Sergej Rachmaninow
Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43
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Werkhintergrund:
Wie Rachmaninows Klavierkonzerte durchquert die Rhapsodie hochexpressive russische Romantik mit brillanter Virtuosität.
Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow wurde am 1. April 1873 in Semjonowo, Bezirk Staroruski, Russland, geboren und starb am 28. März 1943 in Beverly Hills, Kalifornien. Er komponierte seine Rhapsodie über ein Thema von Paganini im Sommer 1934 in seinem Haus in der Schweiz. Die Uraufführung fand am 7. November 1934 in Baltimore statt. Rachmaninow war Klaviersolist, Leopold Stokowski dirigierte das Philadelphia Orchestra. Bereits rund sechs Wochen später kam es zur Ersteinspielung in derselben Besetzung, nämlich am 24.12.1934 im „Kirchenstudio“ in Camden bei Philadelphia.
Neben dem Soloklavier sind in der Partitur von Rachmaninows Rhapsodie über ein Thema von Paganini zwei Flöten und Piccoloflöte, zwei Oboen und Englischhorn, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, vier Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen, eine Tuba, eine Pauke, eine kleine Trommel, ein Triangel, Becken, Glockenspiel, eine große Trommel, eine Harfe und Streicher (erste und zweite Violine, Bratschen, Celli und Kontrabässe) zu hören. Die Rhapsodie dauert etwa 20-25 Minuten.
Variieren ist eine Essenz von Rachmaninows Komponieren. Die epische Weite seiner symphonischen und konzertanten Werke und ihrer Themen erreicht Rachmaninoff durch vielfältige Metamorphosen kleiner motivischer Zellen. Es war daher nur eine Frage der Zeit, dass er den Variationen über Frédéric Chopins trauermarschartiges c-Moll-Prélude (1902|03) solche über noch kompaktere, in der Substanz elementare Themen folgen ließ – zunächst 1931 die Corelli-Variationen op. 42 für Klavier solo, dann drei Jahre später die Rhapsodie über ein Thema von Niccolò Paganini op. 43 für Klavier und Orchester.
Sergei Rachmaninow war bei weitem nicht der erste Komponist (zu den anderen zählen Chopin, Brahms und Liszt), der in der explosiven Persönlichkeit des Violin-Virtuosen-Superstars Nicolò Paganini zu inspirierender Kreativität fand. Paganini (1782–1840), einer der schillerndsten, bekanntesten und meistnachgeahmten Musiker und Komponisten des 19. Jahrhunderts, begeisterte sein Publikum mit seiner damals als übermenschlich empfundenen Technik (heute zeigt das fast jede/r Wettbewerbsteilnehmer/in in einem der ganz großen Wettbewerbe in der zweiten Runde) und seiner protzigen Bühnenpräsenz und schockierte es mit seiner unersättlichen Gier nach Frauen und Glücksspiel. Beobachter, die von seinem beispiellosen Talent erstaunt waren, warfen Paganini wiederholt vor, über übernatürliche Kräfte zu verfügen, die er durch einen faustischen Pakt mit dem Teufel erlangt hatte. Sogar Goethe, der bekanntlich einiges über Faust und Mephisto wusste, war angesichts von Paganini sprachlos: „Mir fehlt die Basis für diese Säule aus Sonnenstrahlen und Wolken. Ich hörte etwas schlicht Meteorisches und konnte es nicht verstehen.“
Er galt nicht nur als „Teufelsgeiger“, sondern inszenierte sich auch so, in schwarzer Kleidung und mit leichenartiger Blässe, die in Wahrheit Symptom für schwere chronische Erkrankungen war. Da hat er aus einem Übel noch das Beste gemacht.
Obwohl die meisten Kritiker Paganinis Musik weder Substanz noch Gewicht zuschreiben, da sie in erster Linie dazu diente, seine zirkusartige Streicherakrobatik zur Schau zu stellen, sind ihre Ausgelassenheit und ihr Charme nicht zu leugnen. Nirgendwo kommen diese Qualitäten ansprechender zur Geltung als in den 24 Capricen für Violine solo (Ventiquattro Capricci per violino solo), Opus 1. Diese Stücke, die Paganini als Teenager zu komponieren begann, sind allesamt mit erstaunlichen technischen Tricks verziert, die an Filigranarbeit auf einer glänzenden, juwelenbesetzten Oberfläche erinnern, und enthalten das, was ein Autor als „eine ganze Schule des Geigenspiels“ beschrieb. Brahms nannte sie mit dem ihm eigenen sachlichen Understatement „einen großen Beitrag zur musikalischen Komposition im Allgemeinen und zur Violine im Besonderen“ und war besonders vom letzten Stück der Reihe, Nr. 24 in a-Moll, angezogen, das selbst aus elf Variationen über eine betörend einfache Melodie besteht.
