgesamt mag es hier etwas weniger detailverliebt klingen als bei Kantorow oder Marriner, dafür aber noch ein wenig beherzter.
Erneut hervorragender Klang von Eterna. Er ist recht großformatig, sehr voll, rund und farbig aber auch sehr transparent und körperhaft. Der Raumklang wirkt nicht aufgeblasen und nicht verhallt, wie häufiger bei Aufnahmen dieser Sinfonie. Obwohl auch in einer Kirche eingespielt, klingt das Orchester hier sehr präsent und natürlich.
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5
Neville Marriner
Academy of St.-Martin-in-the-Fields
ASV, Brilliant, Musical Heritage Society, Vanguard
1981
7:06 6:36 4:08 6:48 24:38
Die Academy, dieses Mal nicht unter einer der üblichen Flaggen segelnd (Decca, Philipps, EMI oder später Hänssler), bleibt nun wieder kammermusikalisch klein besetzt, glänzt wie fast schon üblich (Ausnahmen bestätigen die Regel) mit perfektem Zusammenspiel. Der Gestus wirkt quirlig, hochvirtuos und spritzig. Sowohl jugendlich frisch und locker, als auch dramatisch geschärft und mit ordentlichem Drive versehen. Die Streicher spielen nun noch etwas schlackenloser als die Dresdner und die Tapiola Sinfonietta. Der Con-Fuoco-Charakter wird sehr gut umgesetzt. Der 1. Satz wird mit einer Stretta, die allerdings nicht expressis verbis in der Partitur steht, spieltechnisch brillant abgeschlossen.
Im 2. Satz wird der dynamische Rahmen voll ausgenutzt. Das Andante wirkt sehr bewegt und atmosphärisch dicht. Die Bläser können mit ihren schönen Klangfarben und ihrem nuancierten Spiel brillieren.
Im 3. Satz ist eine exzellente Solooboe schon fast ein Garant für den Erfolg. So ist es auch hier. Rhythmisch bleibt Marriner hier sehr straff und tänzerisch.
Im 4. Satz lässt die Academy beherzt ihre untadeligen, brillanten Läufe nur so vorbeiflirren. Im Stil der Mannheimer, aber auch Maestro Rossini schaut hier mit seinen buffohaften, vibrierenden Steigerungsverläufen vorbei. Man merkt, dass Weber damals, im fast noch jugendlichen Alter von 18-20 Jahren bereits Direktor der Breslauer Oper und mit allen musikdramatischen Wassern der Zeit gewaschen war. Der fantastische Streicherklang der Academy darf erneut gesondert erwähnt werden. Ebenso erfreuen die silbrige Flöte und die jubilierende Oboe das musikalische Herz.
Der Klang ist ausgewogen und recht brillant. Er verfügt über einen gelungenen, natürlich wirkenden, transparenten Raumklang mit erfreulich wenig Hall-Zugabe. Die Qualität der besten Decca- oder Philips-Aufnahmen des Ensembles wird jedoch insgesamt nicht ganz erreicht.
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4-5
Erich Kleiber
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester (heute: WDR Sinfonieorchester Köln)
Amadeo, Music and Arts, Orbis, Melodija, King Record
1956, Live
7:21 5:57 3:35 4:51 21:44
Mono Diese Aufnahme stammt vom letzten Konzert des Dirigenten, der wenige Tage nach der Aufführung verstarb.
Bei Kleiber erscheint der Beginn der Sinfonie extrem energisch, ja fast wütend. Hier denkt man gleich an Beethovens „Eroica“, und meint, dass sie hier (als übermächtige „Eminenz“) Pate gestanden haben könnte. Kleiber dirigiert sie wie ein kleineres, romantischeres Abbild. Niemand bringt die Nähe zu der „Titanin“ unter den damals bereits geschriebenen Sinfonien so sinnfällig zum Ausdruck wie er. Dem Vorbild Haydn längst in Richtung Romantik entwachsen. Der junge Weber scheint hier mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Unerbittlich und voller Ernst wird der dramatische Gestus hier vorangetrieben, dann mal wieder etwas spielerischer, aber stets feurig, so als ob unser imaginierter Held des ersten Satzes noch nicht so richtig mit seinen reichlich vorhandenen jugendlichen Kräften umgehen könnte. Das Orchester kann gerade noch so folgen. An die Klangschönheit der Staatskapelle darf man nicht unbedingt denken, aber das liegt auch an dem Konzert-Mitschnitt des WDR, der wahrscheinlich nie für die „Ewigkeit“ konserviert werden sollte.
