Maurice Ravel
La Valse
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Werkhintergrund:
Mehr als 14 Jahre beschäftigte sich Maurice Ravel mit der Komposition. Die Vorgeschichte des Werks, das er 1920 vollendete, reicht bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Die Entstehung des Stücks verdankt sich nicht allein dem Auftrag Diaghilews, sie wurzelt in anderen Motiven und zog sich zudem über viele Jahre hin. Schon 1906 hatte Ravel seinem Freund, dem Musikkritiker Jean Marnold geschrieben, er habe „einen großen Walzer ins Auge gefasst, eine Art Hommage an den großen Strauss, nicht Richard, sondern den anderen, Johann. Sie wissen, wie ich diese wunderbaren Rhythmen liebe und dass ich die Lebenslust, die das Tänzerische zum Ausdruck bringt, weitaus mehr schätze als das Puritanische der Franckisten.“
Exkurs: Der Walzer:
Der Opernball ist auch heute noch das gesellschaftliche Großereignis in Wien und Höhepunkt jeder Faschingssaison. Der Ball findet in der Wiener Staatsoper statt und wird mit den Worten „Alles Walzer!“ eröffnet.
Der Walzer (von „walzen“= „drehen“), ein Paartanz im ¾-Takt, kam im 18. Jahrhundert auf. Zunächst wegen der innigen Berührung der Tanzpaare als unzüchtig verpönt, wurde der Walzer in Wien um 1815 salonfähig durch Bälle während des Wiener Kongresses. In der Folgezeit erfasste das Walzerfieber ganz Europa von Paris bis Sankt Petersburg und alle Gesellschaftsschichten, sogar bzw. gerade die des Hochadels. Ein Tanz wie eine Universalsprache aller Stände und Völker. Chopin erhob ihn früh zur Kunstform.
Vor allem Komponisten wie Josef Lanner, Johann Strauss (Vater) und Johann Strauss (Sohn) schufen berühmte Walzer (zuvor bereits Beethoven und Franz Schubert), deren enorme Popularität bis heute anhält. Ab 1850 erlangte er eine Popularität, die noch nicht einmal das Menuett 100 Jahre zuvor erlangt hatte. Er war ein musikalisches Symbol, das Ideal der Belle époque, um nationale Interessen zum Ausgleich zu bringen. Es entstanden sogar Konzertwalzer nur zum Zuhören, z.B. komponiert von Alexander Glasunow. Der erste Weltkrieg legte Europa in Schutt und Asche und begrub genauso die Walzerzeit. Der Wiener Walzer wurde 2017 in die Liste des Immateriellen UNESCO-Kulturerbes Österreichs aufgenommen.
Ein typischer Wiener Walzer besteht aus:
- Einleitung, auch „Introduktion“, „Introduzione“ – nicht unbedingt im ¾ -Takt
- Walzerkette: ¾-Takt, mehrere Walzer werden aneinandergereiht
- Finale, auch „Coda“: Musikalische Motive aus den einzelnen Walzern bzw. aus der Einleitung werden aufgegriffen, oft mit Steigerung der Lautstärke und manchmal mit Steigerung des Tempos.
Aus diesem Pool schöpfte Ravel unter anderem.
Später, 1914, spricht Ravel in einem Brief an seinen Schüler Roland-Manuel von einer „symphonischen Dichtung“ mit dem Arbeitstitel „Wien“, ein Plan, den Ravel während des Ersten Weltkriegs jedoch nicht weiterverfolgte. Erst mit dem Auftrag Diaghilews zu einem Ballett griff er die Idee 1919 wieder auf. Unter dem neuen Titel „La Valse“ und mit der Bezeichnung „Poème chorégraphique“ („choreographische Dichtung“).
„Ich walzere wie besessen“, schrieb er dann Anfang Januar 1920. Die tiefe seelische Krise, in die er durch Kriegsereignisse und den Tod seiner Mutter im Jahr 1917 geraten war, schien überwunden. Ich dachte bei diesem Werk an eine Art Apotheose des Wiener Walzers, in die sich in meinen Gedanken die Vorstellung eines phantastischen Wirbels mischte, dem niemand entrinnen kann“, schrieb er 1928. In einer Partitur-Notiz konkretisierte er den programmatischen Gehalt: „Flüchtig lassen sich durch schwebende Nebelschleier hindurch walzertanzende Paare erkennen. Nach und nach lösen sich die Schleier auf: Man erblickt bei A [Beginn des Hauptthemas] einen riesigen Saal mit zahllosen im Kreis wirbelnden Menschen. Die Szene erhellt sich zunehmend; beim Fortissimo bei B erstrahlen die Kronleuchter im hellen Glanz. Eine kaiserliche Residenz um 1855...“ Gemeint ist damit der Wiener Kaiserhof Franz Josephs I., der die bevorstehenden politischen Verwicklungen mit rauschenden Ballfesten überspielte. Ravels Musik lässt an den Konsequenzen kaum Zweifel: der Tanz auf dem Vulkan endet unweigerlich in der Katastrophe …
Das Opus stellt sich formal als eine ununterbrochene Kette von raffinierten Walzern dar, die in einem ständigen Crescendo, in immer neuen und kürzeren Phasen Anlauf nehmend eine mächtige Klimax bilden. Die Melodien spiegeln dabei alle Nuancen des Wiener Walzers wider. Doch Ravels ekstatischer Reigen ist nicht nur eine Überhöhung des Tanzes. Der zweite Teil, eine Art freie Reprise, verarbeitet und verdichtet das Material zu einem turbulenten Wirbel. Nach dem Höhepunkt reißt das Klanggeschehen unvermittelt ab. Dieser »Parforceritt in der Mobilisierung rhythmischer und dynamischer Kräfte« (Hans Heinz Stuckenschmidt) sprengt die Gattung der Tanzmusik.
Paris, im April 1920: Bei Misia Sert, der Muse und Mäzenin zahlreicher Künstler, treffen sich kreative Köpfe der „Ballets Russes“, des berühmtesten und innovativsten Ballettensembles dieser Zeit: Der Tänzer und Choreograf Léonide Massine, der Dirigent Ernest Ansermet, manche behaupten auch Igor Strawinsky wäre zugegen gewesen und, natürlich, der Leiter und Impresario der Truppe, Sergej Diaghilew. Man ist zusammengekommen, um erstmals „La Valse“ zu hören – so lautet der Titel der Ballettmusik, die Diaghilew bei Maurice Ravel 1919 in Auftrag gegeben hatte. Der Komponist wird das Werk selbst am Klavier vortragen, zusammen mit der Pianistin Marcelle Meyer. Einer der Gäste, der Komponist Francis Poulenc, berichtet:
„Ravel erschien ganz schlicht, mit seinen Noten unter dem Arm, und Diaghilew sagte zu ihm mit seiner nasalen Stimme: 'Nun, mein lieber Ravel, was für ein Glück, dass wir La Valse hören können.' Und Ravel spielte „La Valse“ mit Marcelle Meyer, vielleicht nicht sehr gut, aber immerhin war es Ravels „La Valse“. Damals kannte ich Diaghilew ziemlich gut... und ich sah, wie sich seine falschen Zähne zu bewegen begannen, dann das Monokel, ich bemerkte, dass er betreten war, ich sah, dass es ihm nicht gefiel und er ‚Nein‘ sagen würde. Als Ravel am Ende angelangt war, sagte Diaghilew etwas, das ich für sehr wahr halte. Er sagte: ‚Ravel, es ist ein Meisterwerk...aber es ist kein Ballett...Es ist das Porträt eines Balletts...Es ist das Gemälde eines Balletts.‘ [...] (Was er damit meinte: Es ist nicht in seinem Sinn tanzbar. Anm.) Ich war zweiundzwanzig (Poulenc war eigentlich erst 21 aber im 22.Lebensjahr, Anm.) und, wie Sie sich vorstellen können, vollkommen baff. Ravel erteilte mir daraufhin eine Lektion in Bescheidenheit, die mein Leben lang nachwirkte: Er packte in aller Ruhe seine Noten und verließ ruhig den Raum, ohne sich darum zu scheren, was wir alle davon hielten.“ Strawinsky soll übrigens kein Wort gesagt haben. Misia Sert – der Ravel „La Valse“ widmete – versuchte in der Folgezeit mehrfach, zwischen Ravel und Diaghilew zu vermitteln; zu einer Versöhnung der beiden sollte es jedoch nicht mehr kommen.
Auch spätere Choreographen taten sich schwer mit dem dämonisch-orgiastischen Charakter des Werks, das seit seiner Pariser Uraufführung am 12. März 1920 vor allem in den Konzertsälen Erfolge feiert. Ihre szenische (Frankreich-) Premiere erlebte La Valse dann mit der Ballett-Kompagnie Ida Rubinsteins erst im Mai 1929 an der Pariser Opéra (zuvor gab es bereits 1926 eine szenische Aufführung in Antwerpen, die gerne vergessen wird.)
Julika Jahnke stellt das starke Stück zusammen mit dem Dirigenten Stéphane Denève bei BR- Klassik in der Reihe „Das starke Stück“ vor:
Denève: "Es ist ein großes Meisterwerk, für mich vielleicht das größte Meisterwerk von Ravel. Ich finde dieses Stück so interessant, weil es von der Stadt Wien inspiriert ist und (...) dieser deutsch-österreichischen Kultur - und Ravel war französisch. Für mich als Franzose, der jetzt (vielmehr damals zur Zeit des Interviews, d.h. 2014) in Stuttgart wohnt(e), hat dieses Stück etwas Besonderes."
Bevor Maurice Ravel im Jahr 1920 die Symphonische Dichtung "La Valse" fertig stellte, hatte sie noch einen ganz anderen Namen: Sie hieß "Wien". Denn es sollte darin um "Wien und seine Walzer" gehen. So hatte sich Sergej Diaghilew, der Gründer und Leiter des Ballets Russes, dieses Auftragswerk gewünscht, als eine Ballettmusik. Erst nach dem Ersten Weltkrieg änderte man den Titel in das neutrale "La Valse", denn Wien beziehungsweise Österreich waren jetzt für die Franzosen mit traumatischen Erinnerungen behaftet. Es geht natürlich in dieser Musik immer noch um die Heimat des Wiener Walzers, das hört man sofort – aber Ravel ging es damals um noch viel mehr, erklärt Stéphane Denève. "Es ist eine Tragödie, eine Todesahnung (...). Es ist sehr wehmütig. Wie er ganz am Anfang diesen neuen Klang macht, mit nur Kontrabass in sehr tiefen, langsamen Trillern. Und dann dieser Herzschlag, der fängt an mit Pizzicati, Harfen und Pauken und Fragmenten von den Melodien, mit Fagott und Bassklarinette. Das ist so eine unglaubliche, dunkle Atmosphäre, das hat mich immer fasziniert."
Dabei ist Stéphane Denève besonders wichtig, dass hier drei verschiedene Einflüsse aufeinandertreffen: zuerst das typisch Wienerische, manche Melodie klingt wie bei Johann Strauß. Auch der wogende Rhythmus des Wiener Walzers wird voll ausgekostet:
"Dieses 1-2-3, 1-2-3 mit dem zweiten Schlag ein bisschen früh und dem dritten Schlag eine Spur später: Das ist Wien. Aber es gibt in diesem Stück auch einen französischen Einfluss, nicht nur in den Farben, sondern auch in einigen Melodien. Das ist mehr eine französische Valse. Unsere Valse in Frankreich kommt mehr von der Gavotte, vom Menuet und ist ohne Rubato, ist 1-2-3 – 1-2-3. Und wenn Sie hören daditi-datidati-datidati, das ist für mich wirklich sehr französisch. (...) Der größte Einfluss ist leider der Militäreinfluss. Und ein Militärmarsch ist: 1-2, 1-2, 1-2. (...) Dieser Rhythmus dringt immer mehr ein und kämpft gegen den Walzerrhythmus."
Dazu lässt Ravel die Walzerklänge auch noch durch impressionistische Rhythmen und Harmonien verschwimmen. Schließlich ist die glanzvolle Welt des Walzers zerstört – die Welt des 19. Jahrhunderts. Ravel soll von der Idee einer Auflösung des Walzers fasziniert gewesen sein. Er stellte sich vor, dass "La Valse" am Kaiserhof von Wien spielen sollte, im Jahr 1855. Immerhin war er ja davon ausgegangen, dass es eine Ballettmusik sein sollte. In der subtilen Klangwelt, die er hier entwickelt, gibt es schon zu Beginn zahlreiche Vorahnungen der drohenden Zerstörung, mit düster knarzenden Holzbläsern und unheilvoll schrägen Harmonien.
"Es gibt auch Glissandi (...) mit Flatterzunge. Und es klingt für mich wie eine Weltkriegssirene. Und überall macht er die schönsten Melodien, aber mit einer Begleitung, die klingt manchmal wie eine schlechte Verdauung (...). Diese Klänge in Klarinetten, Cello und Kontrabass. Es klingt wie Erbrochenes, wirklich furchtbar." Auch hier erweist sich Ravel einmal mehr als ein Meister des Orchestrierens. Er spickt seine Partitur mit feinsten Details, die herausgearbeitet sein wollen. Die Fülle an Klangfarben hat Denève schon als Teenager ausgekostet. Damals hat er die Klavierfassung von "La Valse" immer wieder gespielt. Am Ende des Werkes ist hier dann klanglich endgültig die Moderne erreicht. Für Denève ist der rabiate Rhythmus im letzten Takt faszinierend – als wenn Ravel sagen wollte:
„Es ist jetzt wie ein Zug: viel Geschwindigkeit, direkt auf eine Wand zu - und die Wand ist der Erste Weltkrieg.“
"La Valse", das ist für Denève eben kein launiges Bravourstück. Und ein Orchester sollte nicht versuchen, darin besonders schön und brillant zu klingen. "Es muss wirklich ein Horror-Movie sein für mich. Und am Ende bin ich immer sehr berührt, weil ich das Gefühl habe, es ist wirklich ein Todesstück, ein Trauerwalzer, muss ich sagen. Das ist sehr, sehr schwer." Soweit der Dirigent selbst. Denève ist mit vier Aufnahmen von „La valse“ in unserer Aufstellung vertreten, der CD mit dem RSO Stuttgart und Live-Mitschnitten aus Berlin (DSO), Köln (WDR) und Wien (Symphoniker).
Théodore Lindenlaub, Musikkritiker (1920) zu „La Valse“:
Ravel stieß in Wien, inmitten der Ruinen, der Leere und des Elends der Gegenwart, auf die hartnäckigen Walzer von einst. Das machte einen gespenstischen Eindruck auf ihn. Er nahm den Kontrast wahr zwischen diesen heiteren, unbeschwerten Walzern von früher und den unglücklichen Menschen in Not, die sich weiter im Tanz drehten, sei es aus Gewohnheit, sei es, um Trauer und Hunger nach vergangenen Freuden zu betäuben. Und diese anwachsende, düstere Leidenschaft, der Kampf zwischen all dem Johann Strauss, der nicht sterben will, und dem Weg ins Verderben, nimmt die Form eines Totentanzes an.
Aus: Rezension der Erstaufführung von La Valse in Paris, in „Le Temps“, 28.12.1920.
Jean-François Monnard, Dirigent (2007):
Ravel führt in La Valse also nicht nur einen Tanz, sondern Glanz und Untergang einer ganzen Epoche vor. Als La Valse 1920 in Paris seine konzertante Erstaufführung erlebte, war Europa bereits verwüstet, hatten die Stahlgewitter des Ersten Weltkriegs alle Vorstellungen „eines fantastischen und fatalen Wirbelns“ übertroffen. Seine Partitur scheint auf die finale Steigerung angelegt zu sein und das Bild einer dekadenten, verdorbenen Gesellschaft am Rande des Abgrunds zu zeichnen.
Jan Brachmann schließlich stellte „La Valse“ in der Reihe „Interpretationen“ in Deutschlandradio Kultur vor. Wir hörten dabei ganz genau zu und fassen die Sendung nun mehr oder weniger ausführlich zusammen: „La Valse ist besonders in der Orchesterfassung ein Schaustück klanglicher Virtuosität. Besondere Wirkung haben diese Klänge aber, weil sie mit unserem Körper kurzgeschlossen sind. Ravel rührt hier an biologischen Urschichten musikalischer Kodierung. Schon der Anfang des Stückes ist schlichtweg genial. Man hört drei geteilte Kontrabass-Gruppen, zwei Stimmen brummen im Tremolo, die dritte zupft dazu die Töne e und f auf den ersten Zählzeiten des ¾ Taktes. 1-2, 1-2 genauso klingen die Herztöne unter dem Stethoskop. In wenigen Aufnahmen tritt dieser Stethoskop-Effekt wirklich hervor (wenn man 147 Aufnahmen hört dann sind es eine ganze Menge, Anmerkung), dazu muss die Tontechnik mitmachen. Diese Einspielungen gehen schon zu Beginn buchstäblich unter die Haut. Zuerst rauscht das Blut, dann ab T. 5 schlägt das Herz dazu. Noch zwei Mal im Verlauf des Stückes kehrt Ravel zu diesem biologischen Kalkül zurück, zu dieser „Ursuppe“ aus der das Stück entsteht und aus der die Finessen der Orchestertechnik erwachsen.
Zur klanglichen Faszination kommt die dramaturgische. Ravel packt uns am Fundament unseres Lebens, wo wir weder sprechen noch uns bewegen, sondern wo es sich bewegt. Das Blut. Über diesem biologischen Fundament baut Ravel eine Form aus Kultur: Walzer mit regelmäßigen Perioden. Perioden aus vier und acht Takten. Die kommen aus den alten Umläufen des Paartanzes. Sie regelten ursprünglich das gesellschaftliche Miteinander von Mann und Frau. Die Bewegung im öffentlichen Raum, das sich berühren und das sich trennen. Und diese Perioden fanden ihr Spiegelbild in den Reimformen der Verslyrik. Geformte Sprache und genormte Bewegung erwachsen bei Ravel also aus dem „nackten“ biologischen Impuls heraus. Ravel schreibt zunächst eine Walzerkette ganz nach dem Vorbild des von ihm bewunderten Johann Strauss. Die anfängliche Regelmäßigkeit schafft Vertrauen und macht Lust, sich der Musik zu überlassen. Auf dieser Lust beruht Ravels List. Er verführt uns, um uns aufzuklären über die zerstörerische Dynamik des Begehrens. Unsere eigene Gier wird uns nicht vorgehalten, sondern wir erleben sie. Dieses Erlebnis mündet in den ungeheuerlichen End-Knall.“
Exkurs: Ravel, der Walzer und Johann Strauss (oder Johann Strauß?), auf seinem Grabstein steht: Strauss, aber Bildhauer sind ja auch nur Menschen...
„La Valse“ ist eine Huldigung an Johann Strauss. Eine frühere Huldigung an den Walzer (da noch mehr nach Schuberts Vorbild) gab es bereits 1911 (Klavierfassung) bzw. 1912 (Orchesterfassung) in „Valses nobles et sentimentales“ (zu Deutsch: „Edle und gefühlvolle Walzer“). Aus dieser Folge von acht Walzern kam Ravel für „La Valse“ auf den siebten Walzer zurück. Zwei Mal sogar. Vorbild für diesen siebten Walzer war der „Schatzwalzer“ von Johann Strauss. Ravel ist mit Walzern großgeworden, er war ja der Tanz der Belle époque, einer von 1871-1914 währenden Friedensperiode. Genau hundert Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit dem Wiener Kongress begann der Aufstieg des Walzers. Als Ausdruck der Lebensfreude hatte Ravel das Poème symphonique „Wien“ geplant. 16 Jahre später wurde ein Poème choréographique daraus, „fratzenhafter Abgesang auf ein ganzes Jahrhundert“ (Michael Stegemann), wobei sich Ravels ursprüngliche Idee in einen apokalyptischen Todestanz verkehrte, in dem sich das Abendland immer schneller seinem Untergang entgegendreht. Der erste Weltkrieg hatte die Walzerzeit unter sich begraben.
Ravel, zunächst wegen seiner lediglich 1,58 m messenden Größe (bei einem Gewicht von weniger als 50 kg!) für untauglich befunden, wurde 1915 schließlich als Lastkraftwagenfahrer im 18. Infanterieregiment eingezogen. Er hatte sich freiwillig gemeldet, ohne dass nationalistische Gefühle bei ihm eine Rolle dabei spielten, was damals eher eine Seltenheit war und er war in Verdun dabei. Er kokettierte mit „Links“ (genauer der Sozialistischen Partei Frankreichs). Später lehnte er das Verdienstkreuz der Ehrenlegion ab, weil man mit der Annahme desselben das Recht verspielen würde, ein Bolschewik zu sein. Er war kein Revolutionär und legte sehr viel Wert auf Form, was eher als konservativ galt und gilt. Dem Tod begegnete er ebenfalls mit Klarheit, Helligkeit und Form (siehe unser Vergleich zu „Le Tombeau de Couperin“). Formen schaffen gegen das Chaos sozusagen.
Nun wieder zurück zur Sendung von und mit Jan Brachmann: Schlagartig musste Ravel 1919 erkannt haben, dass die Zeit des Walzers vorbei war, als Gesellschaftstanz und als Kunstform. So ist „La Valse“ der letzte Konzertwalzer geworden (seine Karriere als Ballett verlief allerdings eher schleppend). Und Diaghilew hatte im Grunde Recht, „La Valse“ ist ein Meisterwerk, das etwas abbildet. Er zieht die Summe einer Epoche und begräbt sie unter sich. Als Psychogramm und soziale Strukturanalyse zählt „La Valse“ zum Klügsten, was über das alte Europa und sein Ende geschrieben wurde. Wir finden hier das Lebensgefühl jener Elite der Belle époche wieder, die jeden Tag zu einem Fest machen wollte. Ein bislang ungekannter Luxus breitet sich zwischen 1871 und 1914 in Europa aus. Stefan Zweig schrieb über das Wien der Kaiserzeit: „Überall ging es vorwärts. Wer wagte gewann. Wer ein Haus, ein seltenes Buch, ein Bild kaufte, sah es im Werte steigen. Je kühner, je großzügiger ein Unternehmen angelegt wurde, umso sicherer lohnte es sich. Eine wunderbare Unbesorgtheit war damit in die Welt gekommen, denn was sollte diesen Aufstieg unterbrechen? Was den Elan hemmen, der aus seinem eigenen Schwung immer neue Kräfte zog? Eduard von Keyserling beschrieb in seinem Roman „Beate und Mareile“ (1903) mit der Figur des Günther von Tarniff den Menschentyp des ständigen Schwungüberbietens. „Er durchspähte das Leben mit leidenschaftlicher Hast nach Genüssen, als fürchtete er beständig, irgendein Genuss, ein seltenes Glück könnte ihm unterschlagen werden. Er pflegte jede Lebenslage genau auf die Summe von Befriedigung hin zu prüfen, die sie ihm bot. Er stellte gerne jedem Augenblick eine Zensur aus.“ Ungehemmter Elan, immer neuer Schwung, Hast nach Genüssen, steigende Kurse. Ist es nicht das, was Ravel da so fatal mitreißend eingefangen hat? Immer höher, immer schneller, immer glänzender, Wachstumsgesellschaft. Hinter der ständigen Überbietung steht die Furcht vor Langeweile. Und der Überdruss an Frieden, am langen idyllischen Sommer eines ganzen Kontinents zieht sich durch die Kunst der letzten Vorkriegsjahre. Dieser Überdruss ließ Dichter wie Stefan Heym oder Franz Werfel schon im Frieden nach dem Krieg rufen. Und die Zivilisationsmüdigkeit dieser Luxusgeschöpfe, denen kein Kitzel mehr Befriedigung verschaffte, begründetet den Erfolg solcher Stücke wie Strawinskys „Le Sacre du Printemps“, womit im Paris des Jahres 1913 wieder „Menschenschlachtung“ ästhetisch genießbar gemacht wurde. Die Kunst der Belle époque, die Musik eines Jules Massenet oder Alexander Glasunow war eine Kunst, die im Genuss immer noch das Maß suchte, darin zeigt sich ihre zivile Gesinnung. Die Kunst der klassischen Moderne war dagegen eine polemische Kunst (griech.: polemos: Krieg). In den letzten Jahren vor 1914 formierte sich eine Avantgarde mit einem neuen Begriff von Kunst wie Bürgerkrieg gegen die Tradition. Die meisten dieser Avantgardisten gehörten bei Kriegsausbruch zu den Hurra-Schreiern. Und wieder war es Eduard von Keyserling, der in seinem Roman „Wellen“ (1911) mit dem Maler Hans Grill genau diesen Typ beschrieb, der seine Kunst als Krieg begriff, um lebensmüden Bürgern den letzten „Kick“ zu verschaffen. „In München lässt sich jetzt viel machen. Ich werde eine Malschule gründen und dann werde ich arbeiten. Ich bin voller Ideen. Ich habe ja so viel in mir gespeichert, ich bin geladen wie eine Bombe. Und wenn ich da einschlage in die Welt abgelebter Großstadtleute, die werden Augen machen. Ich freue mich schon drauf.“
Fünf Jahre später schreibt Ravel aus dem Krieg an Lucie Garbon: „Mehrere Male kam es mir vor, dass ich unter den Granaten durchfuhr und glaubte entdeckt zu worden zu sein. Und noch jetzt überläuft mich eine Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke, dass ich eine Stunde vor meinem Urlaub um ein Haar mit meiner Karre mitten auf der Straße stehengeblieben wäre, die als Gefahrenzone eingestuft war.“
Ravel hat eine gelungene Form geschaffen. Kriterium einer gelungenen Form ist das nie Nachlassen des Interesses des Hörers. Wie erhält man sich das Interesse des Hörers? Indem man seine Erwartungen weckt, sie erfüllt und dabei zugleich überrascht. „La Valse“ arbeitet mit zwei Zutaten:
- Dem nackten Rhythmus als Pulsgeräusch
- Dem Tanz als gegliedertem Ablauf einer Zeit, die über den bloßen Impuls hinausragt.
Der reine Rhythmus nur mit Melodiefetzen begegnet uns drei Mal im Stück (wir haben bereits darauf hingewiesen). Dieser Klang erinnert an die Herztöne im Stethoskop. Damit geht das Stück los und zwei Mal wird der Effekt wieder aufgegriffen und gliedert so die Großform.
Nach der Einleitung folgt eine regelmäßige Walzerkette, die sich formal nicht von Johann Strauss unterscheidet, wenngleich Harmonik und Orchestration ganz und gar Ravel sind. Nach ihrem Abschluss kehrt der Anfang etwa sieben Minuten später verkürzt wieder. Darauf spult sich die Walzerkette erneut ab, wobei alle Teile durcheinandergeraten und wobei es zu erheblichen „Störfällen“ kommt. Dieser Abschnitt dauert nur etwa zwei Minuten bis das Tanzgeschehen zerreißt und zum letzten Mal der bloße Rhythmus zu hören ist.
Das Finale beginnt. Ravel verkürzt die Rhythmusphasen von Mal zu Mal, sowie er auch die Formteile Stück für Stück verkürzt, was neben der Tempobeschleunigung im Finale insgesamt zum Erlebnis des Schnellerwerdens beiträgt. Zugleich sind diese Rhythmusphasen Erinnerungen an den Herzschlag und das Blut, die eigentlich treibenden Kräfte dieses musikalischen Prozesses.
Nun noch zur Walzerkette: In der Originalgestalt beginnt sie, wenn jener Walzer erklingt, der sich zugleich an den „Schatzwalzer“ von Johann Strauss und zugleich an den siebten Walzer aus „Valses nobles et sentimentales“ anlehnt. Dann arbeitet Ravel mit den alten Mitteln von Fortspinnung und Kontrast. Die Walzer folgen meist in terz- oder quintverwandten Tonarten aufeinander, nicht anders als bei Johann Strauss auch. Die Soloflöte eröffnet in D-Dur mit einem Walzer in wiegendem Takt, darauf folgt in scharfem Kontrast ein B-Dur Walzer mit viel Schlagzeug und zweiteiligem Rhythmus im Dreiertakt. Auf ihn schließt sich ein typisch französischer Walzer, eine „Valse parisienne“ in Es-Dur an. Die Geigen räkeln sich auf der tiefen G-Seite und die Celli spielen chromatische Gegenläufe, die weniger als bedrohliche Dissonanzen wirken, als dass sie sich vielmehr wie ein schnurrendes Kätzlein von unten an die Melodie „anschmusen“. Ein F-Dur Walzer mit dudelnden Holzbläsern setzt die behagliche Stimmung fort bis es ein zweites Mal kracht und ein polternder Walzer in G-Dur mit punktiertem Volltakt-Motiv den Kontrast liefert. Der anschließende Walzer in D-Dur bringt mit dem 2/8-Auftakt das typisch Wienerische, das wir aus Strauß´ „Fledermaus“ kennen. Ravel macht sich den Spaß und übersteigert die Sektlaune noch, indem er einen wohlklingenden B-Dur Walzer folgen lässt, bei dem zwei Solo-Bratschen und zwei Solo-Celli immerzu einen Schluck-Auf kriegen. Der angenehme Schwips kullert ins noch kuscheligere Des-Dur, bevor ein gläserner Spieldosen-Walzer in A-Dur die Kette kichernd beschließt. Das sind die fünf lebensfrohesten Minuten von „La Valse“. Diese Walzerkette ist eine architektonische Form, die auf Kontrasten beruht. Der Phrasenaufbau ist so regelmäßig, dass wir uns sicher fühlen.
Dann aber im zweiten Teil kommt alles durcheinander. Die Walzer bilden nun keine Kette mehr, sondern überlagern sich gegenseitig, als strukturelles Sinnbild der Hast. Die Harmonik wird greller. Es kommt zu eklatanten Rollenverstößen in der Orchestration. Die Dudelfigur der Holzbläser wird plötzlich von der Trompete geschmettert. Die Schmusemelodie des Pariser Walzers erklingt nicht mehr in den Geigen, sondern wird von den Hörnern herausgekräht. Wer will kann darin ein Gleichnis auf soziale Umschichtungen hören. Oder ein schleichender Übergang von der Sicherheits- zur Risikogesellschaft.
Im dritten und letzten Teil geraten die einzelnen Walzer noch mehr durcheinander. Große Tempobeschleunigung, lauter, höher, greller, alles siedet, plötzlich ergibt sich ein Loch (Generalpause). Dann Schluckauf-Walzer, ff, Blech „volles Rohr“, erneute Beschleunigung, der „Schatzwalzer“ wird als letzter Triumph gegrölt, dann setzt sich das Stück wie ein Drogenabhängiger den letzten Schuss. Noch einmal retardierendes Moment, alle Streicher blicken auf den „Flötenwalzer“ zu Beginn zurück, dann kracht die Musik in 42 Takten zusammen. Tempoanweisung: Schneller bis zum Ende, ohne Zurückhaltung. Wo die Umkehr unmöglich wird, bleibt nur noch das Ende.
La Valse ist das Stück über das Verhängnis stetiger Überbietung. Über Prozesse mit unumkehrbarem Verlauf und unkontrollierbarer Dynamik. Der Schluss ist von gespenstischer Präzision. Nach dem Motto: Je größer die Störfälle, desto lauter die Feste. Die Notbremse wird gezogen, indem man sich noch stärker betäubt und im buchstäblichen Sinne zudröhnt.
Ein blitzgescheites Stück.
Es verfügt über Vielfarbigkeit genau wie über Schwung, beweist Sinn für das triebhafte Fundament der Musik genau wie für die Grazie hoher Kultur, die auf diesem Fundament aufbaut. Es besitzt Transparenz und schreckt vor der letzten Brutalität nicht zurück. Solchermaßen ausgeformt gibt es sozusagen genau das preis, was seine Interpreten darzustellen haben.
„La Valse“ ist zunächst eine Klang- und Formstudie und als solche schlüssig. Der abstrakte Titel aber verweist auf einen bestimmten Tanz, der einer ganz bestimmten Ära angehört. Ein Tanz, der zwischen 1850-1918 zu einer sozialen Bedeutung gelangte wie kein Tanz zuvor oder hinterher. Damit war es 1918 vorbei. Man kann „La Valse“ auch allgemeiner hören, als Chronik einer katastrophalen Verführung, als kumulativen Prozess, also als Aufschaukelung, die zum Überschwingen und schließlich zur Zerstörung führt. Und dann könnte man sich konkrete Vorgänge suchen, die dieser Struktur entsprechen. Eine Suchtkrankheit, Börsenspekulation, Bankenkrise, unsere Kultur der fossilen Brennstoffe mit dem Klimawandel als Folge. Alle diese Beispiele stehen für Wachstums- und Überbietungszwang, für Lebens- und Wachstumsformen, die keine Balance kennen. Ravel hat mit „La Valse“ den Übergang von einer Form der Balance zu einer Form der Hast und Überbietung, Rauschsteigerung und der Betäubung von Warnsignalen gestaltet. Alternativlos rast der Prozess auf sein Ende zu. Carl Amery (Pseudonym von Christian Anton Mayer; 1922-2005, der ein deutscher Schriftsteller und Umweltaktivist war) schrieb „Global Exit. Die Kirche und der globale Markt“. Darin greift er die sogenannte TINA-Formel vieler Wirtschaftsfachleute auf. TINA: There Is No Alternative zur Marktliberalisierung, zur Globalisierung, zu einer Wirtschaft der Gewinnmaximierung. Hier wird das Alternativlose als Verhängnis gestaltet. Als Ausdruck von Maßlosigkeit.
Ravel selbst allerdings war ein Mensch des Maßes und der balancierten Form, links-liberal, tolerant und weltoffen. Er hasste jede Revolution:
So antwortete er einst, als er gefragt wurde, was Revolution sei: „Sie sitzen in einem Raum und studieren. Nach ein paar Stunden merken Sie, dass es stickig geworden ist und dass Sie frische Luft benötigen. Sie öffnen also das Fenster und schließen es nach einer Weile wieder. Das ist Evolution. Sie können aber auch einen Stein nehmen und damit die Fensterscheibe einfach einwerfen. Dann kommt zwar auch frische Luft in den Raum herein, aber nachher müssen sie das Fenster wieder reparieren. Das ist Revolution. Ich für meinen Teil habe es nicht nötig Scheiben einzuschlagen, denn ich weiß, wie man Fenster öffnet.“
Als „Alternative zur Alternativlosigkeit“ hat Ravel zuvor bereits den siebten Walzer und den Epilog aus „Valses nobles et sentimentales“ geschrieben: Da gibt es Besinnung statt zerstörerischer Raserei.
In seiner Hommage an Ravel nach dem Tod des Komponisten im Jahr 1937 beschrieb Paul Landormy das Werk als „die unerwartetste Komposition Ravels, die uns bisher ungeahnte Tiefen der Romantik, Kraft, Vitalität und Begeisterung dieses Musikers offenbart, dessen Ausdruck sich normalerweise auf die Manifestationen eines im Wesentlichen klassischen Genies beschränkt.“
Der Komponist George Benjamin fasste in seiner Analyse von „La Valse“ das Ethos des Werks wie folgt zusammen: „Ob es nun als Metapher für die missliche Lage der europäischen Zivilisation nach dem Ersten Weltkrieg gedacht war oder nicht, seine einsätzige Anlage zeichnet die Geburt, den Verfall und die Zerstörung einer Musikgattung nach: des Walzers.“
Ravel selbst bestritt jedoch, dass das Werk eine Widerspiegelung des Europas nach dem Ersten Weltkrieg sei, und sagte: „Während die einen darin einen Versuch einer Parodie, ja einer Karikatur erkennen, sehen andere kategorisch eine tragische Anspielung darin – das Ende des Zweiten Kaiserreichs, die Situation in Wien nach dem Krieg usw. … Dieser Tanz mag tragisch erscheinen, wie jede andere Emotion … auf die Spitze getrieben. Man sollte in ihm jedoch nur das sehen, was die Musik ausdrückt: eine aufsteigende Klangfülle, der die Bühne Licht und Bewegung verleiht.“ (in einem Brief an Maurice Emmanuel, 14. Oktober 1922)
Er bemerkte 1922 auch: „Es hat nichts mit der gegenwärtigen Situation in Wien zu tun und hat in dieser Hinsicht auch keine symbolische Bedeutung. Im Verlauf von „La Valse“ habe ich mir weder einen Totentanz noch einen Kampf zwischen Leben und Tod vorgestellt." (in „Das französische Musikfestival: Ein Interview mit Ravel“, in De Telegraaf, 30. September 1922, Arbie Orenstein, Hrsg.)
Was für ein bescheidener, großer Mann.
Zusammengestellt bis 10.7.2025


Maurice Ravel in seiner Uniform und seinem Pelzmantel. Er war während des 1. Weltkriegs für zwei Jahre vornehmlich als LKW-Fahrer u.a. in Verdun im Einstz.
Übersicht:
Es wurden insgesamt 146 Aufnahmen von „La Valse“ gehört. Davon waren 107 Stereoaufnahmen (incl. Quadro oder SACD), 17 historische Monoaufnahmen und 22 Mitschnitte aus Übertragungen des Rundfunks.
(Die Rezensionen folgen wie immer im Anschluss an diese Übersicht.)