Brahms war von Paganinis Thema so angetan, dass er 1865 ein darauf basierendes Hauptwerk für Klavier vollendete: „Studien für Pianoforte: Variationen über ein Thema von Paganini, Heft 1 und 2“. Auch Franz Liszt, selbst ein berühmter Virtuose und Bewunderer von Paganinis Theatralik, arrangierte Paganinis Caprice Nr. 24 in seinen Six Grandes Études de Paganini für Klavier solo. Rachmaninow betrat somit kein Neuland, als er im Frühjahr 1934 beschloss, sein eigenes Werk für Klavier und Orchester auf der Grundlage derselben kleinen, flexiblen und gestaltbaren Melodie zu schreiben. Und Rachmaninow war nicht der letzte, der aus dieser Quelle schöpfte. In jüngerer Zeit haben so unterschiedliche Komponisten wie Witold Lutosławski, Boris Blacher, John Dankworth (in Big Band-Arrangements), Andrew Lloyd Webber, Alexander Rosenblatt und Marc-André Hamelin Stücke geschaffen, die von Paganinis Caprice Nr. 24 inspiriert sind. Rachmaninows Rhapsodie war jedoch immer die bekannteste von allen und wurde von all seinen Werken für Klavier und Orchester (vielleicht hinter oder gemeinsam mit dem 2. Klavierkonzert c-Moll) mit am häufigsten eingespielt. Sie ist beim Publikum vielleicht nicht ganz so beliebt wie das unsterbliche Zweite Konzert, aber sie ist auch nicht so grandios-bombastisch.
In seiner Rachmaninow-Biografie erklärt Barrie Martyn, warum sich dieses Thema so gut als Variationsstoff eignet: „Es verkörpert die grundlegendste aller musikalischen Ideen, die perfekte Kadenz buchstäblich in seiner ersten Hälfte und in einer harmonischen Progression in der zweiten, die selbst einen musikalischen Aphorismus zum Ausdruck bringt; und die Melodielinie wird durch die Wiederholung einer einfachen, aber sofort einprägsamen viertönigen Sechzehntelnote unverwechselbar.“ Das kreisförmige Thema (im Zweivierteltakt) teilt sich in zwei gleiche Teile, von denen der zweite eine Ausarbeitung des ersten ist, und kehrt fest und mühelos zur Grundtonart a-Moll zurück. Vielleicht noch wichtiger für ein für Variationen verwendetes Thema ist, dass es sofort erkennbar und deutlich, ja sogar „mitsummbar“ ist, sodass es selbst bei drastischen Transformationen seine leicht „muskulösen“ Konturen behält. In seinen Variationen für Klavier solo hatte Brahms das Thema ähnlich wie Paganini als Sprungbrett für anspruchsvolle technische Übungen ohne klar definierte Gesamtstruktur verwendet. Ganz anders verhält es sich mit Rachmaninows Rhapsodie über ein Thema von Paganini: Er geht weit über das Thema hinaus und schafft ein großangelegtes Werk im Konzertstil für Klavier und Orchester mit einem klaren und eigenständigen Sinn für formale Gestaltung und Klangfülle.