Auch der 2. Satz ist viel mehr „große“ Sinfonie als in den anderen Einspielungen, auch in den Produktionen, die ein größeres Streichorchester bemühen. Er wirkt sehr aufgewühlt, aber weniger romantisch suchend, als klar und straff. Die Oboe fällt mit ihrer hart und etwas bemüht klingenden Tongebung gegenüber den zuvor genannten Einspielungen ab.
Das Scherzo wirkt preußisch, fast wie unter militärischem Drill gespielt. Immer wieder meint man aber auch bei Kleiber augenzwinkernde Scherze entdecken zu können. Kleiber verzichtet darauf, alle Wiederholungen spielen zu lassen.
Der Schlusssatz erklingt stürmisch, mit mächtigem Drive, rhythmisch präzise und streng dynamisch abgestuft. Auch hier verzichtet der Meister auf die Wiederholung der Exposition. Das erklärt die rekordverdächtig kurze Spielzeit des Ganzen. Dem Orchester fehlt etwas die locker-flexible, fein geschliffene Virtuosität der besten. Eindrucksvoll ist diese Darstellung aber auch so, vielleicht aber auch etwas einseitig in den Schatten der übermächtigen „Eroica“ gestellt.
Trotz des Mono-Klangs wirkt die Aufnahme recht transparent. Alle Stimmen sind problemlos zu verfolgen. Das Orchester macht einen aufgeräumten Eindruck. Der noch recht frisch wirkende und wenig rauschende Klang wirkt etwas dünn, also keineswegs voll oder gar füllig. Naturgemäß oder besser altersgemäß verfügt er über wenig Glanz, wenig Körper und wenig Sinnlichkeit. Das Remaster des Live-Mitschnitts macht insgesamt einen guten Eindruck.
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4-5
Amaury du Closel
Orchestre Régional du Centre (heute: Orchestre Région Centre-Val de Loire Tours)
Jazzwerkstatt
1992
7:55 7:15 4:15 7:10 26:35
In Frankreich gibt man sich alle Mühe, dass jeder Geldgeber im Namen des Orchesters auch tatsächlich genannt wird. Dieses Mal ist die Großregion „Centre“, also die zentrale Region Frankreichs, die nächst kleinere Region, das „Loiretal“ und Umgebung und die Stadt Tours beteiligt. Bisher kamen nur die sogenannten Nationalorchester Frankreichs in den Vergleichen vor, dieses Mal ist es erstmals ein regional finanziertes Orchester. Auch wenn man bisher noch nie was von ihm gehört oder gelesen hat, es nimmt sich der Aufgabe mit Hingabe und erstaunlicher Klasse an.
Im direkten Vergleich nimmt es mit seinem Dirigenten die genaue Gegenposition zur Darstellung von Erich Kleiber an. Hier nimmt man Abstand vom Vorbild Beethoven, bezieht sich wieder deutlich auf Haydn, arbeitet aber zudem die Besonderheiten der weberschen Tonsprache sehr gut heraus. Das Orchester ist eher klein besetzt, klingt aber nicht dünn oder schmächtig, sondern voller Esprit und engagiert bis in die Zehenspitzen hinein, durchaus seidig und geschmeidig, biegsam und flexibel. Das klingt durchweg leichtfüßig, sauber und stimmig. Dem Spiel haftet nichts Provinzielles an. Die leichte, luftige Diktion gefällt sogar besonders und gibt dem Werk einen lebendigen Gestus, im ersten Satz sogar einen abenteuerlustigen Entdeckergeist mit auf den Weg.