Die Stereo-Einspielungen:
5*
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
RCA
1955
11:20
5
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
RCA
1962
11:02
5
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
JPK
1961, live
10:39
5
Bernard Haitink
Boston Symphony Orchestra
Philips
1995
11:51
5
Stanislaw Skrowaczewski
Minnesota Orchestra
Vox
1974
12:07
5
Josep Vincent
ADDA Sinfonica, Alicante
Warner
P 2025
12:25
5
Claudio Abbado
London Symphony Orchestra
DG
1981
12:23
5
Pierre Monteux
London Symphony Orchestra
Philips
1964
11:35
5
Paul Paray
Detroit Symphony Orchestra
Mercury
1962
11:33
5
René Leibowitz
Orchestre des Concerts Symphonique de Paris
Readers Digest, Chesky
1960
11:18
5
Zubin Mehta
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1979
12:22
5
Klaus Mäkelä
Orchestre de Paris
Decca
P 2025
12:44
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR Klassik
2007, live
12:53
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Mediathek des BR
2017
13:04
5
Mariss Jansons
Royal Concertgebouw Orchestra
RCO
2007, live
12:28
5
Christoph von Dohnanyi
Cleveland Orchestra
Teldec
1991
12:06
5
Ludovic Morlot
Seattle Symphony Orchestra
Seattle Symphony Media
2015
12:18
5
Ernest Ansermet
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1963
12:51
4-5
Pierre Monteux
Boston Symphony Orchestra
WHRA (West Hill Radio Archives)
1958
10:58
4-5
Seiji Ozawa
Boston Symphony Orchestra
DG
1974
11:54
4-5
Simon Rattle
City of Birmingham Symphony Orchestra
EMI
1990
12:17
4-5
Georges Prêtre
Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR (heute: SWR Sinfonieorchester)
Hänssler
1995
12:19
4-5
Libor Pesek
Philharmonia Orchestra London
Virgin
1991
11:42
4-5
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1963
12:32
4-5
Bruno Maderna
Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (heute: Deutsche Radio-Philharmonie)
SR
1972
11:42
4-5
Pierre Dervaux
Orchestre de l´Association des Concerts Colonne (Paris)
Command (aus der BnF-Collection)
1960
12:49
4-5
Alan Gilbert
New York Philharmonic Orchestra
Eigenproduktion des Orchesters
2012, live
12:39
4-5
Paavo Järvi
Orchestre de Paris
RCA-Sony
P 2023
12:57
4-5
Eduard van Beinum
Concertgebouw Orchester Amsterdam
Philips
1958
11:11
4-5
Bernard Haitink
Concertgebouw Orchester Amsterdam
Philips
1975
12:48
4-5
Carlo Rizzi
Nederlands Philharmonisch Orkest
Tacet
2011
12:13
4-5
Eduardo Mata
Dallas Symphony Orchestra
RCA
1983
12:12
4-5
Vladimir Ashkenazy
Cleveland Orchestra
Decca
1990
11:35
4-5
François Xavier Roth
Les Siècles
Harmonia Mundi
2019
12:13
4-5
Jos van Immerseel
Anima Eterna
Zig Zag
2005
12:00
4-5
Sakari Oramo
Royal Stockholm Symphony Orchestra
BIS
2022
12:14
4-5
John Wilson
City of London Sinfonia
Chandos
2022
11:28
4-5
William Steinberg
Pittburgh Symphony Orchestra
EMI
1956
11:29
4-5
Charles Dutoit
Orchestre Symphonique de Montréal
Decca
1981
12:05
4-5
Jean Martinon
Orchestre de Paris
EMI
1975
12:32
4-5
Jean Martinon
Chicago Symphony Orchestra
RCA
1967
11:51
4-5
André Previn
Wiener Philharmoniker
Philips
1985, live
12:50
4-5
André Previn
London Symphony Orchestra
EMI
1973/74
12:48
4-5
Semyon Bychkov
Orchestre de Paris
Philips
1993
11:57
4-5
Eduard van Beinum
Los Angeles Philharmonic Orchestra
DG
1957, live
11:35
4-5
Robert Trevino
Orquesta Sinfónica de Euskadi (Baskisches Nationalorchester), San Sebastián
Ondine
2022
12:15
4-5
Geoffrey Simon
Philharmonia Orchestra, London
Cala
1990
12:12
4-5
Yannick Nézet-Seguin
Rotterdam Philharmonic Orchestra
EMI
2007
12:20
4-5
Alexandre Bloch
Orchestre National de Lille
Alpha
2019
12:33
4-5
Lorin Maazel
Wiener Philharmoniker
RCA
1996
13:12
4-5
Myung Whun Chung
Seoul Philharmonic Orchestra
DG
2010
12:56
4-5
André Cluytens
Orchestre des Concerts du Conservatoire de Paris (heute: Orchestre de Paris)
EMI
1962
11:45
4-5
André Cluytens
Philharmonia Orchestra, London
EMI, IMG Artists
1958
11:48
4-5
Jesus Lopéz-Cobos
Cincinnati Symphony Orchestra
Telarc
1988
12:01
4-5
Stéfane Denève
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (heute: SWR Sinfonieorchester)
Hänssler
2012
12:11
4-5
John Mauceri
Hollywood Bowl Orchestra
Philips
1993
13:21
4-5
Jean-Claude Casadesus
Royal Philharmonic Orchestra, London
Membran
1994
12:53
4-5
Alan Gilbert
NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR-One Gate Media
2022
13:09
4-5
Michael Gielen
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg
Hänssler
1993, live
12:09
4-5
Pierre Boulez
Berliner Philharmoniker
DG
1994
13:37
4-5
Pierre Boulez
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1974
12:59
4-5
Zubin Mehta
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Decca
1970
11:53
4-5
Kent Nagano
London Symphony Orchestra
Erato
1994
12:41
4-5
Jewgeni Swetlanow
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija
1982, live
12:53
4-5
Kyrill Kondraschin
Moskauer Philharmoniker
Melodija, Le Chant du Monde, Essential Media Group, Blaricum, Audiophil Classics
1963
12:25
4-5
Kyrill Kondraschin
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Hänssler
1961, live
12:32
4-5
Sergiu Celibidache
Münchner Philharmoniker
MPhil
1979, live
13:31
4-5
Michel Plasson
Orchestre du Capitole de Toulouse
EMI
1986
12:31
4
Charles Dutoit
Philadelphia Orchestra
Phi
2008, live
12:39
4
Philippe Jordan
Orchestre de l´Opéra National de Paris
Erato
2014
12:23
4
Paavo Järvi
Cincinnati Symphony Orchestra
Telarc
2003
11:28
4
Emmanuel Krivine
Orchestre Philharmonique de Luxembourg
Outhère
2012
12:43
4
Eliahu Inbal
Orchestre National de France
Brilliant-Denon
1987
12:28
4
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1963
12:24
4
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1958
12:34
4
Leonard Bernstein
Orchestre National de France
CBS-Sony
1975
13:11
4
Yuri Temirkanov
Sankt Petersburger Philharmoniker
Signum
2013, live
12:22
4
Gary Bertini
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester (heute: WDR-Sinfonieorchester Köln)
Capriccio
1988, live
12:37
4
Lorin Maazel
Orchestre National de France
CBS-Sony
1981
12:53
4
Sir John Barbirolli
Hallé Orchestra
Everest
1959
11:47
4
Leonard Slatkin
Orchestre National de Lyon
Naxos
2012
12:37
4
Mikel Toms
Filharmonie Brno (Brünner Philharmoniker)
First Creative
2011
13:06
4
Günter Herbig
Berliner Sinfonieorchester (heute: Konzerthausorchester Berlin)
Eterna
1979
13:53
4
Armin Jordan
Orchestre de la Suisse Romande
Erato
1986
13:02
4
Michael Tilson Thomas
San Francisco Symphony Orchestra
SFS Media
2019, live
13:02
4
Sylvain Cambreling
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg
Hässsler
2007
13:20
3-4
Marc Soustrot
Beethoven Orchester Bonn
MDG
2002
13:17
3-4
Ingo Metzmacher
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
EMI
2000, live
13:18
3-4
Neeme Järvi
Detroit Symphony Orchestra
Chandos
1991
12:03
3-4
Manuel Rosenthal
Orchestre du Théâtre National de l´Opéra de Paris
Vega, Adès
1957
12:27
3-4
Herbert von Karajan
Orchestre de Paris
EMI
1971
14:02
3-4
Dmitry Liss
Ural Philharmonic Orchestra, Jekatarinenburg
Fuga Libera
2022
13:00
3-4
Zubin Mehta
Israel Philharmonic Orchestra und Berliner Philharmoniker
Sony
1990
12:20
3-4
Jean-Claude Casadesus
Orchestre National de Lille
Harmonia Mundi
1992
13:12
3-4
Lorin Maazel
New Philharmonia Orchestra, London
EMI
1971
11:56
3-4
Kurt Masur
New York Phiharmonic Orchestra
Teldec
1996, live
13:13
3-4
Sergiu Celibidache
Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR
DG
1976, live
12:43
3-4
Veronica Dudarova
Moscow State Symphony Orchestra
Calliope
2004
12:35
3-4
György Lehel
Budapest Symphony Orchestra (Sinfonieorchester des Ungarischen Radios und Fernsehens)
Hungaroton
1972
12:02
3-4
Jean-Claude Bernède
Orchestre des Concerts Lamoureux
Forlane
1986
11:57
3-4
Leon Botstein
American Symphony Orchestra
ASO (Eigenlabel des Orchesters)
2012, live
14:02
3-4
Noriaki Kitamura
Warschauer Philharmoniker
NKB Records
2013
13:45
3
Claude Monteux
Royal Philharmonic Orchestra, London
Decca-Phase IV
ca. 1968
13:01
3
Daniel Barenboim
Orchestre de Paris
DG
1981
13:12
3
Kenneth Jean
CSR Radio Symphony Orchestra (heute: Slovak Radio Symphony Orchestra), Bratislava
Naxos
1990
13:03
3
Lionel Bringuier
Tonhalle Orchester Zürich
DG
ca. 2015
11:00
3
Djansug Kachidze
Tiflis Symphony Orchestra
HDC
AD ?
13:12
Die Mono-Einspielungen:
5
Igor Markewitsch
Philharmonia Orchestra, London
EMI, Intense Media
1952
11:06
5
Victor de Sabata
Wiener Philharmoniker
Archipel
1953, live
10:22
5
Ernest Ansermet
Orchestre des Concerts du Conservatoire de Paris
Decca, Pristine
1955
12:52
4-5
Pierre Monteux
Orchestre Symphonique de Paris
Lys, Cris Music
1930
10:33
4-5
Fritz Reiner
Pittsburgh Symphony Orchestra
Columbia-Sony, Cris Music
1947
11:20
4-5
Guido Cantelli
NBC Symphony Orchestra
Archipel, Testament, Arturo Toscanini Society
1951
11:25
4-5
Pierre Monteux
San Francisco Symphony Orchestra
RCA, auch Archipel
1941
10:38
4-5
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1954
11:30
4-5
Pedro de Freitas Branco
Orchestre du Théâtre des Champs Elysées
Ducretet Thomson, EMI, Astory Records
1954
11:17
4-5
Arturo Toscanini
NBC Symphony Orchestra
Music and Arts
1940 (?)
10:47
4-5
André Cluytens
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester (heute: WDR-Sinfonieorchester Köln)
Archipel
1955, live
11:36
4-5
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonieorchester, Berlin (heute Deutsches Sinfonieorchester Berlin)
DG
1953
13:26
4
Albert Coates
London Symphony Orchestra
EMI
1926
11:18
4
John Barbirolli
New York Philharmonic Orchestra
Columbia-Sony
1940
12:19
3-4
André Cluytens
Orchestre National de la RTF, Paris (heute: Orchestre National de France)
JPK
1956-62 (?), live
11:37
3
Sergiu Celibidache
Orchestra Sinfonica di Milano delle RAI
Cetra
1969, live
12:24
3
André Cluytens
Orchestra Sinfonica di Milano delle RAI
Arts
1962, live
11:31
Aufnahmen aus Radio und Internet:
5
Joana Mallwitz
Berliner Philharmoniker
Deutschlandfunk
2025
11:54
5
Claudio Abbado
Berliner Philharmoniker
RBB
1999
12:25
5
Andrew Manze
NDR Radiophilharmonie Hannover
NDR, gesendet vom ORF
2020
12:12
5
Alain Altinoglu
HR-Sinfonieorchester
HR
2021, live
12:24
5
Jean-Christophe Spinosi
HR-Sinfonieorchester
HR
2011, live
12:09
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
2017, live
13:17
4-5
Marek Janowski
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
RBB
2014, live
12:24
4-5
Dmitri Kitajenko
HR-Sinfonieorchester
HR
AD ?, live
12:25
4-5
Lorin Maazel
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
AD ?, live
12:45
4-5
Robin Ticciati
Bamberger Symphoniker
BR
2012, live
12:44
4-5
Pablo Heras-Casado
HR-Sinfonieorchester
HR
2019, live
12:33
4-5
Yannick Nézet-Seguin
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
2011, live
13:00
4
Stéphane Denève
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
Deutschlandfunk
2023, live
13:03
4
Stéphane Denève
WDR-Sinfonieorchester Köln
WDR
2022, live
13:22
4
Stéphane Denève
Wiener Symphoniker
ORF
2021, live
13:30
4
Matthias Pintscher
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Deutschlandfunk
2025, live
12:52
4
Anu Tali
Junge Deutsche Philharmonie
HR
2024, live
12:48
4
Edward Gardner
Bergen Philharmonic Orchestra
Radio Bremen
2022
12:49
4
Eva Ollikainen
Iceland Symphony Orchestra
ISO
2021, live
12:32
4
Zubin Mehta
Wiener Philharmoniker
ORF
2016, live
12:56
4
Pietari Inkinen
HR-Sinfonieorchester
HR
2017, live
13:16
3
Gérard Korsten
Sinfonieorchester Vorarlberg
ORF
2009, live
12:18
Die Stereo-Einspielungen:
5*
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
RCA
1955
11:20
Von dem Dirigenten aus dem Elsass lagen uns drei Aufnahmen vor, die wir zum Vergleich heranziehen konnten. Alle drei wirken hochkompetent, hochgradig erregt und sind Musterbeispiele für expressives Musizieren auf des Messers Schneide. Die erste Einspielung für RCA aus den Pioniertagen der Stereotechnik konnte uns dabei am meisten begeistern. Hinzu gesellt sich ein Remake der RCA von 1962 und zeitlich dazwischen liegend ein Mitschnitt eines Live-Konzertes aus dem Radio von 1961, der überraschenderweise in einer auch heute noch als gut erachteten Stereoqualität vorliegt.
1955 ging man bei der Aufnahme besonders nah heran an die Musiker des Orchesters, sodass man fast die Perspektive einnehmen darf, die sonst ausschließlich dem Dirigenten vorbehalten ist. Wir sind hautnah dran am Orchester und in dem Fall auch an „La Valse“. Dadurch dass das pp bereits recht laut aufgenommen wurde, erklingt schon der Beginn sagenhaft detailreich, die Musik unheimlich. Blutstrom und Herzschlag sind leicht zu erfassen. Das Tempo ist zügig, außerordentlich schwungvoll und es vermittelt genau die begierige Genusserwartung, die man auch von den versammelten Paaren erwartet, die sich nun dem geliebten Wiener Walzer hingeben, weil man mit ihm alles andere vergessen kann. Von einer Wiener Walzer-Seligkeit kann man indes kaum sprechen, dazu brodelt es zu sehr und die Rhythmen sind schon zu Anfang der Walzerkette besonders stark akzentuiert und die sehr präsente Gran Cassa auffallend „schlagkräftig“. Bereits 1955 präsentiert sich das Orchester in Topform, als ob es in Sachen „La Valse“ einen Pakt mit dem Teufel eingegangen wäre. Weitere Aufnahmen des Orchesters bestätigen diesen Eindruck, nicht nur in den Einspielungen Munchs, sondern auch mit Monteux, Ozawa und vor allem Haitink. Einzig die Violinen klingen ein wenig hell und „crispy“. Man kann von einem Jahrgang 1955 nicht in allen Bereichen auch noch audiophile Höhenflüge erwarten. Aber auch die Aufnahmequalität ist umwerfend. Noch wichtiger ist aber, dass Spannung mit Händen zu greifen ist, es liegt also von Anfang an „Gänsehautmusik“ vor. Die Trompeten agieren übrigens in allen drei Münch-Aufnahmen mit ungeheuerer Strahlkraft und ihr Elan wird kaum je wieder erreicht. Das ganze Orchester wirkt unwiderstehlich motiviert, wunderbar, wie der Schwung mit zunehmender Spieldauer immer mehr zunimmt. Genau wie die Lautstärke und die Intensität bis er sich in ungeschmälerter Explosivkraft entlädt, sodass man es fast schon mit der Angst zu tun bekommt. Die Klimax muss man nach 146 gehörten Aufnahmen als ultraspannend bezeichnen, damit man noch ein paar Abstufungen mehr zur Verfügung hat. Hitchcock-Suspense in Musik gefasst. Wer „La Valse“ nicht nur bestens gespielt hören möchte sondern auch hautnah miterleben möchte, der ist hier goldrichtig. Charles Munch war zur Zeit der Aufnahme 64 Jahre jung und das jugendliche Feuer, das er aus sich und vor allem dem Orchester herausholt ist so erstaunlich, dass einem fast die Spucke wegbleibt.
Der Klang der Aufnahme (einer der ersten „Living Stereo“ Einspielungen der RCA überhaupt) ist sagenhaft präsent, verfügt aber nicht über die ausladende Räumlichkeit wie sie vor allem in den 90er Jahren modern geworden ist. Direkt und ausgesprochen plastisch, körperhaft und ungeheuer dynamisch. Miterleben stand hier noch ganz oben auf der Liste, nicht unbedingt einen königlichen, aber distanzierten Überblick über das Orchesters zu erhalten. Wir hörten das Stück von einer Stereo-SACD.
5
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
RCA
1962
11:02
Von 1949 bis 1962 war Charles Munch Chefdirigent (in den USA nennt sich dieses Amt: Music Director) des Boston Symphony Orchestra, die zweite Einspielung von „La Valse“ für RCA stammt also aus seiner letzten Saison in Boston. Und um es gleich vorwegzunehmen, er war nun zwar 71, aber die Spucke bleibt einem immer noch weg, denn am vorantreibenden, äußerst schwungvollen, tänzerischen Gestus von 1955 ändert sich nichts. Das Orchester hat unterdessen nichts verlernt und auch an seiner manisch wirkenden Motivation nichts eingebüßt. Es zündet immer noch musikalische Treibsätze von höchster Explosivität. Sein Spiel wirkt irgendwie muskulös, aber mit einer Leichtigkeit, die man jedoch kaum grazil nennen kann. Eher athletisch und kraftvoll. Irgendwie nahezu konkurrenzlos in dieser Eigenschaft. Ein Höhepunkt jagt den nächsten. Unwiderstehlich. Der Spannungsverlauf wirkt soghaft. Man fragt sich irgendwann, warum RCA überhaupt eine Neuaufnahme veranlasst hat, denn falls man die Klangtechnik verbessern wollte, so können wir diesbezüglich kaum eine Verbesserung feststellen. Vielmehr ist eher eine Harmonisierung des Orchesterklangs zu bemerken, die man einerseits begrüßen mag, andererseits aber hat die ultimative Direktheit ein wenig gelitten. So fehlt, dies nur ein Beispiel, gegenüber 1955 die donnernde Gran Cassa. Das macht sich unter anderem auch in der Gesamtdynamik bemerkbar. Allerdings lag uns die 1962er nur als normale CD vor. Die zum genaueren Vergleich herangezogene Normal-CD der 55er Aufnahme ließ uns jedoch zum gleichen Ergebnis kommen. 1962 war zwar immer noch die „Living Stereo“-Ära bei RCA, aber nicht alle Aufnahmen gelangten unbedingt schnurstracks auf den Platten-Olymp.
Es klingt nun nicht mehr ganz so „ultrapräsent“ und klar wie 55, man schien schon mehr einen Gesamtüberblick über das Orchester in seinem Raum beabsichtigt zu haben. Da spielt indes auch das jeweilige Remaster eine modifizierende Rolle. Übrigens scheint man die 55er Version bei RCA ebenfalls über die Jahre hinweg deutlich bevorzugt zu haben, denn für sehr viel mehr Ausgaben von „La Valse“ hat man auf die 55er zurückgegriffen. Die 62er findet man nur selten, sie genießt unter Sammlern fast Raritätenstatus.
5
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
JPK
1961, live
10:39
Bei dieser Aufnahme hören wir den Mitschnitt einer Live-Übertragung im Radio in einer sehr guten Stereo-Klangqualität. Man hört dabei dieselben Qualitäten wie bei den beiden Plattenaufnahmen. Frappierend ist angesichts der Umstände die Deutlichkeit der Stimmen und die pralle Farbigkeit. Immer wieder setzt das Blech Unruhe stiftende Störungssignale bei den Walzern. Der Schwung wirkt fast noch gesteigert, genau wie das Blech gemeinsam mit dem Schlagwerk besonders brillant und mitreißend zu Wort kommt. Man darf die Brillanz durchaus als schneidend bezeichnen, aber auch das Holz spielt und klingt brillant. Auch dieses Mal vermittelt der unbedingte Drang etwas Manisches. Der Live-Klang bringt alle Besonderheiten der Interpretation immer noch sehr gut zur Geltung. Es wird eine geradezu berstende Spannung aufgebaut und selten hat man mal so triumphal über dem Orchester stehende Trompeten gehört. Und das auch noch erstaunlich plastisch. Aber das ganze Orchester spielt absolut mitreißend auf. Wie man sich in den Abgrund tanzt, das wird nur ganz selten einmal so plastisch und unmittelbar nachempfindbar. Parallelen zu Strawinskis „Sacre“ aber auch zu „Salomes Tanz“ von Richard Strauss werden hier besonders gegenwärtig.
Der Live-Klang wirkt sehr räumlich und transparent, es wird sogar eine gewisse Dreidimensionalität spürbar, wobei das Orchester jedoch besonders in die Breite großzügig gestaffelt erscheint. Diese Aufnahme wurde 2020 neu abgemischt.
5
Bernard Haitink
Boston Symphony Orchestra
Philips
1995
11:51
Mit Bernard Haitink gab es bereits eine gelungene Einspielung von 1975 ebenfalls bei seinem langjährigen Label Philips. Sie wartet mit einem besonders verführerischen Amsterdamer Nobel-Klang auf, aber in Sachen Dramatik und Steigerungspotenzial kommt die alte Aufnahme nicht an die 20 Jahre jüngere heran, wobei man es vielleicht besonders herausstellen muss, dass der Dirigent unterdessen zwar 20 Jahre älter geworden ist, er aber das Tempo und wie bereits erwähnt den dramatisch-drangvollen Zug deutlich erhöht hat. Das Orchester wird seinem bei Munch (möglicherweise auch schon bereits bei Serge Koussewitzky, von ihm fehlt uns leider ein klingender Beweis) erarbeiteten Nimbus das „La Valse-Orchester“ zu sein, eindrucksvoll gerecht. Der Schwung hat gegenüber 1975 deutlich zugenommen, die Verläufe sind zugespitzt als ob Charles Munch noch vom Jenseits aus mit eingewirkt hätte. Man ist mit höchster Konzentration und Präzision bei der Sache. Es gibt keine Walzerseligkeit mehr, so wie man sie noch in Amsterdam genießen konnte. Man spielt zwar auch in Boston außerordentlich subtil (vielleicht noch subtiler als mit Munch), aber nun mit den bärenstarken Entladungen, die man von Munch schon kannte. Sie deuten schon früh das Unheil an, das sich im katastrophisch zugespitzten Finale ungeschminkt zeigt. Es wird sozusagen schon prophezeit. Das Liebliche, das die Amsterdamer Version so auszeichnet, ist nun einem erhöhten Drive gewichen und einem grandios spannenden Verlauf mit einem absolut mitreißenden Finale. Das mitreißend aufspielende Orchester wird von einer für das Werk nahezu kongenialen Aufnahmetechnik exzellent präsentiert.
Es klingt außergewöhnlich plastisch und transparent, noch präsenter als die Amsterdamer Aufnahme von 1975. Saftig, satt, sehr dynamisch mit knackigem Blech und Schlagzeug und einer richtig druckvollen, wuchtigen Gran Cassa.
5
Stanislaw Skrowaczewski
Minnesota Orchestra
Vox
1974
12:07
Herr Skrowaczewski übernahm das Orchester aus Minneapolis 1960 in der Tradition von Ormandy, Mitropoulos und Dorati. Er leitete es bis 1979, also 20 Jahre lang. Bei dieser Aufnahme kann man schreiben: Die Schleier des Beginns sind hier bereits von Anfang an gelüftet. Selten kann man Blutfluss und Herzschlag so klar hören. Das Orchester spielt exzellent, gefühlvoll, akkurat und empathisch, sehr klangvoll, aber doch schlank und vor allem auch sehr temperamentvoll. Dies ist eine Einspielung besonders schwungvoll und kontrastreich, die aber auch das Gesangliche nicht unterschlägt. Kurzum, es werden alle Spielarten des Tanzes (d.h. natürlich des Wiener Walzers), temperamentvoll, verspielt, melancholisch mit besonders vielen Farbvaleurs hellwach zutage gefördert. Dabei bemerkt man gegenüber Munch und Haitink, bei denen das Geschehen triebhafter oder triebgesteuerter wirkt, eine gewisse Intellektualität, die alles in einem besonders klaren Licht erstrahlen lässt. Die dunklen, wie erwähnt triebhaften Elemente des Stückes wirken daher ein wenig reduziert. Die Hochspannung, in die uns Skrowaczewski hineintanzen lässt, wirkt aber bei aller hellwachen Kontrolle elektrisierend und mit messerscharfer Präzision gezeichnet.
Der Klang des damals vor allem in den USA gefeierten Teams von Elite Recordings Joanna Nickrenz und Marc J. Aubort beweist, dass der Ruhm keineswegs unberechtigt war, wenn er es auch damals nicht bis nach Europa geschafft hat, wegen oft ganz mieser Pressungen. Er ist voll, deutlich, konturiert, sehr farbig, sehr gut tiefengestaffelt, weist eine ansatzlose kräftige Dynamik auf und wirkt sehr brillant und leuchtend. Das Schlagwerk demonstriert eine besonders hellwache und klar konturierte Attacke. Der Klang wirkt sehr lebendig. Wir hörten die Aufnahme von einer LP von Audiophile Productions.
5
Josep Vincent
ADDA Sinfonica, Alicante
Warner
P 2025
12:25
Die Aufnahme kommt aus dem Auditorio de la Disputacion Provincal de Alicante. Der uns bis dato unbekannte Dirigent ist Chefdirigent sowohl in Alicante als auch beim Argovia Philharmonia (Schweiz) und musikalischer Leiter bei La Fura dels Baus (seit 2014).
Das uns ebenfalls bis jetzt unbekannte Orchester von der Costa blanca musiziert das gar nicht einfach zu realisierende Werk absolut souverän. Die solistischen Beiträge von Streichern und Holz klingen sehr gut (die Oboe allerdings mit reichlich Vibrato). Der Gestus ist enorm schwungvoll, sehr bewegt und manchmal auch geradezu eher voranschwebend als vorantreibend. Es wird zupackend und zugespitzt im Stile eines Spitzenensembles musiziert, aber auch ausgesprochen nuanciert und zart, zudem besonders kammermusikalisch orientiert. Das Rubato wirkt stimmig, spannungsreich und leidenschaftlich. Es lassen sich ganz neue Bezüge und Verflechtungen der Stimmen erkennen, die zuvor noch unentdeckt geblieben sind, das steigert natürlich das Hörabenteuer. Durch das besonders hohe Maß an Transparenz und hautnaher Präsenz werden die neuen Bezüge wie auf dem Silbertablett serviert. Dennoch gelingt es am Ende eine mächtige, soghaft wirkende Steigerungswelle Richtung Katastrophe darzustellen. Die spanische „Provinz“ (immerhin hat Alicante 350.000 Einwohner) meldet sich unüberhörbar zu Wort. Ob man sie bei der Fülle von Konkurrenzaufnahmen gebührend wahrnimmt, bleibt trotz der immensen Qualitäten zweifelhaft. Der Markt hat seine eigenen Gesetze. Wie in der nun folgenden Aufnahme mit Claudio Abbado, klingen Tam-Tam und Gran Cassa leider etwas schwach.
Die Aufnahme klingt ausgesprochen laut (man hat einen hohen Aufsprechpegel gewählt, ohne dass man in der Dynamik hörbar nachregeln müsste), sehr transparent, enorm plastisch. Sie ist von hautnaher Präsenz (eine späte „Erbin“ der Living Stereo und der Living Presence- Reihen von RCA bzw. Mercury), enorm körperhaft, prall, klangfarbenstark, sehr dynamisch und breitbandig, wobei der Bassbereich nicht besonders hervorgehoben wird.
5
Claudio Abbado
London Symphony Orchestra
DG
1981
12:23
Diese Aufnahme entstand in der Londoner Kingsway Hall, damals zusammen mit „Bilder einer Ausstallung“. Die Klasse der Einspielung blieb anscheinend auch der DG nicht verborgen, denn ein paar Jahre später rundete man diesen „Plattenfüller“ zu einer Gesamtaufnahme aller Orchesterwerke Ravels inklusive der beiden Klavierkonzerte, Scheherazade und „Tzigane“. Diese Aufnahme war übrigens Jan Brachmanns deutlich bevorzugte Einspielung von „La Valse“ in seiner Sendung bei Deutschlandradio Kultur, wobei er den Hörern nicht verraten hat, wie viele er sich zum Vergleich überhaupt angehört hat. Gar nicht angetan war er jedenfalls von der DG-Aufnahme von Pierre Boulez mit den Berliner Philharmonikern, davon später mehr. Ansonsten gab es nur noch zwei oder drei weitere im Vergleich.
Bei Abbado kann man eine röntgenologische Sicht in den Organismus des Werkes wagen, so deutlich erkennt man da zu Beginn, wie das Blut strömt und das Herz schlägt. Das Orchester spielt ungemein virtuos, höchst aufmerksam und engagiert (eine Glanzleistung) und wie man es von Claudio Abbado schon beinahe erwarten kann (zumindest einmal in den früheren Aufnahmen) mit einer Art beherzten Eleganz aber auch mit einer mustergültigen Präzision. Obwohl es sich um eine Aufnahme aus der klangschwachen Frühzeit der digitalen Aufnahmetechnik handelt, wirken die Farben bereits voll entfaltet (aber noch nicht verschwenderisch, dazu könnte man mal zum Vergleich in die genannte Boulez-Einspielung reinhören) und sogar die Violinen klingen kaum gläsern oder gar kalt. Die Dynamik wirkt geweitet, das Orchester insgesamt klangprächtig. Keine Stimme geht verloren und es wird mit viel tänzerischem Schwung, ja temperamentgeladen musiziert. Anschmiegsam und warm klingende Passagen werden wunderbar hellwach mit temperametgeladenen, zugespitzten Passagen kontrastiert. Die Darstellung ist dennoch äußerst partiturgenau und von höchster Klarheit. Ohne eine Verdeckung oder Überlagerung von Stimmen, wie man es bei vielen anderen Darbietungen hören kann. Die Instrumentationskunst Ravels wird bei Abbado besonders sinnfällig. Zu hören gerade auch bei den beiden Harfen, die besonders deutlich herauszuhören sind, was den Klangzauber nicht unwesentlich verstärkt. Normalerweise ist dies ein Instrument, das gerne übertönt wird. Oder ein anderes Beispiel für die äußerste Sorgfalt: wie klar wird das fff bei Ziffer 85 vom ff gerade zuvor unterschieden! Tam-Tam und Gran Cassa sind gut hörbar, werden aber lange nicht so deftig exponiert wie bei einigen anderen, das ist nicht schlecht gelöst, aber in Anbetracht der sonstigen Glanzleistungen des Dirigenten, des Orchesters und der Klangtechnik doch ein kleiner Wermutstropfen. Gerade das Tam-Tam als Instrument der Todesverkündung sollte einen deutlich hervorgehobenen Platz in der reichen Instrumentationspalette Ravels erhalten. Und die Gran Cassa könnte, klanglich richtig in Szene gesetzt, mächtig antreiben. Ein atemloser Tanz, durchaus exzessiv dargestellt und sogar noch (oder besser: gerade da) noch im katastrophischen Zerfall faszinierend. Wie Ravel war auch Claudio Abbado ein links-liberaler Aristokrat. Vielleicht hat das ja sogar etwas damit zu tun, dass das Werkverständnis Abbados das Werk so kongenial erfasst?
Der Klang bietet glasklare Transparenz, ist sehr räumlich und luftig. Das Orchester erklingt sehr gut gestaffelt. Bei der frühen Digitalaufnahme sollte man besser nach einer späten, remasterten Auflage Ausschau halten und nicht zum Original mit den „Bildern“ greifen (es sei denn, die wären auch überarbeitet worden). Die Version aus der GA der Orchesterwerke, die uns vorlag, klang sehr gut und hatte ein weites dynamisches Spektrum zu bieten. Sogar die Streicher wirken besonders klar und die einzelnen Stimmen besonders deutlich heraushörbar. „La Valse“ wie durchleuchtet. Wenn die Gran Cassa und das Tam-Tam auch nicht so deutlich herausklingen, so wirkt das Instrumentarium doch perfekt ausbalanciert.
5
Pierre Monteux
London Symphony Orchestra
Philips
1964
11:35
Von Pierre Monteux liegen (mindestens) vier Aufnahmen von „La Valse“ vor. 1930, 41, 61 und 64. Bei der letzten, die uns am besten gefiel war er 89 Jahre alt. Er hatte nun das Jahr seines Todes erreicht. Die anderen drei Aufnahmen entstanden in Paris, San Francisco und Boston. Die beiden ersten sind unter den Mono-Einspielungen zu finden, die 61er erfolgte Live, aber schon in Stereo und findet sich zuoberst in der 4-5 Kategorie. Auffallend am Beginn ist, dass Monteux den Herzschlag der Kontrabässe nicht durch den dritten Schlag der Harfe stören lässt (wie übrigens auch bei Abbado), bei vielen anderen Dirigenten erhält die Harfe genauso viel Gewicht wie die Bässe, sodass ein dritter Herzschlag hinzukommt. Manche spielen den Schlag der Harfe sogar als Auftakt. Ob sich da nun bereits ein Krankheitsbild ergibt? Dazu müsste man einmal den Kardiologen des Vertrauens befragen. Bei Monteux ist es höchstwahrscheinlich so wie es Ravel wollte, denn die beiden sollten sich gekannt haben, Monteux dirigierte die Uraufführung von „Valses nobles et sentimentales“.
Die 64er lässt übrigens die beste Orchesterleistung der vier Monteux-Aufnahmen hören, ungeachtet der Befürchtung, dass ein 89jähriger eine so komplexe Komposition vielleicht nicht mehr ganz im Griff haben könnte. Das LSO liebte aber seinen Chef und tat alles für ihn, sprang auch für ihn in die Bresche, falls erforderlich. Gegenüber seinen älteren Aufnahmen ist Monteux zwar ein wenig langsamer geworden, aber auch eleganter, was der Walzerfolge nun wirklich nicht zum Nachteil gereicht. Rhythmisch ist das Musizieren immer noch scharf und fesselnd. Hinzugekommen ist der warme, volle, glanzvolle Philips-Klang der die alten Mono-Klangbilder weit übertrifft. An Präzision lässt das Orchesterspiel kaum Wünsche offen, wobei ein gewisses Verdienst sicher auch David Zinman zukommt, der damals Assistent von Monsieur Monteux war und mehr als eine Probe geleitet haben dürfte. Das Orchesterspiel wirkt ganz besonders empathisch, nicht so drängend und hochspannend wie bei Charles Munch und nicht so nuancenfixiert wie bei Abbado. Die Details werden mehr in den Fluss der Musik integriert und wirken weniger isoliert. Wir hören ein kontrastreiches, lebendiges Musizieren auf den Punkt gebracht im großen Bogen und auf dem höchsten Niveau. Der hedonistische Gehalt des Werkes sollte dem Dirigenten entgegengekommen sein und mit 89 hat er eine ruhige Gelassenheit dazugewonnen. Und er hat immer noch alles unter Kontrolle. (Hedonismus: Streben nach Sinneslust und -genuss. Glück erreicht man durch Befriedigung individueller physischer oder psychischer Lust.)
Dass die Philips-Aufnahme viel offener, klarer, wärmer, sinnlicher, sehr viel räumlicher und dynamischer klingt als die anderen Aufnahmen mit Pierre Monteux ist keine Überraschung. Dass aber die Violinen noch besser als bei Abbado klingen, nämlich voller und mit mehr Schmelz, dann vielleicht aber doch. In dieser Disziplin war Analog noch lange gegenüber Digital überlegen. Überhaupt klingt die Aufnahme auch für 64er Verhältnisse besonders brillant und farbig. Als Bonus gibt es noch einen vollen, klaren Bass und eine sehr dynamische Pauke.
5
Paul Paray
Detroit Symphony Orchestra
Mercury
1962
11:33
Die Reihe „Living Presence“ von Mercury war in den 50er und zu Beginn der 60er Jahre ein direktes Konkurrenzprodukt zur „Living Stereo“-Reihe der RCA. In diesem Fall ähneln sich sogar die beiden Interpretationen von „La Valse“ von Charles Munch und Paul Paray (beide sind übrigens Franzosen). Die Darstellung Parays wirkte auf uns dabei ebenfalls schnörkellos aber auch etwas nüchtern, während bei Munch noch mehr Leidenschaft und, wenn man so will „Triebhaftigkeit“ oder Wildheit beim Musizieren durchschlägt bis in die Gehörgänge der Zuhörenden. Schon der Beginn wirkt bei Paray betont zügig und straff. Dadurch, dass das Holz (wegen der enormen Präsenz) genauso laut klingt wie die Streicher, brodelt es im Untergrund ungemein. Die Walzer wirken betont rhythmisch und „sprudelnd“, leicht und geschmeidig aber vor allem drängend und enorm schwungvoll. Das Schlagzeig wirkt schon früh mit seinen Einwürfen betont militant (militanter als bei Denève, der das Militante als hervorragendes Element in „La Valse“ empfindet), aber auch „fetzig“, was ebenfalls der enormen klangtechnischen Präsenz geschuldet ist. Das Orchester spielt schlackenlos, besonders klangvoll oder gar sonor-füllig klingt es dabei keineswegs. Man sieht hier sehr junge Paare tanzen, keine alten Perückenzöpfe. Dieser Eindruck ist dem Tempo, dem Agitato des Musizierens und erneut der instrumentalen Präsenz geschuldet. Daraus folgt ein enorm aufgekratzter, vorantreibender und kraftvoller Gestus. Eleganter, schmachtender, schmelzender oder auch „schmalzender“ hört man die Walzer anderswo. Geradliniger und auf einem ähnlichen Niveau inspiriert aber kaum.
Die Aufnahme klingt ähnlich der „Living Stereo“ Munchs, mehr der 62er als der 55er ähnelnd, hautnah, extrem präsent, sehr knackig, dynamisch, offen und klar. Die Instrumentation wird dem Hörer wie auf dem Präsentierteller serviert.
5
René Leibowitz
Orchestre des Concerts Symphonique de Paris
Readers Digest, Chesky
1960
11:18
Aller guten Dinge sind Drei. Die Aufnahme mit Herrn Leibowitz kann man vom Charakter her den Einspielungen von Munch und Paray zuordnen. Drängend, ja unerbittlich, spannend und mit außerordentlichem Schwung. Es fehlt dem Pariser Orchester etwas an Klasse um zum BSO oder zu den Detroitern aufzuschließen, aber im Sog der Ereignisse fällt das kaum auf. Man denkt oft an den Drive der Aufnahmen der Beethoven Sinfonien, die Leibowitz ebenfalls in dieser Zeit für den Readers Digest gemacht hat. Allerdings mit dem Royal Philharmonic aus London.
Auch in dieser Einspielung strömt das Blut deutlich und das Herz pocht dazu vernehmlich. Von Anfang an ist die gefühlte Situation brisant, die Stimmung hochkonzentriert, die Spannung knisternd. Auch dieses Mal klingt das Orchester, wenn es auch scheinbar ein unbekanntes ist (manche behaupten, es wäre de Facto das Orchestre du Conservatoire gewesen, das sich jedoch nicht so nennen durfte, man kennt das ja aus anderen Fällen), sehnig-schlank, präzise und schlagkräftig. Wir hören französisches Holz, das jedoch nicht extra in den Fokus gerückt wird, sodass es nicht weiter durch die schmale, harte Oboe auffällt. Der Klang wirkt sehr detailreich. Der Gestus angetrieben, nicht übermäßig elegant, vor allem nicht „gezirkelt“ elegant. Von Beginn an, so gewinnt man den Eindruck, ist das Musizieren auf das Finale ausgerichtet, nirgendwo gibt es die Gelegenheit zu verweilen, gierig geht es von einem Genuss zum nächsten. Gestört nur durch die hart kontrastierenden Eruptionen durch Blech und Schlagwerk, die wahrlich irritierend wirken mussten. Dennoch lässt man sich vom sogartigen Strom der Musik allzu gerne mitreißen. Von einer hastig vorbeiziehenden, genussreichen Episode zur nächsten. Bis zum katastrophischen Ende ein echter Tanz in den Abgrund. Passend dazu hören wir Trompeten-Tremoli, die uns erschaudern lassen. Herr Leibowitz lässt sie geradezu herausgellen. Da läuft es einem "eiskalt" den Rücken herunter. Ein echter Danse macabre. Ähnlich wild wie bei Charles Munch.
Der Klang der von RCA oder Decca (als Auftragsempfänger von RCA in Europa tätig) verantworteten Aufnahme klingt sehr klar, deutlich und offen. Mit einer für 1960 erstaunlich druckvollen Dynamik. Besonders gefallen dabei das Schlagwerk und die Gran Cassa.
5
Zubin Mehta
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1979
12:22
Zubin Mehta hat „La Valse“ immer wieder gerne auf seine Konzertprogramme gesetzt, sodass wir uns vier verschiedene Aufnahmen mit ihm anhören konnten. Die erste stammt aus LA (1970), da war er 34 Jahre jung, dann folgte diese nun vorliegende aus New York, seine erste Aufnahme mit „seinem“ neuen Orchester, das er gerade als Music Director übernommen hatte mit 43. Dann die bekannte Aufnahme aus Tel Aviv bei der einige Berliner Philharmoniker mit dem Israel Philharmonic gemeinsam musizierten (1990), dann noch seine letzte uns vorliegende von 2016, entstanden in Wien mit den Philharmonikern (Sendung des ORF), da war er 80. Aus allen ragt die 79er Einspielung weit heraus, man könnte sich dazu überreden lassen zu behaupten, dass diese Einspielung von „La Valse“ mit zu seinen allerbesten Produktionen überhaupt zählt (da fällt uns vor allem noch Puccinis „Turandot“ ein).
Die Durchhörbarkeit ist bei dieser Analogaufnahme sehr gut, Blutstrom und Herzschlag sind bestens zu verifizieren. Die Walzer erhalten sehr viel lebendigen Schwung, wirken zum Teil sogar ausgelassen und mit jugendlicher Kraft erfüllt. Das Orchester zeigt sich in brillanter Verfassung (nach dem Motto: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne), spielt präzise, top homogen und solistisch brillant. Die Walzer werden mitunter geradezu zelebriert mit viel Wiener Schmelz und viel Wiener Flair. Da mögen dem Dirigenten die Jahre seines Studienaufenthalts in Wien, wo er sicher auch das eine oder andere Neujahrskonzert live verfolgen konnte, nützlich gewesen sein. Die Höhepunkte werden hervorragend vorbereitet und perfekt getimt, der Verlauf ist spannend und kontrastreich. Man kann wunderbar miterleben, wie sich das Lebensgefühl nach und nach immer mehr verändert, Verwirrung und Angst hinzukommen und schließlich „umkippt“. Es werden von der hervorragend disponierten Klangtechnik die exzellent herausgearbeitete Steigerungskurven mit genügend Reserven begleitet. So werden die Vorgängeraufnahmen bei CBS von Bernstein und Boulez (beide ebenfalls mit den New Yorkern), aber auch die nachfolgende von Maazel (Paris) mühelos übertroffen. Interpretatorisch, spieltechnisch und klanglich. Übrigens auch die eigene aus Los Angeles von 1970. Der Klang der Aufnahme ist klar, eher hell als dunkel, aber noch voll, frisch und offen und erheblich dynamischer (auch sonst einfach „besser“) als die eigne Aufnahme aus LA von 1970 und als die aus Tel Aviv von 1990 sowieso. Da gerade noch analog aufgenommen wurde bleiben uns auch die frühdigitale Härte und vor allem die harschen, kalten Violinen erspart.
5
Klaus Mäkelä
Orchestre de Paris
Decca
P 2025
12:44
Nach Paavo Järvi und Daniel Harding hat Klaus Mäkelä seit 2021 das Amt des Chefdirigenten beim nicht immer unproblematischen OdP übernommen. Inzwischen ist bekannt, dass er bereits als Music Director in Chicago und Chefdirigent des Concertgebouw Orchesters in Amsterdam angeheuert wurde, seine Zeit in Oslo und Paris also schon bald zu Ende gehen wird. Dass diese beiden (eigentlich sind es ja vier) Institutionen nicht geirrt und bei ihrer Personalauswahl richtig liegen, kann man dieser aktuellen Einspielung sehr wohl anhören.
Das Blut rauscht, das Herz pulsiert, das ist mittlerweile längst zum Allgemeingut geworden. Herr Mäkelä scheint aber auch ein starkes Gefühl für den Wiener Walzer zu hegen, da wird nämlich nicht stur durchgezählt, vielmehr entsteht da wunderbar flexibel ein Bild vom alten Wien. Wunderbar lebendig musiziert mit sehr schönen, klangvollen Beiträgen vom Holz, denn auch in Paris sind die Tage der harten und dünnen Oboentöne seit Jahrzehnten bereits vorbei. Die meisten und besten Oboen werden darüber hinaus sogar bereits seit langem in Paris hergestellt. Es wird nicht an spontan wirkender Agogik gespart, sodass das Tänzerische auch frisch und spannungsreich wirkt. Zudem spielt das Orchester besonders liebevoll, auch technisch perfekt. Den großen Bogen verliert man nicht aus den Augen. Ein hervorragendes Steigerungspotential wird voll ausgespielt, dazu nutzt Herr Mäkelä auch einmal spannungsförderndes Dehnen. Das Ganze erfolgt stringent und gekonnt, aber nicht mehr mit der atemlosen Zuspitzung eines Charles Munch oder René Leibowitz.