Das Thema ist kurz, 16 Zweivierteltakte und keine 20 Sekunden lang; es besteht im Grunde aus Varianten seines Anfangstaktes und dem Weg, den diese durch verschiedene Harmoniebereiche nehmen. Um aus dieser spärlichen Substanz „ein Werk, ungefähr so lang wie ein Klavierkonzert“ – so Rachmaninows erklärter Wille – entstehen zu lassen, bedarf es nicht nur einiger guter Ideen, sondern vor allem einer übergreifenden Konzeption, die einen großen Bogen über viele kleine Teile zu schlagen vermag. Rachmaninoff wandte verschiedene Kunstgriffe an, um eine überzeugende Gesamtdramaturgie zu erreichen. Dem Thema stellte er nicht nur eine kurze Einleitung, sondern bereits eine erste Variation voran: Mit dessen „Skelett“ aus trockenen Einzeltönen, die lediglich das harmonische Gerüst der Melodie andeuten. Sie übernimmt eine ähnliche Funktion wie die eröffnenden Takte in Beethovens ›Eroica‹-Variationen. Sie führt die harmonietragenden Töne vor, exzerpiert aus dem Thema eine Basslinie, die danach als Fundament der tonalen Organisation dienen kann. Es gibt also bereits einen Weg zum Thema hin; allein schon damit wird die Dimension geweitet.
Wie zahlreiche Kommentatoren angemerkt haben, geht es in der Rhapsodie weniger um das Thema von Paganinis Caprice Nr. 24 als um den Mythos Paganinis, des romantischen Virtuosen schlechthin. Da Rachmaninow selbst ein berühmter Virtuose war (dieser Aspekt seiner Karriere war in den Vereinigten Staaten besonders ausgeprägt, was ihn oft ärgerte), fühlte er sich eindeutig zum Bild Paganinis hingezogen, insbesondere zu den hartnäckigen Gerüchten über seinen dämonischen Charakter und seine dämonischen Verbindungen. Das erklärt, warum Rachmaninow in der Rhapsodie Paganinis Thema prominenten Zitaten des bekannten Dies irae-Themas aus der katholischen Requiem-Messe gegenüberstellt. Dieses Thema (das neben zahlreichen anderen Werken auch in Berlioz' Symphonie fantastique verwendet wird) wurde traditionell mit Tod und übernatürlichen Mächten in Verbindung gebracht und taucht auch in mehreren anderen Partituren Rachmaninows auf. Wie in seinem Vierten Konzert, seiner Ersten und Dritten Symphonie, seinen Symphonischen Tänzen und seiner symphonischen Dichtung „Die Toteninsel“ machte Rachmaninow die mittelalterliche Gesangsmelodie des Dies irae zu einem bedeutenden Teil der Rhapsodie.
Die ersten Töne aus der lateinischen Totensequenz „Dies irae, dies illa“. Mit ihr hat es bei dem Komponisten orthodoxen Bekenntnisses eine besondere Bewandtnis. Der New Yorker Musikologe Joseph Yasser gehörte zu den wenigen Kritikern, die Rachmaninoffs Corelli-Variationen gelobt hatten. Zugleich wies er darauf hin, dass der Barockmeister das von Rachmaninoff gewählte Thema selbst schon aus einer älteren Quelle übernommen hatte. „Rachmaninow war durch den Artikel Yassers so angeregt, dass er den Musikwissenschaftler zu einem persönlichen Gespräch einlud. Im Verlauf der Unterhaltung entspann sich zwischen beiden eine lebhafte Diskussion über das „Dies irae“-Thema, und Yasser war überrascht, mit welcher Beharrlichkeit Rachmaninoff ihn über die Entstehungsgeschichte, die Bedeutung und verschiedenen Bearbeitungen der lateinischen Totensequenz ausfragte. Yasser verabschiedete sich mit dem festen Versprechen, eine umfassende Abhandlung über die mittelalterliche, katholische Sequenz nachzuliefern.“ (Maria Biesold) Nach dieser Konversation komponierte Rachmaninoff die Paganini-Rhapsodie mit ihren 24 Variationen.
Doch was sucht die Sequenz über das Jüngste Gericht in einem symphonisch-konzertanten Virtuosenstück? Es gab wie bereits erwähnt Präzedenzfälle: Berlioz’ „Symphonie fantastique“ und Liszts „Totentanz“ etwa. Musikalisch dient das „Dies irae“ bei Rachmaninoff als Kontrastgedanke. Die Erinnerung daran, dass wir mitten im Leben im Tod sind. Ganz besonders dann, wenn man einen Deal mit dem Teufel eingeht. Das "Dies irae" wurde darüber hinaus zur gemeinsamen Signatur seiner letzten Werke.