Im 2. Satz hört man auch vortreffliche Solisten. Die Oboensoli betören sogar mit ihrem ausdrucksvollen, leichten, schnell und leicht ansprechendem und trotzdem sonoren Ton und dem fein ausgewogenen Vibrato. Da merkt man auch, dass fast alle Oboen, die weltweit in den besten Orchestern gespielt werden, aus Paris kommen. Und Tours ist nicht weit weg davon. Da könnte man sich die gerade drich gebauten immer mal anhören und sich das beste Instrument schnappen. Die Hörner klingen ebenfalls vorzüglich, wie auch Fagott und Flöte. Insgesamt eine einnehmend ausdrucksvolle Gestaltung mit viel Atmosphäre. Und wer könnte da noch behaupten der französische Wald hätte weniger Atmosphäre als der typisch deutsch-romantische?
Das Scherzo ist eines der duftigsten, leichtesten. Auch hier erfreuen wir uns am brillanten, feinen Ton der Oboe. Auch das schöne dolce im Trio sucht seinesgleichen. Das Presto wird jedoch nicht ganz ausgereizt. An ein Scherzo Beethovens denkt man hier nicht unbedingt. Leicht und apart klingt es hier. Wenn das Klischee nicht so nahe liegen würde, könnte man auch schreiben: Hier schwingt auch das französische Savoir-vivre mit hinein.
Das finale Presto klingt schön vorantreibend, putzmunter, aber nicht so rasant wie in der Fünfer-Gruppe. Der Gegensatz von p und ff könnte noch mehr ausgereizt werden, um den Übermut noch mehr zu betonen. Das teilweise neckische Spiel von Oboe und Flöte überzeugt. Überhaupt fällt das schöne Konzertieren der verschiedenen Orchestergruppen sehr positiv auf. Der Charakter ist zwar nicht furios, aber wirkt sehr apart und so auf seine delikate Art auch begeisternd, vor allem auch lebendig und inspiriert. Und das gilt eigentlich für die gesamte Einspielung. Was für eine Überraschung. Bravo. Der Download oder das Streaming macht die Bekanntschaft mit dieser Einspielung ganz einfach und überaus preiswert ist sie auch noch.
Der Klang der Aufnahme besticht durch hohe Transparenz. Der Eindruck ist ein ganz klein wenig hallig, aber natürlich. Trotz der gebotenen Offenheit und Luftigkeit ist er auch noch von anspringender Präsenz. Insgesamt macht die Aufnahme einen perfekt ausbalancierten Eindruck. Also auch hinter den Reglern waren hier echte Könner am Werk. Von wegen Provinz.
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4-5
Dean Dixon
Prager Kammerorchester
Supraphon-Bärenreiter, Sastruphon
1972
7:42 6:53 4:35 6:25 25:35
Diese Einspielung gibt uns die Gelegenheit an Dean Dixon zu erinnern, der den Älteren noch bekannt sein könnte, besonders da er von 1961-1974 das RSO Frankfurt (heute HR Sinfonieorchester) leitete. Er gilt als der erste Afroamerikaner, der auch die großen amerikanischen Sinfonieorchester leitete, was auch heute noch sehr selten ist. Aber man sagt, es werde besser.
Zu Webers 1. Sinfonie hat er einen guten Draht entwickelt. Seine Einspielung mit dem etwas monochrom wirkenden Prager Kammerorchester besticht durch die schlanke Musizierweise und den aufgeweckten, recht feurigen Gestus. Er lädt sie nicht übermäßig im beethovenschen Geiste auf sondern bleibt nahe am Vorbild Haydn. Das Drama entwickelt sich im ersten Satz durchaus gespannt und kontrastreich aber vor allem geradlinig. Das Orchester verfügt über sattelfeste Solisten und meistert seine Aufgaben sehr gut, die Oboe wirkt aber klanglich hart und generell fehlt ihm das gewisse Etwas, das Individuelle.
Im 2. Satz sucht Dixon trotz der kleineren Besetzung die große Geste, was ihm auch gut gelingt.
Dem Scherzo gibt er deutlicher ein eigenes Gesicht. Bei ihm denkt man schon ein wenig an die frühen Sinfonien Schuberts. Besonders im Trio, in dem er deutlich und sanftmütig wirkend im Tempo nachgibt.