Die Aufnahme zeigt das bestechend sauber spielende Orchester in hervorragender Transparenz, plastisch, räumlich, körperhaft und mit einem ordentlichen, profunden Bass ausgestattet. Sehr brillant, überaus dynamisch und auch im ff des Tutti noch hervorragend transparent. Ähnlich wie die DG-Aufnahme Abbados fast wie durchleuchtet. Exzellenter Gesamtklang.
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR Klassik
2007, live
12:53
Es existieren einige Mitschnitte von „La Valse“ mit dem BRSO unter Mariss Jansons, gerade wenn man mal in die ARD Mediathek oder bei YouTube nachschaut. Dazu kommen dann noch Mitschnitte mit dem COA, dem Concertgebouworchester Amsterdam (neuerdings auch RCO abgekürzt: Royal Concertgebouw Orchestra).
Wir haben uns "aus der Masse" mal zwei herausgepickt (2007 und 2017 aus dem Gasteig) und dazu noch einen Radiomitschnitt bei dem das BRSO in der Elbphilharmonie spielt (zu finden bei den Radiomitschnitten am Ende der Liste), es gäbe z.B. auch noch einen Live-Mitschnitt aus Moskau. Zudem hörten wir eine SACD mit dem COA bzw. dem RCO, ergänzt um eine Live-Aufnahme aus demselben Jahr der Aufnahme für die SACD, beide aus dem Concertgebouw. Das ist schon fast eine Art Overkill. Klanglich überragt nicht unerwartet die SACD die übrigen Medien, aber schlecht klingt da keine einzige Aufnahme, sogar der Radio-Mitschnitt klingt gut.
Doch zunächst die Aufnahme von 2007, live aus dem Gasteig. Jansons war ja von 2003 bis zu seinem Tod 2019 Chef des Münchner Orchesters. 2007 kannte man sich also schon ganz gut, Jansons war da 64 Jahre alt. Von Beginn an hören wir einen gewissen Nachdruck und untergründige Spannung. Das Orchester zeigt sich von seiner besten Seite und spielt genauso fein wie kraftvoll, lebendig und inspiriert. Die solistische Eloquenz ist hervorragend. Man spielt äußerst nuanciert und Jansons gibt dem Orchester auch die erforderliche Zeit dafür. Die sinnliche Homogenität der Violinen muss man als ein Höhepunkt eigens hervorheben. Die Walzer werden mit sehr viel Gefühl intoniert, dem typischen Rubato, das einen Walzer erst zu einem typischen Wiener Walzer macht. So klingt es denn mal melancholisch, mal neckisch, dann tragisch, imponierend und auch mal täppisch wie ein Ländler. Auffallend sind auch die spannenden Pausen, die uns sonst kaum einmal aufgefallen sind. Die unterschiedlichen Walzer bekommen so ein sozusagen scharf geschnittenes, individuelles Gesicht. Wobei auch die meisterhafte Orchestrierung ins rechte (brillante) Licht gerückt wird. Der eigentliche Ursprung als Ballettkomposition bleibt deutlich und wäre gut tanzbar oder jedenfalls in Körpersprache umsetzbar. Der Verlauf ist dramatisch und wie unter einen Spannungsbogen gesetzt, bei ziemlich zurückhaltendem Tempo, das keine Hektik kennt. Das sorgsam charakterisierte und nuancierte bei Jansons lässt das ungestüm-wilde, gleichsam triebhafte, das dem Werk ebenso eigen ist, weitaus weniger durchkommen als bei Munch, der diesbezüglich die Messlatte legt.
Der Klang wirkt sehr sinnlich, farbig, voll, saftig, sehr transparent, körperhaft, dynamisch und brillant. Die Gran Cassa wirkt plastisch und körperhaft, aber nicht überzeichnet.
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Mediathek des BR
2017
13:04
Mariss Jansons war nun bereits 74 und er scheint nun bei einem sehr geringfügig langsameren Tempo noch mehr, noch nuancierter auf die Verästelungen der Textur einzugehen. Zugleich wirkt das Musizieren aber noch ein wenig leidenschaftlicher, denn es scheint nun vollkommen frei (wenn man so will: unabhängig vom Skript, d.h. der Partitur) musiziert zu werden, kaum ein Wunder, wenn das Werk so häufig auf dem Programm steht. Er erklingt in bestechender Klarheit, einmütig und in größter Perfektion, falls man Perfektion überhaupt steigern darf. Noch etwas langsamer, aber doch kaum weniger spannend. Vielleicht doch ein Quäntchen weniger spannend, das ist aber eine eher schwer zu beurteilende Eigenschaft.
Der Klang wirkt noch etwas plastischer und körperhafter als 2007, noch etwas transparenter und noch feiner. Dazu gibt es authentische Klangfarben und unbändige Dynamik.
5
Mariss Jansons
Royal Concertgebouw Orchestra
RCO
2007, live
12:28
Bei dieser Aufnahme muss man zwei Darreichungsformen unterscheiden. Einmal gibt es eine vom orchestereigenen Label RCO veröffentlichte SACD mit 5 Kanälen und allem, was dazugehört (z.B. die hohe Auflösung). Hier wird angegeben, dass die Aufnahme an drei verschiedenen aufeinanderfolgenden Tagen ((1., 2. und 4. 2.2007) aufgenommen wurde. Daneben gibt es auch eine 12 CD-Box mit dem Namen: Mariss Jansons „The Radio Recordings“. Da findet sich eine ungeschnittene Aufnahme (vom 4.2.2007) von einem der drei für die SACD genutzten Konzerte. Beide haben genau dieselbe Länge von 12:28 Minuten. Das Orchester hat diesen Mitschnitt übrigens selbst bei YouTube veröffentlicht. Die klangliche Qualität ist bemerkenswert gut. An die SACD kommt sie aber nicht heran. Übrigens konnten wir trotz ziemlich „angespitzter“ Ohren keinen Unterschied im Spiel des Orchesters zwischen der geschnittenen und der ungeschnittenen Version ausmachen. Da wäre wahrscheinlich mehrmaliges Vergleichen von nur kürzeren Sequenzen erforderlich gewesen, denn es sollten schon Schnitte eigens für die SACD-Veröffentlichung gemacht worden sein. Nur wo?
Mariss Jansons war 2004-2015 Chef des Amsterdamer Orchesters, er musste sich wegen Überlastung und aus gesundheitlichen Gründen für eines den beiden Orchester entscheiden und die Wahl traf das Münchner. Die Qualität des Orchesters aus Amsterdam zu loben hieße Eulen nach Athen zu tragen. Durch den typischen fünfkanaligen SACD-Klang gerade des orchestereigenen Labels, der immer deutlich besser als der CD-Klang bzw. der zweikanalige SACD-Klang klingt, schwelgt das Orchester geradezu in irisierenden Farben von verschwenderischer Fülle. Dass man da eine gewisse Dekadenz mithören kann macht den Klang der Darbietung zu einem kongenialen Zubrot für „La Valse“. Das Tempo unterscheidet sich nicht von der Münchner Einspielung aus dem gleichen Jahr, es ist gemäßigt, aber nie schleppend und tänzerisch. Auch die sonstigen Eigenheiten der Interpretation Jansons´ finden sich bereits in München.
Schon als CD abgehört oder aber als Mitschnitt des Konzertes bei YouTube klingt das Orchester sehr plastisch, präsent und tiefengestaffelt. Extrem räumlich, körperhaft und transparent, aber nicht hallig. Der Bass ist sehr tief und kräftig. Der Klang wirkt enorm breitbandig. Es gibt eine Monster-Gran Cassa, die das beim BR gebotene nochmals deutlich übertrifft. Als SACD-Multichannel klingt es dann noch tiefgründiger, saftiger, reichhaltiger, dynamischer und räumlich großzügiger. Das traumhaft schöne Spiel bekommt nun einen ebenbürtigen traumhaft schönen Klang. Die Gran Cassa klingt nun urgewaltig. Diese Einspielung ist die Empfehlung schlechthin für den Klanggourmet, vor allem wenn er über einen entsprechenden Gerätepark verfügt.
5
Christoph von Dohnanyi
Cleveland Orchestra
Teldec
1991
12:06
Diese Einspielung besticht durch die ausgezeichnete Innenbalance des Cleveland Orchestra, bestes Zusammenspiel, große Kammermusik. Man spielt ungeheuer detailreich und den Walzern wird viel lebendiger Schwung eingehaucht. Dennoch wirkt der Duktus streng, nicht zuletzt durch die ganz klare Rhythmik und die höchste Präzision des Orchesterspiels. Dennoch wirkt „La Valse“ mit Dohnanyi emotionaler als in den beiden Boulez-Einspielungen. Das Orchesterspiel wirkt genau wie in der Ashkenazy-Einspielung aus Cleveland ein Jahr zuvor für Decca besonders geschmeidig, sehr virtuos und sehr brillant. Es klingt aber dennoch voll und rund, weder zu schlank noch gar schwülstig, sogar recht warm im Timbre. Zwar strukturbetont und absolut perfekt aber zugleich lebendig und akzentuiert. Der Spannungsverlauf ist von Anfang an bis zum Finale nachempfindbar, aber in letzter Instanz ist von den Digitalaufnahmen z.B. Abbado noch ein wenig mitreißender, vermittelt noch mehr finale Sogkraft in den Abgrund. Von unserer emotionaler Referenz Munch einmal ganz abgesehen. Dagegen wirkt Dohnanyi fast schon technokratisch-kühl.
Der Klang der Aufnahme ist geprägt von besonderer Klarheit, er wirkt sehr räumlich und weist eine sehr gute Staffelung des Orchesters in die Tiefe auf. Die Präsenz ist gut und es gibt keine digitalen Artefakte mehr, die die Einspielung z.B. Dutoits noch negativ beeinflusst.
5
Ludovic Morlot
Seattle Symphony Orchestra
Seattle Symphony Media
2015
12:18
Ludovic Morlot war als Nachfolger von Gerard Schwarz von 2011-2019 Chef in Seattle. Seitdem fungiert er dort als Ehrendirigent und ist Chef in Barcelona. Nachfolger in Seattle wurde Thomas Dausgaard, der jedoch vorzeitig von seinem Vertrag zurücktrat, da er sich „auf dem Weg zur Arbeit“ bedroht fühlte. Auf ihn folgte die Chinesin Xian Zhang, die 2025 ihr Amt antritt.
Bei Monsieur Morlot ist der Blutstrom zu Beginn so leise, dass man ihn nur mit einem Stethoskop bewaffnet wohl kaum hören würde. Das Tempo im Verlauf ist beschwingt und tänzerisch, sogar besonders bildhaft und nebenstimmenaffin. Spannungsabfall wird nicht zugelassen, im Gegenteil es gibt immer wieder kraftvolle Aufschwünge. Das Orchester klingt sehr ausgewogen, präzise und brillant. Aber locker und légère, wo es erforderlich ist, genauso wie zupackend und kraftvoll. Das Orchester zeigt ein enormes Steigerungspotential und spielt es voll aus. Der zunehmende Verlust an Ordnung und die Erregung oder Wut darüber wird brennend intensiv dargestellt, das abschießende Chaos und der Zusammenbruch gelingt mitreißend.
Der Klang der orchestereigenen Produktion wirkt weich, sehr transparent, voll, aber nicht füllig, sehr breitbandig im Frequenzbereich und in der Dynamik. Der Bass wirkt exzellent konturiert, die Klangfarben satt. Wir hören einen exzellenten Gesamtklang mit audiophilen Qualitäten, sehr sinnlich, üppig und klangsatt. Nur die Streicher könnten noch etwas mehr Transparenz vertragen.
5
Ernest Ansermet
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1963
12:51
Diese Einspielung ist seit über sechs Jahrzehnten aus dem Repertoire von Decca und aus der Diskographie von „La Valse“ nicht wegzudenken. Ein Evergreen sozusagen. Zurecht? Ja, denn sie widersetzt sich nach wie vor jeder Alterung. Auffallend ist wie auch bei Monteux (1964) oder Abbado (1981) die lineare Transparenz der Textur. Jetzt hört man auch die ersten vier Takte, die man bei der ersten Einspielung Ansermets, 1955 noch in Mono und in Paris entstanden, noch unterschlagen hatte. Ob sie beim Schnitt „weggemetzelt“ oder gar nicht erst gespielt wurden, lässt sich aus unserer Sicht nicht feststellen. Es gibt gegenüber der ja auch nur acht Jahre älteren Einspielung keine Tempoänderung, im Gegenteil, Ansermets trifft es über das ganze Stück gesehen fast sekundengenau. Im Holzbläsersatz begegnen wir wieder den auffallend französisch klingenden Oboen und Fagotten. Sie stören dieses Mal aber kaum, wenngleich uns dieses Mal die Meister des Holzes der Pariser Aufnahme sogar ein bisschen besser gefallen. Das Musizieren wirkt sehr lebendig und gefühlvoll, eine Beeinträchtigung in der Spieltechnik oder im Zusammenspiel fällt dieses Mal nicht auf, man hat sorgfältig geprobt und die Höhepunkte lässt auch der nun 80jährige Dirigent noch voller Vehemenz ausgespielen. Und trotz der voll ausgespielten Dynamik wird die transparente Linearität nicht angegriffen. Gegenüber der ersten Einspielung von Munch fehlt der ultimative unmittelbare Drang und die Blechattacken wirken abgemindert. So bleibt der tänzerische Schwung auch noch für die älteren Semester tanzbar und als solche stellt man sich die Herrschaften der k. und k.-Monarchie (k. und k. = kaiserlich und königlich) im Wiener Palais anno 1855 ja auch in erster Linie vor. Das Umkippen ins ungeordnete, manische und schließlich katastrophische erfolgt unmerklich und maßvoll im Tempo, aber doch sehr bedrohlich. Die Intensität der Darbietung geht sogar noch über Ansermets 55er Einspielung hinaus.
Der Klang der 63er übertrifft den der nur acht Jahre älteren aus Paris. Er wirkt noch voller, transparenter, ist knackig und weich zugleich, frisch, farbig, saftig, brillant und sehr dynamisch. Die Gran Cassa klingt mächtig. Summa summarum eine exzellente Aufnahmequalität mit bestem Decca-Klang der 60er Jahre. Wie bereits angedeutet: Völlig alterungsbeständig.
4-5
Pierre Monteux
Boston Symphony Orchestra
WHRA (West Hill Radio Archives)
1958
10:58
Pierre Monteux war wie Maurice Ravel als Soldat im Ersten Weltkrieg (ebenfalls in Verdun), aber auch er scheint ziemlich klein im Wuchs, aber im Gegensatz zu Ravel zudem breit und etwas „stämmig“ gewesen zu sein, sodass man ihn für eine Tournee der Ballets russes, für die Monteux ja zuvor schon gearbeitet hatte (man denke nur an die Uraufführung des „Sacre“), nach Amerika freistellte. Nach der Tour blieb er als Dirigent an der MET. Von 1919-1928 war er als Nachfolger von Karl Muck und Henri Rabaud Music Director in Boston (Nachfolger war Serge Koussewitzky). So lange gehen also Monteux´s Beziehungen nach Boston zurück. Er blieb dort stets fest verwurzelt. 1924-1934 war er dann neben Mengelberg in Amsterdam engagiert. Von 1929-1938 in Paris. Anschließend 1937-1952 in San Francisco, bevor er sich dann überreden ließ im hohen Alter von 1961 bis zu seinem Tod 1964 noch das LSO zu übernehmen. Legendär dabei, dass er bereits 86 Jahre jung auf einen 25 Jahre dauernden Vertrag bestand. Und er bekam ihn auch. Humor hatte der Mann.
Auch bei dieser Aufnahme ist es überraschend, dass sie als Radio-Mitschnitt (aus Tanglewood) bereits in Stereo vorliegt. Gegenüber dem Mitschnitt mit Munch von 1961 steht sie jedoch genauso klanglich zurück wie gegenüber der Philips-Aufnahme mit dem LSO von 1963. Ihr ist aber erneut der „tanzende“ Fluss der anderen Monteux-Einspielungen eigen, genau wie uns erneut die bestechend klare Stimmentransparenz begegnet. Und wieder begegnet uns eine grandiose Orchesterleistung. Man scheint in Boston sowohl das Stück zu lieben, als auch den Dirigenten ganz besonders zu schätzen. Auffallend ist gegenüber den Einspielungen mit Munch, dass die Trompeten sich mit Monteux nicht zu dieser umwerfenden Performance herausgefordert fühlen wie mit Munch. Auch dieses Mal hervorragender Steigerungsverlauf.
Der Klang der Aufnahme stellt gegenüber den älteren Aufnahmen aus San Francisco 1941 und Paris 1930 schon eine bessere Dynamik zur Verfügung, das Orchester klingt auch transparenter und sinnlicher und wie bereits erwähnt in waschechtem Stereo. Übrigens: zur Zeit der Aufnahme war Monteux 83.
4-5
Seiji Ozawa
Boston Symphony Orchestra
DG
1974
11:54
Die Einspielung mit Seiji Ozawa macht das halbe Dutzend mit Aufnahmen des BSO in unserer Liste voll. Dieses Mal kommt sie aus der leeren Symphony Hall. Besondere Meriten gewinnt diese Einspielung durch ihre konzise Temponahme und ihren konzisen Steigerungsverlauf der in einer selten zu hörenden Unmittelbarkeit voranschreitet und in kompromissloser Härte endet. Die Walzer erhalten wohl kaum den typischen „Schmäh“ und den Schmelz, mit dem man sie gerne hören würde, aber da steht leider die leere Symphony Hall und die etwas ratlosen Techniker der DG vor. Hauptaugenmerk liegt auf schonungsloser Transparenz und die Violinen werden dabei nicht hervorgehoben um sich eigens für einen „schmusigen“ Walzer anzudienen. Sie bleiben lediglich Teil des Ganzen. Die Komplexität des Werkes wird quasi ausgerollt, dabei gibt es keinerlei Hektik, die Welt scheint noch in Ordnung. Man gibt sich noch einer gewissen, allerdings trügerischen Gelassenheit hin. Der unmittelbare und harte Zugriff erfolgt erst, wenn sich die Walzer durcheinanderwürfeln. Das Orchester scheint seine Zeit mit Munch noch nicht vergessen zu haben, obwohl da noch die „Nichtfranzosen“ Erich Leinsdorf und William Steinberg dazwischenkamen. Man setzt die Tradition trotzdem fort. Es gibt wieder die brillante Klimax, die dann von Haitink mit nochmals verbesserter Klangtechnik noch weiter dynamisiert wird. In Sachen Brutalität der finalen Zerstörung dürfte Ozawa jedoch kaum zu überbieten sein. So hart klingt ein Orchester sonst kaum, die Härte wird noch durch die wenig warme Akustik der leeren Symphony Hall mit einer gewissen Kälte verstärkt. Wenn man sich die einzelnen Darbietungen innerhalb des Ravel-Zyklus Ozawas mit den Bostonern vergegenwärtigt, dürfte „La Valse“ die gelungenste sein.
Der Klang der Aufnahme ist räumlich ausladend. Man erkennt die Ursprünge als Quadro-Aufnahme sofort („La Valse“ ist jedoch nie als solche erschienen, während es ein paar andere Teile des Ravel-Zyklus Ozawas immerhin als Pentatone-SACD zu Quadro-Ehren geschafft haben) aber nur, wenn man davon weiß. Neuerdings gibt es neue Abmischungen auch auf LP, die den Klang deutlich verbessert haben sollen. Es gibt noch auffallend große Entfernungen innerhalb des Orchesters., weshalb man auch so schöne Wechselspiele von Nähe und Ferne verfolgen kann, die es sonst in keiner anderen „La Valse“-Aufnahme gibt. Noch gelungener war die Akustik in Boston bei Abbados Aufnahme der „Trois Nocturnes“. Da hat man zudem noch erheblich mehr Wärme in den Klang packen können. Die Transparenz ist sehr gut, das Hallige der Akustik trägt leider zur leichten Distanzierung des musikalischen Geschehens bei. Während man bei den Streichern (besonders bei den tieferen unterhalb der Violinen) noch viel analoger Schmelz hören kann, wirken Schlagzeug und Blech ausgesprochen knackig, leider gegenüber Munch zu entfernt. Die Konturen sind (trotz des groß bemessenen Raums und des Halls) scharf umrissen. Gerade Blech, Schlagwerk und das Piccolo. So hat man den Eindruck, dass der Klang die Interpretation summa summarum ein klein wenig unter Wert verkauft.
4-5
Simon Rattle
City of Birmingham Symphony Orchestra
EMI
1990
12:17
Zum atmosphärisch gelungenen Beginn bleibt der Blutfluss ganz leise und der Herzschlag ist ebenfalls leise, aber gut vernehmbar. Der erste Walzer wird plastisch und nebenstimmenreich zusammengefügt. Typisch für das Klangideal der 90er Jahre erklingen die Holzbläser (auch mit ihren Soli) etwas distanziert. Der Walzer erklingt liebevoll und nuanciert intoniert, sehr elegant und mit verführerisch wirkenden Verzögerungen, aber auch kontrastreich und dynamisch. Es fehlt dem Schwung nicht an Leidenschaftlichkeit, gerade die hierbei so wichtigen (weil tragenden) Violinen legen sich richtig ins Zeug und spielen sehr expressiv. Die melancholische Seite wird indes nicht überspielt, ganz im Gegenteil man wartet mit einer schillernden Klangfarbenpalette auf, gerade weil die sogenannten Nebenstimmen ausgezeichnet hörbar gemacht werden. Rattle hält das Orchester zu prägnanter Rhythmik an und die kleinen Details entgehen ihm nicht. Eine spannende Darstellung bei dessen Finale das Orchester spürbar aus sich herausgeht und dass daher bohrend, schroff und knackig klingt.
Das Orchester wirkt leicht distanziert, aber sehr transparent und plastisch, dynamisch, brillant und vielstimmig. Er wirkt zwar nicht gerade warm, weist aber auch keine Anzeichen mehr von frühdigitaler Kälte oder Härte auf. Gerade auf den EMI-Aufnahmen der frühen 80er Jahre konnte man diese Eigenschaften noch häufig antreffen.
4-5
Georges Prêtre
Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR
Hänssler
1995
12:19
Von Georges Prêtre gibt es außer der Stuttgarter Aufnahme mit dem RSO Stuttgart, dessen künstlerischer Leiter (man vermeidet in diesem Fall den Begriff Chefdirigent) er von 1996-98 war, noch eine Aufnahme aus Paris mit dem Orchestre National de France (EMI).
Die Stuttgarter Einspielung gefiel uns erheblich besser, nicht zuletzt heizt der französische Dirigent dem deutschen Orchester ordentlich ein, auch die Klangtechnik des SWR wird der Impulsivität des Werkes viel besser gerecht.
Die Lesart wirkt in Stuttgart betont dramatisch und leidenschaftlich. Manche hören da sogar heraus, dass finstre Mächte den finalen Kollaps von außen herantragen würden. Die rubatoreiche Spielweise, besonders manche rasante Beschleunigungen könnten tatsächlich übertrieben wirken. Das Orchester macht das aber gerne mit (beim nachfolgenden Chef namens Norrington hätte sich „La Valse“ sicher ganz anders angehört). Manchen könnten diese Walzer schon zu schmalzig, überladen, gar kitschig vorkommen. Eine leichte Übertreibung Richtung Ironie könnte man tatsächlich heraushören. Das RSO spielt enorm dynamisch, angetrieben wie selten und enorm zupackend. Fast möchte man schon an Munch zurückdenken, aber bei Prêtre fällt die Spielweise dann auch mal gleich wieder in eine Art selbstvergessenes Schunkeln zurück. Selbstvergessenes und Zerstörerisches liegen da eng beieinander, sodass die manische Komponente des Stückes besonders herauskommt. Das Orchester erweist sich auch schon vor Norrington als exzellent besetzt. Die soghafte Beschleunigung zum Finale hin kennen wir schon von Prêtres Aufnahme aus Paris von 1987. Im Gegensatz zur EMI-Aufnahme wird sie in Stuttgart noch von einer infernalischen Dynamik begleitet, einer Dynamik, die wir noch bei keiner anderen Aufnahme aus dem Hause Hänssler gehört haben. So nimmt das Finale bereits beängstigende Züge an. Zusammenbruch live.
Die Hänssler-Aufnahme klingt erheblich präsenter als die acht Jahre ältere EMI. Die Transparenz ist exzellent, der Klang sogar voll, üppig und plastisch, wie man ihn von Aufnahmen aus Funkhäusern nicht unbedingt erwartet. Das Schlagwerk wird besonders in den Fokus genommen und die Dynamik steigert sich bis in frappierende Bereiche. An den Klang der 1976er Celibidache-Aufnahme möchte man gar nicht mehr zurückdenken. Hier kommt man dem Live-Klang mit einer unbeschnitten wirkenden Dynamik erheblich näher. Hier gilt: Mittendrin statt nur dabei.
4-5
Libor Pesek
Philharmonia Orchestra London
Virgin
1991
11:42
Ganz anders „gestrickt“ ist diese Einspielung aus London. Auch hier fehlt es nicht an gefühlvollem, tänzerischem Schwung (Rattle z.B. beginnt die Walzerkette deutlich langsamer) und Pesek findet ganz offensichtlich einen guten Draht zum Philharmonia Orchestra, denn es zeigt sich von seiner besten Seite. Wir hören einen sehr ausgewogenen, klangvollen Holzbläsersatz und crèmig-füllige, warme, seidig glänzende Streicher. Hier gibt es keine kalorienreduzierte Magerkost, sondern einen Klang mit sinnlicher Verführungskraft, mit dem richtigen Maß an nostalgischer Patina und dem passenden Walzer-Schwung. Und die verführerische Anmut steigert sich auch zum lustvoll enthemmten Rausch. Leider fehlt es aber den zerstörerischen letzten Takten an der rechten klanglichen Härte, die z.B. das BSO exemplarisch mit Ozawa oder auch Haitink aufbringen konnte. Oder die letzte Entfesselung bei der zerstörerisch wirkenden Dynamik.
Der Klang wirkt voll und transparent, gut gestaffelt und dynamisch. Leider folgt man auch dieses Mal (wie bei Rattle, nicht bei Prêtre) dem Ideal der 90er Jahre, einen besonders großzügigen Überblick über das ganze Orchester auch in seiner räumlichen Tiefe zu erhalten. Etwas mehr Präsenz wäre wünschenswert und hätte auch das Finale noch weiter vorangebracht.
4-5
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1963
12:32
Mit Eugene Ormandy und seinem Philadelphia Orchestra gibt es zwei Einspielungen. Die erste stammt von 1954 und erfolgte noch mono. Beim Remake neun Jahre spätere war der Dirigent dann 64. Er lässt sich nun mehr Zeit, wahrscheinlich auch, um die klanglichen Vorzüge „seines“ Orchesters noch besser präsentieren zu können. Jetzt erscheint der Belle époche-Überfluss völlig in Musik überführt. Dennoch erscheint das sehr deutliche und klagsatte Spiel nie füllig oder gar schwülstig. Die Violinen machen reichlich Gebrauch von portamento, so wie man es in keiner anderen Stereo-Einspielung hören kann. Auch dies soll uns in die Zeit des Wiener Walzers versetzen. Und tatsächlich erfahren wir hier ein sehr stark ausgeprägtes „Walzer-Feeling“, wie in kaum einer anderen Einspielung. Die Höhepunkte wirken mit einer gewissen Erhabenheit, bleiben aber immer transparent. Das Finale allerdings wird im Tempo nur wenig zugespitzt, klingt eher besonders schön als katastrophisch. Die Einspielung offeriert eine wirklich tolle, enorm geschliffenen Orchesterleistung und bezaubert vielleicht mit den wienerischsten Wiener Walzern.
Die Aufnahme klingt (fast möchte man schreiben: naturgemäß) viel besser als ihr Vorgänger von 1954. Viel transparenter, breitbandiger, voller, körperhafter und noch brillanter. Ein praller Sound in toller Demo-Qualität mit weiter Dynamik, allerdings mit einer recht geringen Tiefenstaffelung, die uns an das Breitwandspektakel aus Philadelphia aus seligen LP-Zeiten zurückdenken lässt. Das Remastering hat den Klang jedoch transparenter gemacht.
4-5
Bruno Maderna
Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (heute: Deutsche Radio-Philharmonie)
SR
1972
11:42
Diese Aufnahme stammt aus der Jubiläums-Edition „60 Jahre SR“, in die sie es mit „vollem Recht“ hineingeschafft hat. Bruno Maderna war zwar kein Chef beim Orchester aber immer wieder ein gern gesehener Gast-Dirigent. Heute dürfte er nur noch den Enthusiasten für Neue Musik bekannt sein, denn als Komponist dürfte er vielleicht ein wenig populärer geworden sein denn als Dirigent. Vielleicht kennt man auch noch das Werk von Pierre Boulez: „In Memoriam Bruno Maderna“, das er im Andenken an den befreundeten Italiener geschrieben hatte. Es scheint sich bei der Aufnahme um eine Studio-Produktion gehandelt zu haben, denn vom evtl. anwesenden Publikum hören wir keinen Mucks. Es gibt auch keine Beifallsbekundung am Ende.
Man hat sich mit einem Röntgenblick durch die Partitur gearbeitet, hellhörig und besonders sorgfältig geprobt. Das Ergebnis reißt einen vom Hocker, denn das Orchester klingt zwar nicht unbedingt wie das BSO, LSO oder die Berliner Philharmoniker, aber es macht einen durch und durch souveränen Eindruck und weiß in jedem Takt, was es da spielt. Es spielt rhythmisch, akzentuiert, sehr beschwingt, leidenschaftlich und sehr empathisch. Das Zusammenspiel erfolgt nahtlos, die Akzentuierung mit besonderem Biss, geschärfter Artikulation und Zuspitzung, die sogar an Charles Munch denken lassen. Nur solistisch klingt es noch nicht so voll, rund und geschliffen wie heute. Ein stürmischer Tanz auf dem Vulkan mit atemloser Spannung. Hier ging es hörbar um Existenzielles. Klang und Spieltechnik sind sicher nicht ganz perfekt, sodass die Einspielung in der 4-5er Kategorie sicher besser aufgehoben ist. Von der erfahrbaren Intensität gehört sie ohne weiteres ganz nach oben in die Spitzengruppe.
Der Klang ist für eine Aufnahme des SR von 1972 erstaunlich differenziert und transparent, sehr dynamisch und auch in der Raumaufteilung gibt es kaum Einbußen. Sogar im ff des Tutti bleibt noch viel Transparenz erhalten. Gran Cassa und Tam-Tam klingen schon ordentlich.
4-5
Pierre Dervaux
Orchestre de l´Association des Concerts Colonne (Paris)
Command (aus der BnF-Collection)
1960
12:49
Pierre Dervaux dürfte heute nur noch wenigen Musikfreunden bekannt sein. Er (1917 geboren) war von 1947-1953 Chef des Orchesters der Pariser Opéra comique, 1949-1955 stellvertretender Leiter des Orchestre des Concerts Pasedeloup, 1956-1972 erster Dirigent und Orchesterchef der Pariser Opéra National, 1968-1975 des Quebec Symphony Orchestra, ab 1971 künstlerischer Leiter des Orchestre des Pays de la Loire und 1979-81 zusätzlich Leiter der Oper in Nizza. Er war Lehrer von u.a. Jean-Claude Casadesus. Sylvain Cambreling. Georges Aspergis und Jean-Pierre Wallez. Bei der Aufnahme war er also 43.
Strömungsgeräusche und Herzschläge sind gut erfasst und schon zu Beginn stellt sich eine besondere Stimmung ein. Musiziert wird sehr spannend, sogar packend. Wie bei Ormandy gibt es auch bei Monsieur Dervaux ausgeprägte Portamenti zu hören, die übrigens so in der Partitur stehen, bei den jüngeren Einspielungen aber meist nur leicht angedeutet oder ganz ignoriert werden. Das Orchester klingt eher hell als sonor, was auch an der Aufnahmetechnik liegen könnte. Der Orchesterklang ist aber noch typisch französisch, d.h. mit den harten Oboen und den hellen Fagotten, oft nicht ganz sauber. Die Walzer erklingen meist schwungvoll, die Darbietung sehr kontrastreich und temperamentvoll. Die unterschiedlichen Charaktere der Walzer werden plastisch herausgearbeitet. Aufhorchen lassen verschiedene Klangmixturen, die man bei keiner anderen Einspielung so hören kann. Sehr gute Steigerungen bis zu einem vor Energie förmlich platzenden Finale mit einer hervorragenden Gestaltung des Übergangs ins Chaos. Sehr hörenswert. Wenn die Aufnahme besser klingen würde, wäre man versucht sie in der 5er Kategorie einzuordnen.
Der Klang ist jedoch offen und angenehm, wenn man bedenkt, dass es sich „nur“ um eine digitalisierte LP aus den Beständen der Bibliothèque national de France handelt. Es gibt keine Laufgeräusche wie Schleifen oder Knacken. Der Plattenlauf wirkt völlig störungsfrei, es rauscht auch sehr wenig. Das Orchester ist sehr direkt eingefangen worden, besonders das Holz. Bei französischen Aufnahmen steht sonst sehr oft eine gewisser Repräsentationsaspekt im Vordergrund mit raumfüllender Größe und viel Hall. Die Aufnahme soll ja auch was darstellen. Hall wurde dieses Mal nicht zugemischt. Die Dynamik wirkt lebendig, es gibt noch eine auffallende Links-Rechts Trennung. Man nannte das früher einmal Ping-Pong-Stereo. Auffallend an der Orchesteraufstellung ist die Positionierung der Klarinetten rechts von den Oboen.
4-5
Alan Gilbert
New York Philharmonic Orchestra
Eigenproduktion des Orchesters
2012, live
12:39
Mit Alan Gilbert gibt es auch noch eine Produktion mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester Hamburg, die ebenfalls auf dem Orchestereigenen Label veröffentlich wurde, zumindest auf den einschlägigen Plattformen. Die New Yorker Aufnahme konnte uns noch mehr überzeugen.
Alan Gilbert war von 2009-2017 Music Director der New Yorker Philharmoniker, ab 2019 bis zumindest einmal 2029 Chefdirigent des Elbphilharmonie Orchesters.
Wie der Walzer sich mysteriös aus den Urgründen des Körpers (Blutstrom, Herzschlag) erhebt ist hervorragend dargestellt, atmosphärisch, ja suggestiv. Wie oft beim Label der New Yorker Philharmoniker kommen die Nebenstimmen reichhaltig zur Geltung. Leider wirken dann gerade die Violinen etwas schwächlich, weil sie gegenüber den sehr präsenten und deutlichen Holzbläsern in den Hintergrund treten. Das mag aufnahmetechnische Gründe haben. Insgesamt ist das Musizieren sehr ausdrucksvoll. Viel Einfühlungsvermögen zeigen auch die frisch genommenen Wiener Walzer. Auffallend an dieser Einspielung ist, dass man viele bisher ungehörte Klangmixturen zutage fördert, die jedoch einer akribischen Partiturtreue erwachsen. Das Spiel des Orchesters ist allerdings auch souverän und betont kammermusikalisch orientiert. Zu hören u.a. an den plastisch hervorgehobenen Hörnern, sonst oft ein Fall für den Einheitsbrei. Das Finale wird sehr gut gesteigert. Insgesamt haben wir den New Yorker Mitschnitt spannender gehört als den Hamburger zehn Jahre später. Auch stand das New Yorker Orchester etwas plastischer in unserem Hör-Raum als das Hamburger, zehn Jahre später.
Der Klang der Aufnahme bietet eine hervorragende Präsenz und Transparenz, wirkt körperhaft, plastisch. Leider treten die Violinen manchmal aus für uns unerklärlichen Gründen und daher für uns unmotiviert deutlich im Orchesterpanorama zurück, was dem Hörgenuss jedoch kaum beeinträchtigt. Mehr ins Gewicht fällt dann schon die etwas nivellierte Dynamik.
4-5
Paavo Järvi
Orchestre de Paris
RCA-Sony
P 2023
12:57
Auch von Paavo Järvi liegen uns zwei Einspielungen von „La Valse“ vor. Die erste entstand 20 Jahre vor der Pariser Produktion in Cincinnati, also 2003 für Telarc. Da die neue Aufnahme viel lebendiger, rhythmischer und kraftvoller wirkt als die ältere, gilt ihr unsere klare Empfehlung. Paavo Järvi war von 2010-2016 Chef in Paris, weshalb man vielleicht dem angegebenen AD oben nicht so ganz trauen kann. 2025 kam es dann zu einer weiteren Aufnahme von „La Valse“ mit dem OdP, mit Klaus Mäkelä.
In Paris lässt sich Monsieur Järvi mehr Zeit als in Cincinnati. „La Valse“ ist nun weniger ein Tanz auf dem Vulkan als ein Fest an Klangfarben und Detailreichtum. Aber im Gegensatz zur Einspielung aus Cinicinnati hat man nun den Eindruck, dass das Orchester in seiner „Muttersprache“ spielt. Dieses Mal hören wir auch die ersten vier Takte mit bei denen noch kein Herz schlägt. Die haben in Cincinnati noch gefehlt. Jetzt spielt man auch mit Rubato, was den Walzern mehr Gefühl und Leidenschaft mitgibt, zumal die leichten, authentisch wirkenden Verzögerungen genau das gewisse Gefühl vermitteln, dass man sofort annehmen darf, dass man sich in Paris aufs Walzer tanzen versteht. Das Orchester hat das Stück offensichtlich so verinnerlicht, dass es nun bis in die kleinsten Verästelungen klar vor uns liegt. Bei den älteren Aufnahmen von Barenboim, Martinon, Karajan oder Cluytens auch bei Ansermet 1955 hatte man diesen Eindruck noch nicht in diesem Maß. Bei Bychkov klingt es schon viel freier, erst recht bei Mäkelä. Die flexible Temponahme dient auch zur Charakterzeichnung der einzelnen Walzer, viel mehr als dies Järvi in Cincinnati gelang. Der freiere Umgang des Orchesters mit der Komposition zeigt sich auch in der Eloquenz des Solistischen. Man spielt souveräner als in Cincinnati. Um dem amerikanischen Orchester nicht zu nahe zu kommen, es sieht so aus, dass auch das Dirigat Järvis souveräner geworden ist. Guter aber nicht in dem Ausmaß wie bei Munch gespannter Spannungsbogen. Das Orchester hat auch noch genug Dynamikreserven für einen heftiges Finale.
Auch die Klangqualität hat gegenüber 2003 in Cincinnati noch an Transparenz, Plastizität, Präsenz und Offenheit gewonnen. Es klingt auch körperhafter und frischer als bei Telarc in Cincinnati.
4-5
Eduard van Beinum
Concertgebouw Orchester Amsterdam
Philips
1958
11:11
Ein Jahr nach der Live-Aufnahme (bereits in Stereo) aus Los Angeles, die die DG herausgebracht hat, hat van Beinum eine Studioaufnahme in Amsterdam aufzeichnen lassen. Damals war er Chef beider Orchester. Er nimmt dabei in etwa das gleiche Tempo. Die Unterschiede im Orchesterspiel sind nicht so groß wie man es vielleicht erwartet hätte, denn auch in LA weiß man bereits in den 50er Jahren Ravel gepflegt zu spielen, zumindest einmal in der Aufnahme mit Eduard van Beinum. Davon später mehr, denn zuvor mussten noch ein paar andere Einspielungen der überreichen Diskographie von „La Valse“ bedacht werden.
Schon zu Beginn hört man die Fließgeräusche des Blutes genau und auch der Herzschlag ist bereits deutlich als solcher erkennbar. Die Violinen spielen etwas brillanter als in LA, die Strukturen werden bereits plastisch gemacht. Die Oboe schneidet eher schlechter ab als in LA, sie klingt „dürrer“ und nasal verfärbt, wie es in den 50er Jahren noch weit verbreitet war. Die Musizierweise ist sehr lebendig und sehr dynamisch, auf Romantizismen ließ sich van Beinum nicht ein. Leider lässt gegen Ende des Stückes die Transparenz der Aufnahme genau wie die Dynamik deutlich nach, gerade wenn das Maximum von ihr verlangt wird. Eigentlich nur da spürt man ihr Alter. Das Orchester hingegen gibt sich keine Blöße, man stürzt sich geradezu hinein in den Strudel, der unmittelbar in den Abgrund führt. Das erreicht schon fast die Intensität eines Charles Munch. Allerdings hinkte die Philips-Technik damals RCA hinterher.
Wenn man die Philips-Aufnahme hingegen mit van Beinums Aufnahme aus LA vergleicht klingt sie noch etwas plastischer und punktgenauer. Auch der Streicherapparat wirkt schon sehr gut durchgezeichnet. Den hautnahen „Anmachfaktor“ der Living Stereo Munchs erreicht sie nicht, auch nicht deren Fülle und Glanz. Sie steht auch Ansermets Decca Produktion diesbezüglich nach, wenn man sie einmal mit den alten audiophilen „Schlachtrössern“ vergleichen will. Sie rauscht nur ganz wenig, ist aber relativ bassschwach. Tam-Tam und Gran Cassa, als die beiden Maximal-Dynamik-Erzeuger sind hörbar, aber nur recht leise.