Dass Rachmaninow eine starke emotionale Verbindung zu Paganini aufbaute, scheint durch die (für ihn) höchst ungewöhnliche Geschwindigkeit bestätigt zu werden, mit der er die Rhapsodie vollendete. Er benötigte dafür nur sieben Wochen, vom 1. Juli bis Mitte August 1934. Kurz zuvor war er mit seiner Familie in eine für ihn von den besten schweizerischen Architekten im Bauhaus-Stil errichtete Villa in der Nähe von Luzern gezogen, ihr erstes dauerhaftes Zuhause, seit sie Russland kurz nach der bolschewistischen Revolution 1917 verlassen hatten. Das Haus nahe Luzern nannte er „Villa Senar“. Der Name ist ein Akronym aus den Namen des Komponisten (Sergei) und seiner Frau Natalja (Natalia), ergänzt um den Anfangsbuchstaben des Familiennamens. Heute ist die Villa ein öffentliches Kulturzentrum. Sie kostete ihn eine Million Euro (umgerechnet, heute in der Lage „Vierwaldstätter See“ wäre das sehr wahrscheinlich ein „Schnäppchen“ und auch damals für ihn, der bis 35000 pro Konzertabend kassierte, war es eine durchaus finanzierbare Investition). Allerdings sollte er nach 1937 nie mehr dorthin zurückkehren. Wer konnte sicher sein, dass die Schweiz auch weiterhin die Sicherheit bot, wo sich die Nazis bereits Österreich einverleibten?
Das Exil aus Russland hatte Rachmaninow emotional bereits stark belastet. Nach 1917 schuf er nur noch vier Orchesterwerke: die Sinfonie Nr. 3, das Klavierkonzert Nr. 4, die Rhapsodie über ein Thema von Paganini und die Symphonischen Tänze. Den Großteil seiner Energie steckte er in ausgedehnte Tourneen als Virtuose: Allein in der Saison 1934–35 spielte er 69 Konzerte. Andere Quellen meinen, es wären bis zu 70 Konzerte pro Halbjahr gewesen. Rachmaninow beklagte sich über diesen mörderischen Zeitplan in einem Brief, den er wenige Wochen nach der Fertigstellung der Rhapsodie über ein Thema von Paganini schrieb. „Soll ich durchhalten? Ich fange an zu verdunsten. Oft ist es mehr, als ich ertragen kann, nur zu spielen. Kurz gesagt – ich bin alt geworden.“ Rachmaninow war damals 61 Jahre alt, nur vier Jahre älter als Paganini, als dieser starb, ausgebrannt vom hektischen Leben eines Virtuosen.
Als er die Rhapsodie über ein Thema von Paganini komponierte, hatte Rachmaninow bereits vier große Konzerte für Klavier und Orchester vollendet und war ein Meister dieser Form. Dabei wird schnell deutlich, dass das Soloinstrument hier eine andere Funktion hat als in Rachmaninows Klavierkonzerten. Natürlich ist es der „Chef im Ring“ und glänzt mit effektvoll-brillanten Passagen; ebenso oft aber tritt es in den Hintergrund, steuert Farb- und Rhythmuseffekte bei oder tritt in kammermusikalischen Dialog mit den Orchestermitgliedern.
Offensichtlich war er sich zunächst nicht sicher, wie er die neue Komposition nennen sollte, und erwog Titel wie „Symphonische Variationen“ und „Fantasie“, bevor er sich für „Rhapsodie“ entschied. Die Bezeichnung „Rhapsodie“ – die keine bestimmte Form impliziert und zur Beschreibung sehr unterschiedlicher Arten von Werken verwendet wurde – täuscht darüber hinweg, dass das Stück eine streng durchdachte formale Struktur aufweist, die ziemlich genau der einer traditionellen Sonate, eines Konzerts oder gar einer Sinfonie entspricht. Die 24 Variationen über Paganinis Thema sind in drei Abschnitte gegliedert. Die ersten zehn in a-Moll stehen als Eröffnungssatz und führen in Variation 7 das Dies-irae-Thema ein. Es taucht in den Variationen 10, 22 und 24 wieder auf. Nach der verträumten Übergangsvariation Nr. 11 verlaufen die Variationen 12 bis 18 wie ein langsamer Satz, der sich allmählich von d-Moll nach Des-Dur bewegt, bis zur Höhepunkt- (und längsten) Variation Nr. 18. Hier erscheint das Paganini-Thema in umgekehrter Form (also gespiegelt durch eine horizontale Achse), zuerst in einer erhaben lyrischen zwölftaktigen Passage für den Solisten, dann gesellen sich die Streicher dazu – Musik, die mit zum Berühmtesten zählen wird, was Rachmaninow erschaffen hat. Ein hochromantisches Sehnsuchtsstück von dem er sagte: „Das habe ich für meinen Agenten geschrieben.“ Dass sich dessen schwärmerische Kantilene aus den auf den Kopf gestellten Anfangstönen des Themas speist, geht im Klangrausch fast unter …Da hat die begehrte Geliebte unserem Helden wohl komplett den Kopf verdreht. Die letzten sechs Variationen kehren nach a-Moll zurück und wirken wie ein Finalsatz mit mehreren eindrucksvollen Kadenzen. Die letzte davon donnert durch ein Wiederaufleben des Dies-irae-Themas abwärts, bevor sie abrupt bei einer amüsant zurückhaltenden Wiederholung des munteren Schlusses von Paganinis Thema innehält.