Der 4. Satz schließlich wird von beschwingten, unbekümmerten, vorantreibenden Elan getragen. Die Exposition wird wiederholt, Die Einspielung hat noch keine Patina angesetzt und wirkt durchaus inspiriert. Ein kleines Problem ist immer wieder die sehr hart klingende Oboe. Natürlich nur wenn dem Hörer dieses Instrument besonders wichtig ist.
Auch der Klang ist noch zeitgemäß. Präsent, klar, gut gestaffelt, luftig und hell. An die leichte und lockere Fülle der französischen Aufnahme kommt sie jedoch nicht heran. (Als LP gehört.)
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4-5
Hartmut Haenchen
Kammerorchester Carl-Philipp-Emanuel-Bach, Berlin
Sony
1991
8:15 6:10 4:04 5:02 23:41
Diese Einspielung wirkt gut ausbalanciert, sowohl was das Verhältnis Holz zu Streichern anlangt als auch was das stilistische Verhältnis von frühromantischem Überschwang und klassischem Ebenmaß anlangt. Haenchen vernachlässigt nichts davon, setzt den ersten Satz gut unter Spannung und hält das Orchester zu lockerem Spiel an. Insgesamt wirkt das Gehörte aber etwas robuster und ein wenig weniger delikat als es den Franzosen aus Tours gelingt. Dafür wirkt Haenchen eine Winzigkeit stürmischer, ohne aber an Norrington, Flor (Wien) oder Suitner heranzukommen.
Im 2. Satz springt das intensive, gut gesteigerte Tremolo besonders ins Ohr. Im 3. Satz lassen die fein klingende Oboe und die allgemein hohe Präzision des Orchesters aufhorchen.
Im 4. Satz hingegen könnten vor allen die Hörner besser akzentuiert in Szene gesetzt werden, vor allem gegenüber dem Holz fallen sie ab. Die Exposition wiederholt Haenchen übrigens nicht. Der Gestus könnte etwas turbulenter und funkensprühender sein. Betulich wirkt es aber keineswegs. Insgesamt wirkt das Spiel hier ein wenig steif, d.h. weniger flexibel in Tongebung und Spontaneität.
Dem recht farbigen Klang haftet noch ein kleiner Rest von Halligkeit an (kein Vergleich aber zum zuvor gehörten Goodman). Insgesamt wird ein gutes Maß zwischen Großräumigkeit und trockener Deutlichkeit getroffen. Dynamik und Transparenz sind gut.
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4
Horst Stein
Wiener Philharmoniker
Decca
1977
7:40 7:34 5:04 5:32 26:00
Horst Stein fasst die Sinfonie großformatig auf, nicht nur was die Besetzung der Streicher anlangt, auch vom Gestus her versucht er die Sinfonie zu rehabilitieren, indem es sie etwas größer macht, als sie eigentlich sein will. Das Orchester bringt viel Glanz mit, wirkt aber bisweilen ein klein wenig pompös und lange nicht so straff geführt wie bei Kleiber. Mit dem luxurierenden üppigen Streicherklang der Wiener Philharmoniker rechnet man bei dieser Sinfonie irgendwie gar nicht und so richtig passen will er eigentlich auch nicht. Obwohl es an Engagement beileibe nicht fehlt. Der Gestus weist schon weit in die Romantik hinein, bleibt weniger jugendlich-frisch und hat einen leichten Hang zum Monumentalen. Die Grenze zum guten Geschmack bleibt aber jederzeit mehr als gewahrt, nicht dass nun ein falscher Eindruck entsteht.
Im 2. Satz weist das sehr langsame Tempo bereits auf ein Adagio hin. Die süße Melancholie des Oboensolos bekommt so schon etwas Bedeutungsschweres, Unheilvolles oder Trauriges mit. Dazu passen auch die hochromantischen Tremoli und die tief grollenden Bässe. Stein hört die Sinfonie bereits im Geiste des Freischütz. Das leichte und serenadenhafte, das diesen Satz auch durchweht wird so dem fast schon Tragischen einverleibt. Weber bereits als ein Vorgänger Bruckners?