4-5
Bernard Haitink
Concertgebouw Orchester Amsterdam
Philips
1975
12:48
Stimmungsvoll lässt Haitink „La Valse“ beginnen. Blutfluss und Herzschlag sind unzweifelhaft zu erkennen. Wir hören einen glanzvollen, samtigen und doch brillanten Klang von den Streichern und auch das Holz zeigt sich hochgradig ausdrucksvoll. Insgesamt hat das Orchester hier schon fast den reichhaltigen Klang von heute (bzw. zur Zeit Chaillys oder Jansons´) erreicht. Das Spiel wirkt intensiv, energisch und sehr kraftvoll. Und vor allem sehr nuanciert. Qualitäten, die man in der 20 Jahre später aufgenommenen Einspielung aus Boston auch vernimmt. Dort klingt es jedoch zudem noch gleichermaßen völlig vom Tänzerischen durchdrungen und zwar auf eine deutlich schwungvollere, noch leidenschaftlichere Art. In Amsterdam wirkt der melancholische Anteil, ja die Schwermut, die manchmal in den Walzern mitschwingen stärker. Das Drängende, ja der Suchtcharakter nach Vergnügen und Lust kommt in Boston deutlicher zur Geltung. Man gewinnt beim Vergleich beider Einspielungen den Eindruck, dass Haitink gerade die evtl. vorhandene Schwäche der Amsterdamer Einspielung erkannt und behoben hat. Und zwar auf grandiose Weise. Das sollte aber die Meriten der Amsterdamer Einspielung nicht schmälern.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr räumlich und ganz leicht hallig, warm getönt, körperhaft, dynamisch und ziemlich effektvoll. Gerade gegenüber der Vorgänger-Aufnahme bei Philips, der mit Eduard van Beinum hat der Klang immens an Wärme gewonnen. Wir hören jetzt einen Philips-Klang vom Feinsten, besonders ausgewogen und nur mit ganz leichtem Analog-Rauschen.
4-5
Carlo Rizzi
Nederlands Philharmonisch Orkest
Tacet
2011
12:13
Selten hört man von Tacet einmal eine Aufnahme mit einem großen Orchester, wahrscheinlich wegen der immensen Kosten, die damit verbunden sind. Klanglich ist sie zumindest sehr gelungen und musikalisch braucht sie sich, zumindest was „La Valse“ anlangt, nicht zu verstecken. Allerdings geht es gleich mit einer Enttäuschung los, denn das Geräusch des Blutstroms ist bei normaler Abhörlautstärke unhörbar. Wenn man ihn hören will muss man die Lautstärke so sehr anheben, dass später, im ff, die Ziegel vom Dach fliegen. Das kann kaum im Sinne des Klangzauberers Maurice Ravel gewesen sein, höchstens freut sich der Dachdecker des Vertrauens. Den Herzschlag hört man nur sehr leise, aber immerhin pocht das Herz, es ist also noch Leben drin. Die Walzer erklingen mit viel Rubato, es wird nichts überstürzt, das Spiel wirkt sorgfältig, nuancenreich und farbig. Fast meint man das Concertgebouw Orchester vor sich zu haben (aber nur fast). An Schwung mangelt es eigentlich nicht, man vermeint aber das Tempo wäre langsamer als es am Ende die gemessene Zeit suggeriert. Nebenstimmen kommen sehr gut zur Geltung. Auch die Kontraste werden wohl gesetzt, nur fehlt es dem Orchester an den Nahtstellen, wenn ein Walzer in den nächsten übergeht, die Geschmeidigkeit der allerbesten, da stockt es manchmal ganz leicht und meist wirkt das Spiel ein wenig zu kontrolliert, also noch nicht ganz frei. Insgesamt wirkt die konzeptionelle Stringenz im Aufbau des gesamten Stücks aber überzeugend, wenn man mal vom Fehlen der ersten vier Takte absieht. Die Dramatik wirkt nicht veräußerlicht und an den Spannungsverlauf eines Munch kommt man nicht heran. Es fehlt eigentlich nicht viel, aber das macht letztlich den Unterschied zwischen bloßer Darstellung und Miterleben. Im Finale allerdings wird ordentlich zugespitzt bis zur Atemlosigkeit.
Die Aufnahmequalität ist exzellent, sehr klar und zugleich auch warm. Man versuchte vielleicht die Akustik des Concertgebouw nachzuempfinden, aufgenommen wurde dieses Mal jedoch in Beurs van Berlage, ebenfalls in Amsterdam, dem Gebäude das ehemals die Börse beherbergte. Die Akustik scheint, wenn man dem aufgenommenen Resultat glauben darf, sehr plastisch, transparent und luftig zu sein. Das Instrumentarium wird bestens dreidimensional gestaffelt und es wirkt sehr farbig.
4-5
Eduardo Mata
Dallas Symphony Orchestra
RCA
1983
12:12
Als RCA in den späten 60er und 70er Jahren die amerikanischen Orchester der sogenannten „Big Five“ (Boston, Chicago und dann auch noch Philadelphia) von der Fahne gingen, sollten die Symphoniker aus dem texanischen Dallas so aufgebaut werden, dass sie in die Bresche springen konnten. Mit Ravels Kompositionen (und anderen gut klingenden Werken) wollte man das Gelingen dem Platten und CDs kaufenden Publikum weltweit präsentieren, zumal man sich mit dem Soundstream-Aufnahmeverfahren zumindest theoretisch klanglich in der digitalen Frühzeit eine Nasenspitze vor den anderen Firmen sah (Telarc nutzte es damals ebenfalls).
Bei „La Valse“ ging die Planung ganz gut auf. Das Spiel des Orchesters wirkt stimmungsvoll, sehr transparent, schlank, fein, brillant und lebendig. Nur im Sonoren scheint ihm noch gegenüber den Besten was zu fehlen. Aber da macht ja auch die frühe Digitaltechnik mitunter ihre eigene Rechnung auf. Man scheint in jedem Fall sehr gut geprobt zu haben, denn man wollte sich ja auch, wenn man sozusagen ins Licht der Weltöffentlichkeit tritt, keine Blöße geben. Die Walzer haben so einen hohen Grad an Nebenstimmenreichtum und werden auch gefühlvoll gespielt, aber der gewisse Schmelz, vielleicht auch der „Wiener Schmäh“ fehlt weitgehend. Mata arbeitet viel mit Tempomodifikationen und achtet auf spannende Steigerungen, die sehr gut das Gefühl des Rastlosen und Atemlosen vermitteln. Das Finale wird beherzt gespielt.
Der Klang der Aufnahme ist sehr klar, dynamisch und brillant. Das Orchester wirkt gut gestaffelt und detailreich. Während die Violinen (trotz Soundstream) etwas belegt und dünn (aber nicht drahtig) klingen, wirkt die Gran Cassa schon sehr wuchtig, da wird der Dynamikgewinn der damals neuen Digitaltechnik bereits voll ausgespielt.
4-5
Vladimir Ashkenazy
Cleveland Orchestra
Decca
1990
11:35
Das Orchester spielt (wie in der Einspielung mit Christoph von Dohnanyi nur ein Jahr später) erneut fast unübertrefflich geschmeidig und präzise, auch im Zusammenspiel brillant. Allerdings kommt die Harfe im Klangbild etwas zu kurz. Man spielt sogar noch etwas temperamentvoller als mit von Dohnanyi und schreckt auch vor messerscharfen Blech- und Schlagwerkattacken nicht zurück. Die Walzer wirken sehr schwungvoll, befinden sich aber schon an der Schwelle zum Gehetzten (falls man dieses Orchester überhaupt hetzen kann…). Charmant wirken sie jedoch kaum noch. Die Höhepunkte werden prima herausgearbeitet. Insgesamt wird ungeheuer brillant gespielt, aber uns imponiert der spezifisch empfundene Walzerklang bei Dohnanyi doch noch mehr und die über das gesamte Werk gespannte Steigerungsstrategie wirkte bei Dohnanyi überzeugender. Die Orchestervirtuosität dagegen wirkt bei Ashkenazy noch etwas staunenswerter, aber auch etwas oberflächlicher und weniger bedrohlich.
Der Klang aus Cleveland wirkt sehr räumlich, weich und ebenfalls dreidimensional, sehr dynamisch, körperhaft und frei. Wir kommen in den Genuss eines kräftigen, gut konturierten Basses (Gran Cassa!).
4-5
François Xavier Roth
Les Siècles
Harmonia Mundi
2019
12:13
Wir haben bei der Suche nach Aufnahmen von „La Valse“ Kenntnis von zwei Einspielungen erlangt, die dem Stil der HIP verpflichtet sind. Außer dieser hier gibt es noch die sogleich nachfolgend besprochene Einspielung mit Jos van Immerseel und Anima Eterna.
Gegenüber den normalerweise im HIP-Stil und mit Instrumenten der Entstehungszeit der Werke gespielten Werke gibt es aber bei Ravels „La Valse“ nun die Möglichkeit die neuen im „alten Stil“ gespielten Aufnahmen mit echten historischen Einspielungen zu vergleichen, von Mozart- oder Schubert-Werken gibt es die ja nicht. Nachteil dabei: Die „echten“ alten Einspielungen leiden unter einer unzulänglichen Aufnahmetechnik, während die neuen „auf alt getrimmten“ Einspielungen über ein modernes Klangbild verfügen. Und da zeigt es sich, dass die eigentlichen Unterschiede sich vielmehr durch die individuelle Art des Musizierens ergeben, nicht durch eine eventuell bereits in der Geschichte vorgeformte Art. Doch nun zur Aufnahme mit Les Siècles:
Den besonderen Klang von „Les Siècles“ nimmt man sofort zur Kenntnis. Der Beginn wirkt hellhörig, individueller und etwas dringlicher als bei Immerseel. Es gibt viele Details und viele voll ausgespielte Portamenti, die ein Pierre Monteux auch 1930, also in seiner „historischsten“ Aufnahme nicht wagte. Aber bei Ormandy 1963 sehr wohl. Les Siècles spielt präzise und „schlackenfrei“ in allen Gruppen. Holz, Blech und Streicher mit Top-Klang, wie man es vom für damalige Verhältnisse exzellenten Pariser Orchester Monteuxs 1930 nicht hören kann. Dass die Violinen ohne Vibrato spielen, fällt bei Les Siècles viel mehr auf als bei Anima Eterna. Monteux lässt 1930 wohl schlank spielen, aber kaum ganz ohen Vibrato. Die Gangart wirkt beschwingter und dynamischer, die Lesart noch ein wenig transparenter als bei Immerseel. Die Nebenstimmen werden besonders lebendig und plastisch. Da ist viel Lust mit ihm Spiel, Lust, die man auch den Tanzenden anno 1855 oder in der „Belle époche“ erwartet. Der Verlauf wirkt zugespitzt. Beim fatalen Ende bringen die besten modernen Orchester noch mehr Zerstörungsenergie auf, die Instrumente haben sich ja so entwickelt, dass sie über die Jahrzehnte hin immer lauter spielen können, das hört man den Orchestern auch an. Sie klingen dann noch beeindruckender. Von den beiden HIP-Aufnahmen gefällt uns die mit Roth noch ein wenig besser, denn sie bringt etwas mehr Dringlichkeit, etwas mehr Zugkraft ins Spiel und wirkt noch minimal detailreicher. Beiden gemein ist das auffallend gegenüber den besten „konventionellen“ Einspielungen schwächer klingende Finale.
Der Klang der Aufnahme ist präsent, dynamisch, plastisch, körperhaft, farbig und brillant, sehr transparent und differenziert. Sie verfügt über eine hohe Tiefenschärfe.
4-5
Jos van Immerseel
Anima Eterna
Zig Zag
2005
12:00
Die rauchig-warmen Klangfarben der historischen Instrumente hüllen den Ball zunächst in einen geisterhaften Nebel, genau wie es sich Ravel vorstellte. Demnach sollen sich erst bei Ziffer A die Nebel lichten, so wie man es eigentlich nur von den alten Aufnahmen mit historischer Aufnahmetechnik her kennt. Als man es eben noch nicht besser konnte. Im weiteren Verlauf verdeutlichen sich die Texturen, mal bleibt es bei einer Art aquarellartigen Mischtechnik, mal wird scharf kalligraphiert. Dabei erweist sich Immerseels Dirigierstil als eher objektiv und nüchtern als der von Roth. Es gibt kaum persönliche Zusätze und keinen Spannungsoverkill. Aber es gibt genüsslich ausgespielte Details zuhauf. Auch in dieser Einspielung kann man wie neu klingende Klangkombinationen hören. Nichts wird aufgebauscht oder auch nur vorgeführt. Die Musizierweise wirkt durchaus lebendig und gefühlvoll, ja mitunter sogar mit einem gewissen „Swing“, stets detailgenau, farbenreich und technisch versiert. Man hat in jedem Fall besonders genau in die Partitur geschaut. Der musikalische Fluss bleibt trotz der hörbaren Komplexität der Komposition und der Individualität der Walzer erhalten. Es gibt leider kein Beschleunigungsfinale, „Pressez“ scheint für Immerseel kein Schnellerwerden zu beinhalten. Deshalb bleibt dem Finale die Sogkraft der Allerbesten zum Ende hin versagt, und dann kommt ja auch noch (wie bei Roth) die begrenzte Maximallautstärke hinzu.
Der Klang der Aufnahme wirkt transparent und detailgenau, frisch und natürlich, durchaus auch tiefenscharf. Dynamisch, aber ohne die fast schon gewalttätigen Exzesse der Allerbesten (z.B. durch die Gran Cassa), die man in anderen Aufnahmen mit moderneren Instrumenten hören kann.
4-5
Sakari Oramo
Royal Stockholm Symphony Orchestra
BIS
2022
12:14
Diese Einspielung ist im gleichen Jahr aufgenommen worden und (ebenfalls auf SACD) erschienen wie die gleich im Anschluss folgende mit John Wilson, weshalb sich da vielleicht auch ein kleiner Anreiz zum Vergleich anbietet.
Das Rauschen des Blutes und der Herzschlag ist in dieser Aufnahme deutlich zu hören, mittlerweile eine Selbstverständlichkeit und wenn beides in einer so modernen und hellhörigen Aufnahme nicht hörbar wäre, dann müsste man die Kompetenz des ganzen Teams infrage stellen.
Atmosphärisch stimmt es auch: Schnell, geschmeidig, ausdrucksstark und dunkel eingefärbt setzt sich der erste Walzer zusammen. Der Walzer selbst wird dann mit viel Rubato fast schon sentimental inszeniert, überraschend für eine Aufnahme aus dem hohen Norden, den man sonst musikalisch eher als am klaren und kühlen orientiert im Ohr hatte, gerade wenn BIS mit im Spiel war. Nach und nach gewinnt der Vortrag jedoch an Dringlichkeit und die Steigerung wird fast mit aller fast möchte man schon schreiben Brutalität bis zu den Auflösungserscheinungen des endgültigen Zerfalls getrieben. Dabei ist das Spiel des Stockholmer Orchesters ausgesprochen klangschön, virtuos und präzise, ja fast makellos. So erklingen die schmelzenden Violinen mit perfekter Homogenität. Es fehlt auch nicht an der Lust am Klang, aber vielleicht wirkt sie zu wenig unmittelbar und ein wenig zu sehr demonstriert.
Die Klangqualität ist erstklassig: Voll, weich, wunderbar abgerundet, körperhaft, klar, plastisch, prall und brillant. Man sitzt in der ersten, zweiten oder dritten Reihe, jedenfalls ganz weit vorne. Der Blick auf die reichen Nebenstimmen ist völlig ungetrübt und die Dynamik ausgezeichnet mit einer gewaltigen, markerschütternden Gran Cassa.
4-5
John Wilson
City of London Sinfonia
Chandos
2022
11:28
Dieses Orchester wurde schon mehrmals wiederbelebt. Sein Name hört sich zwar an, als wäre es ein Stadtteilorchester (so wie es unzählige Londoner Stadtteil-Fußballvereine gibt), aber es wurde in den 50ern als Studioorchester speziell für Aufnahmen gegründet. Dann wurde es in den 70ern von Richard Hickox wiederbelebt und dann ein vorläufig letztes Mal 2018 von John Wilson. Da sind jetzt viele Londoner Top-Musiker mit dabei, auch aus anderen Londoner Orchestern. Man bemerkt es an den solistischen Leistungen. Es geht beschwingter voran als z.B. bei Oramo oder Tilson Thomas, allerdings – für unser Empfinden – fehlt es am speziellen „Walzer-Feeling“. Da bleibt man ziemlich metronomisch, aber doch nicht leblos. Hastig geht es nicht voran, aber man sieht vornehmlich junge Paare vor sich, keine alten Perücken. Die Gruppen des Orchesters klingen sehr überzeugend, genau wie die Soli, da hat man sich bei Chandos wohl gedacht, dass es gar nichts bringt, wenn man mit Ravel nur ein mittelklassiges Orchester ins Rennen schickt. Die Steigerungen werden ziemlich heftig angegangen, die verzerrten Melodien und taumelnden Rhythmen gut herausgearbeitet. Es herrscht ein dramatischer Zugriff und das Finale hat wirklich Biss. Das strahlende Blech und das mächtige und präzise Schlagwerk leisten dabei sehr gute Arbeit. Den vehementen Zug oder die Emotionalität der Saarbrücker Aufnahme mit Bruno Maderna von 1972 hat diese Einspielung nicht, aber doch das bessere Orchester (es liegen aber auch über 50 Jahre dazwischen). Luft nach oben gäbe es auch noch gegenüber des von einem Munch aufgebauten Bedrohungspotentials.
Das Orchester erklingt sehr gut aufgefächert und die Aufnahmetechnik zeigt die farbige Instrumentierung besonders effektvoll und leuchtkräftig. Es klingt dynamisch, üppig und auch im ff noch absolut transparent.
4-5
William Steinberg
Pittburgh Symphony Orchestra
EMI
1956
11:29
Die frühen Aufnahmen bis in die 60er hinein (incl. Maderna von 1972) eint häufig (keine Regel ohne Ausnahme) ein besonders eindringliches Spiel und ein immenses Spannungsniveau. Späterhin wird dann eher die Suche nach der klanglichen Nuance oder das Herausstellen des typisch ravelschen Farbenreichtums als vordringliches Merkmal der Interpretation spürbar. Am besten ist es natürlich, wenn die Einspielung alles unter einen Hut bringen kann. Die Einspielung William Steinbergs ist unzweifelhaft ein „Kind ihrer Zeit“. Schon der Blutfluss wirkt vibrierend und eindringlich und von Beginn an herrscht hohes Spannungsniveau. Es wird mit Lust und Freude getanzt, mit viel Genuss und Leidenschaft. Der Gestus der Walzer ist meist vorantreibend und drängend. Steinberg macht dem Orchester mächtig Feuer und es ist ordentlich Zug hinter der Darbietung, die ziemlich unmittelbar und wenn man es nicht besser wüsste, eigentlich von einem livehaftigen Charakter geprägt erscheint. Das Orchester spielt präzise, kontrastreich und lebendig mit viel Emphase dem „Objekt“ gegenüber. Fast wie bei Munch oder Monteux. Aus klanglicher Sicht geht ihm der Farbenreichtum der Londoner mit Monteux (oder später mit Abbado) oder die Brillanz oder Homogenität innerhalb der Gruppen aber auch im Zusammenspiel der Bostoner mit Munch (oder später mit Haitink) ab. Höhepunkte werden jedoch mit Temperament und ordentlich Biss und mit viel Druck angegangen. Das „Pressez“ Ravels in der Partitur wird vollgültig umgesetzt. Dem Finale geht alles Mechanische bei der Ausführung ab, es klingt konvulsivisch, ja vulkanisch.
Leider bringt die Einspielung auch eine Hypothek mit: Das ist die unausgewogene Klangqualität aus dem frühen Stereo-Zeitalter. Die Aufnahme dürfte zu den allerersten kommerziellen Stereo-Aufnahmen von Capitol (in Europa unter dem EMI-Label vermarktet) gehören. Sie wirkt zwar in leisen Passagen sehr präsent und klar, klingt aber im ff gepresst und speziell die Violinen bekommen einen schrillen Akzent mit. Auch das laut eingefangene Schlagwerk klingt „überbrillant“ und leicht übersteuert. Da wollte man wohl zu viel, vielleicht um der 55er RCA mit Munch Paroli bieten zu können. Es könnte insgesamt sinnlicher klingen. Es ist ein ausgeprägter Stereo-Effekt zu beobachten, was man oft bei weniger gelungenen früher Stereo-Aufnahmen hört, als Resultat des frühen Experimentierens mit der neuen Technik. Erfolglos war man bei Capitol indes nicht, denn sogar die Illusion von Raumtiefe konnte man damals bereits in die Rille bannen. Leider hat man die enorme Dynamik nur zum Preis des schrillen Akzents unterbringen können. Die „Full Dimensional Sound“ -Edition aus den 90er Jahren konnte durch ihr neues Remastering die Fehler nicht ganz ungeschehen machen.
4-5
Charles Dutoit
Orchestre Symphonique de Montréal
Decca
1981
12:05
Von Monsieur Dutoit gibt es zwei Aufnahmen von „La Valse“ in unserer Liste. Außer der nun vorliegenden gibt es noch eine aus seiner Zeit, als es Music Director des Philadelphia Orchestra war, genauer aus dem Jahr 2008. Wie die Steinberg-Aufnahme unter der frühen Stereo-Aufnahme nicht ganz „frei“ durchatmen kann, so wirkt das Orchester 1981 bei Decca durch die frühe Digitaltechnik klanglich eingeschränkt. Dabei fing dieses „Zeitalter“ der Aufnahmetechnik mit „Daphnis et Cloé“ aus dem Jahr 1980 bei Decca und in Montréal sehr vielversprechend an. Das Niveau konnte nicht ganz gehalten werden.
Sehr, sehr leise hört man den Blutfluss und der Herzschlag wirkt undeutlich. Der Kardiologe mag sich da schon Sorge machen. Es geht aber dann frisch, beweglich, in schlankem aber doch sanften und weichen, anschmiegsamen Ton weiter. Die Walzer haben Schmiss und Temperament, ordentlichen Schwung, wirken fast überschwänglich. Das exzellente Orchesterspiel bringt das Lebensgefühl der damaligen Zeit sehr gut bis zu den Ohren der Hörerschaft. Es bringt sogar etwas mehr Schwung mit ein als das LSO in der Einspielung mit Claudio Abbado aus demselben Jahr. Auf die holografisch anmutende, alles sehende und alles hörbar machende Stimmentransparenz Abbados kommt Dutoit jedoch nicht ganz heran. Abbados Aufnahmequalität ist eben einfach noch klarer, als ob sich ein ganz feiner Schleier gehoben hätte, den man bei Dutoit noch mithört. Die ersten Walzer sind bei Dutoit noch so unbedarft und frisch, dass man die spätere Katastrophe wohl kaum erahnen könnte, wenn man das Stück zum ersten Mal hören würde. Die Pauke kommt gut, die Gran Cassa ist schlank. Der Verlauf ist dynamisch, die Spannungskurve gut ausgebildet, das Finale akzentreich. Insgesamt gefällt und die Aufnahme Dutoits von 1981 besser als die neuere von 2008 aus Philadelphia.
Das Gespann aus Dirigenten, Orchester und Aufnahmecrew war damals noch unroutiniert, später wirkte das hörbare Ergebnis oft nicht mehr so frisch, transparent, räumlich, dynamisch und farbig. Die digitalen Artefakte machen sich vor allem in einer gewissen Glasigkeit der Violinen bemerkbar und das Tutti verliert bei höherer Lautstärke deutlich an Transparenz. Dass das 1981 auch schon besser glückte, das hört man auf der Abbado-Einspielung mit dem LSO. Der leicht hallige Aufnahmeraum in Montreal (die Kirche St. Eustache), den man damals nutzte, spielt dabei sicher ebenfalls keine nachrangige Rolle.
4-5
Jean Martinon
Orchestre de Paris
EMI
1975
12:32
Auch von Jean Martinon finden sich zwei Einspielungen in der Diskothek von „La Valse“. Der Pariser Aufnahme, bei der er 70 Jahre alt war ging 1967 eine RCA-Aufnahme mit dem Chicago Symphony Orchestra voraus. Das Pariser Orchester spielt besser als in der nur sechs Jahre später folgenden Einspielung mit Daniel Barenboim. Martinons Tempo ist gegenüber Chicago etwas langsamer geworden. Man spielt sehr differenziert, die einigermaßen warm timbrierten Violinen wirken homogen. Das OdP spielt übrigens um Klassen besser als das Orchestre National de l´ORTF bei Debussys Ibéria, das Orchester, das EMI damals mit Martinon das gesamte Orchesterwerk Debussys einspielen ließ. Man muss also froh sein, dass man sich bei EMI dieses Mal für das OdP entschieden hat. Das nur ganz nebenbei. Man spielt konzentriert zusammen und die Walzer wirken sozusagen „natürlich“ und man könnte sie tatsächlich tanzen. Sie wirken etwas „atmosphärischer“ als in Chicago, etwas lebendiger und nicht so schroff, aber auch nicht so straff, aber das ist dieses Mal eher von Vorteil. Allerdings mutet der Orchesterklang im ff mit dem Pariser Orchester etwas „breit“ an, davon ist in Chicago nichts zu spüren. Die Chicagoer spielen insgesamt präziser, aber weniger „prickelnd“. Martinon weiß, wie man das OdP Ravel auf idiomatische Weise spielen lässt und weiß, wie man es entfesselt. Das Finale wirkt dann jedoch in Chicago wieder erheblich druckvoller und im Gegensatz zu Paris: gar nicht lärmend.
Die Aufnahme kann ihre Ursprünge als Quadro-Aufnahme nicht ganz verhehlen, man hört es vor allem an der enorm tief und breit aufgespannten Bühne. Das Orchester klingt sehr räumlich und wirkt etwas freier als das CSO in der RCA-Aufnahme. Es klingt in Paris halliger, aber für eine Aufnahme von 1975 sehr beachtlich. Das CSO klang jedoch erheblich präsenter und klarer. Insgesamt ergibt sich eine Patt-Situation zwischen den beiden Aufnahmen Jean Martinons. Daher kommt die Chicagoer Einspielung jetzt gleich anschließend.
4-5
Jean Martinon
Chicago Symphony Orchestra
RCA
1967
11:51
Jean Martinon war u.a. Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra 1957–1959, Chefdirigent des Lamoureux-Orchesters 1957-1961, Musikdirektor des Chicago Symphony Orchestra 1963–1969, somit Nachfolger von Fritz Reiner und Vorgänger von Georg Solti, Chefdirigent des Het Residentie Orkest in Den Haag 1975-1976 (seinem Todesjahr). Er galt in Chicago, wie Rafael Kubelik zuvor ebenfalls als ein „Versager“. Nach fünf Jahren Vertragslaufzeit kehrte er nach Frankreich zurück. Seine wenigen Aufnahmen, die man aus dieser Zeit in Chicago kennt bestätigen dieses Urteil (vor allem der Kritik und des „Vorstands“, nicht der Orchestermusiker) in keiner Weise.
Die Aufnahme entstand im Medinah Temple in Chicago. Das Orchester spielt brillant, absolut klar und keine Nebenstimme wird unterschlagen. Der Gestus ist nicht ganz so getrieben wie bei Munch aber schwungvoll und lebendig, elegant aber nicht charmant, eher kraftvoll. Der Wiener Walzer wird nicht zelebriert, bleibt immer im Fluss und man gestattet sich keine übermäßigen Dehnungen. Ein straffer Grundcharakter, den man acht Jahre später in Paris in Martinons zweiter Einspielung gar nicht mehr hört, scheint noch aus der Zeit des ehemaligen Chefs Fritz Reiner übriggeblieben zu sein. Der durchaus dramatische und zugespitzte Verlauf mag mehr an die 55er und 62er Munchs erinnern als an Martinons eigene Aufnahme von 1975 in Paris. Es überwiegt die bissige Dynamik und der manchmal etwas zackige Rhythmus des Präzisionsorchesters über den Charme und über die verführerische, verschwenderische Klangfülle beispielsweise bei Celibidache (1978) oder Boulez (1999). Die Steigerung gegen Ende wirkt soghaft und durchzugsstark, da lassen die Chicagoer ihre Muskeln spielen. Präziser geht es kaum.
Der Klang der Aufnahme (RCA hatte (leider) die Living-Stereo-Zeit hinter sich gelassen) wirkt sehr transparent, voll, geschmeidig, fast üppig und brillant. Im Tutti allerdings eher kompakt und stämmig, aber nicht „bullig“.
4-5
André Previn
Wiener Philharmoniker
Philips
1985, live
12:50
Auch André Previn hat es sich nicht nehmen lassen „La Valse“ zwei Mal einzuspielen. Nach seiner Einspielung für EMI mit dem LSO 11 oder 12 Jahre zuvor gesellte er noch eine Live-Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern hinzu. Es mag verwundern, dass das „Walzer-Orchester“ schlechthin, das aller Welt zu Neujahr mit Walzern vornehmlich aus der Feder von Johann Strauss ein gutes Neues Jahr wünscht, so selten mit Aufnahmen von „La Valse“ betraut wird. Vielleicht wird Ravel eben doch eher mit französischen Orchestern in Verbindung gebracht und diese Beziehung mag in den Köpfen der Produzenten vor der Verbindung Wien und Walzer rangiert haben. Nur Lorin Maazel hat „La Valse“ noch mit den Wienern eingespielt auf klassische Tonträger, wenn wir nichts übersehen haben.
Der Blutstrom und die Herzschläge sind in Wien gut hörbar, die Harfe wirkt etwas abgeschwächt. Die Wiener spielen intensiv, sehr kontrastreich und außerordentlich dynamisch (Trompeten!), lebendig und nebenstimmenaffin. Herausragend dieses Mal nicht nur die weltberühmten Wiener Violinen, sondern auch das wild entfesselte, sozusagen im Geberlaune-Modus spielende Blech. So wird den Walzern auch ein Schuss kraftvolle Wildheit verpasst. Previn zieht eher konstante Tempi einer rubatogesättigten Spielweise vor und trotz des gemäßigten Tempos wirkt das glanzvolle Spiel des Orchesters auch spannend. Das herausragend infernalische Finale wird mit beispielhafter Transparenz gegeben.
Der Klang der Aufnahme wirkt plastisch, aber der Kenner wird es bereits am Aufnahmedatum bemerkt haben, 1985 befand sich die digitale Aufnahmetechnik noch nicht in der Blüte ihrer Jahre. So klingt die bei Philips folgende Aufnahme mit Haitink in Boston noch offener, präsenter und transparenter. Auch die Vorgänger-Einspielung beim Label Philips mit Haitink und den Amsterdamern liegt vor allem durch das Plus an analoger Wärme noch vorne. Aber für eine so frühe Digitalaufnahme gibt es eigentlich wenig Grund zu jammern. Es wird bereits ein gut aufgeräumtes Klangbild (fast) ohne Härte geboten, aber sowohl in Sachen Klarheit, als auch in Sachen Fülle und Abrundung muss sie sich der älteren EMI Previns von 1973 oder 1974 (das konnten wir nicht endgültig klären) beugen. In Sachen Durchschlagskraft (Gran Cassa!) hat sie aber meilenweit die Nase vorn. Sie steht auch – um noch einen anderen Vergleichspartner in den Ring treten zu lassen – der Maazel-Aufnahme mit den Wienern, trotz ihrer für 1985 fraglos vorhandenen Meriten klanglich, aber nicht musikalisch zurück.
4-5
André Previn
London Symphony Orchestra
EMI
1973/74
12:48
Diese Aufnahme ist auf der LP „Previns Music Night“ zu finden. Der Beginn gelingt Previn und dem Orchester noch plastischer als in Wien. Man spielt die Walzer ebenfalls leidenschaftlich und die Streicher klingen durch die auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung befindliche analoge Aufnahmetechnik noch runder und voller als in Wien. Der spezifische Wiener Sound steht dabei auf einem anderen Blatt. Vielleicht spielen die Londoner nicht ganz so glanzvoll, aber Previn scheint sich ob in Wien oder London bei „La Valse“ zuhause zu fühlen. Man sieht es bereits an der Spielzeit, sein Tempo und sein Konzept haben sich über die Jahre nicht verändert. Auch in London geht es detailreich und nuanciert zu. Dass Previn ein Faible für die Musik Ravels zu haben scheint, haben wir ja bereits besonders bei „Le Tombeau de Couperin“, aber auch schon bei der zweiten Suite aus „Daphnis et Cloé“ hören können. Der Gestus wirkt in London, trotz der in beiden Fällen für Nuancierungen aller Art günstigen, eher langsamen Temponahme, einen Hauch weniger dringlich und spannend als in Wien. Bei den vehementen Entladungen im Finale machen sie die Errungenschaften der neuen Digitaltechnik und lobenswert bemerkbar: Das wirkt dann in Wien doch bedrohlicher und markerschütternder als in London.
Die Klangtechnik lässt das Londoner Orchester sehr räumlich, transparent, körperhaft, offen, voluminös und recht dynamisch erklingen.
4-5
Semyon Bychkov
Orchestre de Paris
Philips
1993
11:57
12 Jahre nach Barenboim, fast 20 Jahre nach Martinon, 22 Jahre nach Karajan 32 Jahre nach André Cluytens und 38 Jahre nach Ansermet bat man das Orchestre de Paris erneut mit „La Valse“ und anderen Stücken von Ravel ins Studio. Hinzu kämen dann noch die Aufnahmen mit Paavo Järvi und Klaus Mäkelä, das OdP dürfte Rekordhalter in Sachen „La valse“-Aufnahmen sein. Semjon Bychov war als Nachfolger Daniel Barenboims von 1989-1998 Chefdirigent des Pariser Orchesters. Wie bei Barenboim wird die Harfe als Auftakt zu den beiden Herzschlägen der pizzicato spielenden Kontrabässe gesehen. Gerne hätten wir gewusst, ob Ravel schon hier, also ganz zu Anfang ein Symptom der (Herz-)Krankheit für den portraitierten Tanz und das portraitierte „kranke“ Gesellschaftssystem eingebaut hat, denn die meisten lassen die Harfe so leise spielen, dass sie den Herzschlag der Kontrabässe nicht stören, das wirkt irgendwie „gesünder“.
Jedenfalls geht es bei Bychkov erheblich schwungvoller zu als bei Barenboim und Boulez, wenn wir einmal bei den drei „B“ bleiben wollen. Die Soli des Holzes wirken anmutiger als bei Barenboim, das Orchester macht überhaupt einen beweglicheren, leichteren, luzideren Eindruck und spielt präziser zusammen als mit Bychkovs Vorgänger. Wenn man die Boulez-Aufnahme aus Berlin nimmt wirkt der Klang in Paris schlanker, viel weniger sonor. Die Walzer wirken jedoch wenig anmutig und „Herzenswärme“ schwingt auf dem Pariser Bankett keine mehr mit. Der Tanz wirkt präzise getaktet und ebenso gestaltet geht es in den Abgrund. Mit einer mittleren Sogkraft, dennoch immer noch vor Boulez und Barenboim.
Die Aufnahme vermittelt hohe Stimmentransparenz, gute Dynamik und Brillanz. Gegenüber Barenboims Aufnahme wirkt der Stimmenverlauf geradezu aufgelichtet. Die Klangfarben wirken nicht besonders warm, die Violinen etwas hell. Das Klangbild als Ganzes erscheint blech- und schlagwerklastig. Für unseren Geschmack könnte es etwas sonorer und fülliger klingen, denn von der Streicherbässen hört man denkbar wenig.
4-5
Eduard van Beinum
Los Angeles Philharmonic Orchestra
DG
1957, live
11:35
Diese Aufnahme entstand im Long Beach Auditorium in LA. Dass van Beinum als Nachfolger Mengelbergs Chef des Concertgebouw Orchesters Amsterdam und 1948 und 49 (bis zu seinen gravierenden Herzproblemen) zudem Chef des London Philharmonic, dürfte allgemein bekannt sein. Dass er dann auch noch von 1956 bis zu seinem Tod 1959 Music Director in Los Angeles war, dürfte den wenigsten Musikfreunden heute noch bekannt sein. Nicht zuletzt, weil es aus LA, so zumindest nach unserer Kenntnis, keine Aufnahmen auf Tonträger auf dem (europäischen) Markt gab. Damals wäre es für sein angestammtes Philips-Team eine kostspielige Sache gewesen auch mal ein paar Produktionen in Kalifornien zu unternehmen. Zumal das Amsterdamer Orchester direkt im Lande zur Verfügung stand. Wo und bei welcher Gelegenheit die DG diese Aufnahme von „La Valse“ ausgegraben hat, ist uns leider nicht bekannt. Sie ist uns zuvor jedenfalls nie in Form einer LP oder CD begegnet. Die Unterschiede zur Produktion in Amsterdam sind nicht gravierend. Es wird, genau wie in der Philips-Aufnahme genauestens gespielt, die Walzer erhalten viel Schwung, wirken straff und eher weniger „charmant“, d.h. spezifisch „wienerisch“ (das was die Welt langläufig unter „wienerisch“ verstehen mag), eher streng, fast grimmig und brodelnd. Gerade die Werte der Dynamik wirken wie mit dem Lineal nachgezogen und dabei wirkt das Orchester sogar recht farbig. Da erkennt man die Handschrift des Dirigenten. Die Violinen spielen sehr homogen (noch nicht ganz so brillant wie heute). Die Orchesterqualität steht dem damaligen Concertgebouw Orchester kaum nach, nur die Solisten wirken nicht ganz so eloquent wie in Amsterdam. Den spezifischen Glanz der beiden Wiener Einspielungen (Previn und Maazel) sucht man vergebens, aber die Walzer bekommen die Verzögerungen, die sie dann doch nach Wiener Walzer klingen lassen. Allerdings straff und vorantreibend im Stile der 50er Jahre, im Stile eines Charles Munch also mit kulminativen Höhepunkten. Aus ganz ähnlichem Holz geschnitzt aber nicht ganz mit Munchs unerreichter Expressivität, der Orchesterqualität der Bostoner und nicht mit der Klangqualität der 55er und 62er „Living Stereo“.
Der Klang der Aufnahme wirkt bereits sehr plastisch, sodass man sich sofort wundert, dass es bisher noch keine Veröffentlichung gegeben haben sollte. Die einzelnen Instrumente sind erstaunlich punktgenau ortbar, der Klang sehr sauber, sogar im ff. Erst recht als Live-Aufnahme verblüffend. Die Dynamik ist gut, aber insgesamt klingt es doch noch ein wenig matt und trocken,
4-5
Robert Trevino
Orquesta Sinfónica de Euskadi (Baskisches Nationalorchester), San Sebastián
Ondine
2022
12:15
Dieses Orchester ist dem Geburtsort Ravels Ciboure auf der französischen Seite der Pyrenäen von allen hier vertretenen am nächsten. Näher als die französischen Orchester aus Bordeaux oder Toulouse. Sicher kann man daraus keine besondere Authentizität ableiten, jedoch werden Blutstrom und Herzschlag und das sich Zusammensetzen des ersten Walzers zu einem besonders atmosphärischen Ganzen geformt. Die sogenannten Nebenstimmen kommen detail- und finessenreich heraus. Der Klang des Orchesters ist eher schlank (zumindest einmal, wenn man den enorm vielschichtigen oder auch reichhaltigen Klang der Berliner Philharmoniker unter Pierre Boulez dagegen nimmt), aber doch warm und keinesfalls dünn. Die Walzer werden sehr gefühlvoll dargeboten und das baskische Orchester spielt sehr sorgfältig und klangschön dabei auf, tänzerisch beschwingt, aber auch kraftvoll, besonders die dramatisch gestaltete Steigerung zum finalen Höhepunkt hin, bei der der Dirigent gegen Ende das Tempo ordentlich anzieht. Energisch.
Der Klang der Aufnahme wirkt räumlich ausladend, das Orchesters wird tief in den Raum hinein gestaffelt und erscheint sehr transparent. Er mutet natürlich und originalgetreu an. Insgesamt sehr perspektivisch und übersichtlich, jedoch ein wenig distanziert.
4-5
Geoffrey Simon
Philharmonia Orchestra, London
Cala
1990
12:12
Von Beginn an rauscht das Blut in dieser Aufnahme deutlich und das Herz pocht sehr gut vernehmlich, allerdings ohne die Harfe, die sich (wie in vielen anderen Einspielungen auch) in Sachen Herzschlag vornehm zurückhält. Das Orchester spielte das Werk ein Jahr später für Vigin gemeinsam mit Libor Pesek erneut ein, ganz ähnlich temperament- und schwungvoll. Das Holz kommt etwas deutlicher heraus als bei Libor Pesek, aber bei der Phrasierung des Walzers spielt es weniger geschmeidig und wirkt noch etwas gewollt „walzerselig“. Da wirkt das Rubato ein wenig grob. Jedoch sehr kraftvoll. Das Orchester spielt sehr dynamisch und wurde in seiner unmittelbar wirkenden Spielweise (wie gesagt im Gegenzug nicht so geschmeidig) passend von der Klangtechnik eingefangen. Bei der Zuspitzung am Ende wird tüchtig „eingeheizt“ und es wird sehr effektvoll und mit viel Lust an der Exaltation gespielt.
Der Klang der Aufnahme wirkt sowohl halliger als auch präsenter als bei Libor Pesek ein Jahr später, auch offener, aber weniger warm und „glasiger“. Die Tiefenstaffelung des Orchesters wird plausibel nachgezeichnet. Die Dynamik wirkt bei Simon ungebremster. Der Hochtonanteil wirkt bei Cala ausgeprägter als bei Vigin, sodass das gleiche Orchester bei Cala brillanter, bei Vigin etwas stumpfer, matter klingt.
4-5
Yannick Nézet-Seguin
Rotterdam Philharmonic Orchestra
EMI
2007
12:20
Dies ist zusammen mit anderen Werken Ravels die Debüt-Einspielung des damals 34jährigen Dirigenten bei EMI. Zudem haben wir noch eine Live-Aufnahme mit dem BRSO aus München aus dem Jahr 2011 gehört (siehe in der Liste der Rundfunkmitschnitte). In Rotterdam geht er noch zügiger und drängender vor und die Walzer erhalten mehr tänzerischen Schwung. Zudem wirkt das Spiel kontrastreicher und weniger „ausnivelliert“. Das Orchester ist gleichmäßig hervorragend besetzt und spielt sehr diszipliniert, engagiert und kraftvoll. Der Verlauf der Stimmen ist gut zu verfolgen. Der Gestus wirkt gegen Ende ziemlich wild und unerbittlich. Die emotionale Hitze der Darbietungen aus den 50er und 60er Jahren, wie z.B. bei Charles Munch oder René Leibowitz wird nicht erreicht. Aber das niederländische Orchester verhilft seinen frisch ernannten neuen Chef (als Nachfolger von Valerie Gergiev) von 2008-2018 zu einem glänzenden Debüt.