Andere Analysen sehen sogar vier Sätze (wie in einer Sinfonie) durch die Rhapsodie durchscheinen: Sie würden durch Tempobeziehungen, gestische Charaktere und durch gemeinsame Grundtonarten zusammengehalten: Bis zur elften Variation, einem rhapsodischen, hingetupften, wie improvisiert wirkenden Intermezzo mit kadenzartigem Solopart, erstreckt sich das tonale Zentrum a-Moll. Die Variationen XII bis XV stehen in d-Moll, um Des-Dur gruppieren sich die Nummern XVI bis XVIII, während XIX bis XXIV wieder in die Haupttonart a-Moll zurückkehren. Jede dieser Gruppen vertrete dann einen Typus der viersätzigen Symphonie: der erste a-Moll-Teil das eröffnende Hauptstück, das allem Weiteren Stoff und Maß vorgibt, der d-Moll-Teil entspricht dem Menuett bzw. Scherzo, der Des-Dur-Teil dem langsamen Satz, die Schlussgruppe gleicht einem raschen, sich steigernden Finale. Beide Deutungen erscheinen durchaus schlüssig.
In der Rhapsodie überwand Rachmaninow die Vertrauenskrise, die er beim Komponieren des 4. Konzerts durchlebt hatte, das er mehrmals überarbeitete, ohne jemals ganz zufrieden zu sein. Hier verband er seine seit langem bewunderte Gabe für schwebende, gefühlvolle Melodien mit einem frischen strukturellen Einfallsreichtum. Abwechselnd verspielt, melancholisch, tänzerisch, militärisch und dramatisch, sind die 24 Variationen nicht nur einzeln brillant, sondern auch als Teil eines einheitlichen künstlerischen Ganzen. Über die New Yorker Premiere der Rhapsodie durch das New York Philharmonic Orchestra unter Bruno Walter mit Rachmaninow am Klavier schrieb Robert A. Simon im New Yorker: „Die Rachmaninow-Variationen, die mit dem ganzen Können des Komponisten geschrieben wurden, erwiesen sich als die erfolgreichste Neuheit, die das Philharmonische Symphonieorchester zu bieten hatte, seit Toscanini die Abonnenten mit Ravels Bolero überwältigte.“
Einige Jahre (1937/8) später fragte Rachmaninows Freund, der emigrierte russische Tänzer und Choreograf Mikhail Fokine, an, ob man nicht ein Ballett zur Musik der „Rhapsodie“ erstellen könne. Rachmaninow, dem die Anfrage wie „Wasser auf die Mühle“ war, antwortete: „Sollte man darin nicht die Legende von Paganini wiederbeleben, der seine Seele an den Teufel verkauft, um seine Kunst zu vervollkommnen und damit eine bestimmte Frau zu gewinnen? Alle Variationen mit dem „Dies irae“-Motiv sind der böse Geist, der gesamte Mittelteil von Variation 11-18 behandelt die Liebesepisoden. Paganini erscheint im Thema selbst als sein erster Auftritt und sein letzter als Besiegter in den ersten Takten von Variation 23. Danach folgt bis zum Schluss der Triumph des Siegers (damit war Mephisto gemeint, Anm.).“ Man könnte annehmen, dass der Komponist genau dieses Szenario bereits als Konzept vor der Komposition vor Augen hatte. Und wieder einmal, wie so oft in "männlicher" Kunst, dreht sich letztlich fast alles um die eine Frau, für die man alles tun würde, um sie zu gewinnen. Sogar die eigene Seele verkaufen. Für Fokin war das genau richtig. Es folgte also ein Ballett mit dem Titel „Paganini“, das die Musik aus der Rhapsodie und ein von Rachmaninow geschriebenes Szenario über Paganinis angeblichen Pakt mit dem Teufel verwendete. Das Ballett wurde 1939 in London von Oberst de Basils Ballets Russes im Royal Opera House Covent Garden aufgeführt. Aber man sollte Rachmaninows Worte nicht vor die Ambivalenzen und Raffinessen seiner Partitur stellen. Am allerwenigsten passen sie übrigens, wenn er ausgerechnet die „brutale“ Variation 13 als erste Annäherung zwischen Mann und Frau anbietet. Vielleicht wird es da aber auch bereits mächtig leidenschaftlich? Wenn der Teufel mit im Bunde ist?