Auch dem 3. Satz haftet etwas leicht Schwerfälliges an, während der 4. Satz mit ordentlich Tempo und jubelndem Schwung daherkommt. Die Wiener Violinen wirken hier allerdings etwas weniger üppig als im ersten Satz und sind ein ganz besonderer Genuss, extrem geschmeidig, sehr virtuos und mit leuchtendem Schmelz. Wer könnte da widerstehen? Da können die anderen machen was sie wollen, das klingt hier doch wieder einzigartig. Auch die damals noch sehr spitze Wiener Oboe ist wieder mit an Bord. Da gefällt die des Wiener Concert-Vereins besser, wenn wir einmal vergleichend in der gleichen Stadt bleiben wollen.
Das Klangbild ist ausgewogen, vielleicht bisweilen etwas violinendominiert. Die Bläser agieren etwas zu weit im Raum. Erneut wurde der Raum mit etwas Hall vergrößert, vielleicht war er auch tatsächlich sehr groß (damals noch im Sophiensaal aufgenommen, bevor er ausbrannte). Besonders die Streicher wirken präsent, weich und farbig. (Als LP gehört.)
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4
Ari Rasilainen
Norwegisches Radiosinfonieorchester, Oslo
Finlandia, Apex
1997
7:00 6:12 3:47 4:33 21:32
Der 1. Satz wird in dieser zweiten Einspielung aus dem hohen Norden Europas temporeich, straff, fast schon ein wenig forsch aber auch etwas einförmig durchgezogen. Die Differenzierung und der damit einhergehende Nuancenreichtum in Dynamik und Artikulation kommen nicht an das Maß bei Kantorow, Marriner oder gar Norrington oder Flor (Wien) heran.
Im 2. Satz wird die Kotrastsetzung im Dynamischen etwas stiefmütterlich behandelt. Auch das Tremolo wird im ff nicht ausgereizt, sodass diese Passage wenig unheilvoll wirkt. Trotz schöner Soli von Oboe und Horn fehlen dem Satz das Atmosphärische und auch ein wenig Wärme im Klanglichen.
Der 3. Satz wirkt ein wenig wie durchgespielt, zwar sorgfältig und flott, aber nicht sonderlich charaktervoll. Ähnlich hört sich auch der 4. Satz an, in dem die Wiederholung der Exposition ebenfalls unterbleibt. Schnell, aber weniger enthusiastisch, fröhlich oder geistvoll wie zuvor bei Marriner oder Norrington. Aber immer noch gut, denn diese beiden direkt zuvor gehörten, gehören ja zu den allerbesten.
Das Klangbild ist transparent, farbig, dynamisch und gut gestaffelt. Seltsamerweise wirkt hier nur das Fagott etwas weit entfernt.
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4
John Georgiadis
Queensland Philharmonic Orchestra, Brisbane
Naxos
1994
7:52 6:16 4:04 6:40 24:52
Uns war der Dirigent bisher vor allem als Konzertmeister des LSO bekannt (die Scheherazade wurde mit ihm als Solisten gleich mehrmals aufgenommen), eine Stelle, die er übrigens gleich zweimal angetreten hat. Dem australischen Orchester stand er eine Weile als Chef vor. Wenn wir uns die Violinen des Orchesters in den Fokus rücken, so agieren sie nicht mit der Luftigkeit und Leichtigkeit der Franzosen aus Tours, nicht mit der Attacke des Wiener Concert-Vereins, aber doch schlanker als die des Philharmonia Orchestra. Ansonsten wird die Partitur exakt nachvollzogen, was ja schon viel bedeutet. Die Bläsersolisten sind absolut konkurrenzfähig (flinkes Fagott). Auch in Down Under gibt es also eine treffliche Orchesterkultur.
Die Oboe im 2. Satz versteht es, ihre kleine Arie schön zu singen, wenngleich sie tonlich nicht ganz an die Brillanz der Oboe aus Tours oder des Philharmonia herankommt. Die Kontraste wirken bisweilen ein wenig hemdärmelig.