Die EMI-Aufnahme wirkt satt, räumlich und sehr plastisch. Der Bass ist tiefreichend, das Orchester klingt sonor und brillant. Nachteil: Das Holz wirkt leicht entfernt und fast schon undeutlich, wenn kein explizites Solo ansteht. Das Schlagwerk klingt durchweg exzellent (Gran Cassa!).
4-5
Alexandre Bloch
Orchestre National de Lille
Alpha
2019
12:33
In Frankreich gilt ja alles außer der Hauptstadt Paris als Provinz. Das Orchester hat aber seit seiner Einspielung von 1992 mit Jean-Claude Casadesus, seinem Leiter seit seiner Gründung 1976-2016, als 40 Jahre lang, dermaßen an Geschmeidigkeit, Fülle, Sonorität und Glanz dazugewonnen, gerade wenn man beide Einspielungen miteinander direkt vergleicht, dass es sich eigentlich verbietet noch von „provinziell“ zu reden. Sein Holz klingt mittlerweile auch nicht mehr „französisch“, sondern frisch, sonor und klangvoll, wie es international längst üblich und anscheinend auch erforderlich geworden ist. Es spielt das Werk seines Landsmanns jetzt lebendiger, ja launischer und mit mehr Drive. Auffallend ist bei dieser Einspielung, dass der Bass fast immer gut hörbar „mitschwingt“. Der Drang nach vorne ist zurückhaltend, man spielt wie in den neuen Aufnahmen üblich, sehr detailorientiert, der tänzerische Schwung spielt da oft nicht mehr die Hauptrolle. Detailaffektiert wird man jedoch nicht. Das Hier und Jetzt wird durchaus genossen, das Lebensgefühl von 1855 sollte ja möglichst musikalisch transportiert werden, allerdings aus dem Blickwinkel von 1920. Die Klarheit wird uneingeschränkt bis zum turbulenten, aber nicht furiosen Schluss durchgehalten.
Der Klang der Aufnahme wirkt dunkel, sonor (also durchaus hauptstädtisch), hervorragend gestaffelt und brillant. Ohne jede Lästigkeit und sehr gut ausbalanciert. Leider wirkt die Dynamik etwas eingeebnet.
4-5
Lorin Maazel
Wiener Philharmoniker
RCA
1996
13:12
Mit Lorin Maazel liegen vier Einspielungen in unsere Liste vor. Für seine jeweiligen Plattenfirmen 1971 (EMI), 1981 (CBS-Sony) und die nun vorliegende 1996 (RCA). Hinzu gesellt sich noch eine Live vom BR gesendete Aufnahme mit dem BRSO. Er war zwar von 1982-84 Direktor der Wiener Staatsoper und also solcher auch mit den Mitgliedern der Wiener Philharmoniker gut bekannt, aber ob das Verhältnis ein herzliches war?. Erste gemeinsame Aufnahmen für Decca wurden bereits in den 60er Jahren gemacht (Sibelius- und Tschaikowsky-Sinfonien und vieles mehr).
Das Tempo ist gegenüber den anderen beiden Studioaufnahmen nochmals langsamer geworden. Maazel konzentriert sich jetzt besonders darauf, den ganzen komponierten Stimmenreichtum der Partitur offenzulegen und klangfarbenreich auszukosten. Die Wiener sind in Topform und können in diesem Tempo die Walzer geradezu zelebrieren. Da wird nach guter Johann-Strauss-Manier ordentlich gedehnt und gestaucht und da wird auch mal geschluchzt, es wird aber auch kollektive Kammermusik gemacht und die Klangtechnik macht dies sehr schön plastisch. Der Klang des Orchesters ist sehr sinnlich, gar betörend, extrem geschmeidig, aber trotz des gemächlichen Tempos immer noch schwungvoll. Besonders zum Zuge lässt Maazel wieder einmal die wunderschön klingenden Wiener Violinen kommen. Von allen „La Valse“-Aufnahmen Maazels hört man in Wien besonders viel Rubato, so viel, dass es für manch einen Musikfreund schon manieriert wirken könnte. Zum Ausgleich werden dann auch noch „bärenstarke“ Kontraste gereicht. Das wirkt dann teils majestätisch, teils prunkvoll. Dem Stück wird hier die Zeit gewährt sentimental zu werden. Das mag nicht unbedingt jedem gefallen.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr breitbandig, mit einem wunderbar tiefen Bass ausgestattet, sonor, körperhaft und sehr transparent. Klangmächtig und mit einer bärenstarken Dynamik. Von den Maazel-Aufnahmen hören wir hier den weitaus besten Klang. Ähnlich wie bei seiner Einspielung des „Lohengrin-Vorspiels“, das uns noch gut in Erinnerung geblieben ist von einem der letzten Vergleiche. Nur waren da die Berliner, nicht die Wiener die Garanten für einen auch klangtechnisch audiophilen „Sahne“-Klang.
4-5
Myung Whun Chung
Seoul Philharmonic Orchestra
DG
2010
12:56
Zur Zeit der Aufnahme war der koreanische Dirigent Musikalischer Direktor des Orchestre Philharmonique de Radio France (2000-2015) und Hauptdirigent des Orchesters der Hauptstadt Südkoreas (2005-2015). Er soll ab 2027 übrigens die Mailänder Scala künstlerisch leiten. Warum man die französischen Werke der damaligen Sessions nicht vom französischen Orchester, sondern vom koreanischen spielen ließ (und aufnahm) entzieht sich unserer Kenntnis.
Man will zeigen, was man kann. So spielen die eröffnenden Bässe (Blutfluss) ihr pp so leise, dass man sie kaum hören kann. Schwacher Herzschlag kann ja auch bereits eine Diagnose eines sich abzeichnenden Endes sein, aber hier soll es wohl eher zeigen, wie leise man in Südkorea spielen kann. Dazu hört man im folgenden Verlauf ein fast schon „speckig“ also richtig volltönend aufspielendes Fagott. Das Holz weist tatsächlich eine erlesene Güte auf. Man hatte damals einige europäische Spitzensolisten an die ersten Pulte verpflichtet, wie wir noch von unserer Besprechung der betreffenden Aufnahme der 5. Sinfonie Mahlers wissen. Es klingt aber nicht nur sehr schön, man spielt auch sehr detailgenau. Das ganze Orchester bietet einen sehr schönen, homogenen Klang. Seoul mag zwar geographisch weit von Wien entfernt sein, trotzdem haben die Walzer Schwung und Intensität. Die Fähigkeit zu einer beherzten Dynamik und eine mitreißende Virtuosität stehen dem Orchester uneingeschränkt zur Verfügung. Und die retardierenden, melancholischen Momente der nostalgischen Erinnerung an die schönen vergangenen Zeiten werden ebenso voll ausgekostet. Ganz ohne die vielleicht erwartetete asiatische Zurückhaltung. Die Steigerung erweist sich als spannend, Tam-Tam und Gran Cassa werden in ihrer ganzen Macht plausibel eingefangen. Leider geht die Spannung im Finale nicht in Hochspannung über und man bemerkt eine leichte Abflachung der Spannungskurve. Schade, da wäre sicher noch mehr drin gewesen.
Der Klang der Aufnahme wirkt glasklar, luftig, griffig, gut gestaffelt und dynamisch. Tendenziell klingt es trocken.
4-5
André Cluytens
Orchestre des Concerts du Conservatoire de Paris (heute: Orchestre de Paris)
EMI
1962
11:45
André Cluytens war 1949-60 Nachfolger von Charles Munch als Chefdirigent beim Pariser Conservatoire-Orchester, danach unterhielt er zu ihm bis zu seinem Lebensende eine „priviligierte Partnerschaft“, wird aber 1958 bis zum Tod 1967 Chef des Orchestre National Belgique. Von André Cluytens konnten wir fünf verschiedene Aufnahmen von „La Valse“ hören und in die Liste einordnen. Alle Aufnahmen entstanden zwischen 1955 und 1962. Die 1962 in der Salle Pleyel eingespielte Produktion, die im Rahmen einer Gesamtaufnahme aller Ravel-Orchesterstücke entstand, gefiel uns am besten, dicht gefolgt von einer weiteren EMI-Einspielung, die nur vier Jahre zuvor in London mit dem Philharmonia Orchestra entstanden ist. Der Dirigent war 1962 57 Jahre alt.
Am Tempo hat sich gegenüber der 58er Philharmonia-Aufnahme nichts geändert. Die Violinen klingen nun etwas brillanter und die Harfen kommen nun viel besser zur Geltung, ein wenig prädestiniert sogar. Der Gestus wirkt ein wenig tänzerischer, der rhythmische Schwung ein wenig ausgeprägter. Die Oboen des Pariser und des Londoner Orchesters könnte man als gleichwertig bezeichnen, sie ähneln sich sogar klanglich über die damals noch hörbaren „Schulen“ hinweg, während die Fagotte ganz und gar typisch französisch klingen. Dem Orchester fehlt es ein wenig am klanglichen Feinschliff.
Der Klang in Paris wirkt etwas geschmeidiger als in London, bei Trennschärfe und Tiefenstaffelung gibt es keine nennenswerten Unterschiede, die Räumlichkeit ist in beiden ebenfalls ähnlich ausladend und großzügig. In beiden Fällen bemerkt man ein erhebliches Nachlassen der Transparenz im ff. Genauso wird es bei beiden im ff ein wenig schrill und spröde. Klanglich kommt die Aufnahme weder an die Aufnahmen Munchs (1955 und 62) noch an Ansermets Decca von 1963 heran.
4-5
André Cluytens
Philharmonia Orchestra, London
EMI, IMG Artists
1958
11:48
Diese Einspielung aus der Londoner Kingsway Hall klingt für ihre Zeit sehr gut. Wenn man es sich recht überlegt, nun minimal schlechter als die Pariser Einspielung vier Jahre später, vor allem wegen der in London viel schlechter hörbaren Harfen. Das Philharmonia hat mit seinem belgischen Dirigenten einen guten Draht zum Wiener Walzer und die Violinen klingen auffallend schmelzend, insgesamt ein wenig britsch-distinguierter, aber das muss ja kein Nachteil sein, jedenfalls tänzerisch und leicht. Als wir uns diese Aufnahme anhörten, vermuteten wir, dass die aus Paris wohl kaum besser werden könnte. Die dynamische Spannweite ist gut, nicht frappierend, aber angesichts des AD hätten wir mit weniger gerechnet. Es reicht, um dem Walzer im Finale ein richtiges Inferno zu bereiten.
Der Klang ist für die frühe Stereo-Aufnahme räumlich ziemlich ausladend geraten, die Instrumente sind gut ortbar, der Orchesterklag wirkt weich, recht plastisch. In jeder Hinsicht überragt die Klanggüte die der 1955er Mono-Live-Aufnahme Cluytens´ aus Köln und die Mailänder wird ebenfalls deutlich übertroffen. Der Gesamtklang wirkt schon erstaunlich dynamisch und breitbandig. Er wird, wenn es richtig laut wird noch etwas rau und minimal schrill, das hat er jedoch mit der Aufnahme aus Paris gemein.
4-5
Jesus Lopéz-Cobos
Cincinnati Symphony Orchestra
Telarc
1988
12:01
Das Orchester klingt (wie in der späteren Einspielung mit Paavo Järvi) schlank, sehr transparent, solistisch amerikanisch-ausgewogen im Holz und sehr farbig. Es spielt impulsiv und schwungvoll, vom Sanftmut, der man der Einspielung nachsagt, haben wir nicht viel bemerkt. Die Walzer klingen durchaus verführerisch, allerdings mit wenig Rubato, aber dafür mit einigem Drang. Die Gestaltung des katastrophischen Endes hat man hingegen schon wuchtiger, auch transparenter gehört. Dennoch, keine schlechte Alternative.
Wenn es nicht das ganze Orchester gerade ff oder fff zu spielen hat wie im Finale, klingt es sehr transparent, präsent und sehr dynamisch. Die Aufnahme bringt sogar schon einige Wärme im Klang mit, das ist für eine so frühe Digitalaufnahme längst nicht selbstverständlich. Uns gefiel die Einspielung klanglich sogar besser als die mit Lopez-Cobos´ Nachfolger Paavo Järvi mit demselben Orchester.
4-5
Stéfane Denève
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Hänssler
2012
12:11
Der Franzose war 2005-2012 beim Royal Scottish National Orchestra als Chef engagiert und von 2011-2016 der letzte Chefdirigent des RSO Stuttgart bevor es zum SWR-Sinfonieorchester wurde. Wir haben vier Aufnahme mit ihm von „La Valse“ gehört, wovon drei allerdings „nur“ im Radio gesendet wurden (siehe Extraliste am Ende). Ganz anders als seine Vorgänger Georges Prêtre und Sergiu Celibidache verzichtet er weitgehend auf Rubato. Das Strömungsgeräusch des Blutes ist fast unhörbar, das Pochen des Herzes ziemlich undeutlich. Danach erscheint das Musizieren nebenstimmenreich, beschwingt und mit durchaus aufwallender Dynamik und Leidenschaft. Dann lässt er doch mal etwas Rubato hören, aber lange nicht so exzessiv wie insbesondere Prêtre 1995. Der Orchesterklang wirkt farbig, besonders sinnlich oder gar verführerisch wirkt er nicht, dazu fehlt insbesondere den Violinen der spezifische Schmelz. Das Orchester zeigt sich jedoch cum grano salis von seiner besten Seite, denn es macht sehr viel von den feinen instrumentalen Verästelungen der Stimmverläufe hörbar, wenngleich es an die Brillanz des BSO unter Munch oder LSO unter Abbado oder Monteux nicht herankommt. Es fehlt aber weder am Feingefühl bei den zarteren Passagen noch an deftigen Kraftausbrüchen an den dafür vorgesehenen Stellen. „La Valse“ ist ganz offensichtlich ein Paradestück des Dirigenten (neben Roussels „Bachus et Ariane“-Suite Nr. 2 und dessen 3. Sinfonie), dem nicht alle Einspielungen seiner Gesamtausgabe aller Ravel-Orchesterstücke, gleichermaßen gut gelungen sind. An die Einspielung von „Le Tombeau de Couperin“ denken wir allerdings sehr gerne zurück. Wir hören eine gute, aber nicht atemlos machende Schlusssteigerung. Dennoch ist die Einspielung mehr als solide. Aber es geht nun mal noch katastrophischer im Ausdruck. Außerdem fehlt der Einspielung das dringliche, das soghafte Moment, das wir schon deutlicher herausgearbeitet gehört haben.
Diese Einspielung gefällt uns von den vier gehörten Aufnahmen mit Dèneve am besten, es mag sein, dass man dem RSO Stuttgart in Sachen Ravel und Debussy tatsächlich eine gewisse besondere Kompetenz zubilligen muss seit es von Celibidache sozusagen dazu „erzogen“ wurde. Eine Kompetenz, die man anderen deutschen Orchestern nicht so gerne ohne weiteres zuzubilligen scheint. Das gilt vor allem für die „Auslandspresse“.
Wie bereits 2007 in der Einspielung mit Sylvain Cambreling bildet der SWR (im Verbund mit Hänssler) das Ravelsche Instrumentarium sehr plastisch und transparent ab. Das Klangbild wirkt gut ausbalanciert, mit einer kräftigen Gran Cassa. Dennoch hapert es, gerade wenn man die Hänssler CD, ebenfalls mit dem RSO Stuttgart aber mit Georges Prêtre am Dirigentenpult, noch im Ohr in Sachen Dynamik. Was da an beeindruckender Maximaldynamik geboten wurde, das stellt diese 17 Jahre jüngere Aufnahme deutlich in den Schatten. Von Celibidaches Aufnahme wollen wir gar nicht erst reden.
4-5
John Mauceri
Hollywood Bowl Orchestra
Philips
1993
13:21
John Francis Mauceri (* 12. September 1945 in New York City), so schreibt Wikipedia, ist ein US-amerikanischer Dirigent, Pädagoge, Produzent und Drehbuchschreiber. In seiner Dirigentenkarriere war er als Gastdirigent, Produzent und musikalischer Berater von Tony- und Olivier-Award-Gewinnern von Broadwaymusicals bei deren Premieren an den Opernhäusern bei fast allen großen Orchestern der Welt tätig. Während seiner von Vielseitigkeit geprägten Karriere leitete und dirigierte er gewichtige Werke so verschiedener Komponisten wie Debussy, Stockhausen, Korngold, Hindemith, Bernstein, Sibelius, Ives, Elfman und Shore. Ein besonderes Augenmerk widmete er der sogenannten Entarteten Musik von in Hollywood lebenden Emigranten des Dritten Reichs. Ein sehr vielseitiger Musiker also. Zu ergänzen wäre noch, dass es das aus Musikern des Los Angeles Philharmonic Orchestra bestehende „Hollywood Bowl Orchestra“ von 1993-2004 als Chef leitete. Die Hollywood Bowl kann man sich ähnlich der Berliner Waldbühne vorstellen, vielleicht ist sie noch etwas schüsselförmiger.
Tatsächlich lässt Mauceri „La Valse“ wie eine Filmmusik beginnen, d.h. es wird besonders auf das Atmosphärische geachtet. Aber er achtet auch genau auf Partitur-Genauigkeit und lässt sein exzellentes, schlank und mit glanzvollen Violinen ausgestattetes Orchester vielstimmig spielen. Die Walzer wirken dabei, vom eher beschaulichen Tempo getragen, eher nachdenklich und melancholisch als besonders schwungvoll. Stets ausdrucksvoll lässt man das Vergängliche immer mithören, viel mehr als das Lustvolle, das sich aber unter anderem in lustvoll ausgespielten Kontrasten widerspiegelt oder im sinnlich verzögertem Walzerspiel hören ließe. Die Tempi wirken mitunter gedehnt, meist fördern sie das im Kleinen Verspielte, um es dann mit den tragischen Elementen besonders stark in Kontrast zu setzen. So stellt man sich dieses Mal weder besonders junge Paare vor, auch nicht die mit schweren, grauweißen Perücken bewehrten, sondern ein gemischtes Publikum. Von Spannungsdramaturgie versteht Mauceri einiges, denn er inszeniert sie eindrucksvoll, bringt er doch vor dem Finale noch eine ordentliche Tempoverschärfung an. Gegenüber den besten fehlt dennoch am Ende das letzte Quäntchen Zuspitzung. Unter den im Tempo langsamen ist dies jedoch eine der hellhörigsten und eine der spannungsreichsten.
Der Klang wirkt sehr plastisch und offen, ziemlich farbig und transparent, voll, aber eher leicht als satt oder saftig. Dabei wirkt die Dynamik sehr kraftvoll, nicht zuletzt, weil die Aufnahme einen guten Blick auf die Bässe erlaubt. Man merkt an solchen Aufnahmen, wie wichtig das Bassregister gerade bei Aufnahmen mit großem Orchester ist und wie oft die Bässe in den Aufnahmen vernachlässigt werden. Die Gran Cassa, wo wir doch gerade bei den Bässen sind, klingt mächtig, aber wenig konturiert.
4-5
Jean-Claude Casadesus
Royal Philharmonic Orchestra, London
Membran
1994
12:53
Mit Jean-Claude Casadesus haben wir zwei Einspielungen gehört. Die Londoner Aufnahme zeigt das bessere Orchester, das zudem auch besser aufgenommen wurde als das in Lille (1992). Das Tempo wirkt minimal schneller als in Lille, das Orchester sonorer und üppiger, noch etwas geschmeidiger. Es verfügt über die besseren Hörner, entfaltet mehr Schwung und spielt farbiger und dynamischer, der Walzer erhält mehr Leichtigkeit. Das britische Orchester vermag etwas mehr Spannung zu vermitteln und (im Verbund mit der besseren Aufnahmequalität) mehr Sinnlichkeit (hier besonders durch die gesteigerte Farbigkeit, Üppigkeit und den verstärkten Glanz). Es wirkt temperamentvoller. Hervorzuheben ist das sehr gut heraushörbare Tam-Tam (bei Schostakowitsch das Instrument der Todesverkündung, bei Ravel könnte es in diesem Fall ebenfalls aus diesem Grund herangezogen worden sein) und die besser in Szene gesetzte Gran Cassa. Mitreißend gesteigertes Finale.
Die Aufnahme, die es auch als SACD zu erwerben gab oder sogar immer noch gibt, lässt sowohl in der Breite als auch in der (Raum)Tiefe des Klangbildes kaum Wünsche offen. Sie klingt transparenter, sonorer, brillanter und erheblich dynamischer als die französische Aufnahme aus Lille (Harmonia Mundi).
4-5
Alan Gilbert
NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR-One Gate Media
2022
13:09
Die Aufnahme entstand während des Silvesterkonzerts 2022 in der Elbphilharmonie. Das ist die zweite Aufnahme Alan Golberts nach der New Yorker 2012. Das Orchester spielt detailgenau, der atmosphärische Stimmungsgehalt wird jedoch ebenfalls nicht vergessen. Dem langsamen Einsteigen folgt das plastische Zusammensetzen des Walzers aus den Körpersäften wie aus einem Urgrund. Der Walzer kann auf einem homogenen und weichen Streicherklang aufbauen. Das Holz besticht mit exzellentem Klang. Das Orchester zeigt unter Alan Gilbert, wie bereits das New Yorker 2012, viel Einfühlungsvermögen in die Welt des Wiener Walzers, der hier noch etwas üppiger und in einem noch etwas morbiderem Glanz erscheint als in New York. Allerdings wirkt das Orchester – zumindest in dieser Aufnahme am Silvesterabend – nicht so spitzig wie das New Yorker. Und durch das langsame Tempo droht zeitweise Spannungsabfall. Nach unserem Empfinden wird er gerade noch so vermieden. Allerdings: Großartige Schlusssteigerung ins Inferno. Dieser Mitschnitt konnte uns besser gefallen als der Mitschnitt aus dem Silvesterkonzert 1999 mit Ingo Metzmacher, damals noch aus der Hamburger Laeiszhalle. Davon später mehr.
4-5
Michael Gielen
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg
Hänssler
1993, live
12:09
Diese Einspielung fand in der Kölner Philharmonie statt. Michael Gielen setzt das Stück schon gleich zu Beginn stärker unter Spannung als sein Nachfolger im Amt des Chefdirigenten Baden-Badener und Freiburger Orchesters, Sylvain Cambreling. Das Orchesterspiel ist sehr geschmeidig, es hat mit Gielen etwas mehr Schwung und wirkt „wienerischer“, d.h. rubatoreicher. Das etwas gegenüber Cambreling angetriebenere Tempo steht der Walzerfolge sehr gut an. Das Spiel wirkt zudem kraftvoller bzw. energischer, die Strukturen werden besonders deutlich gemacht. Die Höhepunkte indes gelingen auch Gielen kaum besonders dynamisch oder gar prall. Das mag an der angewendeten Rundfunktechnik liegen. Das Finale wirkt hinreichend katastrophisch, die letzte Entäußerung fehlt.
Der Klang der Aufnahme (ob vom SWR oder als „Amtshilfe“ vom WDR erstellt) wirkt weniger transparent als der bei Cambreling gehörte. Und eher weniger brillant und weniger dynamisch, das Blech zu hintergründig und kaum saftig. Andererseits hört man auf kaum einer anderen Aufnahme und auf eine dermaßen geordnete Weise mehr von der Partitur. Nur die Dynamik steht leider eher nur in den Noten.
4-5
Pierre Boulez
Berliner Philharmoniker
DG
1994
13:37
Die zweite Einspielung von Pierre Boulez ziemlich genau 20 Jahre nach der ersten in New York für CBS-Sony entstanden, lässt einen hervorragend vollen, sehr transparenten und deutlichen Klang der Extraklasse hören. Das gegenüber der 74er Aufnahme aus New York noch behäbigere Tempo ist wegen des Detailreichtums und wegen der enormen (realistischen) Klangfülle und der erzielten Präzision immer noch interessant und lässt Freiraum für akribisches Nachzeichnen der feinsten Verästelungen der Partitur, die von der Klangtechnik ungeschmälert ans Ohr des Hörers gelangt. Vom Tanzcharakter bleicht jedoch bestenfalls eine schwunglose Absichtserklärung. Man kann sich so einen überalterten Opernball in einem Seniorenwohnheim vorstellen, was ja fast schon wieder auch als Sinnbild für ein abgehalftertes Gesellschaftssystem durchgehen könnte. Das Orchester zaubert immer wieder besonders gelungene, wunderbar klingende Soli und Klangmixturen hervor. Es zeigt eine sogar für es selbst herausragende Klangkultur. Jan Brachmann meinte übrigens zu der Aufnahme, dass sie hörbar mache, dass „Psychologie und der Einbezug von sozialem Weltbezug noch nie Sache des dirigierenden Komponisten war.“ Die Tempoverschärfung gegen Ende wirkt jedoch unserer bescheidenen Meinung nach gut realisiert mit besonders ausladender Dynamik. Besonders das Tam-Tam wird ganz herausragend hervorgehoben. Das ist Extraklasse. Das Finale allerdings klingt dann doch bombastisch zerstörerisch. Ohne jede Hysterie, ohne Panik. Man nimmt die Position des Zuschauens ein, nicht des Miterlebens. Denn man muss dem vom lukullischen Klang geprägten Verlauf eine gewisse Spannungslosigkeit attestieren. Wie bereits 1974 ergibt sich insgesamt ein zwiespältiger Gesamteindruck. Auf der Gewinn-Seite stehen dabei das fantastische Spiel und der ebensolche Klang des Orchesters. Und die erlesene Klangqualität der DG-Aufnahme.
Sie weist eine enorm geweitete Dynamik auf, wirkt sehr transparent und verfügt über einen außerordentlichen Farbenreichtum. Die Tiefenstaffelung ist sehr gut. Die Tiefenschärfe außerordentlich.
4-5
Pierre Boulez
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1974
12:59
Man darf annehmen, dass diese Einspielung (incl. einiger anderer Werke Ravels innerhalb der Gesamteinspielung) anlässlich des 100. Geburtstags des Komponisten (1874-1974) auf den Markt gebracht wurde. Wenn man sie mit der vorangegangenen Einspielung bei CBS vergleicht fällt sofort auf, wie distanziert sie gegenüber der Bernstein-Version (oder vielmehr den beiden Bernstein-Versionen) aus New York wirken. Klanglich und vor allem emotional. Sie wirkt jedoch leuchtender, transparenter, voller. Sie übt weniger Druck auf die Musik aus und bietet mehr unerschütterliche, pralle Dynamik. Was den tänzerischen Elan angeht, wirkt sie behäbiger als die beiden Einspielungen Bernsteins, aber nicht ganz so behäbig wie Boulez´ eigene Einspielung 20 Jahre später in Berlin. Boulez ist übrigens 50 Jahre (1925) später als Ravel geboren, er war also 50 Jahre, als es zu dieser Einspielung kam und 70 bei der Berliner. Auch 1975 bekommen die Walzer wenig Schwung mit, wirken betulich, aber immerhin gelassen. Die Entladungen wirken massiv, eine französisch-schlanke Klangkultur kann man nicht erkennen. Auch 1975 bleibt man über weite Passagen nur „Zuschauer“, es kommt zu keinem Miterleben. Man scheint sich beim Tanzen kaum amüsieren zu wollen, die ff gehen aber in die Vollen. Es fehlt also nicht generell am Impetus, das Tänzerische wird aber davon weitgehend ausgenommen. Dem gegenüber wirkte die Herangehensweise Abbados oder Munchs deutlich hellwacher, während man bei Boulez schon so etwas wie Belle époque-Schwulst mithört, der ja gar nicht einmal unangebracht wäre. Der Verlauf steigert sich stetig, aber langsam und wenig mitreißend. Dafür wirkt „La Valse“ sehr strukturbetont und deutlich, das bekommt man aber auch mit schnellerem Tempo geboten wie viele andere Aufnahmen belegen können. Das impressionistische Sfumato eines Barenboim lässt Boulez weit hinter sich bzw., da die Aufnahme vor der Barenboims entstanden ist, lässt er gar nicht erst aufkommen. Auch die erste Einspielung Boulez´ hinterließ bei uns einen eher zwiespältigen Eindruck. Sie geht nicht am Thema vorbei und stellt das Werk einerseits kompetent dar, andererseits fehlt der Schwung des Tanzes und damit fehlt viel. Es verbleibt ein artifizieller Rest, aber auch das artifizielle wäre ja gar nicht untypisch für Monsieur Ravel.
Der Klang der Aufnahme ist transparent, aber nicht analytisch (Abbado geht da noch erheblich weiter), er wirkt leicht distanziert (es könnte eine Quadro-Aufnahme gewesen sein) und nicht ganz frei, wenig prall, sehr beachtlich dynamisch und obwohl genug Hochtonanteil vorhanden ist, wirkt sie nicht gerade brillant. Sie geht aber klanglich insgesamt über die beiden auch für ihr AD nicht optimal gelungenen Bernstein-Aufnahmen hinaus. Obwohl da vielleicht auch schon der Geschmack mit entscheidet.
4-5
Zubin Mehta
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Decca
1970
11:53
Bei Zubin Mehtas erster Einspielung, die in der Royce Hall der University of Los Angeles stattfand, war der Dirigent 34 Jahre. Dabei war der Blutstrom kaum zu hören und der Herzschlag besonders deutlich. Die Einspielung war damals gekoppelt mit Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, natürlich in der Instrumentierung Ravels, die offensichtlich besonders beliebt ist, denn man verwendete sie auch bei CBS 1979, der grandiosen zweiten Einspielung Mehtas in New York, aber u.a. kam auch die DG darauf zurück in der Einspielung mit Claudio Abbado. Am beliebtesten ist jedoch nach wie vor die Koppelung mit anderen Kompositionen Ravels.
Am meisten imponiert der Klang der Violinen, bei denen man eine „Riesenbesetzung“ vermuten darf, ähnliches fiel auch schon bei Scriabins „Le Poème de l´extase“ oder bei Schönbergs „Verklärte Nacht“ auf. Meist klingen sie sehr homogen, schmelzend, aber auch brillant. Später mischen sich auch ein paar sprödere Momente dazwischen. Das Holz fällt dagegen etwas ab, auch aufnahmetechnisch-räumlich zurück. Es wirkt aber auch nicht so sattelfest. Die Walzermelodien werden meist zupackend und expressiv (auch differenziert) gespielt, man merkt, dass die Vorbilder aus den 50er Jahren noch nicht lange „verblichen“ sind, aber natürlich auch den noch jugendlichen Impetus des Dirigenten. Dass Zubin Mehta wichtige „Lehrjahre“ in Wien verbracht hat, meint man dem Gestus noch anzuhören. Die Erinnerung daran mag damals noch größer gewesen sein als in der Aufnahme aus Tel Aviv von 1990, die uns erst deutlich weiter unten in der Liste begegnen wird. Das Blech hingegen hört man in LA auch da plastisch heraus, wo es sonst meist kaum hörbar bleibt, gerade die Hörner und Posaunen haben es aber dem Dirigenten (oder den Technikern) dieses Mal angetan. Sonst stehen sie gegenüber den brillanteren Trompeten in den meisten anderen Aufnahmen meist deutlich zurück. Zubin Mehta ist agogischen Eingriffen damals nicht ganz abgeneigt und lässt so den nostalgischen Gefühlen genug Raum (und Zeit). Die Schlusssteigerung hätten wir noch dynamischer erwartet, da der vorherige Verlauf doch so lebendig war.
Der Klang der Aufnahme wirkt warm, transparent und vor allem zu Beginn noch etwas nebulös, was eigentlich nur Ravels eigener Wunschvorstellung des Beginns entspricht. Uns scheint es allerdings eher eine unfreiwillige Entsprechung zu sein aber wer weiß? Danach wird es dann tatsächlich immer klarer. Man hört das Orchester in einem weit aufgefächerten Panorama, dynamisch und saftig, mit einer kräftigen Gran Cassa. Ein guter Decca-Analog-Sound der 60er/70er Jahre, aber nicht ganz der beste.
4-5
Kent Nagano
London Symphony Orchestra
Erato
1994
12:41
Von Naganos Einspielung von „Le Tombeau de Couperin“ waren wir ziemlich angetan. Am Orchester liegt es nicht, dass er dieses Mal nicht ganz so überzeugend wirkt, denn es spielt eigentlich exzellent. Dies ist eine vielstimmige, präzise Darstellung von „La Valse“, denn kaum eine Stimme im reichen Orchestersatz geht verloren. Zudem wirkt die Darstellung sehr gefühlvoll. Dies ist übrigens die einzige Aufnahme, die „La Valse“ in sieben Tracks aufteilt, sonst ist es immer nur einer. Daran mag es aber nicht liegen, dass der musikalische Fluss etwas gehemmt wirkt. Dem Dirigenten scheint der Sinn mehr nach dem Aufspüren und Offenlegen der musikalischen Nuance zu stehen als nach dem dramatisch motivierten Vorankommen. Man kann ja sehr wohl innig tanzen, als auch kraftvoll, das bleibt ja typspezifisch. Oder vielmehr paarspezifisch, solange der Kern der Musik nicht verraten wird. Hier geht aber in Verbindung mit dem distanzierten Klangbild dann doch viel Schwung und viel Saft und Kraft verloren. Nagano taut erst spät auf, dann aber nachhaltig, dann lässt er das ganze Orchester in seinem ganzen Glanz erstrahlen. Ziemlich intensiv und wild sogar.
Der Klang der Aufnahme wirkt räumlich großzügig, sehr breit und tief gestaffelt, aber etwas entfernt, was zur Folge hat, dass manch ein Solo etwas zu unbedeutend wirkt. Er ist luftig und lässt das Orchester ziemlich filigran klingen, bei Abbado (1981) klang das LSO voller und saftiger, bei Monteux (1963) sowieso. Dabei fehlt es nicht an Dynamik und die Gran Cassa bringt mit ihrem kraftvollen, ja klangmächtigen Sound viel Zerstörungspotential mit. Die letztmögliche Brillanz hören wir indes nicht.
4-5
Jewgeni Swetlanow
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija
1982, live
12:53
Die live in der Großen Halle des Moskauer Konservatoriums aufgezeichnete Einspielung lässt in der Anfangsphase den Raum deutlich mitklingen, auch das (aufgeregte?) Rascheln und Raunen des Publikums. Das unterschwellig Unheilvolle kommt von Beginn an zum Tragen. Wie so oft bei nicht russischen Komponisten neigt Herr Swetlanow zu ziemlich gemäßigten Tempi, die Walzer wirken zwar noch tänzerisch, aber durch die explosive Dynamik von Schlagwerk und Blech wenig elegant und sagen wir mal gerade noch so tänzerisch. Sogar gegenüber Landsmann Kondraschin. Den Rhythmus schneidet Swetlanow dabei nicht scharf, sondern weich, als ob er dem Walzer sogar etwas Schwereloses mitgeben wollte. Aber das Kraftvolle dominiert in seiner Darstellung deutlich. Er macht sogar vor fast schon brutal wirkenden Attacken nicht halt. So kennen wir ihn von seinen Tschaikowsky- oder Schostakowitsch-Aufnahmen. Die Schlusssteigerung ist mächtig und in der, so darf man hier wohl sagen: Schlussapokalypse wird wohl alles zerstört. Idiomatisch oder nicht, beindruckend ist das schon, da muss man auf die Lautstärke achten. Zweifellos ein Ravel aber wenig duftig, dafür mit viel russischem Lokalkolorit.
Die Mikrophone scheinen dem Orchester dicht auf die Pelle gerückt zu sein. Bis zur hautnahmen Präsenz. Der Klang wirkt nochmals deutlich transparenter, räumlicher, körperhafter, plastischer und besser gestaffelt als die „Audiophil Classics“-Version mit der Aufnahme Kondraschins. Das Orchester ist besser gestaffelt hörbar und es wird eine enorme Dynamik mobilisiert.
4-5
Kyrill Kondraschin
Moskauer Philharmoniker
Melodija, Le Chant du Monde, Essential Media Group, Blaricum, Audiophil Classics
1963
12:25
Die Moskauer spielen die Musik des Komponisten, der sich selbst zumindest zeitweise als Bolschewik sah, sehr klangschön, wenn man von den überraschend erbärmlich klingenden Oboen einmal absieht. Mit viel Rubato trennt der russische Dirigent die zarten Passagen (langsam) und die wilden (schnell) und sucht sie noch kontrastreicher voneinander abzusetzen. Das Orchester macht ein mit dem Werk vertrauten Eindruck, keine Spur von kaltem Krieg in der Musik jedenfalls, zumindest einmal im hörbaren Ergebnis dieser Aufnahme. Der Klang der Aufnahme in seiner Originalgestalt würde der Einspielung wohl einen so guten Platz verwehren, wenn es da nicht das Label Audiophil Classics gäbe. Hier erhält der Umschnitt ein ganz anderes Niveau als auf den anderen Medien. Man nutzt eine goldbedampfte CD, was eine Zeit lang auch bei anderen Labels ganz modern und hip war. Bis der Goldpreis dem einen Riegel vorschob. Die Transparenz gewinnt erheblich, genau wie die Detailgenauigkeit. Die Aufnahme wirkt auf einmal viel dynamischer, nur der Hochton wirkt noch ein wenig hart. Die anderen Pressungen bzw. Files klingen zwar recht räumlich, aber distanziert, mit mehr Nachhall, die Violinen klingen metallisch hart und die Aufnahme nicht wirklich dynamisch.
4-5
Kyrill Kondraschin
Staatlichen Sinfonieorchester der UdSSR
Hänssler
1961, live
12:32
Diese Aufnahme aus Moskau (Aufnahmeort unbekannt) bringt das Holz näher an die Zuhörer heran und wirkt als ganzes präsenter und ebenso feinfühlig wie die zweite Einspielung Kondraschins mit den Moskauer Philharmonikern zwei Jahre später. So wird den unterschiedlichen Stimmungen der verschiedenen Walzer gut nachgespürt. Die Oboen des Staatsorchesters klingen dabei keineswegs voller als bei den Philharmonikern, sogar noch intonationsgefährdeter. Man hat ein offenes Ohr für das morbide in der Walzerseligkeit (flexible Tempi), wir erinnern uns: Der Walzer beherrschte ganz Europa, sogar im damaligen Zarenreich tanzte man ihn von Moskau bis Sankt Petersburg. Auffallend sind die wellenartig angelegten Steigerungen. Die Trompeten findet man hier wieder mit dem für die damalige Zeit typischen, silbrig-schneidenden Klang. Man bescheinigt russischen Dirigenten im Umgang mit Französischer Musik gerne und oft mangelnde Raffinesse. Das kann man im Fall Kondraschins nicht bestätigen.
Der Klang der Aufnahme erscheint erstaunlich offen und transparent. Man freut sich, dass er schon in einem ziemlich ausgewogenen Stereo-Klang vorliegt. Der Gesamtklang wirkt erstaunlich warm, die Violinen nicht bretthart wie auf vielen „offiziellen“ Melodija-Aufnahmen der Zeit, gerade bei den Live-Aufnahmen. Klanglich liegt hier jedenfalls kein Fiasko vor, wenn auch der 63er Klang der Audiophi-Classics-Version in keiner Hinsicht erreicht wird.
4-5
Sergiu Celibidache
Münchner Philharmoniker
MPhil
1979, live
13:31
Von Sergiu Celibidache liegen drei Aufnahmen von „La Valse“ vor. Neben dieser noch je eine aus Stuttgart und aus Mailand. Diese entstand in der Münchner Philharmonie am Gasteig in Celis erster Saison als GMD der Stadt München und nur drei Jahre nach der leider klangtechnisch ziemlich missglückten Aufnahme des damaligen SDR mit dem RSO Stuttgart. Dennoch ist das Tempo spürbar langsamer geworden. Celibidache machte seine Tempi unter anderem von der Komplexität des Werkes, also wie schnell kann der Hörer es überhaupt erfassen, aber auch von den klanglichen Gegebenheiten des Saales, in dem das betreffende Werk aufgeführt wurde (z.B. von der Länge des Nachhalls, ein langer Nachhall fordert langsamere Tempi, damit es keine Überlagerungen gibt). Dass der damals noch unmodifizierte Klang der frisch fertiggestellten Philharmonie (Leonard Bernstein: „Burn it!“) langsamere Tempi fordert, ist daher durchaus einleuchtend und das Stimmengeflecht von „La Valse“ will ja auch erstmal erfasst werden. Die Zeit wird wie so oft bei Celibidache zum Herausarbeiten vieler schöner, aber auch stimmig ins Gesamttableau eingebauter Details genutzt. Manches sicher nur als Zierat, wie im Art déco des Fin de siècle. Die erzeugte Stimmung wirkt intensiv, die Klangfarben verschwenderisch, die Ornamentik vielleicht sogar teils nutzlos, wenngleich Celi da nicht ganz die ähnlich gelagerte Einspielung mit Boulez und den Berlinern (allerdings in einer Top-DG-Klangqualität!) erreicht. Beide breiten die Walzer ziemlich „befreit“ von tänzerischem Schwung genüsslich aus. Der Schwung steht mitunter sogar gänzlich „auf der Kippe“. Bei Celi könnten Holz, Blech und Schlagwerk etwas präsenter sein. Die Detailbeschau nimmt viel Raum und viel Zeit ein. Das Ganze präsentiert sich dunkel eingefärbt, mehr schillernd-nostalgisch bis stark melancholisch, wenig hell. Die Schlusssteigerung wirkt beeindruckend, kann aber aufgrund des Tempos einen Hang ins Bombastische nicht ganz verbergen. Gegenüber den beiden älteren Aufnahmen Celis bringt er einige neue Einfälle in Sachen Klangmixturen mit ein.