Im 3. Satz agieren die Violinen nicht ganz so homogen wie bisher gehört, gerade die Triller gemeinsam hinzubekommen ist gar nicht so einfach.
Der 4. Satz ist aber wieder der fröhliche Kehraus, der so sehr unsere rhythmische Ader anspricht. Die Kontraste könnten noch ein wenig ansatzloser gelingen.
Dies ist eine insgesamt gut ausgeführte Einspielung, die immer noch viel Freude bereitet. Sie hält gute Proportionen, wirkt aber nicht so ausgefeilt und inspiriert.
Der Klang zeigt eine gute Transparenz, ist offen und gut gestaffelt. Wie oft bei diesem Label fehlt jedoch die letzte Brillanz. Der Klang könnte auch noch etwas körperhafter sein.
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4
Claus Peter Flor
Philharmonia Orchestra London
RCA
1995
7:43 6:38 4:16 4:24 23:01
Gegenüber seiner zweiten Einspielung der Sinfonie wirkt die ältere, stärker besetzte, insgesamt deutlich schwerfälliger. Allerdings klingen gerade die Streicher und da besonders die Violinen auch rund, voll und seidig. Manch einem Geschmack mag das ja auch eher entgegenkommen als die agilere Kammerorchesterbesetzung in Wien. In London wird der Marschcharakter deutlicher betont. Der Zugriff ist durchaus dramatisch, wirkt aber auch weniger inspiriert.
Im 2. Satz gefällt die damals bereits schön und voll klingende Oboe der Londoner, aber gegenüber der zuvor gehörten Einspielung du Closels verliert der Satz einerseits das Serenadenhafte, Leichte, andererseits erreicht er aber auch nicht die geheimnisvolle Atmosphäre der Franzosen.
Im 3. Satz wird die kontrastreiche Beschwingtheit du Closels ebenfalls nicht erreicht. Das Staccato klingt ziemlich breit, alles wirkt farblich eingedunkelt und etwas plumper.
Auch im 4. Satz, durchaus in einem guten Presto genommen kommen die Londoner ebenfalls nicht ganz an die Streicher-Präzision der zuvor gehörten Franzosen aus dem schönen Tal der Loire heran. Da kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Sie pointieren zudem auch besser und artikulieren flinker und leichter. Analoges gilt das auch für Flors eigene Einspielung aus Wien, die der Einspielung du Closels viel näher steht, als der eigenen aus London.
Der Klang wirkt füllig, gut gestaffelt und transparent. Es wird ein gutes Bassfundament gelegt. Er wirkt jedoch auch etwas gedeckt, könnte also etwas brillanter sein.
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4
Wolfgang Sawallisch
Bayerisches Staatsorchester, München
Orfeo
1983
7:46 6:32 4:01 6:38 24:57
Auch in Wolfgang Sawallischs Einspielung sind die Streicher reichlich besetzt. Generell ist man mehr an einer kantablen als an einer rhetorisch orientierten Diktion interessiert. Der 1. Satz hat wenig Feuer. Im Fokus Sawallischs stehen mehr die klassische Ausgewogenheit und eine gediegene Ausführung. Da hat alles Hand und Fuß, jugendliche Aufbruchsstimmung oder gar Aufruhr finden jedoch nur untergeordnete Beachtung. Die Steigerungen wirken gedehnt, mitunter langatmig, die Artikulation etwas schwerfällig. Das wird besonders im Vergleich zu den mehr kammermusikalisch besetzten, insbesondere zu den historisch orientierten Einspielungen deutlich.
Der 2. Satz wirkt dagegen atmosphärisch gelungen, insgesamt schön ausformuliert. Eine sehr vollmundig klingende und lebendig phrasierende Oboe ist da schon der halbe Weg nach Rom. Auch die Hörner wissen sehr wohl zu gefallen. Insgesamt liegt hier eine schön ausgesungene Opernszene ohne Worte vor.
Dem dritten Satz fehlt der erforderliche Presto-Wirbel. Er wirkt etwas breit angelegt, aber klangvoll und mit viel Wärme dargeboten. Die 1. Oboe führt.