Diese Einspielung präsentiert den weitaus besten Klang der drei Celibidache-Aufnahmen. Er ist der plastischste, das Orchester wird am besten gestaffelt, es klingt am sonorsten, am besten abgerundet und hat die warmen Klangfarben, die sich der Dirigent immer wünschte. Überraschend war der Klang erheblich transparenter als in der Aufnahme mit dem RSO Stuttgart. Es fehlt noch etwas an Brillanz und Dynamik, da, aber nur da, ist die Stuttgarter Einspielung überlegen. Die Mailänder kann man eigentlich klanglich getrost vergessen, sie kommt erste bei den Mono-Aufnahmen.
4-5
Michel Plasson
Orchestre du Capitole de Toulouse
EMI
1986
12:31
Gegenüber der zuvor gelisteten Aufnahme Celibidaches wirkt die Einspielung aus Toulouse schneller, straffer aber auch viel konventioneller. Das Orchester macht mit seinen geschmeidigen Streichern, dem feurigen Schlagwerk und dem ausdrucksvollen, wenn auch immer noch hellem, von der französischen Schule geprägten Holz einen guten Eindruck. Es zeigt eine temperamentvolle Spielweise mit kontrastreicher Dynamik. Das sind (virtuell) hier junge, vitale Leute, die das Tanzbein zu Walzermelodien schwingen. Mitunter schreckt man sogar vor groben Gegensätzen nicht zurück. Man soll wohl unmittelbar hören, dass bei „La Valse“ was nicht ganz stimmt. Es wird (gefühlt) temporeich und spannend gespielt vom Anfang bis zum Schluss.
Leider bewirkt der Klang der Aufnahme eine (unnötig weite) Distanzierung des ganzen Orchesters. Die Transparenz der Stimmen bleibt jedoch unbenommen. Die frühdigitale Herkunft kann man leicht an den glasigen Violinen festmachen. Und dem Gesamtklang fehlt es an Wärme, er bringt wenig Fülle mit und wirkt nicht sonderlich sonor.
4
Charles Dutoit
Philadelphia Orchestra
Phi
2008, live
12:39
In den Jahren 2008-12 war Charles Dutoit Musical Director des Philadelphia Orchestra. Er hatte das Orchester gerade von Christoph Eschenbach (2003-08) übernommen. Die sordinierten Kontrabässe in den ersten vier Takten sind beim besten Willen nicht zu hören, da versucht man zu sehr durch leises Spiel zu glänzen. Erst der Pizzicato-Einsatz ab T. 5 (Herzschlag) ist zu hören, dann auch mit dem Blusfluss. Das Tempo ist gegenüber der Montréaler Einspielung spürbar langsamer geworden. Auch mysteriöser und sanfter und entsprechend deutlich weniger schwungvoll. Das Orchester zeigt seine Exzellenz, über die es immer noch verfügt, obwohl man ihm während der Zeit mit Eschenbach einen Qualitätsverlust nachsagte, anscheinend waren das nur böse Zungen. Besonders das Holz wird bestens hörbar gemacht. Die Walzer erscheinen nun wie Preziosen, meist sehr leise, trotz des teils starken Espressivo der Violinen. Die extrem profunden Einsätze der Gran Cassa wirken bei jedem Schlag (der einschlägt wie eine Bombe) bereits wie eine Vorahnung der finalen Zerstörung. Die abschließenden Höhepunkte bleibt in der Intensität jedoch überraschend gegenüber 1981, aber auch gegenüber Munch, Abbado oder Leibowitz zurück.
Die Aufnahme wirkt transparent und gibt die Basslinie auffallend klar wieder.
4
Philippe Jordan
Orchestre de l´Opéra National de Paris
Erato
2014
12:23
Monsieur Jordan, der Sohn von Armin Jordan, der ebenfalls noch in unserer Liste erscheinen wird, war von 2009-21 musikalischer Leiter der Pariser Oper, das uns besser als das Orchestre National de France in all seinen Aufnahmen in unserer Liste gefällt. Pikanter Weise wird er genau dieses Orchester ab 2027 als Chef übernehmen. „La Valse“ klingt nach einem ziemlich sachlichen, „neutralen“ also wenig mystischen Beginn „einfach“ und klar. Das Orchester agiert geschmeidig, gespannt, mit teilweise mächtiger Dynamik und vor allem fein. Eleganz hat eindeutig Vorrang vor Spannung. Die Kontraste sind in Ordnung aber keinesfalls zugespitzt. Um dem Finale ein Mehr an Spannung mitzugeben fehlt dann die letzte Hingabe oder Aufopferungsbereitschaft.
Die Aufnahme gelingt deutlich, vor allem bei Streichern und Holz. Blech und Schlagwerk fallen manchmal ab, an anderen Stellen trumpfen sie jedoch mächtig auf, vor allem die herausragende Gran Cassa.
4
Paavo Järvi
Cincinnati Symphony Orchestra
Telarc
2003
11:28
Auch in dieser Aufnahme wird die Musik erst ab T. 5 mit dem Kontrabass-Pizzicato hörbar. Blutfluss ohne Herzschlag gibt es bei Paavo Järvi 2003 noch nicht (in Paris 2023 schon), auch wenn Ravel das anders komponiert hat. Paavo Järvi war übrigens von 2001-2011 Chef des amerikanischen Orchesters. Die Darstellung wirkt distanzierter als 2023, man sieht nur zu statt mitzutanzen. Die Wiener Walzer wirken geradlinig, etwas neutral und blutarm, ohne Nostalgie, also eigentlich wenig authentisch. Das Tempo wäre eigentlich gut gewählt aber es will kein rechter Walzer-Schwung aufkommen. Wenig anmutig ist das Spiel zudem gelingen und die knisternde Spannung der Pariser Einspielung vermisst man auch, obwohl man 2003 1 1/2 Minuten schneller tanzt. Es fehlen auch die finsteren Untertöne. Wenn man die Aufnahme jedoch nicht mit der Einspielung aus Paris direkt vergleicht, schneidet sie besser ab und hat ihren Platz im oberen Bereich der Kategorie 4 verdient.
Denn das Orchester klingt warm, weich, geschmeidig und klar, wird sogar in seiner Dreidimensionalität spürbar. Es klingt etwas zu distanziert aber die Innenbalance stimmt und die Dynamik ist gut. Wie fast immer bei Telarc klingt die Gran Cassa sehr kräftig.
4
Emmanuel Krivine
Orchestre Philharmonique de Luxembourg
Outhère
2012
12:43
Auch in Luxemburg gibt es keinen Blutfluss ohne Herzschlag. Verblüffend, dass ab T. 5 dann alle Bässe recht laut loslegen, obwohl 2/3 davon bereits vier Takte zuvor gleich laut zu spielen hätten, nämlich pp. Vielleicht ein Versehen beim Schnitt? Noch seltsamer ist es allerdings, wie viele Einspielungen sich in diesem Detail ähneln. In der Walzerbewegung spielt man dann sehr raffiniert und bringt gekonnt subtil wirkende Verzögerungen an. Die Walzer erstrahlen sogar in besonderer Schönheit obgleich das Orchester nicht völlig präzise spielt und die Violinen nicht ganz so homogen wie bei den besten Orchestern wirken. So wirkt der Gesamtklang im ff auch nicht so edel wie bei den Orchestern aus Boston, Berlin, Wien, London oder auch Seattle. Bei den Steigerungen dreht Monsieur Krivine gerne an der Temposchraube. Die Gran Cassa klingt gut aber wo ist das Tam-Tam nur abgeblieben? Dennoch ein mitreißend gestaltetes Finale.
Der Klang der Aufnahme ist samtig, transparent, etwas flächig. Das Schlagwerk zurückhaltend bis zur Unhörbarkeit. Die Streicher wirken besonders detailreich, aber ein klein wenig spröde und das Orchester nicht besonders sonor. Die Dynamik ist weit. Holz und Blech könnten etwas besser zur Geltung kommen
4
Eliahu Inbal
Orchestre National de France
Brilliant-Denon
1987
12:28
Das Orchester ist in Sachen „La Valse“ bereits von den Einspielungen mit Bernstein (1975) und Maazel (1981) geübt. Als französisches Nationalorchester ist „La Valse“ natürlich ein Repertoirestück und wird wahrscheinlich jährlich aufgeführt. Bei Inbal hat die Musik natürlich wirkenden Fluss, wirkt aber doch ziemlich sachlich, da er kaum Tempomodifikationen anbringt. Das Tempo entspricht dem Gros der Einspielungen. Der Gestus wirkt leicht angetrieben, aber doch locker, das Orchester spielt recht geschmeidig, fällt aber kaum mit noblem Klang auf. Die Trompeten wirken ein wenig aggressiv, das kann man aber so oder auch so sehen. Es fehlt ihm an Sonorität und Glanz, was auch schon bei den früher entstandenen Einspielungen mit Bernstein und Maazel zu beobachten war, da hätte man vom ureigensten Sachverwalter der französischen Musik, dem Französischen Nationalorchester, ein wenig mehr erwartet. Zahlreiche Orchester spielten das Werk auch in den 80er Jahren schon erheblich virtuoser und atmosphärischer ein. Die Höhepunkte wirken jedoch effektvoll, das Schlagwerk durchschlagskräftig. Das Finale wirkt dann wieder ein wenig zu kontrolliert und gebremst, allerdings bei mustergültiger Transparenz des komplexen Stimmensatzes.
Die Aufnahme bietet solide Transparenz, bleibt aber wenig körperhaft, wenig füllig, wenig sonor aber doch detailreich. Es verbleibt ein kleiner Rest an Schärfe, insgesamt verbreitet der Klang eine nur reduzierte Sinnlichkeit.
4
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1963
12:24
Von Herrn Bernstein liegen in der uns zur Verfügung stehenden Diskographie drei Einspielungen vor. Die erste entstand ebenfalls mit den New Yorkern bereits 1958, die dritte 1975 in Paris mit dem Orchestre National de France. Dieses Mal ging man zur Aufnahme nicht in eines der Grand Hotels New Yorks wie 1958, sondern in die angestammte Philharmonic Hall (Avery Fisher Hall, David Geffen Hall, der meistbietende gibt diesem Konzertsaal den Namen) des Lincoln Centers. Bernstein ist erneut dem Rubato nicht abgeneigt, macht jedoch nicht so exzessiv Gebrauch davon wie 1958. Das Orchester zeigt sich nun etwas vertrauter mit dem Werk, vor allem strahlender und geschmeidiger beim Espressivo. Mit aller in die Vergangenheit gerichteter Melancholie, in eine Zeit als noch alles in bester Ordnung gewesen war. Die Walzer wirken nun sogar besser tanzbar. Bei einem Abbado hört man jedoch viel mehr von der Komposition, d.h. der Stimmenverlauf ist bei ihm erheblich transparenter. Die Phrasierung bei Bernstein wirkt akzentreich und suggestiv, erneut (da bereits 1958) hören wir eine temporeiche Finalgestaltung. Die besonders mitreißende Sogwirkung, die ein Charles Munch oder auch ein Claudio Abbado oder René Leibowitz zur Entfaltung bringen konnten, bleibt bei Bernstein hingegen aus.
Der Klang der Aufnahme ist jetzt räumlicher und das Orchester besser gestaffelt, ausgewogener und brillanter als 1958. Obgleich man aus dieser Zeit schon offenere Aufnahmen mit Bernstein aus New York gehört hat. Es ist zwar alles an seinem rechten Platz, wirkt aber nicht ganz frei.
4
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1958
12:34
Diese Aufnahme entstand noch im St. George Hotel in Brooklyn, das als sogenanntes Grand Hotel noch über einen Ballsaal verfügte, der groß genug für die Philharmoniker war. Der weiche, volle und sehr homogene Streicherklang gefällt. Die Harfe ist zu Beginn sehr deutlich eingefangen, im weiteren Verlauf verschwindet sie jedoch geradezu im Orchester. Die dynamischen Differenzierungen könnten etwas genauer sein und dem Rubato wird teilweise geradezu gefrönt, fast schon über das zulässige Maß hinaus, aber wer will bei einem Leonard Bernstein über ein zulässiges Maß urteilen, zumal der tänzerische Geist erfasst und keineswegs überfordert erscheint. So richtig „wienerisch“ klingt es aber nicht. Richtig sentimental schon. Das Orchester zeigt sich schlagkräftig und präzise und hält das Tempo besser als das Orchestre de Paris mit seinem Dirigenten Daniel Barenboim. An die Clarté Abbados kommt Bernstein nicht heran, immer wieder wirkt der Klang gerade im ff ein wenig „versumpft“. Die Schlusswirkung ist ekstatisch.
Der Klang der Aufnahme ist extrem präsent, zu Beginn sitzt man geradezu inmitten der sordinierten Bässe. Generell wirkt er transparent, voll und erstaunlich rund für eine Aufnahme von 1958. Im Tutti wird es hingegen dicht und auch mal lärmend, eine Anmutung von Dreidimensionalität will sich nicht einstellen.
4
Leonard Bernstein
Orchestre National de France
CBS-Sony
1975
13:11
Diese Aufnahme entstand im Théâtre des Champs-Elysées in Paris, der Hauptspielstätte des Orchesters. Das nun gegenüber den New Yorkern „französische“ Timbre des Orchesters muss einem einfach gefallen. Wir schrecken immer noch auf, wenn wir das Fagott oder in noch früheren Aufnahmen noch mehr die Oboe hören. Dieses Mal steht die Orchesterleistung des französischen Nationalorchesters jedoch gegenüber den New Yorkern nur wenig nach. Das wirkte auf der LP noch anders. Wir haben bei Radio France einmal einen Probenmittschnitt gehört, bei dem Mister Bernstein als Pianist und Dirigent mit dem Orchestre National das Ravel Klavierkonzert in G probte. Er ist dabei an der Orchesterqualität fast verzweifelt. Es wirkt hier jedoch konzentriert und spielt mit viel Emphase und Wärme, geht auf die Agogik Bernsteins recht geschmeidig und homogen ein. Wenn auch nicht mit der messerscharfen Präzision eines LSO in der Aufnahme mit Abbado. Es ist daher auch mal ein wenig mulmig, manchmal auch mehr, bei einem sonst meist sauberen Klang. Besonders edel klingt das Orchester nicht, genau wie bei Maazel und Inbal auch. Besonders beim finalen „Pressez“ geht der Klang vor lauter pressen geradezu „zu“. Eine Verbesserung der New Yorker Aufnahmen stellt sich so nicht ein, allenfalls eine Verschiebung im „Nationalkolorit“.
Der Klang ist aber letztlich etwas transparenter als 58 und 63, zumal er uns in der neusten Ausgabe vorlag. Die Dynamik ist etwas verbessert, die Harfe fehlt immer noch weitgehend.
4
Yuri Temirkanov
Sankt Petersburger Philharmoniker
Signum
2013, live
12:22
Das Orchester aus Sankt Petersburg zeigt sich demgegenüber mit einer sehr guten Qualität. Es wirkt zunächst jedoch etwas müde und später beim Walzerspiel wenig elegant. Die Darbietung wirkt wie beiläufig und nicht immer mit dem rechten Walzer-Schwebegefühl, da wo es die Komposition erlauben würde. Im Verlauf wird dann Spannung aufgebaut und ganz gut gesteigert. Als mitreißend empfanden wir die Einspielung nicht. Die Darbietung wirkt nicht gesichtslos, aber auch nicht besonders individuell. Vielleicht auch deshalb, weil der Orchesterklang nichts mehr zu tun hat mit den ehemals typisch russischen Eigenschaften wie z-B. die schneidenden Trompeten. Harte Oboen oder metallische Violinen gehören ebenfalls der Vergangenheit an. Es klingt nun voll, seidig und verwechselbar rund.
Der Live-Klang könnte etwas transparenter sein, wirkt eingedunkelt und etwas matt.
4
Gary Bertini
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester (heute: WDR-Sinfonieorchester Köln)
Capriccio
1988, live
12:37
Gary Bertini war 1983-1991 Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters. Man beginnt wenig mysteriös, wenig dunkel stattdessen klar und „schnörkellos“. Das Orchester zeigt sich von seiner besten Seite, lebendig, kraftvoll und präzise. Die Walzer erklingen jedoch für unsere Ohren doch etwas zu gleichmäßig und „gerade“. Und zu gemäßigt beim katastrophischen Finale. Dabei wirkt das Schlagzeug ungleich deutlicher als alle anderen Instrumente.
Der Klang der SACD lässt das Orchester weich, voll, farbig, recht transparent, sehr bassstark und etwas distanziert hören. Es könnte durchaus etwas brillanter klingen. Es gibt keine frühdigitalen Einschränkungen und keinerlei Publikumsgeräusche. Die Gran Cassa klingt sehr kräftig. Insgesamt wirkt der Klang noch natürlich und ausgewogen.
4
Lorin Maazel
Orchestre National de France
CBS-Sony
1981
12:53
Monsieur Maazel war von 1977-1991 Chef des Pariser Orchesters. Die Aufnahme entstand bereits sechs Jahre nach der Bernsteins und das Tempo erscheint gegenüber den Tempi seiner beiden anderen Einspielungen aus Wien (1996) und London (1971) noch am adäquatesten. Das französische Orchester spielt klarer, motivierter und in Verbindung mit der Aufnahmetechnik vielschichtiger und einfach klangschöner als das New Philharmonia Orchestra London. Man könnte vermuten, dass in Paris besser geprobt wurde als in London. Dem Orchester fehlt es wie in seinen anderen Einspielungen an Sonorität und Glanz besonders bei den für den verführerischen Walzer so wichtigen Violinen. Manche Artikulation wirkt ein wenig gezirkelt oder buchstabiert, gerade wenn Maazel das Tempo arg drosselt. Dann erscheint ein walzerartiges Tanzen kaum noch möglich. Eine Eigenheit, die er auch in Wien 1996 noch an den Tag legt, die die Wiener Philharmoniker aber besser kompensieren können. Gut gefällt das Tam-Tam.
Der Klang der Aufnahme stellt eine deutliche Verbesserung gegenüber der EMI von 1971 dar, Sie wirkt hellhöriger. Die Streicher sind recht präsent, das Holz etwas weit entfernt.
4
Sir John Barbirolli
Hallé Orchestra
Everest
1959
11:47
Es gibt drei Einspielungen von „La Valse“ mit Sir John. Dies ist die mittlere. Für EMI wurde 1966 ein „Remake“ ebenfalls mit dem Hallé aufgenommen, das uns leider nicht vorlag. Die erste Aufnahme entstand 1940 mit den New Yorker Philharmonikern für Columbia (heute Sony). Das Orchester aus Manchester war 1959 noch nicht auf seinem Höhepunkt angelangt, zumindest was „La Valse“ anlangt. Da fehlt es noch an der nötigen Präzision im Zusammenspiel aber auch die solistischen Beiträge hinken in der Qualität anderen Orchestern der Zeit hinterher, z.B. den Bostonern oder im Falle von „La Valse“ auch dem Orchestre de la Suisse Romande Ansermets. Atmosphärisch gehen Spiel und Aufnahmetechnik jeder dekadent wirkende Unterton eines eventuellen Überflusses ab, das Spiel wirkt brav und dem Klang geht das großzügige, das generöse, das „in die Vollen gehen“ weitgehend ab. Der Steigerungsverlauf ist gut, der Schlusshöhepunkt ordentlich.
Der Klang der Aufnahme reißt das Orchester nicht heraus, denn es klingt wenig körperhaft und brillant, ein wenig dünn, jedoch schon räumlich und transparent. Der Bass ist etwas flach geraten, die Gran Cassa ordentlich, insgesamt wirkt der Klang 1959 aus Manchester wenig sinnlich.
4
Leonard Slatkin
Orchestre National de Lyon
Naxos
2012
12:37
Unter Leonard Slatkin spielt das schlank, recht präzise und wohlklingende Orchester (sehr schlank: die Violinen) mit zurückhaltendem Schwung und immer exakt an den Noten entlang. Es klingt wenig atmosphärisch und wenig eindringlich. Die Walzer wirken so neutral, ein wenig distanziert, ja lustlos, und gelangweilt. Jetzt könnte man meinen, damit ist ja schon alles gesagt und die Einspielung müsse nun eigentlich durchs das Netz fallen, das die guten von den schlechten Einspielungen trennt. Aber was, wenn Slatkin so den Überdruss der damaligen Gesellschaft in Ravels Musik mit eingepackt hat? Diese Möglichkeit sollte man offenhalten, wenngleich wir nicht annehmen, dass diese Tiefe beabsichtigt war. Irgendwie bleibt man in der korrekten Realisierung des Notentextes stecken. Den Blick auf das Große und Ganze hat man dagegen aus den Augen verloren, genau wie ein spannungsreiches Spiel bzw. eine spannungsreiche Gestaltung. Dabei tanzt man noch nicht einmal besonders langsam, man bleibt sozusagen in der „Normzeit“ des Mainstreams, aber es wirkt so träge, als wäre es viel langsamer. Jedenfalls machte auf uns das Orchester einen wenig geforderten Eindruck. Es nutzt sozusagen nicht die vorderste Stuhlkante, sonders man verbleibt auf der gesamten Sitzfläche. So scheint dies eine „rein musikalische“ Darbietung zu sein, die den zeitgeschichtlichen Hintergrund nicht explizit mit in die Gestaltung mit einbezieht bzw. ihn sogar zu ignorieren scheint.
Der Klang der Aufnahme hätte vielleicht eine höhere Platzierung möglich gemacht, denn er ist transparent bis ins ff hinein, voll, brillant, klangfarbenstark und homogen. In der Dynamik verhält er sich zurückhaltend. Das könnte jedoch auch alleine dem Orchester bzw. dem Dirigenten anzulasten sein, denn die Gran Cassa ist enorm präsent und durchschlagskräftig. Immerhin, die Gran Cassa wirkt hellwach und leistungsbereit.
4
Mikel Toms
Filharmonie Brno (Brünner Philharmoniker)
First Creative
2011
13:06
Von Mikel Toms ist nicht viel in Erfahrung zu bringen. Er ist Brite und war 2019-23 Resident Conductor des Symphony Orchestra of India in Mumbai und er hat einen guten Draht zum Orchester in Böhmen aufgebaut. In Brünn hört man das Blut auch in den ersten vier Takten bereits fließen, aber das Tempo ist von der langsamen Sorte. Das täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass das Orchester hellwach bei der Sache ist und von ausgezeichneter Qualität. Nur bei den Violinen muss man leichte Abstriche hinhehmen. Wir hören ein solistisch eloquentes, kammermusikalisch orientiertes Musizieren im großen Orchester, enorm detailreich und nuanciert, kraftvoll und beschwingt, aber ohne besonderen Nachdruck oder Drang. Man vermisst den Spannungsbogen vom Beginn bis zum Finale. Herr Toms dirigiert, als ob es um ein Ballett ginge mit rücksichtvollen Tempi für die Tänzer und Tänzerinnen. Demgemäß vermeidet er übermäßiges Rubato und vermeidet Exzesse jeder Art um den Tänzern den Vortritt in der Publikumsgunst zu gewähren. Es ist uns indes nicht bekannt, dass diese Darbietung tatsächlich mit einer Ballettaufführung in Verbindung gestanden hätte. Jedenfalls hält sich das „Prickeln“ beim Anhören dieser Einspielung trotz sehr vieler gelungener Details in Grenzen.
Der Klang der Aufnahme ist vorzüglich, körperhaft, dreidimensional und klar. Die Instrumente sind bestens ortbar sogar bis ins f hinein, im ff wird es dann leider verschwommen. Trotzdem ergibt sich ein harmonisches Gesamtklangbild. Das Orchester wirkt präsent, die Dynamik mächtig, nur die Wucht der Gran Cassa hält sich angesichts des sonst gebotenen in Grenzen.
4
Günter Herbig
Berliner Sinfonieorchester
Eterna
1979
13:53
Aufgenommen wurde in der Ost-Berliner Christuskirche. Der Beginn gefällt: Raunender Blutfluss und stark pochendes Herz führen zu einem plastischen Entstehungsprozess des Wiener Walzers. Danach lässt sich Günter Herbig viel Zeit für die Schönheiten der Musik. Man darf nicht vergessen, selbst Wien oder gar Paris waren damals noch Sehnsuchtsorte für die Musiker/innen des Orchesters, denn von Reisefreiheit konnte keine Rede sein. Vielleicht rührt es daher, dass die Walzermelodien trotz des gemächlichen Tempos so empathisch und doch noch recht lebendig musiziert werden. Das Orchester spielt homogen, solistisch klangvoll und eloquent mit einer sehr wohlklingenden Oboe. Details werden in den verschiedenen Stimmen sehr wenig hervorgehoben, hörbar sind sie nur innerhalb des großen natürlichen Musik-Flusses. Manchmal bremst Herbig den Schwung nochmals, dann wird es meist sehr breit, nach unserem Geschmack zu breit. Als wolle er gar nicht vom Walzer ablassen. Er leistet sich jedoch keinerlei Mätzchen beim Rubato, sehr spannend erzählt wirkt „La Valse“ bei ihm allerdings nicht. Es fehlt doch an Elan. Sehr gut gefällt uns das prima hervorgehobene Tam-Tam.
Das Klangbild wirkt sehr räumlich. Voll, körperhaft, weich und von hoher Transparenz. Der sehr angenehme Analogklang wirkt nicht hallig und sehr dynamisch, beim ff allerdings nur mit reduzierter Transparenz. Natürlich brillant wie auf einem der besten Plätze im Konzertsaal und mit voller, breitbandiger Dynamik.
4
Armin Jordan
Orchestre de la Suisse Romande
Erato
1986
13:02
Der Blutfluss in Genf ist nur ganz leise zu hören und nur etwas lauter der Herzschlag. Bedrohlich oder mysteriös wirkt das nicht. Das Orchester wirkt klanglich weich gerundet und sein Spiel sehr homogen. Da ist es noch etwas besser geworden als bei Ansermet, es hat jedoch an Lebendigkeit und leuchtender Farbkraft gegenüber 1963 merklich eingebüßt, was nicht gerade ein glanzvolles Licht auf die Aufnahmequalität Eratos wirft. Das Tempo ist auch für normal begabte Tänzer und Tänzerinnen der k.- und k.- Monarchie gut tanzbar, ohne zu Schweißausbrüchen zu führen. Wiener Schmäh wird allenfalls leicht angedeutet, insgesamt wirkt die Darbietung noch kraftvoll und geschmackvoll.
Das Klangbild wirkt gut geordnet, ein wenig distanziert, recht brillant und wenig körperhaft. Tiefenstaffelung und Dynamik sind gut. Als Zuhörer im Konzertsaal hätte man einen noch guten Platz im 2. oder 3. Drittel eines liebevoll ausgestatteten Konzertsaales erwischt. Mit erheblich reduzierter Blech- und Schlagzeugattacke.
4
Michael Tilson Thomas
San Francisco Symphony Orchestra
SFS Media
2019, live
13:02
Wie so oft bei den von der Diskographie her späten, also aus unserer Sicht neuen Aufnahmen dominieren auch bei MTT die getragenen Tempi mit reduziertem Schwung. Dafür lässt man sich besonders liebevoll auf die Details der Instrumentation ein. Der Orchesterklang wirkt so stark verfeinert, aber etwas leblos. Die tanzenden Paare neigen zur Behäbigkeit. Warum sollten sie es auch eilig haben, denn offensichtlich könnte das die letzte Walzerfolge ihres Daseins sein, in diesem Wissen scheint man schon den Tanzboden betreten zu haben. Gerne hätten wir etwas mehr Elan verspürt, vielleicht auch noch etwas Triebhaftigkeit und ungebremste Entdeckerfreude wären ebenfalls willkommen. Dem in wohlgeordneten Bahnen ablaufenden Finale geht das chaotisch- destruktive weitgehend ab.
Der Klang der Live-Aufnahme ist voll, rund, voluminös, gut gestaffelt, gar üppig. An Sinnlichkeit ließe er kaum was zu wünschen übrig, wenn der musikalische Aspekt etwas mehr Lebendigkeit verspräche.
4
Sylvain Cambreling
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg
Hässsler
2007
13:20
Diese Einspielung lässt einen plastischen Beginn hören. Das Orchester überzeugt mit geschmeidigem Spiel der Violinen und einem überhaupt farbenreichen Klang. Zunächst wirkt die Gestaltung durchaus kontrastreich, die noch unbeschwerten Walzer durchaus mit Schwung. Das Spiel wirkt präzise die Dynamik beachtlich. Spritzig oder angetrieben, straff oder gar quirlig wirkt es jedoch nicht. Zunächst könnte man annehmen, dass man sich noch genug Reserven für die erforderlichen finalen Steigerungen lässt, die treten jedoch nur in der Dynamik in Erscheinung, aber ohne die drängende Zuspitzung der besten. Spannung kommt im Verlauf kaum auf, gelassen und fast schon unbeteiligt-behäbig erscheint der Gesamteindruck. Zu Beginn konnte man noch auf mehr hoffen. Das Bedrohliche kommt viel zu kurz, das Tam-Tam erscheint passenderweise schwach.
Der Klang der Aufnahme ist sehr transparent, sehr räumlich und sehr gut gestaffelt, er wirkt warm, sonor und tiefgründig. Die Techniker haben gute Arbeit geleistet. Das Orchester wirkt leider, so wie es gerade in neueren, moderneren Einspielungen oft klingt, etwas zurückgesetzt, also nicht gerade superpräsent. „Bei uns sind sie mittendrin statt nur dabei“ wie bei den Living Stereo oder Living Presence-Aufnahmen 50 Jahre zuvor, kann da nicht mehr gelten. Als Ausgleich gibt es heute dann häufig eine so durchschlagskräftige Gran Cassa, dass sich die Balken biegen. In diesem Fall bereichert sie den Klang deutlich.
3-4
Marc Soustrot
Beethoven Orchester Bonn
MDG
2002
13:17
Das Bonner Orchester ist uns von Scriabins „Le Poème de l`Extase“ (mit Stefan Blunier) noch in bester Erinnerung (SACD). Es klingt auch unter seinem Vorgänger schon gut, detailgenau und farbig, allerdings ziemlich lahm und schwunglos. Da bietet das Dirigat Sylvain Cambrelings sogar noch etwas mehr. In den Wiener Walzern merkt man untergründig durchaus, dass da was nicht stimmt, zumal das Spiel des Orchesters durchaus eine individuelle Note aufweist, aber der große Bogen hängt durch bzw. wird gar nicht spürbar aufgespannt, dazu fehlt es an Spannung und Energie. So klingt es letztlich doch sehr gemütlich und das Finale wird in seiner destruktiven Großartigkeit geradezu verschenkt. Wie bereits bei Slatkin und vielen anderen modernen Einspielungen fehlt es einfach an Leidenschaftlichkeit.
MDG hat das Stück sehr leise und distanziert aufgenommen oder auf CD überspielt, was den musikalischen Gesamteindruck noch verstärkt. Es klingt dennoch sehr transparent und trennscharf. Wie so oft bei diesem Label hört man den ganzen Raum mit, in diesem Fall die Bonner Beethovenhalle. Auf dieser Einspielung ist man dem Konzertsaal-Feeling besonders nah. Die Möglichkeiten der Tonaufnahme, es für den Hörer noch besser zu machen, noch näher ran zu gehen und das Erlebnis noch unmittelbarer zu machen, die wurden nicht genutzt. Das Zauberwort heißt Präsenz. Man verfolgt bei MDG eine andere Hör-Philisophie. Natürlicher als bei MDG klingt es auch bei anderen Labels allerdings kaum einmal.
3-4
Ingo Metzmacher
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
EMI
2000, live
13:18
„La Valse“ war Teil des Millenium-Silvesterkonzertes das sowohl am 31.12.1999 als auch als Neujahrskonzert am 1.1.2000 mitgeschnitten wurde. Und zwar in der Laeiszhalle Hamburg (damals gab es die Elbphilharmonie ja noch nicht und selbst wenn, dann hätte dort das Hausorchester, die NDR Elbphilharmonie Orchester gespielt, wie wir von der Aufnahme mit Alan Gilbert vom Jahrgang 2022 wissen). Der Blutfluss ist nahezu unhörbar bei Pegelstellung Zimmerlautstärke, das Pochen des Herzes dagegen recht laut. Der Gestus der Walzer wirkt durchweg etwas schwerfällig und was die tänzerische Eleganz anlangt (es schunkelt mehr als dass es elegant dreht) bieder. Der Walzer als Ländler? Aus dem läppischen heraus wird aber dann im Verlauf immer mehr mit Pfeffer gewürzt, aber dennoch bleibt man, selbst wenn es dem turbulenten Abgrund entgegengeht hanseatisch gelassen, wird kaum leidenschaftlich oder gar feurig. Den Hanseaten bringt so schnell nichts aus der Ruhe, so scheint es. Das Orchester spielt jedoch sehr exakt und wirkt aufmerksam, es scheint vielmehr so, dass ihm das für ein Silvesterkonzert extrem schwierige Programm noch nicht ganz in Fleisch und Blut übergegangen ist, denn es hatte sich auf sehr viele Stücke (allesamt im 20. Jahrhundert komponiert) einzuhören, die ihm vor den Proben zumeist völlig unbekannt gewesen sein dürften. „La Valse“ war da noch eins der populäreren, aber für ein hauptberufliches deutsches Opernorchester sicherlich nicht gerade ein Repertoire-Stück.
Der Klang der Aufnahme ist recht transparent, recht dynamisch und recht gut gestaffelt, d.h. nichts ist richtig gut. Das Klangbild wirkt etwas weit entfernt und „blutleer“.
3-4
Neeme Järvi
Detroit Symphony Orchestra
Chandos
1991
12:03
Neeme Järvi, Vater von Paavo, dehnt und rafft die Walzer deutlich (nutzt also eine reichhaltige Agogik). Genauso verfährt er mit der Dynamik. Aus leise wird sehr leise, Lautes brüllt geradezu auf. Leider geht viel von der Attacke im extrem tiefen Klangbild durch die virtuell große Entfernung zum Hörer wieder verloren, genau wie die zweifellos gebrachte Lebendigkeit des Musizierens. Das Orchester brächte eigentlich genug Schwung mit ein und es bemüht sich hörbar um eine ordentliche Spannungskurve. Beides verliert sich jedoch in der Mittelbarkeit des übergroß erscheinenden Aufnahmeraums, genannt Detroit Symphony Orchestra Hall. Bei Chandos übrigens kein Einzelfall, oft konnte gar nicht genug Raumeindruck auf der Aufnahme drauf sein. Man will aber nicht den Raum hören, sondern die emotionalisierte Musik, die gerade gespielt wird. Hautnah und packend, zumindest einmal, wenn es um ein Stück wie „La Valse“ geht.
Der Klang der Aufnahme lässt das Orchester entfernt klingen und staffelt es dann auch noch extrem tief. Das Klangbild wirkt filigran und sehr wenig sonor. Es ist nicht ganz frei in den Höhen und wirkt als Ganzes wenig unmittelbar. Da wurde eine musikalisch hochwertige Einspielung durch eine unglückliche Klangtechnik im Wert in Mitleidenschaft gezogen.
3-4
Manuel Rosenthal
Orchestre du Théâtre National de l´Opéra de Paris
Vega, Adès
1957
12:27
Es wurde in der Pariser Oper (Palais Garnier) direkt aufgenommen. Obwohl Manuel Rosenthal 1925 Maurice Ravel kennenlernte, dessen letzter Schüler wurde mit dem ihn bald eine enge Freundschaft verband, fehlen die ersten vier Takte des Stückes. Es geht also gleich mit den Herzschlägen los, der das Blut entsprechen gut hörbar transportiert. Nach dem Motto: ohne Herzschlag kein Blutfluss. Die Stimmung wirkt dunkel und mysteriös. Die Walzer erklingen mit viel Leidenschaft aber längst nicht mit der emotionalen Hitze Munchs. Leider lässt die Aufnahme Nebenstimmen allzu oft im Ungefähren versinken. Wir vermuten, dass sie Ravel in aller Klarheit hören wollte, vermuten auch, dass Rosenthal das auch wusste, dass einfach unter den Gegebenheiten nicht mehr drin war. Der damals verfügbare Dynamikbereich wird voll ausgeschöpft bis zu einem leichten Übersteuern. Die Steigerungen werden mit Verve vorgetragen, durchaus sogar mit Feuer. Die Violinen des Orchesters klingen übrigens sehr hell (sogar für französische Verhältnisse), das ganze Orchester klingt wenig sonor. Die Oboe wirkt ebenfalls sehr hell, aber nicht so hart wie bei anderen französischen Orchestern der Zeit. Insgesamt spielt das Pariser Opernorchester nicht immer ganz präzise. Bemerkenswert: Das Ende wird wie ein Aufschrei gestaltet. Ohne weiteres würden wir die Einspielung als authentisch bezeichnen, aber leider waren damals weder die Orchesterqualität noch die schwache Aufnahmetechnik in der Lage, dies gebührend zu manifestieren.
Klanglich ist die Aufnahme dem einkomponierten Klangzauber des Stückes kaum angemessen. Überhaupt keine Gefahr für die 55er Einspielung Munchs. Man muss sich freuen, dass sie bereits in Stereo aufgenommen wurde. Die Tiefenstaffelung ist bereits erstaunlich ausgeprägt, aber das Orchester wirkt auch als Ganzes nach hinten versetzt. Die Breitenstaffelung wirkt hingegen fast noch monaural. Die Violinen klingen teilweise etwas gepresst. Insgesamt klingt es wenig körperhaft und leicht metallisch. Die Dynamik wäre ok, wenn sie im ff nicht so stark eingeregelt wirken würde.
3-4
Herbert von Karajan
Orchestre de Paris
EMI
1971
14:02
HvK war von 1969-71 Conseiller musical des Orchestre de Paris, also musikalischer Berater. Eigentlich sollte er Nachfolger des verstorbenen Charles Munch werden und das Orchester, damals noch kein Weltklasseensemble suchte durch die Verpflichtung „Weltgeltung“ zu erlangen. Da er gerade mit den Berlinern „Zoff“ hatte, war er nicht abgeneigt, eine weitere Chefposition zu übernehmen. Er versuchte die Qualität zu steigern, was ihm jedoch wegen der „faiblesse“ des Orchesters nicht nach seinen Vorstellungen gelang. Und da sich das Verhältnis zu den Berlinern wieder besserte und sein Terminplan ohnehin sehr angespannt war, verzichtete er auf das Angebot aus Paris. In diesen zwei Jahren blieb die Chefposition also vakant. Danach übernahm Georg Solti, der jedoch auch schon bald wieder das Handtuch warf. „Faiblesse“ heißt zwar eigentlich Schwäche, Karajan meinte aber eigentlich das Orchester wäre „faul“ (im Sinne von träge oder müde, auch lustlos).
Allerdings klingt das Orchester, das in Sachen „La Valse“ bis heute eine lange Tradition an Aufnahmen aufbieten kann, viel voller als bei André Cluytens (1963) und immer noch etwas voller als bei Jean Martinon (1975). Es klingt insgesamt gut, besonders die Streicher, da meint man fast die Berliner zu hören. Bis das erste Holz einsetzt, dann ist die Illusion vorbei. Es gibt durchaus kraftvolle Kontraste und brillante Soli. Das Musizieren wirkt jedoch starrer, weniger lebendig als bei den beiden französischen Dirigenten. Wobei damit nicht gemeint ist, dass sich Karajan nicht auf Wiener Walzer verstehen würde. Für Transparenz bei leisen und mittellauten Passagen ist gesorgt, die Hallenakustik (so muss man den Aufnahmeraum wohl nennen) verhindert jedoch, dass das im ff so bleibt. Das Finale bekommt daher Züge des Bombastischen. Das Spannungsniveau bewegt sich im mittleren Bereich. Dies ist die langsamste Einspielung von „La Valse“ in der ganzen Liste (gemeinsam mit der sekundengenau gleichlangen Leon Botsteins). Karajan scheint es nicht gerade geliebt zu haben, denn er hat es nur ein einziges Mal eingespielt.
Der Klang zeigt eine breit und tief abgebildete „Hallenakustik“, wie sie damals in Paris gepflegt und gerne aufgenommen wurde. Im ff wird es nebulös.
3-4
Dmitry Liss
Ural Philharmonic Orchestra, Jekatarinenburg
Fuga Libera
2022
13:00
Seit 20 Jahren ist Dmitry Liss Chef in Jekatarinenburg, einer Stadt mit ca. 1,4 Millionen Einwohnern. Aufgenommen wurde in der Staatsphilharmonie Swerdlowsk. Der Orchesterklang ist vollmundig, man spielt mit Bedacht, klangschön, weich und geschmeidig. Es klingt nicht nach Orchesterprovinz und ein spezifisch russischer Charakter im Klang ist nicht mehr feststellbar. Behutsam und elegant entwickelt sich der Tanz aus der „Ursuppe“ aus Blut und Puls. Hohe Deutlichkeit geht mit einer dynamisch zurückhaltenden Gestaltung einher. Bei den subtilen, gemütlichen Walzern scheint die Welt noch in Ordnung. Bis sie immer mehr zerpflückt werden und immer seltsamer klingen. Die Steigerung gegen Ende ist spürbar, aber nicht soghaft. Das gemütliche Tempo und die vorsichtige, risikoarme Spielweise wirkt einer katastrophischen Schlussgestaltung entgegen. Insgesamt moderat.
Am Klang der Aufnahme fällt der tiefreichend, klare Bass auf, Transparenz und Staffelung sind sehr gut. Der Orchesterklang wirkt sehr gut angenehm und gut ausbalanciert Wir können uns an kaum eine Einspielung erinnern, bei der die Gran Cassa so tief und mächtig klingt wie hier.