Der erneut presto zu nehmende 4. Satz wirkt etwas temperamentvoller, aber der unwiderstehliche Schwung einiger anderer Produktionen erreicht das Bayerische Staatsorchester nicht. Dazu klingt es, ähnlich wie beim Philharmonia Orchestra und Claus-Peter Flor zu voluminös, mit etwas zu viel „Speck auf den Rippen“. Und völlig unbeleckt von der historischen Aufführungspraxis. So ähnlich hätte es wahrscheinlich auch bei Herbert von Karajan geklungen, wenn er sich zu einer späten Auseinandersetzung mit dem Werke hätte hinreißen lassen. Sawallisch bleibt jedenfalls jederzeit mit beiden Beinen am Boden, da kommt nichts und niemand ins Fliegen. Der Gestus wirkt mehr sanft, geschmeidig, versiert und korrekt als inspiriert oder sprühend vor neuen Ideen. Auch hier trifft es vielleicht erneut der wertneutral gemeinte Begriff „gediegen“ am besten.
Der Klang der Aufnahme wurde ganz leicht mit etwas Hall garniert. Sie klingt großräumig, recht farbig, sehr weich und noch transparent aber dynamisch eingeebnet. Die Bläser agieren zu weit im Hintergrund.
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3-4
Hans Hubert Schönzeler
London Symphony Orchestra
RCA – Guild
1976
7:37 5:15 4:06 7:07 24:05
Der deutschstämmige Dirigent könnte möglicherweise bereits namentlich bekannt sein, denn er hat das eine oder andere Vorwort zu den bekannten Eulenburg-Taschenpartituren verfasst und ist außerdem als Autor von Biographien von Bruckner und Dvorak hervorgetreten. Man kann nachlesen, dass er einige Jahre Direktor von Eulenburg in London war und als Dirigent vor allem in Australien wirkte.
In Webers 1. Sinfonie achtet er penibel auf exakte Stimmenverläufe, kommt aber ansonsten, wenn es ein Repertoirestück wäre könnte man es eher behaupten, kaum über eine Routine-Aufführung hinaus. Im 1. Satz realisiert er erst am Ende des Satzes mit einem schwungvollen Tempo den jugendfrisch-aufbruchhaften Charakter. Aus dem nur leidlich enthusiasmierten Orchester ragen nur die Hörner wirklich heraus. Ihnen merkt man eine gewisse Dringlichkeit im Mitteilungsbedürfnis an, was dem Rest des Orchesters weitgehend abgeht.
Im 2. Satz mit der dominierenden Oboe geht der direkte Vergleich klar an die gerade zuvor gehörte Oboe aus München, allzu hell und piepsig klingt es hingegen dieses Mal in London. Die heraufbeschworene Atmosphäre bleibt hier ohne besonderen Duft, wenig eindrucksvoll und klanglich unbefriedigend dünn. Überzeugend hingegen auch hier wieder die selbstbewussten Hörner, die das ihnen Mögliche zum gewinnenden Musizieren beitragen.
Auch im 3. Satz, erneut nur routiniert vorgetragen, werden kaum Funken aus dem Werk herausgeschlagen.
Der 4. Satz gelingt etwas spannender und hört sich schon eher nach dem LSO an, das wir bereits in vielen Aufnahmen mit Begeisterung würdigen konnten. Aber auch hier bleibt man angesichts des geforderten Presto etwas zu lethargisch, oder doch eher betulich. Ausnahme erneut, es gilt also für alle Sätze, die deftig agierenden Hörner, die auch in jeder anderen Einspielung eine gute Figur abgegeben hätten. Bei den Wiederholungen ist man jedoch spendabel.
Insgesamt wirkt die Produktion aber ziemlich blass.
Das mag zu einem gewissen Teil auch an der gebotenen Klangqualität liegen, denn sie wirkt ein wenig mulmig, kaum vollmundig und wenig körperhaft und dynamisch. Gegenüber dem Klang aus München jedoch etwas schlanker und klarer. Im ff wirkt er etwas eingeengt, auch etwas lärmend. Die Violinen wirken leicht verfärbt, wenig rund und wenig farbig.
27.1.2022