3-4
Zubin Mehta
Israel Philharmonic Orchestra und Berliner Philharmoniker
Sony
1990
12:20
Zubin Mehta setzte „La Valse“ immer wieder gerne auf seine Programme. Dieses Mal führt er einige Musiker der Berliner Philharmoniker am Ende ihrer Tournee durch Israel mit „seinem“ Israel Philharmonic zusammen, um „La Valse“ aufzuführen. Ein Projekt zur Verbesserung der Völkerverständigung. Der Event-Charakter dominiert hier die musikalische Gestaltung. Die ersten vier Takte sind (mal wieder) unhörbar und die Darbietung erreicht lange nicht die Eloquenz von Mehtas 79er Einspielung in New York. Die New Yorker spielen einfach besser, d.h. homogener, lebendiger, farbiger. Im Vergleich sogar zur Einspielung von 1970 in L.A. wirkt die Klimax hier flacher. Immerhin ragen die Schlusseruptionen aus dem Vorangegangenen deutlich heraus. Trotzdem: Gegenüber ´70 ziemlich lau, erst recht gegenüber ´79.
Auch die Klangtechnik kann nicht überzeugen, denn es klingt wieder so distanziert, sogar ziemlich flach, nicht so gut gestaffelt und nicht mehr so dynamisch. Auch jetzt dürfen wir wieder festhalten: Wenn Mehta, dann die New Yorker Einspielung von 1979.
3-4
Jean-Claude Casadesus
Orchestre National de Lille
Harmonia Mundi
1992
13:12
In der ersten Einspielung des Dirigenten bringt das saubere Spiel des Orchesters noch gerade so genug Schwung für die Walzer mit, um sie lebendig zu halten. Sein Klang ist nicht mehr besonders „französisch“, es klingt schon international. Besonders die Streicher (da immer besonders wichtig: die Violinen) könnten noch mehr Homogenität und ein satteres Volumen mitbringen. Gerade die klangliche Üppigkeit ist ja wichtig, um den Belle époche-Charakter besonders plastisch zu machen. Besonders eben der Schmelz der Violinen, aber auch den dekorativen Elementen in den Bläsern tut ein gewisser Glanz gut. Die Spannung kann nicht bruchlos aufrecht gehalten werden. Die Schluss-Katastrophe klingt energisch, aber kaum umwerfend.
Auch dieses Klangbild aus den 90er Jahren wirkt distanziert, wenig sonor, wenig körperhaft und ein klein wenig höhenlastig. Die Transparenz ist gut, die Räumlichkeit hält sich in Grenzen. Insgesamt hätte ein Mehr an Üppigkeit gutgetan. Die Gran Cassa klingt impulsiv, aber auch das Tam-Tam ist deutlich hörbar, was längst keine Selbstverständlichkeit ist.
3-4
Lorin Maazel
New Philharmonia Orchestra, London
EMI
1971
11:56
Für die Jahre 1970-72 wurde Lorin Maazel dem greisen Otto Klemperer als Leiter des Londoner Orchesters zu Seite gestellt. Mit ihm hat er „La Valse“ zum ersten Mal eingespielt. Bei den weiteren Malen hat er das Ergebnis stets verbessert. Diese Einspielung ist geprägt von einer gewissen Unruhe, ja Nervosität. Sie beginnt mit besonders laut vorbeirauschendem Blut und das Herz pulsiert dazu ebenso laut. Dies ist Maazels schnellste Einspielung, sie bringt zwar den meisten Schwung mit, aber Schwung ist leider nicht alles. Es wird vor allem mehr oder weniger nervös an der Hauptstimme entlang musiziert. „La Valse“ wirkt so einfacher konstruiert als es tatsächlich ist. Man ergründet die Tiefen des Werkes nicht. Das Spiel des Orchesters wirkt stets etwas „ungepflegt“ oder wenn man so will: „hemdsärmelig“. Vor allem wenig präzise und nicht besonders klangschön. Herr Maazel dirigiert ziemlich stur durch. Die turbulente Steigerung lässt er sich hingegen nicht entgehen und spitzt sie gut zu, nur um am Ende stark zu verbreitern. Das wirkt alles noch etwas uninspiriert oder besser „kopflos“. In den beiden folgenden Einspielungen hat der Dirigent seinen damaligen Ansatz korrigiert.
Die Aufnahmequalität stellt auch für das AD 1971 kein Ruhmesblatt für EMI dar. Es klingt nicht sonderlich transparent, die Violinen etwas gepresst und nicht gerade voll. Das Schlagwerk wirkt teils schrill. Insgesamt wirkt das Orchester wenig sonor.
3-4
Kurt Masur
New York Phiharmonic Orchestra
Teldec
1996, live
13:13
Nach Bernstein, Boulez und Mehta, ließ es sich auch Kurt Masur nicht nehmen „La Valse“ mit den New Yorker Philharmonikern einzuspielen. Und zwar in der Avery Fisher Hall, die ab 2015 David Geffen Hall heißt. Blutfluss und Herzschlag sind beide nur sehr leise zu hören. Man kommt nur schwer(fällig) in Fahrt und bleibt dann auch bei den Walzern „bedeutungsschwer“ und wenig schwungvoll. Das Orchesterspielt hat ein recht hohes Niveau, allerdings kann es mit Masur (allen damaligen Unkenrufen zum Trotz) nicht mit der Besetzung von 1979 unter Zubin Mehta mithalten. Viele behaupteten damals, die Qualität während der Ära Mehta (der übrigens bis heute die längste Amtszeit als Chef der New Yorker aufzuweisen hat, hätte sich verschlechtert. Die Disziplin hätte stark nachgelassen. Allerdings fand die Einspielung von „La Valse“ 1979 ganz am Anfang von Mehtas Amtszeit statt und bekanntlich wohnt ja jedem Anfang ein Zauber inne. Jetzt (mit Masur) klingen die Violinen jedoch stunpf und das ganze Orchester wenig strahlend, was aber auch an der topfigen Aufnahmequalität liegen mag. Das lässt sich immer schwer beurteilen. Es kann aber auch kaum mit den Cleveländern mithalten, ob mit von Dohnanyi oder Ashkenazy. Die Walzer klingen durchweg wenig elegant, eher germanisch schwerfällig als leicht und luftig-französisch. Allerdings ist „La Valse“ von Anfang an eine ernste Angelegenheit. Etwas mehr Esprit hätte nicht geschadet. Das Finale klingt massiv.
Die Aufnahme klingt lange nicht so frisch und lebendig wie die 79er mit Mehta. Das Orchester ist jedoch breit, allerdings wenig in die Tiefe hinein gestaffelt. Es scheint sich alles auf einer Ebene abzuspielen. Der Klang wirkt wenig sonor, kaum richtig brillant und wenig luftig (vice versa erstaunlich dicht und dick). Der Bass wirkt weder kräftig noch konturiert, die Gran Cassa klingt schwach. Vom Publikum bekommt man kaum was mit.
3-4
Sergiu Celibidache
Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR
DG
1976, live
12:43
Sergiu Celibidache hatte, nachdem er einige Jahre (1945-52) als ad interim Chefdirigent der Berliner Philharmoniker fungierte, bis Wilhelm Furtwängler wieder eingesetzt wurde, längere Zeit keine Chefposition mehr inne, wenn man von der nur ein Jahr währenden Episode beim Orchestre National de France einmal absieht. Beim WDR war er immerhin „im Gespräch“. Danach war er (1961-78) Musikdirektor beim Orchestra Sinfonica Siciliana in Palermo, 1972-79 als Leiter des RSO Stuttgart bis er dann von 1979 bis zu seinem Lebensende 1996 GMD der Stadt München (der Münchner Philharmoniker) wurde. Diese Aufnahme erfolgte in der Stuttgarter Liederhalle. Geräusche von Blut und Herz sind nur ganz leise hörbar. Das Orchester spielt ungleich detailreicher als 1969 in Milano, das merkt man sofort. Der Walzer setzt sich ganz langsam zusammen, erklingt dann aber leidenschaftlich. Allerdings wirken die Attacken nur eher sanft, die Akzente gedämpft und von besonderer Klarheit kann keine Rede sein, gerade im Tutti wirkt der SDR-Klang (so hieß der SWR damals noch) verschwommen. Das Orchester spielt andererseits häufiger mal viel zu laut, insgesamt jedoch schlanker und eleganter als das in Milano 1969. Die dynamischen Gegensätze werden über das damals technisch sauber zu realisierende Maß hinaus ausgereizt. Die Steigerungsstrategie mutet hitzig an. Mit besonders viel Becken-Einsatz. Gerade die werden leider nicht sauber aufgenommen.
Gegenüber der Mono-Aufnahme von 1969 aus Mailand stellt die Klangqualität aus Stuttgart bereits eine Verbesserung dar. Sie wirkt transparenter und räumlicher. Leider geht die Transparenz an lauten Steller geradezu ein, der Klang wirkt dann klotzig. Die Violinen klingen wider Erwarten ziemlich rau, der Gesamtklang oft schrill. Das ist leider kein Ruhmesblatt für die Techniker des SDR und man wundert sich, dass man bei der DG ausgerechnet diesen Mitschnitt zur Veröffentlichung ausgewählt hat.
3-4
Veronica Dudarova
Moscow State Symphony Orchestra
Calliope
2004
12:35
Frau Dudarova wurde die Leiterin dieses Moskauer Orchesters im Jahre 1947 und leitete es für 60 Jahre. Darüber hinaus gründete sie das Symphony Orchestra of Russia. Sie gestaltet das Werk spannend, dynamisch und frisch, immer um den tänzerischen Ausdruck bemüht. Sie lässt die Violinen leuchten, aber im ff hat der Orchesterklang nicht mehr viel Edles an sich. Die Dirigentin schont das Orchester keineswegs und mitunter scheint ihr Dirigat geradezu direkt auf das Ende hin ausgerichtet. Auffallend und nur in dieser Einspielung beobachtet: Der Orchesterklang scheint bisweilen in mehrere Teile zu zerfallen, was der Einspielung einen heterogenen Anstrich verleiht.
Um noch etwas genauer auf die Klangqualität der Aufnahme einzugehen, die jedenfalls nicht das vom AD 2004 erwartete verspricht: Im Tutti klingt das Orchester, als ob man in einem riesigen leeren Ballsaal spielen würde, man nutzt einfach viel zu viel Hall. Das Blech klingt im ff verzerrt (besonders die Trompeten) und deckt dann das restliche Orchester zu. Es gibt wechselnde Akustiken mit unterschiedlichen Hallzugaben. Zudem ist manchmal der Einsatz des Begrenzers zu bemerken, der anscheinend Übersteuerungen vermeiden soll.
3-4
György Lehel
Budapest Symphony Orchestra (Sinfonieorchester des Ungarischen Radios und Fernsehens)
Hungaroton
1972
12:02
Zu Beginn wirkt die Einspielung plastisch, es handelt sich um eine Analogaufnahme, die wie so oft, vor allem in und vor den 50er Jahren, die leisen Passagen viel lauter darstellt, als man sie im Konzertsaal hören würde. Das Orchester klingt über weite Passagen sonor, voll und gut eingestellt auf die Erfordernisse des Werkes. Man spielt ziemlich tempokonstant. Dem Orchester fehlte damals die solistische Klasse und es könnte glanzvoller klingen. Im ff fehlt es an Durchschlagskraft und je höher die Erregungskurve steigt, desto schlechter ist es mit der Transparenz des Orchesters bestellt. Alles wirkt etwas gedrungen, es fehlt an Clarté. Beides geht vor allem auf das Konto der Aufnahmetechnik. Transparenz wird nur bis zum mf geliefert und vor allem in den solistischen Passagen. Im ff klingt es dann sehr dicht, man könnte auch sagen: klotzig. Ein undurchdringliches Konglomerat.
3-4
Jean-Claude Bernède
Orchestre des Concerts Lamoureux
Forlane
1986
11:57
Diese Einspielung wurde mit dem Orchester der Uraufführung am Ort der Uraufführung gemacht, dem Théâtre des Champs-Élysées. Vielleicht sogar ein Jahr vor seinem 50.Todestag (1937) zur Veröffentlichung an demselben 1987. Die vier Anfangstakte sind vorhanden und der sehr leise zu vernehmende Herzschlag hört sich so an, als würde er von der Pauke gespielt und nicht als Pizzicato von den Kontrabässen. Auch die Harfe vernimmt man nicht als solche. Als man dann auch noch die Bratschen ganz andere Noten spielen hört als bisher und als sie in unserer Dover-Partitur stehen, setzte sich der Gedanke durch, dass es wohl eine zweite Fassung der Partitur geben könnte. Das Orchester kann man in dieser Aufnahme nicht zu den besten zählen, die Violinen klingen weniger homogen, die solistischen Bläser eher blass. Nebenstimmen gehen häufig verloren und der Walzerrhythmus geht kaum unter die Haut. Ein Spannungsverlauf ist spürbar aber kaum als mitreißend zu charakterisieren. Insgesamt kann diese Einspielung - bis auf die genannten Abweichungen zum Gewohnten - kaum mit eigenem Profil hervortreten.
Das Orchester wirkt distanziert aufgenommen und klingt flächig, insgesamt immerhin meist ganz deutlich. Man muss aber richtig gut die Ohren spitzen, um alles mitzubekommen. Das Holz klingt durchweg recht leise.
3-4
Leon Botstein
American Symphony Orchestra
ASO (Eigenlabel des Orchesters)
2012, live
14:02
In dieser Aufnahme bleiben die ersten vier Takte wieder unhörbar. Im Verlauf jedoch ist das Orchester mit allerdings sehr langsamen Tempi ausgezeichnet durchhörbar. Das Tänzerische wird nicht geleugnet aber auch nicht gerade forciert. Die Melancholie oder das Nostalgische sich zurücksehnen schlägt voll durch. Es wird völlig ohne Druck oder Drang nach vorne musiziert in schönster Gelassenheit, wie im konventionellen Johann-Strauß-Rahmen, ohne bereits Böses vorausahnen zu lassen. Das Schlagwerk allerdings spricht dem dagegen, denn es ist besonders präsent. Ab Zi. 30 wird nochmals verlangsamt und dann ab Zi. 46 erneut. Dann ist fast Stillstand erreicht, tanzbar ist das wohl kaum noch. Auch im Durcheinanderwirbeln der Walzerfetzen bleiben Langsamkeit und völlige Transparenz die dominierenden Qualitäten der Wiedergabe. Es gibt keinerlei Zuspitzung. Ein Tanz der Geronten oder ein Tanz für den Partiturleser? Das ff oder gar fff wird vor allem durch die Gran Cassa erreicht, alle anderen Instrumente wirken fast lasch. Dynamisch erreicht man so gegen Ende eine große Steigerungswelle, aber außer Atem gerät man dabei überhaupt nicht. Und die Spucke bleibt einem auch nicht weg.
Wie beim Label ASO üblich ist die Aufnahme sehr transparent und räumlich. Dieses Mal ist sie ein besonderes Fest für die Gran Cassa. Das dynamische Spektrum ist daher sehr weit. Insgesamt ist die Einspielung klanglich besser als musikalisch.
3-4
Noriaki Kitamura
Warschauer Philharmoniker
NKB Records
2013
13:45
Diese Einspielung bietet ebenfalls ein langsam und leicht gedehnt wirkendes Tempo. Es wird sehr sorgsam und detailreich musiziert, dabei jedoch die Intensität außeracht gelassen. Es gibt sehr wenig Zuspitzung und der Druck oder auch Drang bleibt nahezu aus. Die ff verpuffen ein wenig im weiten Rund der Warschauer Philharmonie. Musikalisch wirkt die Darbietung wenig prickelnd. Das Finale wird zu akribisch-akademisch gelesen, ausgezirkelt und buchstabengenau, wenig lebendig, wenig mitreißend. Immerhin klanglich gut.
Der Klang der japanischen Aufnahme wirkt weitläufig, sehr räumlich und besonders dreidimensional. Warme Klangfarben und weicher Streichersound dominieren. Sehr klar ist auch der Bassbereich, die Gran Cassa stark (übrigens bei allen Lautstärken) durchzuhören. Dynamisch überwältigt die Einspielung nicht, sie wirkt jedoch sehr natürlich und kommt einer Konzertsaalakustik sehr nahe.
3
Claude Monteux
Royal Philharmonic Orchestra, London
Decca-Phase IV
ca. 1968
13:01
Claude Monteux, der Sohn Pierre Monteux, dürfte den meisten Musikfreunden eher als Flötist bekannt geworden sein. Besonders die Einspielungen der Flötenkonzerte Mozarts mit seinem Vater (Decca) bzw. Neville Marriner (Philips) werden in vielen Platten- oder CD-Regalen zu finden sein. Als Dirigent scheint er weniger hervorgetreten zu sein, zumindest einmal diskographisch. 1953-56 war er Chef des Columbus Symphony Orchestra und 1959-1975 Chef des Hudson Valley Philharmonic. Zu Beginn wirkt die Einspielung atmosphärisch und späterhin schwungvoll. Durch das aufnahmetechnische Blow-Up von einzelnen Solisten oder gerade einmal wichtig erscheinenden Gruppen droht dem Stück der Zerfall in einzelne Episoden. Es gibt kaum Rubato, die Walzer wirken fast wie vom Metronom dirigiert. Sicher war das wichtig, weil wegen des speziellen Aufnahmeverfahrens viel geschnitten werden musste. Solisten wurden auch mal kurz umgesetzt, wenn es dem Effekt dienlich war. Da konnte man den nächsten Take besser anfügen, wenn das Tempo konstant blieb. Das Orchester spielt eigentlich engagiert, klingt aber hart und rau. Man hat bei diesem Aufnahmeverfahren erstmalig mit 20 Mikrophonen gearbeitet, das hat ebenfalls vieles verkompliziert. Selten klang „La Valse“ so nebenstimmenarm. Schwache Steigerungen, kein Wunder, wenn man andauernd beim Spiel unterbrochen wird.
Noch ein paar ergänzende Worte zum doch ziemlich speziellen Klangeindruck: Im Prinzip klingt alles präsent, nahezu alles gleich präsent. Im Raum wirkt der Gesamtklang des Orchesters synthetisch zusammengesetzt. Im ff wirkt der Raum stark beengt und im p gibt es das berühmt-berüchtigte Blow-Up (siehe oben, das Heranzoomen von Einzelschallereignissen), als ob ein starker Scheinwerfer darauf gerichtet werden würde, dann wirkt der Klang zumindest einigermaßen transparent. Wenn dann die Bühne nicht von diesem einzelnen Solinstrument allein eingenommen wurde. Es gibt zudem wenig Klangfülle und manche Instrumente wirken gespenstisch laut, dieses Mal waren es das Glockenspiel und die Hörner. Der „Zahn der Zeit“ hat klangtechnisch nicht viel Gutes an dem damaligen Experiment gelassen.
3
Daniel Barenboim
Orchestre de Paris
DG
1981
13:12
Dass diese Einspielung im gleichen Jahr wie die mit Abbado und dem LSO bei DG eingespielt wurde, legt den Vergleich der beiden besonders nah. Anfangs wirkt die Aufnahme Barenboims noch klar und räumlich, aber desto mehr Stimmen sich hinzugesellen, desto mehr gehen verloren. Im ff hört man dann nur noch die Instrumente, die am lautesten spielen können, d.h. Blech und Schlagwerk. Im Verlauf wird die Stimme der ersten Violinen häufig deutlich bevorzugt. Die komponierten Kontraste zwischen pp und ff wirken nie richtig ausgespielt. Das Zusammenspiel im Pariser Orchester erfolgt lange nicht so nahtlos wie beim LSO mit Abbado. Der tänzerische Aspekt wirkt allzu träge oder behäbig. Das könnte man als Sinnbild für eine überalterte Gesellschaft noch verstehen. Vielleicht sogar auch (dann aber schon mit viel Wohlwollen), dass ihm das Geschmeidige und Sinnliche fehlt. Immer im Vergleich zu Abbado. Der Verlauf wirkt so tastend und zögerlich, ohne echten Schwung. Dass sich die einzelnen Texturen überdecken, dürfte jedoch kaum im Sinne des Klardenkers Ravel gewesen sein. Entsprechend ist Barenboim von der Clarté Abbados weit entfernt. Von Raffinement oder Eleganz ist kaum etwas spürbar. Das Spiel wirkt ziemlich zerfahren, denn man hat den Eindruck, dass kein konzises Tempo durchgehalten wird. Und wo bleibt die unterschwellige Dämonie, die mache Einspielungen mitbringen? Davon konnten wir nicht viel entdecken, denn die Tempi wirken so unorganisch auf uns, dass sie ablenken. Auch im Finale bringt das OdP lange nicht die Präzision des LSO auf, es wirkt dagegen ziemlich ungeschlacht und plump.
Dass die Aufnahmequalität zu einer Verschleierung der Texturen geführt hätte kann nicht angenommen werden. Die DG-Technik scheint gute Arbeit geleistet zu haben. Der Orchesterklang wirkt brillant eingefangen, transparent und dynamisch. Da hat sich die DG gegenüber Barenboims Einspielung von „Le chasseur maudit“ sogar noch verbessert. Man muss annehmen, dass das was man hört und das was man nicht hört, auch so im Aufnahmeraum geklungen hat.
3
Kenneth Jean
CSR Radio Symphony Orchestra (heute: Slovak Radio Symphony Orchestra), Bratislava
Naxos
1990
13:03
Auch in Bratislava gibt es keinen Blutstrom bevor das Herz pizzicato schlägt. Seltsam, wie nonchalant so viele mit den ersten vier Takten umgehen. Der erste Walzer setzt sich erst einmal mühevoll zusammen, dann ab Zi. 13 zeigt sich, dass Bratislava gar nicht weit von Wien entfernt ist. Das Orchester scheint den Rhythmus im Blut zu haben und macht einen gut geprobten Eindruck. Allerdings klingen die Violinen ziemlich dünn aber einfühlsames Spiel kann man ihm nicht absprechen. Es fehlt jedoch am rechten Schwung, der nostalgische Rückblick oder aber das Alter der Tänzer macht sich bremsend bemerkbar. Selten hapert es einmal bei der Präzision des Zusammenspiels. Leider wirkt das Finale wegen des allzu langen Nachhalls in der leeren Konzerthalle des Tschechoslowakischen Rundfunks allzu diffus. Der Klang ist der Hauptgrund für die relativ schlechte Einordnung dieser Einspielung. Mit einem Top-Klang ausgestattet wäre locker eine Kategorie höher möglich.
Diffus bleibt diese Einspielung leider auch noch, wenn der Nebel sich lichtet und die Kronleuchter erstrahlen. Der Klang bleibt kühl, etwas entfernt, dünn und leicht gepresst. Etwas mehr Dämpfung hätte dem metallisch-harten Klang der leeren Konzerthalle gutgetan (z.B. Publikum), dann klänge es gleich viel wärmer und nicht mehr so hallig und diffus.
3
Lionel Bringuier
Tonhalle Orchester Zürich
DG
ca. 2015
11:00
Monsieur Bringuier war der Nachfolger von David Zinman und Chefdirigent und Musikdirektor des Tonhalle Orchesters 2014-2018. Angesichts der Leistungen deren das Orchester, wie in vielen Einspielungen zu überprüfen ist, registrieren wir bei dieser Einspielung von „La Valse“ ein enttäuschendes Ergebnis. Man hatte sich einfach mehr erwartet. Erneut gibt es in den ersten vier Takten keinen Blutfluss, da muss erste das pizzicato der Bässe her, dann erst pulst es. Der zur Zeit der Aufnahme ca. 29jährige Dirigent schlagt zwar ein flottes Tempo an, dies aber zum Preis, dass sie Nebenstimmen im Ungefähren verbleiben. Das Orchester spielt eigentlich klangvoll und mit seinen sehr guten Violinen auch weich, aber doch seltsam dumpf. Die Walzer werden alles andere als zelebriert, das ginge bei dem Tempo schwerlich, sie wirken eher wie abgehandelt. Zumeist gibt es nur wenig Agogik, es klingt wie gehetzt, einfach oberflächlich. Bei dem Tempo wäre einiges an emotionaler Hitze herauszuholen gewesen, wie es einem Charles Munch anno 1955 gelang. Komplexe Passagen wirken einfach nicht transparent genug. Dem sehr schnell gespielten Schluss fehlt die emotionale Eindringlichkeit. Vom eigentlichen Wesen von „La valse“, so ist man sich am Ende gewiss, hat man nicht viel gehört.
Die Klangtechnik, so meint man es zu hören, sollte sich eigentlich nicht schlecht auf die Musik auswirken, daher würde man meinen, dass das Orchester transparenter klingen müsste. Klingt es aber nicht. Es klingt eigentlich offen und gut gestaffelt, es gibt einen profunden, tiefen Bass, aber insgesamt wenig Glanz, gerade wenn man sich das AD anschaut.
3
Djansug Kachidze
Tiflis Symphony Orchestra
HDC
AD ?
13:12
Der georgische Dirigent war u.a. Schüler von Igor Markewitsch. Von 1973-93 war er Chefdirigent des Georgischen Staatsorchesters und 1982-2002 künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Opern- und Ballett-Theaters Tiflis. 1993 bis zu seinem Tod 2002 war zudem Leiter des von ihm gegründeten Sinfonieorchesters Tiflis. Gespenstisch nah und laut, wie Blutfluss und Pulsschlag in Tiflis loslegen, so als ob beides direkt in den Ohren stattfindet. Da könnte man sich noch freuen auf das was kommt. Der Aufstieg des Walzers aus den Urgründen der Biologie erfolgt langsam und bedächtig, aber plastisch. Die ff-Akzente wirken schon fast brutal. Die Walzer werden zwar besonders verschiedenartig dargestellt, es fehlt jedoch generell an Schwung und „Drehmoment“ für die Walzer und die Crescendi wirken nicht ausgereizt, da leider alles sowieso schon sehr, sehr laut klingt. Bei Steigerungen wirkt der Klang im ff oft lärmend. Da geht die klare Durchzeichnung verloren. Das Orchester spielt eigentlich respektabel und engagiert, der Klang der Aufnahme mindert den Wert der Darbietung jedoch empfindlich. Das Finale geht in überlauten Klangschwaden geradezu baden. So grässlich in Klang gefasst dürfte sich Ravel sein Werk, vor allem sein Finale kaum vorgestellt haben. Mit Walzer, k. und k. Monarchie und mondäner Lebensführung geht in Tiflis leider auch die Klangtechnik unter. Erstzunehmende Darbietung, sehr schlechter Klang.
Dies ist die mit Abstand lauteste Einspielung von allen. Der Aufsprechpegel lässt das pp schon so laut klingen wie sonst ein f. Da ist kein Potential mehr für die echten f und ff. Man müsste immerzu die Lautstärke nachregulieren. Im p-Bereich klingt die Aufnahme sehr räumlich, der Konzertsaal wirkt dann riesig. Den dahinschwebenden Klängen fehlt schon dann jede festere, greifbare Kontur. Insgesamt wirkt das Klangbild hell, etwas schrill und wenig sonor. Es kommt oft zu Überlagerungen, sodass der Klang (ab mf) undeutlich wird. Mit Publikum hätte es vielleicht sogar besser geklungen.
Die Mono-Einspielungen:
5
Igor Markewitsch
Philharmonia Orchestra, London
EMI, Intense Media
1952
11:06
Diese Einspielung entstand im Abbey Road Studio No. 1 und scheint weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein. Von Igor Markewitsch gibt es auch noch eine spätere, langsamere Einspielung mit dem Orchestre National de France von 1980, die weit weniger dringlich wirkt. Aber wie diese erscheint auch der 52er Jahrgang dunkel, misterioso aber von der Struktur her klar. Blut und Herzschlag sind deutlich zu hören, sogar diese Details wirken bereits intensiver gespielt als üblich. Der Ausdruck wirkt ausgesprochen unruhig, fast nervös und rastlos, so als könne man es vor Spannung kaum erwarten, wie es in dem Stück denn nur gerade weitergeht. Nicht wie bei Maazel 1970, da wirkt es unruhig wie aus Unsicherheit heraus. Markewitsch nutzt viel Rubato, was mithilft, dass der Hörer das Werk geradezu durchlebt. Da scheinen nun junge Paare zu tanzen, in seiner Aufnahme aus den 80ern waren sie wohl eine Generation älter. Da ist nun ebenfalls der Geist eines Munch oder Leibowitz´ zu hören. Die Höhepunkte werden mit Leidenschaft geradezu konvulsivisch angegangen., besonders dramatisch und expressiv, hochkonzentriert und mit der gewissen Unbedingtheit im Ausdruck. Wie in seinen beiden Einspielungen des „Sacre“ ebenfalls mit dem Philharmonia und ebenfalls aus den 50er Jahren. Bissig und abgründig. Eine enorm spannende Meisterleistung, an die Markewitschs eigene Aufnahme von 1980 nicht mehr herankommt. Sie klingt viel besser als der Mitschnitt mit Victor de Sabata ein Jahr später.
Der Klang der Aufnahme ist bereits sehr transparent und plastisch und für 1952 enorm dynamisch. Nur ein wenig scharf was Schlagwerk und Oboe anlangt und generell was das ff betrifft.
5
Victor de Sabata
Wiener Philharmoniker
Archipel
1953, live
10:22
Dies ist eine Aufnahme live von den Salzburger Festspielen. Diese Einspielung lässt eine auffallend kurze und prägnante Phrasierung hören bis der erste Walzer kommt, dann wird geschwelgt aber zugleich ein sagenhaft mitreißendes Tempo entfacht. Man könnte fast von einem Wunder sprechen, denn zum atemberaubenden Tempo kommt auch noch eine geradezu rubatoselige Freiheit im Umgang mit den Walzern. Zugleich übt der Dirigent aber eine extreme Kontrolle über das Orchester aus, das daher sehr präzise bleibt. Aus diesem Verhältnis aus Freiheit einerseits und Kontrolle andererseits wird zusätzlich Spannung erzeugt. Hinzu kommt dann noch das teilweise geradezu überstürzende Tempo. Immer wieder lässt de Sabata die Walzerseligkeit heftig mit destruktiven Elementen kontrastieren (sonst nimmt man sie kaum so explizit als destruktiv wahr). Dies ist vielleicht die Version mit dem virtuosesten Orchesterspiel und dem meisten Geigenschmalz, dem man sich jedoch nie anvertraut, auch den sogar teils jubilierenden Geigen nicht., denn die gerade erzeugte Stimmung wird sogleich wieder aufgebrochen auch bereits während der normalen Walzerkette. Das setzt sich während der Übergänge fort, die noch mehr überstürzt werden. Es ist sagenhaft, wie der Dirigent die Philharmoniker „im Griff“ hat. Da geben sie willig Höchstleistungen. Sogar das Tam-Tam wird nicht vergessen, es blitzt hervor. Hier herrscht berstende Spannung von A bis Z, bis zum destruktiven Schluss.
Die Crux an dieser Einspielung ist ihr Klang. Es gibt kaum objektive Dynamik (man hört trotzdem wie dynamisch das Orchester spielt), man erkennt vor allem Umrisse von „La Valse“, was ihn nur noch dunkler und mysteriöser macht. „Verkratzte“ Klangfarben und dröhnende ff. Eigentlich liegt hier ein katastrophaler Klang vor, aber dennoch darf diese inspirierte Lesart nicht dadurch abgewertet werden. Dies kann kaum ein offizieller Mitschnitt des ORF sein.
5
Ernest Ansermet
Orchestre des Concerts du Conservatoire de Paris
Decca, Pristine
1955
12:52
Ernest Ansermet war zur Zeit der Uraufführung von „La Valse“ Chef von drei Orchestern zur gleichen Zeit: das der „Ballets Russes“, das Orchestre Romand (O.R.), das er 1918 gegründet hatte (später in Orchestre de la Suisse Romande ungetauft), sowie des Argentinischen National-Orchesters (Orquesta Sinfónica Argentina) in Buenos Aires, das er 1922 in Zusammenarbeit mit der dortigen Wagner-Gesellschaft gegründet hatte. Zehn Jahre lang verbrachte er die Wintermonate in Genf und die Sommer in Argentinien. Wenn „La Valse“ nicht von Djagilew abgelehnt worden wäre, wäre er höchstwahrscheinlich der Uraufführungsdirigent gewesen. Auch Ansermet lässt die vier ersten Takte des reinen Blutstroms weg und beginnt gleich mit dem Herzschlag. Sein Tempo wirkt gegenüber de Sabata gemäßigt: Tänzerisch und rhythmisch betont. Das Orchester befindet sich in sehr guter Verfassung, wenn man sich mit den hellen Klangfarben des Holzes anfreunden kann (besonders die Oboe quäkt arg und klingt hart). Die so wichtige Clarté ist da. Die Atmosphäre stimmt auch, man spielt gefühlvoll, ohne aufgesetzte Sentimentalität, aber durchaus mit etwas Rubato. Ansermet zeigt enormes Steigerungspotential, die von der direkt wirkenden Aufnahmetechnik ziemlich ungefiltert weitergegeben wird. Sogar die Gran Cassa gibt sich schon präsent und recht voluminös. Ravels „Pressez“ wird gut umgesetzt, ohne schneller zu werden. Das katastrophische Finale wird mit allem, was dem Orchester zur Verfügung steht, umgesetzt.
Der Klang wirkt bereits offen, präsent, erstaunlich transparent und sehr dynamisch. Sogar eine angedeutete Tiefenstaffelung kann man trotz Mono-Aufnahme erkennen.
4-5
Pierre Monteux
Orchestre Symphonique de Paris
Lys, Cris Music
1930
10:33
Dies, so dachten wir lange, wäre die älteste Einspielung. Dann hat sich jedoch noch die mit Eric Coates gefunden, die bereits 1926 eingespielt wurde, sechs Jahre nach der Uraufführung. Sie entstand am Ort der Uraufführung, in der Salle Pleyel. Pierre Monteux war da bereits 55 Jahre alt. Seine Schallplattenfirmen ließen ihn immer wieder französische Musik einspielen (und russische), dabei zog er Beethoven, Brahms und Wagner eigentlich vor. Er war übrigens auch ein erfolgreicher Pädagoge, so gilt er als der Lehrer von André Previn, Neville Marriner, Anshel Brusilov, David Zinman und Erich Kunzel. Er dirigierte als Hauptdirigent der Balletts russes viele Uraufführungen von Werken von Strawinsky (legendär:„Sacre“), Ravel, Debussy, Poulenc und Antheil. Er war Vater des Dirigenten und Flötisten Claude Monzeux, der ebenfalls eine Einspielung zur Diskographie von „La Valse“ beigetragen hat. Hier pulsiert das Herz und schlägt durchdringend und viel länger durch als man es in den anderen Aufnahmen bewusst schlagen hört. Tänzerisch unwiderstehlich schwungvoll, legt die Einspielung besonderes Augenmerk auf den typischen Drehimpuls. Das Orchester zeigt sich enorm steigerungswillig, wie später kaum mehr. Zunächst noch ein richtiger Tanz, lässt Monteux den kräftigen, perkussiven Entladungen freie Bahn. Man spürt sie freilich nicht an echter Lautstärke, aber man hört, wie das sehr gut geprobte Orchester intensiviert und man hört wie gut das Orchester für damalige Verhältnisse den Weg durch die komplexe Partitur findet. Diese Einspielung verbindet bereits Clarté mit intensiver Tanzdarbietung bzw. die Imagination davon). Nicht alle Soli sitzen traumhaft sicher, aber es ist immer spannend.
Man hört bei dieser alten Aufnahme immer nur eine Lautstärke. Die Hauptstimmen sind immer präsent und deutlich. Vor allem das magische Glockenspiel hat einen guten Platz vorm Mikrophon ergattert. Insgesamt wird die Aufnahme dem Werk von klangsinnlicher Seite gesehen, kaum gerecht.
4-5
Fritz Reiner
Pittsburgh Symphony Orchestra
Columbia-Sony, Cris Music
1947
11:20
Sogar bei Fritz Reiner bleiben die vier ersten Takte noch unhörbar. Ansonsten ist seine Lesart genau ausgehört mit viel detailgenauem Schwung und angetriebener Emphase. Die Violinen klingen hell, aber strahlen, auch die Oboen klingen noch sehr hell. Das Blech agiert äußerst impulsiv, das Schlagwerk hochgradig explosiv. Das ganze Orchester wirkt bestens eingeübt und agiert sehr virtuos. Die Schlusssteigerung gelingt überwältigend mit einem furiosen Zusammenbruch. Der Klang wirkt bereits erstaunlich transparent und recht dynamisch. Schade, dass es von „La Valse“ kein Remake von Fritz Reiner in Chicago in der „Living Stereo“-Reihe gibt.
4-5
Guido Cantelli
NBC Symphony Orchestra
Archipel, Testament, Arturo Toscanini Society
1951
11:25
Hinter dieser Einspielung steckt eine Rundfunkübertragung. Erneut sind die ersten vier Takte unhörbar, den Blutfluss nimmt man erst mit den Herzschlägen wahr. Die Walzer klingen präzise und strukturbetont, aber nicht so staubtrocken wie bei Toscanini selbst, sie werden jedoch zugleich leidenschaftlich und temporeich gespielt. Der Zugriff ist kraftvoll und die Violinen kommen recht brillant zur Geltung. Die Zuspitzung wirkt gut, es geht von ihr jedoch nicht die Sogwirkung von de Sabata oder Ansermet aus.
Man hört kaum nennenswertes Rauschen, das Orchester spielt etwas eleganter, klingt schon recht weich und etwas voller als bei Toscanini. Die Bühne wirkt nicht mehr so extrem guckkastenförmig und die Akustik nicht mehr ganz so staubtrocken, wenngleich auch dieses Mal noch nicht ansatzweise Raumgefühl aufkommt. Für eine alte Rundfunkübertragung gute Qualität, jedenfalls viel besser als bei de Sabata 1953 in Salzburg.
4-5
Pierre Monteux
San Francisco Symphony Orchestra
RCA, auch Archipel
1941
10:38
Pierre Monteux war 1935-52 ständiger Dirigent in San Francisco und ist in dieser Einspielung 66 Jahre alt und er hält im Wesentlichen Tempo und Verve der Pariser Einspielung von 1930. In Paris vielleicht noch ursprünglicher. Allerdings klingt es nun, elf Jahre später schon deutlicher. Die Violinen lässt er schon sehr schön jubilieren, wenn sie die noch unbeschädigten Walzermelodien spielen dürfen, Wie in Paris ist auch in San Francisco die Trompete nicht perfekt. Man steigert sich zum immer stärker entfesselten Todestanz.
Bei Archipel hört man die Schleifgeräusche der alten Platte noch gut durch, leider auch bei der Sony. Es geht also in diesem Fall nicht ohne die Schleifgeräusche der Schellack-Platten, bei Sony etwas abgemindert. Noch immer erscheint fast alles wie mit einer Lautstärke. Auch hier wird man dem klangsinnlichen Aspekt des Werkes eigentlich (technikbedingt) noch nicht gerecht.
4-5
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1954
11:30
Mister Ormandy war bei dieser Einspielung 55. Er hat zwei Einspielungen gemacht (die Stereo-Aufnahme: siehe oben). Bereits 1954 klingt die Harfe wunderbar deutlich heraus und der Orchesterklang wirkt schon richtig schwelgerisch (bei den Streichern besonders deutlich), kraftvoll und lebendig. Trotz klarer (also keinesfalls opulenter) Diktion wird das prunkvolle und die äußere Verblendung der Walzerseligkeit der Zeit um 1855 besonders gut (innerhalb der Mono-Aufnahmen) in Musik umgesetzt. Die Virtuosität im Finale wird auf die Spitze getrieben.
Der Klang der Aufnahme wirkt deutlich offener und besser aufbereitet und nicht so zu Tode entrauscht als die Freitas Brancos. Klanglich zieht Ormandys Stereo-Remake aber doch noch vorbei.
4-5
Pedro de Freitas Branco
Orchestre du Théâtre des Champs Elysées
Ducretet Thomson, EMI, Astory Records
1954
11:17
Diese Einspielung wurde nach ihrem Erscheinen mit dem Grand Prix du Disque der Akademie Charles Gros ausgezeichnet. Der Dirigent, Jahrgang 1890 war bei dieser Einspielung 65 Jahre alt. Er ist uns noch in bester Erinnerung von der Einspielung des Klavierkonzertes in G-Dur von Ravel mit der Pianistin Marguerite Long. Auch bei ihr hört man sehr lange einen beständig anhaltenden Herzschlag durch. Der Gestus dieser Einspielung wirkt tänzerisch-streng und durchweg druckvoll. In der Dynamik gibt es jetzt sogar schon einige Zwischenstufen zu hören. Das Blech ist immer wieder mit konvulsivischen Einwürfen zu hören Die ganze Einspielung wirkt expressiv und eindrücklich und zudem strategisch gut durchgeplant. Besonders deutliches Tam-Tam.
Für Mitte der 50er Jahre klingt die Aufnahme zu Beginn bereits sehr dumpf. Wir vermuten den unbotmäßig starken Einsatz von Rauschfiltern dahinter, denn vom Rauschen selbst ist keine Spur mehr vorhanden. Es blieb ein beständiger Ton zwischen Brummen und Pfeifen übrig. Auch nicht besser. Die Aufnahmetechnik bleibt insgesamt deutlich hinter der Ansermets von 1955 oder Markewitschs von 1952 und den beiden Monteux von 1930 und 41 zurück.
4-5
Arturo Toscanini
NBC Symphony Orchestra
Music and Arts
1940 (?)
10:47
Nun ist es wirklich keine Überraschung mehr: Auch bei Toscanini fehlen die ersten vier Takte ebenso. Selbst die Herzschläge sind nur ganz leise zu hören. Rhythmisch wirkt Toscaninis Lesart teilweise etwas martialisch und schroff, aber nicht bei den Walzermelodien selbst. Das Spiel des Orchesters ist präzise man spielt mit vollem Impetus und dramatischem Gespür. Insgesamt gelingt Toscanini nicht ganz das vorbehaltlos mitreißende Finale seines Landmannes Victor de Sabata, in dessen Darbietung trotz besonders rhythmischen Spiels nichts mechanisches in der Darbietung verbleibt.
Auch hier konnten die Knackgeräusche der Schellack-Platten nicht ganz eliminiert werden, es klingt aber viel ausgewogener und weniger störungsbehaftet als in Salzburg mit de Sabata 1953. Die Akustik wirkt wie in so vielen Aufnahmen und Mitschnitten mit Toscanini staubtrocken. Die enge Guckkastenbühne lässt keinerlei sinnliche Verführungskräfte spüren.
4-5
André Cluytens
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester (heute: WDR-Sinfonieorchester Köln)
Archipel
1955, live
11:36
André Cluytens hatte „La valse“ ebenfalls gerne und häufig im Reisegepäck. Er war in Köln 50 Jahre alt. Das Stück ist bei ihm in sicheren Händen und gut durchstrukturiert. Anfänglich bereits recht laut hört man auch Blutfluss und Herzschlag deutlich. Im Verlauf muss man jedoch auf einige Nebenstimmen verzichten. Die Walzer wirken schön elegant und beschwingt, aber nicht gerade drängend. Auffallend sind die schön klingenden Violinen, die wir dem damaligen Kölner Orchester gar nicht zugetraut hätten. Und bei Archipel hört man sowas auch nicht oft. Erstaunlich wieviel Wiener Schmelz man in Köln herbeizaubern kann. Der Verlauf wirkt kontrastreich und man spielt gekonnt mit den spezifischen Verzögerungen, insgesamt jedoch tempokonstant.
Das Klangbild weißt durchaus noch Härten und Schroffheiten auf, umso mehr überraschen die weich klingenden Violinen. Es ist einigermaßen transparent, bereits recht dynamisch für 1955 und Rundfunk. Jedenfalls wirkt die Dynamik nicht eingeebnet.
4-5
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonieorchester, Berlin
DG
1953
13:26
Die Aufnahme entstand in der Jesus Christus Kirche in Berlin-Dahlem. Erst währenddessen die Einspielung mit Ferenc Fricsay lief, fiel es uns auf, dass es in „La Valse“ keine Metronom-Angaben gibt. Denn vom langsamen Tempo des ungarischen Feuerkopfs waren wir so überrascht, dass wir danach gesucht haben. Es geht schon mit einem auffallend langsamen Herzschlag los und wo bei A sich die Wolken lichten, wird das Tempo sogar noch langsamer. Obwohl das Orchester einen wachen Eindruck macht klingt es bedächtig, ja behäbig. Nur langsam kommt man überhaupt in die Gänge, als müssten wir uns auf Geriatrie-Walzer einstellen. Das Orchester entschädigt jedoch mit einem weichen und strahlenden, sehr schönen Violinen-Klang und man lässt den Walzer auch mal schweben, geschmeidig, klangschön und sehr präzise. Irritierend waren wir nur vom Tempo, weil es so gar nicht zum Personalstil von Herrn Fricsay passen will. Langsam, doch wach und mit einigem Biss.
Der Klang der Aufnahme ist bereits recht dynamisch, transparent und volltönend.
4
Albert Coates
London Symphony Orchestra
EMI
1926
11:18
Auch im London des Jahres 1926 fallen die vier ersten Takte von „La Valse“ unters Podium. Und die Rhythmisierung wirkt eigenwillig. Im Tempo legt man Wert auf Konstanz, es gibt nur wenig Rubato. Und ähnlich wie bei Toscanini wirken die Walzer ein wenig starr. Man könnte auch von einem Mangel an Flexibilität sprechen. Gut gelingt die Darstellung des Abstiegs ins Chaos. Da zeigt man eine gewisse straff kontrollierte Wildheit. Anregende Direktheit könnte das kraftvolle Voranbringen vielleicht am besten beschreiben. Ziemlich spannend und kotrastreich.
Der Klang ist erwartungsgemäß wenig transparent und die tatsächliche Dynamik platt. Dennoch pulsiert es. Wie bei Toscanini sehr trocken. Dennoch sehr beachtlich, wenn man bedenkt, wie viele Jahre die Aufnahme bereits „auf dem Buckel“ hat.
4
John Barbirolli
New York Philharmonic Orchestra
Columbia-Sony
1940
12:19
Die Lesart Barbirollis (damals 41) ist besonders in den Streichern reich an Nebenstimmen. Das Orchester spielt sauber und engagiert. Natürlich kann man die fehlende Sinnlichkeit nicht wettmachen, auch die Dynamik ist stark eingeebnet, jedoch erstaunlich transparent (gute Restauration des alten Materials).
3-4
André Cluytens
Orchestre National de la RTF, Paris (heute: Orchestre National de France)
JPK
1956-62 (?), live
11:37
Bei dem sehr lauten Beginn pocht das Herz überaus stark. Das Orchester macht im Verlauf einen mit dem Werk vertrauten Eindruck und die Walzer wirken durchweg beschwingt. Der Klang ist jedoch der undifferenzierteste aller fünf Aufnahme mit André Cluytens. „La Valse“ klingt hier wie ein Konzert für Trompeten und Orchester.
Der Klang ist pauschal, dumpf, doch großräumig. Es gibt explosionsartige Einsätze der Gran Cassa. Der Rest ist wenig nuanciert. Man hört nur wenig klar heraus, der große Rest bleibt anonyme Masse. Violinen, wichtige Bläsersoli, Gran Cassa, Soli des Schlagzeugs und Trompeten, das war´s. Duch die (unbeabsichtigte?) Stimmenreduktion wird „La Valse“ vielleicht sogar leichter konsumierbar.
3
Sergiu Celibidache
Orchestra Sinfonica di Milano delle RAI
Cetra
1969, live
12:24
Die erste der drei Live-Aufnahmen von Herrn Celibidache beginnt verschwommen und unausgewogen (Blutstrom, und Herzschlag). Das wäre noch halbwegs in Ordnung, denn die Nebel lichten sich ja laut Ravels Beschreibung erst ab Buchstaben A. Im Folgenden wirkt die Dynamisierung innerhalb des Orchesters willkürlich, was wahrscheinlich auf die sorglose Aufnahmedisposition der Techniker zurückzuführen ist. Des Weiteren hören wir akute Intonationsprobleme beim Holz. Vielleicht werden deshalb die solistischen Passagen nicht sonderlich hervorgehoben. Schon da muss man infolgedessen den matten Gesamteindruck bemängeln. Nebenstimmen bleiben undeutlich, das Orchesterspiel nicht immer geschliffen, aber immer noch besser als in der Aufnahme mit Cluytens an gleichem Ort. Das Blech macht dabei noch den besten Eindruck. Man agiert da mit Zuschlagskraft und Verve, aber ebenfalls weniger kultiviert. Die Gran Cassa wird nicht vergessen. Da Celibidache kaum einer Veröffentlichung auf Tonträger zugestimmt hätte (schon aus Prinzip nicht), ist dennoch davon auszugehen, dass dieser Teil eines Konzertes zumindest einmal gesendet und archiviert worden ist. Da hätten wir uns eine größere Sorgfalt erwartet. Am Applaus kann man ermessen, dass die Darbietung vor Ort immerhin ein Erfolg war, die Technik vermag ihn nicht weiterzuleiten. Dieser Mitschnitt gehört zu denjenigen, die von der Familie Celibidaches nicht autorisiert worden ist und auch nicht autorisiert worden wäre.
Die Tonaufnahme bietet nur eine verzerrte Darstellung der Realität. Laut Celibidache lebt Musik nur im Augenblick ihrer Entstehung. Bei solchen Aufnahmen muss man dem Maestro einfach Recht geben dann doch lieber auf eine Konservierung zu verzichten.
3
André Cluytens
Orchestra Sinfonica di Milano delle RAI
Arts
1962, live
11:31
Schon zu Beginn schlägt Monsieur Cluytens ein flottes Tempo an, dabei spielt das Orchester übermäßig laut und es wirkt unsicher. Es spielt den ganzen Mitschnitt über kaum so, dass es das Werk souverän beherrschen würde. Bei machen Einsätzen wirkt es nicht ganz im Bilde. Unsaubere Soli, wackeliges Zusammenspiel. Das ist eigentlich mit spontan wirkendem Spiel nicht gemeint. Diese Aufnahme macht von allen den am Schlechtesten geprobten Eindruck. Der stürmisch durchgezogene Zusammenbruch darf jedoch als Charakteristikum aller Aufnahmen mit Herrn Cluytens angesehen werden. Vor allem live, auch hier in Milano. Ansonsten legen wir allen am Dirigenten interessierten Musikfreunden die Aufnahmen mit dem Conservatoire-Orchester oder mit dem Philharmonia ans Herz.
Die klingen auch viel besser. Der Monoklang kann allenfalls als kaum akzeptabel gelten, bei niedrigen Pegeln ist er sogar noch recht transparent. Aus dem Klanggeschehen ragen gelegentliche Huster heraus und das mitunter hell und grell aufblitzende Blech. Insgesamt wirkt diese Aufnahme staubtrocken. Entbehrlich.
Aufnahmen aus Radio und Internet:
5
Joana Mallwitz
Berliner Philharmoniker
Deutschlandfunk
2025
11:54
Frau Mallwitz ist seit 2023 Chef des Konzerthausorchesters in Berlin. Zuvor war sie GMD in Erfurt und Nürnberg. Die Aufzeichnung von „La Valse“ stammt aus ihrem Debütkonzert bei den Berliner Philharmonikern. Die Fließgeräusche sind deutlich, der recht flotte Herzschlag präsent. Insgesamt klingt das Orchester sehr dunkel, was zum Beginn bis Buschstabe A und darüber hinaus als für das Werk ideal erscheint. Der betreffende Mensch, dessen Herzschlag wir da gerade hören dürfen, dieser Eindruck stellt sich ein ist aufgeregt oder ängstlich, nervös. Ein Tempo fast wie bei den „Alten“ aus den 50er Jahren. Der Klang des präzise und engagiert wirkenden Orchesters kann man als fantastisch bezeichnen. Ein Violinen-Klang vom Feinsten. Schon während der ersten Walzerkette breitet sich das Szenario mit soghafter Wirkung aus. Frau Mallwitz nutzt mehr Rubato als Abbado oder Denève. Sie und das Orchester können die Spannung durchweg hochhalten. Die Tanzbewegungen werden immer wilder bis sie überdrehen und den Tanzenden scheinbar um die Ohren fliegen. Das grandiose Steigerungspotenzial der Berliner wird abgerufen und ausgereizt, man befindet man sich am Rande eines Vulkans. Als besonders erfreulich empfanden wir, dass Frau Mallwitz nicht den bequemen Weg geht und „La Valse“ 13 oder gar 14 Minuten dauern lässt, sondern ordentlich auf die Tube drückt, den Mainstream außeracht lässt und ihren eigenen Weg zu gehen scheint oder aber sich auf ältere Vorbilder zu beziehen scheint. So klingt das Stück wieder „wild“ wie früher.
Der Klang wirkt viel besser als in der gerade unten angefügten Aufnahme mit Claudio Abbado, dem damaligen Chef der Philharmoniker. Da hat sich anscheinend doch noch was getan an der Übertragungstechnik, allerding fährt der Deutschlandfunk bei seinen Konzertübertragungen mittlerweile die höchste Datenrate. Der RBB 1999 bleibt da weit zurück.
5
Claudio Abbado
Berliner Philharmoniker
RBB
1999
12:25
Von den Berliner Philharmonikern haben wir eigentlich nur die Einspielung mit Pierre Boulez in der Diskographie des Werkes. Man denkt nach Kenntnis dieses Mitschnitts unwillkürlich: Hätten sie die Aufnahme doch mal mit Abbado gemacht. Aber mit ihm hatte man ja schon eine Einspielung von 1981. Der Mitschnitt hört sich jetzt fast so an, als hätte man die Boulez-Aufnahme mit der Abbado-Aufnahme von 1981 miteinander gemendelt. Da mischen sich der superbe Klang der Philharmoniker von 1994 mit dem Schwung der Abbado-Aufnahme von 1981. Das Tempo wirkt zügig und ausgesprochen reich an Nebenstimmen, wie bereits 1981 in London. Da hören wir auch wieder den lebendigen Schwung und die nuancenreiche, kontrastreiche Dynamik von damals. Das Holz ist wieder ein besonderer Genuss. Der klangprächtige Sound der Philharmoniker passt zum evozierten, genusstrunkenen Fin de siècle oder vielmehr der Belle époche ganz besonders gut. Das besonders aufgebrachte zerstörerische Finale mit herausragender Kraftentfaltung allerdings ebenfalls. Abbado trifft übrigens fast bis auf die Sekunde die Spieldauer von 1981. Nach 28 Jahren: was für eine Präzision!
Der RBB-Klang ist voll, rund und sinnlich. Anders als 2023 mit dem DSO und Denève klingt die Philharmonie 1999 noch leicht hallig. Beim DLF klingt es sowieso immer etwas vom RBB verschieden. Der Klang ist aber nicht verunklarend. Die Datenrate ist niedrig, weshalb man auf besondere Finessen, besonderen Wohllaut und eine besondere Reinheit verzichten muss. Auch die Transparenz leidet unter der sparsamen Datenrate, vor allem beim ff des Tutti.
5
Andrew Manze
NDR Radiophilharmonie Hannover
NDR, gesendet vom ORF
2020
12:12
Diese Aufnahme entstand im Kuppelsaal in Hannover, angeblich der mit 3750 Plätzen größte Konzertsaal für klassische Konzerte in ganz Deutschland. Er sieht ein wenig so aus wie der kleine Bruder der Londoner Royal Albert Hall. Das Orchester macht einen hervorragenden Eindruck, nicht nur beim hellwachen Beginn. Es spielt sehr gefühlvoll, auch die Walzer präsent mit Charme und viel Schmelz. Die verschiedenen Charaktere der einzelnen Walzer werden scharf charakterisiert. Bei all dem hat Mister Manze es - gefühlt – nicht eilig, vermittelt besonders viel Ausdruck, besonders zu greifen bei den erneut präsenten und hellwach wirkenden solistischen Darbietungen. Die kleinen Motivpartikel kommen auffällig zu ihrem Recht. Es ergibt sich, all das zusammengenommen, ein Hörabenteuer das fesselt, auch ohne einen geschärften Drehimpuls beim Tänzerischen. Sogar das Finale selbst macht noch einen halbwegs tänzerischen Eindruck. Andrew Manze erweist sich als ein souverän gestaltender, exzellenter Stratege.
Der Klang des Mitschnitts erweist sich als räumlich, recht körperhaft, voll, sonor, brillant, sehr klar und umrissscharf. Trotz der niedrigen Datenrate, die der ORF den Hörern via Satellit gönnt.
5
Alain Altinoglu
HR-Sinfonieorchester
HR
2021, live
12:24
Dies ist die erste von insgesamt fünf Mitschnitten, die der HR mit seinem Orchester in letzter Zeit gesendet hat. Dieses Mal wie meistens aus der Alten Oper, aber auch aus dem Großen Sendesaal. Anfänglich lässt der derzeitige Chefdirigent des HR-Sinfonieorchesters nicht so deutlich spielen, wie z.B. Pablo Heras-Casado bei gleicher Lautstärke und im gleichen Saal. Er nimmt das Nebulöse des Beginns besonders ernst und setzt es in Klang um. Die Violinen bringen mit ihm besonders viel Schmelz mit ein. Das Orchester, es hält ja immer ein hohes Niveau, klingt dieses Mal sehr aufmerksam und wohl. Die Walzer bringt Altinoglu ein wenig beschwingter und frischer zur Geltung als Heras-Casado und besonders als Pietari Inkinen. Wir hören eine geschmeidige und intensive Schlusssteigerung.
Die Aufnahme wirkt etwas präsenter und ein wenig transparenter als die des HR mit Heras-Casado und Inkinen. Der Bass (innerhalb der ARD-Übertragungen beim HR immer besonders voll klingend) wirkt auch dieses Mal angenehm kräftig. Damit klingt das Orchester immer schön sonor. Und das, so wie wir annehmen, Lieblingsinstrument der HR-Techniker, die Gran Cassa, wird erneut sehr kraftvoll wiedergegeben.
5
Jean-Christophe Spinosi
HR-Sinfonieorchester
HR
2011, live
12:09
Dieses Mal wurde aus dem Sendesaal des HR übertragen. Monsieur Spinosi ist eigentlich mehr als Barock-Spezialist bekannt und als solcher ein Vertreter der HIP. Selbstverständlich sind bei ihm Blutfluss und Herzschlag deutlich, das Tempo wirkt recht schnell, d.h. der Blutdruck ist schon etwas höher, man erwartet zumindest etwas Aufregendes. Da wo man sonst eher längere Themen oder auch mal eine Kantilene hört, werden sie in kleinere Bedeutungszellen aufgeteilt, aber nicht zerhackt. Es funktioniert also, denn das Verfahren wird nicht übertrieben und das Ergebnis bleibt kantabel. Spinosi lässt das Werk reich an Nebenstimmen erklingen. Die seidig-klingenden Violinen sind nun gegenüber der nächst älteren Aufnahme mit Herrn Kitajenko nicht mehr so hell, sondern schon so schön voll wie heute. Das Spiel des Orchesters wirkt sehr gefühlvoll und flexibel, der Rhythmus dennoch pointiert. Kantabilität ist vorhanden, wird bei Spinosi aber nicht überbewertet. Keine besonderen Vorkommnisse beim Chaos-Finale.
Die Aufnahme klingt HR-typisch dreidimensional, räumlich, farbig und recht dynamisch. In der Dynamik besteht der größte Unterschied der Rundfunksendungen im Radio zu den haptisch verfügbaren Tonträgern wie LP, CD oder SACD. Neuere Downloads mit hoher Datenrate kommen an die herkömmlichen Tonträger sehr wohl heran, können sie mitunter sogar übertreffen.
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
2017, live
13:17
Der BR hat „La Valse“ mit Mariss Jansons sehr häufig aufgenommen. Wir konnten uns gar nicht alle Aufnahmen, die im Netz kursieren anhören, da gibt es noch eine vom 19.5.2018 aus dem Gasteig, eine vom 17.5.2018 aus der Tschaikowsky-Konzerthalle in Moskau, die beiden anderen Aufnahmen, die es in der Mediathek des BR und auf Tonträger gibt haben wir schon oben besprochen, sie stammen von 2007 und 2017. Daneben gibt es auch noch einen Mitschnitt aus der Hamburger Elbphilharmonie ebenfalls aus 2017, live, die einmal im ARD-Nachtkonzert gesendet wurde. Da hat man das Stück anscheinend immer mal wieder gerne auch auf Tournee mitgenommen. Ein Paradestück des BRSO und seines damaligen Chefs also. Es braucht eigentlich keine Beschreibung mehr, es klingt in Hamburg etwas schwerfälliger als 2017 in München (vielleicht wegen der Reise-Strapazen), aber das Orchester spielt erneut hervorragend und es klingt auch entsprechend.
Die Räumlichkeit wirkt sehr großzügig und das Orchester erhält eine sehr gute Staffelung in die Tiefe. Es klingt weich und warm.
4-5
Marek Janowski
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
RBB
2014, live
12:24
In dem gesendeten Konzert lässt Marek Janowski „La Valse“ attacca auf die „Vales nobles et sentimentales“ folgen. Da kann man schön dem Gedankengang Ravels folgen, was (für Ravel) der 1. Weltkrieg mit dem Walzer und der Gesellschaft für die er steht, gemacht hat. Auch Marek Janowski lässt durch einen enormen Nebenstimmenreichtum aufhorchen, und zwar besonders von sonst als unwichtiger erachteten Nebenstimmen, weshalb manches etwas anders klingt als zumeist. Er macht natürlich kein neues Stück aus „La Valse“. Besonders die Klarinettenstimmen habe es Herrn Janowski angetan. Das RSB zeigt sich erneut als hervorragendes Orchester mit exzellenten Solisten in seinen Reihen. Janowski ist – wie Joana Mallwitz – kein Kind von Traurigkeit und geht bei den Walzern ein flottes Tempo (fast wie bei den „Alten“). Er charakterisiert sehr kontrastreich, sodass er einem schnellen Walzer einen betont gezogenen folgen lässt, um sie voneinander scharf abzugrenzen oder die Charaktere zu verdeutlichen. Das mag manch einem schon zu viel der Mühe sein. Behäbig wird er dabei nicht, der Gestus bleibt tänzerisch und oft betont kraftvoll im Dynamischen und deftig im Rhythmischen.
Auch dieser Mitschnitt aus der Philharmonie klingt schon viel besser als der von Abbado 1999 (klarer, plastischer, breitbandiger). Fast erreicht man bereits das Klangniveau von Mallwitz 2025. Gute Gran Cassa.
4-5
Dmitri Kitajenko
HR-Sinfonieorchester
HR
AD ?, live
12:25
Dmitri Kitajenko war 1990-1996 sogleich Chefdirigent des damaligen Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt, nachdem er die Moskauer Philharmoniker und die Russische Föderation 1990 verlassen hatte, um in den Westen zu gehen. Er lässt das Orchester gefühlvoll spielen, mit dem passenden Rubato und viel Schwung. Das gesamte Orchester wirkt samtig getönt, allerdings wirkt das Holz noch nicht so geschmeidig wie heute. Kitajenko arbeitet mit starken Tempogegensätzen, die Spannung kann über das ganze Stück gehalten werden. Er hat das Ganze im Blick und verliert sich nicht in den Details. Janowski (der etwas detailreicher spielen ließ) gar nicht mal unähnlich wirkt der angetriebene Gestus. Die Klimax erscheint gut angelegt mit geschickten Verbreiterungen und Beschleunigungen.
Der Klang der Aufnahme aus der Alten Oper wirkt offen, tief gestaffelt, weich und rund. Die Violinen erklingen noch etwas heller als heute. Schon damals achtete man beim HR anscheinend auf einen kräftigen Bass und eine mächtige Gran Cassa.
4-5
Lorin Maazel
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
AD ?, live
12:45
Lorin Maazels vierte Aufnahme wirkt zügiger als in Paris (1981) und Wien (1996) und sorgfältiger als seine erste in London (1971). Er war Chefdirigent des BRSO 1993-2002 und aus dieser Zeit wird höchstwahrscheinlich diese Aufnahme stammen. Wir haben sie beim ARD-Nachtkonzert mitgeschnitten und zu der nachmitternächtlichen Stunde sind die Sprecher nicht mehr gerade mitteilsam, sodass das AD nur sehr selten mal genannt wird. Es ist in München auch Maazels Darbietung mit dem meisten Schwung. Das Orchester verfügt über Violinen, die den Wiener Pendants kaum nachstehen, jedenfalls lässt man es auch in München klangvoll schmelzen und strahlen. Das Rubato ufert nun bei Maazel nicht mehr so aus wie noch in Wien, wo es auf uns schon ein wenig übertrieben wirkte. Etwas zelebriert wirkt es aber auch in München. Bei Maazel kommt so das Künstliche vielleicht mit am besten heraus. Insgesamt wirkt es aber zielstrebiger als in Paris und Wien. Und konziser auf das Ende hin angelegt: Mit Sogkraft ins Chaos sozusagen. Unserer Meinung nach die beste Aufnahme mit Lorin Maazel.
Diese Aufnahme wirkt klar und deutlich und erstaunlich dynamisch. Es war damals des Nachts sogar kaum Dynamik-Kompression spürbar.
4-5
Robin Ticciati
Bamberger Symphoniker
BR
2012, live
12:44
Robin Ticciati war damals 29 Jahre jung und Chefdirigent des Scottish Chamber Orchestra und Erster Gastdirigent bei den Bamberger Symphonikern. Es wurde im Joseph-Keilberth-Saal aufgenommen. „La Valse“ war übrigens Teil des gleichen Konzertes wie Debussys „Trois Nocturnes“, die wir ebenfalls bereits zu einem Vergleich der betreffenden Aufnahmen herangezogen haben. Der Beginn wirkt sehr atmosphärisch. Das Orchester zeigt sich sonor und bestens einstudiert und hervorragend klingend. Die Walzerbewegung wirkt enorm gefühlvoll und dennoch mit Schwung. Mit Schmelz und Schmalz sozusagen. Nichts wirkt hier starr. Zusammenspiel und solistische Darbietungen (Oboe, Klarinette) sind von Exzellenz geprägt. Die Violinen (und die übrigen Streicher) klingen sehr verführerisch. Man gewinnt schnell den Eindruck, dass sich Dirigent und Orchester anscheinend auf einer Wellenlänge befanden. Das Spiel ist sehr detailreich. Da bewegen sich echte Menschen, keine Figuren, so meint man. Die Steigerungsverläufe erklingen kontrastreich. Das Ganze wirkt lockerer als bei Joana Mallwitz aber nicht mit demselben Biss. Auch am zugespitzten Tempo.
Das Studio Franken des BR hat vor allem zu Beginn eine sehr transparente Aufnahme erstellt, offen, frisch, klangfarbenprächtig und sehr dynamisch.
4-5
Pablo Heras-Casado
HR-Sinfonieorchester
HR
2019, live
12:33
Der Spanier bevorzugt das mittlere Mainstream-Tempo, das gegenwärtig in den meisten Aufnahmen verwendet wird. Damit macht man nichts falsch. Es lässt gut in die alte Zeit eintauchen. Er verzichtet auf übermäßige Dehnungen und Stauchungen bei den Walzern und verwendet ein recht einheitliches Tempo und das Orchester spielt präzise und brillant. Die Partitur wird zwar nicht durchleuchtet aber alle relevanten Stimmen sind gut hörbar. Ähnlich wie beim Dirigat Pietari Inkinens geht es doch recht nüchtern und geradlinig, d.h. ohne zusätzliche Emotionalisierung voran. Die finale Steigerung wirkt jedoch brisanter als bei Inkinen, mit einer gewissen Atemlosigkeit.
Der Klang ist wieder HR-typisch gut in Breite und Tiefe ausgeleuchtet und dynamisch.
4-5
Yannick Nézet-Seguin
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
2011, live
13:00
Wie in Rotterdam 2007 schätzt man auch das Tempo vier Jahre später in München langsamer ein, als es ist. An Kontrasten mangelt es nicht. Der junge Kanadier (36) schaut auch auf die Nebenstimmen und lässt sie plastisch werden. Was besonders gelingt ist, dass man die Walzer zum Schweben bringt, allerdings werden sie teilweise ein wenig schmachtend artikuliert aber nur um sie neben den motorisch aufgedrehten besser zu kontrastieren. Nézet-Seguin arbeitet viel weniger mit Rubato als Maazel. Die klare Linie dominiert, es gibt wenig Abwechslung im Puls, vielleicht wirkt die Darbietung dadurch weniger organisch als bei vielen älteren Kollegen (z.B. Jean Martinon). Das Orchester bietet erneut viel präzisen, sinnlichen Klangreiz, zwar weniger vorantreibend aber mit einer sehr gut ausgebildeten Spannungskurve. Das Finale ist brillant, sicher auch mitreißend, aber nicht wild wie wir das exemplarisch bei Charles Munch, Igor Markewitsch (1952) oder Victor de Sabata erleben können, aber auch bei René Leibowitz, Pierre Monteux oder bei neueren Einspielungen bei Abbado oder Joana Mallwitz.
4
Stéphane Denève
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
Deutschlandfunk
2023, live
13:03
Seit 2019 ist der Franzose Chef beim Saint Louis Symphony Orchestra. Blutfluss und Herzschlag sind erneut kaum hörbar, das wird jedoch von Technikern bemerkt und der Pegel der Aufnahme wird sofort (und etwas ruckartig) erhöht. Denève verzichtet fast gänzlich auf Rubato. Nur da, wo Ravel Tempoänderungen wünscht, werden sie gebracht. Wie in Stuttgart, Köln und Wien wirkt das Spiel plastisch. Die Violinen wirken noch etwas schmelzender als in Köln, ansonsten kann man kaum Änderungen gegenüber dem Mitschnitt aus der Kölner Philharmonie im Jahr zuvor bemerken. Die Orchester könnte man ohne lange zu überlegen als gleichwertig bezeichnen, das gilt in etwa auch für die anderen Orchester, die das Stück mit Denève gespielt haben, das RSO Stuttgart und die Wiener Symphoniker. Das DSO spielt hellhörig, engagiert und sinnlich.
Der Klang aus der Berliner Philharmonie ist präsent, voluminös, gut ausbalanciert, dynamisch und transparent. Der DLF spendierte mal wieder die volle Datenrate. Wie in allen Denève-Mitschnitten: gute Gran Cassa.
4
Stéphane Denève
WDR-Sinfonieorchester Köln
WDR
2022
13:22
2022 war Monsieur Denève zu seiner Stellung in St. Louis auch noch Chef bei den Brüsseler Philharmonikern (2015-22). In Köln ist ebenfalls kaum was vom Blutfluss zu hören, aber das Herz pocht bereits sehr laut. Obwohl gerade einmal ein paar Sekunden schneller, wirken die Tempi (oder ist es doch die Spielweise) etwas flüssiger, der Charakter beschwingter als in Wien, ein Jahr zuvor. Die Violinen erklingen mit besonderer Süße und viel Schmelz. Insgesamt macht das Orchester einen sehr wachen und musizierfreudigen Eindruck. Die Darbietung könnte aber spannender sein (was übrigens für alle drei Live-Aufnahmen Denèves gilt).
Der Klang der Aufnahme ist wie in Berlin und Wien sehr plastisch. Mitunter erscheint jedoch das p zu einem mf oder sogar bis zum ff angehoben worden zu sein. Es geht erheblich dynamischer zu als in Wien, das Schlagwerk klingt präsenter. Oft klingen die Live-Übertragungen noch etwas dynamischer als die nachträglich als Aufzeichnung Gesendeten, diese wurde live gesendet. Außerdem war es eine 5.1-Übertragung.
4
Stéphane Denève
Wiener Symphoniker
ORF
2021, live
13:30
Die langsamste Aufnahme mit Herrn Denève wurde in Wien aufgezeichnet. Blutfluss und Herzschlag sind mit Abstand am Lautesten aufgenommen worden. Auch in Wien wird plastisch und präzise musiziert und der Wiener Walzer ist bei den Symphonikern in den besten Händen. Sie wirken subtil und raumgreifend gestaltet, sie dürfen ungekünstelt strömen. Die Nebenstimmen kommen nicht ganz so präsent zur Geltung wie in Stuttgart, zudem erscheint das dortige Tempo erheblich gedrosselt. Aus Stuttgarter Spannung wird so schon fast Wiener Beschaulichkeit. Man fühlt sich noch sicher auf dem Tanzbankett: Solange man tanzt, kann uns doch eigentlich nichts passieren. Langsam aber beständig wird die Schlussklimax angesetzt, die gegenüber Stuttgart fast schon wie in Zeitlupe wirkt. Da geht Brisanz verloren, an Wucht wird etwas gewonnen. Wir hören prominentes Becken und reichlich Tam-Tam.
Tiefer Bass, hohe Präsenz, das Holz kommt vor allem zu Beginn bestens zur Geltung, ebenso die mächtige Gran Cassa.
4
Matthias Pintscher
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Deutschlandfunk
2025
12:52
Ehemals hauptsächlich als Komponist tätig, feiert Herr Pintscher immer mehr Erfolge auch als Dirigent. So ist er derzeit Chef sowohl des Ensemble intercontaimporain in Paris als auch des Kansas City Symphony Orchestra. Auch bei Herrn Pintscher fallen die ersten vier Takte unters Podium. Das Orchester, bereits von der Aufnahme mit Marek Janowski bekannt, spielt und klingt auch dieses Mal sinnlich, weich und voll und bietet eine ausgezeichnete Homogenität. Die Walzer entwickeln sich leicht und locker und zeigen sich dann zart und leidenschaftlich. Der Dirigent lässt ihnen durch das gemäßigte Tempo genug Zeit um ihren Charme zu entfalten. Es wird nur wenig Rubato verwendet. Auf dem stabilen Grundtempo werden die Kontraste nicht besonders hervorgehoben, der kontinuierliche, tänzerische Fluss der Musik scheint als wichtiger erachtet zu werden. So hören sich die Walzer fast noch so an, als hätte sie Johann Strauß komponiert. Bis sich der Militärcharakter (Schlagwerk) und sich verdichtende Turbulenzen Bahn brechen. Insgesamt bleibt die Darbietung indes nur wenig spannend, es fehlt dann doch das spezielle Getrieben-Sein, der harte Biss und nicht zuletzt auch ein zupackendes Tempo.
Der Klang des DLF ist erneut sehr transparent und deutlich. Es gibt einen tiefen, grollenden Bass, Dynamisch wirkt der Klang, wie so oft beim Rundfunk eingebremst, es gibt aber erfreulicherweise kein auffallendes Hin und Her beim Aufnahmepegel und das ist wirklich viel wert. Siehe unseren Beitrag zur Aufnahme des ORF aus Bregenz.
4
Anu Tali
Junge Deutsche Philharmonie
HR
2024
12:48
„La Valse“ war 2024 Teil des Neujahrskonzerts der Jungen Deutschen Philharmonie aus der Alten Oper Frankfurt, das der HR in schöner Regelmäßigkeit als Aufzeichnung sendet. Das Orchester ist auch dieses Mal solistisch erstklassig besetzt. An Blut und Herzschlag mangelt es nicht und sein Vortrag ist reich an Nebenstimmen. Die Violinen gefallen mit hoher Homogenität und besonderer Frische. Das ganze Orchester spielt wieder einmal auf einem ausgesprochen hohen professionellen Niveau. Es mag an der Dirigentin liegen, dass das Spiel dieses Mal jedoch nicht so emotional wirkt, wie in anderen Konzerten, obwohl es noch nicht einmal am dynamischen Aufwallen mangelt. Man bleibt jedoch immer exakt im Tempo (keinerlei Rubato), sodass zwar alles wie am Schnürchen abläuft, es aber auch keinerlei Überraschungen gibt. Die Spannung bleibt auf einem noch mittleren Level.
Der Klang ist leicht distanziert, transparent und plastisch. Das Orchester erscheint sehr übersichtlich abgebildet vor allem in der Breite. Die Dynamik ist ganz in Ordnung. Der HR kennt sich in der Alten Oper bestens aus, da hat alles „Hand und Fuß“.
4
Edward Gardner
Bergen Philharmonic Orchestra
Radio Bremen
2022
12:49
Dies ist eine Wiedergabe vom Musikfest Bremen aus der Bremer „Glocke“. Die Bergener Philharmoniker sind übrigens (1765 gegründet) eines der ältesten (Sinfonie-)Orchester überhaupt. Da fällt uns spontan in Deutschland nur das Gewandhausorchester ein, das auf eine ähnlich lange Tradition zurückblicken könnte. Der Dirigent sieht während des Stückes „eine erschreckende, schockierende Entwicklung“ ablaufen und die „Welt des Walzers wäre erschüttert“, wie er in einem ganz kurzen Interview preisgibt. Blutfluss und Herzschlag sind partiturgemäß vorhanden. Gardner gibt den Walzern etwas mehr Schwung mit als Pintscher und inspiriert nur wenig agogische Rückungen. Das Orchester spielt transparent, sehr homogen, weich, dunkelfarbig und nebenstimmenreich, obwohl der Dirigent Details offensichtlich nicht besonders hervorheben möchte. Alles dient von vorne herein der Darstellung eines breiten, kontinuierlichen Stroms. Das wirkt sogar etwas einförmig, auch weil die Kontraste ein wenig eingeebnet wirken, wobei wir da die fast schon winzig kleine Datenrate von Radio Bremen ursächlich im Verdacht haben. Es ist die geringste alles ARD-Sender. Man denkt sich wohl: Da wir der kleinste Sender sind, soll man das auch hören. Kostet denn eine höhere Datenrate so viel mehr?
Der Gesamtklang wirkt etwas gepresst, sobald es etwas lauter wird.
4
Eva Ollikainen
Iceland Symphony Orchestra
ISO
2021, live
12:32
Die Dirigentin aus Finnland ist seit 2020/21 als Nachfolgerin von Yan Pascal Tortelier Chefdirigentin im hohen Norden, genauso wie übrigens auch beim Orchestra della Toscana. Was für ein schöner klimatischer Kontrast. Blutfluss und Herzschlag sind sehr gut zu hören. Das Orchester bringt einen klaren, vollen Klang hervor, spielt mit ordentlichem Schung und wenig Rubato. Die Walzer wirken geradlinig, aber doch mit einem gewissen Hochgefühl, nicht sonderlich detailfixiert. Wie beim Orchester aus Bergen zählt der große, breite Strom. Solider Spannungsverlauf ohne dynamische Exzesse.
Der Klang aus der Konzerthalle „Harpa“ in Reykjavik erscheint präsent und plastisch, körperhaft und offen. Nicht gerade ausgeprägt tiefengestaffelt und das Holz nur hintergründig präsentierend. Besonders im ff lässt die Transparenz deutlich nach. Es könnte noch sonorer klingen, die Gran Cassa, wie auch das übrige Schlagwerk wird nicht hervorgehoben, was die Dynamik nicht gerade befördert.
4
Zubin Mehta
Wiener Philharmoniker
ORF
2016, live
12:56
Dies ist unsere letzte Aufnahme von „La Valse“ mit Zubin Mehta, er zählte dabei 80 Jahre. Es wurde im Wiener Musikvereinssaal mitgeschnitten. Und sie klingt besser als der Konzert-Mitschnitt von Sony auf CD aus Tel Aviv 1990, als das Israel Philharmonic und die Berliner Philharmoniker gemeinsam musizierten. Die Streicher der Wiener Philharmoniker zu hören ist (mal wieder) ein Erlebnis. Das Tempo ist bei Zubin Mehta von Aufnahme zu Aufnahme etwas langsamer geworden. Es wirkt nun schon ein wenig gemütlich, was den Wienern erlaubt genussvoll „ihre“ Walzer zu präsentieren. Holz und Blech spielen ebenso virtuos und eloquent wie die Streicher. Man hört große Klarheit auch bei komplexen Passagen. Allerdings wirkt der Steigerungsverlauf nun allzu behäbig. Bei 4 Takte nach Zi. 86: Pressez, bei Zi. 88: Assez animé, und ab Zi. 97 wird nochmals das „Assez animé“ in Erinnerung gerufen, es soll also explizit genügend animiert weitergehen, also lebendig und hellwach. Da passiert bei Mehta anno 2016 leider nichts mehr. Genau wie bei „Pressez jusqu´à la fin“ bei Zi. 100, also pressen oder quetschen Sie bis zum Schluss, da bleibt er starr im Tempo und ohne Verstärkung in der Intensität, was letztlich wirkt wie eine angezogene Handbremse.
Der Klang aus dem Musikverein wirkt sehr transparent und weiträumig, voll, rund und farbig, leider dynamisch stark begrenzt. Der ORF sendete damals noch 5.1.-kanalig in Dolby Digital via Satellit.
4
Pietari Inkinen
HR-Sinfonieorchester
HR
2017, live
13:16
Auch diese Aufnahme entstand in der Alten Oper zu Frankfurt. Blutfluss und Herzschlag erklingen deutlich, das Orchester spielt sauber aber bleibt dieses Mal unterfordert. Es wird kaum Enthusiasmus spürbar, was man weder von Inkinen, wenn er „seine“ Deutsche Radio Philharmonie leitet noch vom HR-Sinfonieorchester kennt und daher nicht erwartet hat. Wenig schwungvoll, wenig impulsiv, wenig kontrastreich und seltsam sachlich bis unterkühlt wirkt „La Valse“ dieses Mal. Die Klimax kommt kaum in Fahrt.
Am Klang ändert sich nicht viel. Es klingt wie immer klar, sehr gut in die Breite und Tiefe hinein gestaffelt. Was allerdings auffällt: Das Lieblingsinstrument der HR-Techniker, die Gran Cassa fällt erstaunlich wenig auf. Sie klingt geradezu dezent, ganz anders als bei Kitajenko oder Spinosi, Altinoglu oder Heras-Casado. Da war wohl jemand anderes am Mischpult.
3
Gérard Korsten
Sinfonieorchester Vorarlberg
ORF
2009, live
12:18
Gérard Korsten war 2005-2020 Chefdirigent in Bregenz. Zu Beginn dieser im Festspielhaus Bregenz aufgenommen Darbietung strömt das Blut und pocht das Herz sehr deutlich und Holz und Blech erklingen geradezu gespenstisch nah. Da erwartet man schon so etwas wie eine Referenzaufnahme. Sogar die Walzer beginnen schön zu Schweben. Leider wirkt das Orchester im Verlauf extrem in seiner Dynamik beeinträchtigt durch die manipulative Aufnahmetechnik. Wenn es ein ff gibt, wird der Pegel überdeutlich abgeregelt, sodass das Orchester nahezu nach hinten verschwindet. Das Orchester selbst macht einen guten Eindruck, soweit man das beurteilen kann, es spielt sehr engagiert, aber die Technik macht den Gesamteindruck fast ganz kaputt. Je lauter die Partitur das Orchester fordert, desto weiter rückt es weg und desto leiser wird es. So wird aus einer möglichen Sternstunde genau das Gegenteil.
Dabei beginnt alles noch sehr gut, der Klang ist wunderbar präsent und transparent, sodass man sich mittendrin fühlt im Orchester. Das ändert sich im Verlauf zum Gegenteil, man wird geradezu aus der Musik herauskatapultiert, so stark beschnitten wirkt die Dynamik, so stark manipuliert wird das Orchester in der räumlichen Anmutung. Man kann sagen, dass die Technik hier die musikalischen Bemühungen fast gänzlich entwertet. Eine Aufnahme des ORF, Landesstudio Vorarlberg. Das haben wir vom Landesstudio Salzburg schon ganz anders (genauer: viel besser) gehört.
fertiggestellt 26.7.25