Es ist leicht, auf Rachmaninows Konzerte als Monumente einer längst vergangenen Ära zurückzublicken: Wie man weiß, rettete das Zweite Konzert (1901) Rachmaninow nach einer Zeit tiefer Depression den Verstand; das Dritte (1909), das er für seine Amerikatournee schrieb, ist ein umfangreicheres und zugleich kompakteres Werk, weniger prätentiös als das Zweite, aber auch nicht so charmant. (Historischer Zusammenhang: Rachmaninows Drittes Konzert entstand im selben Jahr wie Schönbergs Fünf Orchesterstücke.) Das Zweite und Dritte Konzert gehen auf das Erbe von Tschaikowsky und Chopin zurück, den beiden Komponisten, die Rachmaninow am stärksten beeinflussten. Doch zur Zeit der Rhapsodie, mehr als zwei Jahrzehnte später, hatte Rachmaninow auch einiges von Debussy und Ravel verinnerlicht und ein auf Chopin aufbauendes harmonisches Vokabular weiterentwickelt, das zumindest teilweise neu und definitiv originell ist. Die Rhapsodie bot Rachmaninow auch Gelegenheit für unterschiedliche Klavierkompositionen, die ihn nicht an langatmige „symphonische“ Durchführungen banden, sondern mit einem Höchstmaß an Witz und kontrapunktischem Orchesterdialog und deutlich weniger von dem dröhnenden Stil mit großen Akkorden, für den er bereits berühmt war (obwohl er in der berühmten 18. Variation alle Register zog – so beliebt, dass sie oft als separates Stück auszugsweise wiedergegeben wird). Rachmaninow hat die Welt wie einen wunderschönen Anachronismus mit meisterhaft komponierter und ausdrucksstarker Musik geehrt. Er behauptete, die Musik seiner Zeit nicht zu verstehen, doch bis zu einem gewissen Grad offenbart seine eigene Musik sein Bemühen, sie verstehen zu wollen, insbesondere in seinen wichtigsten letzten Werken, der Rhapsodie und den Symphonischen Tänzen. Der neun Jahre jüngere Strawinsky tat Rachmaninows Musik als antiquiert ab, hatte aber großen Respekt vor dem Musiker selbst.
Sergej Rachmaninow 1934 über seine „Paganini-Rhapsodie“:
„Die Komposition ist sehr schwierig, und ich wollte eigentlich jetzt mit dem Üben beginnen, aber ich werde Jahr für Jahr fauler mit meinen Fingerübungen. Ich versuche, mich vor dem Üben zu drücken, indem ich alte Werke spiele, die noch gut im Fingergedächtnis sitzen.“
Erstellt mit Hilfe von Inhalten aus Texten von Harlow Robinson (aus einem Programmheft des Boston Symphony Orchestra), Erinnerungen von Mark deVoto (2009), Habakuk Traber (aus einem Programmheft des DSO von 2019) und Marcus Imbsweiler (aus einem Programmheft der Deutschen Radiophilharmonie von 2024), dem Beitrag von Volker Hagedorn zu den "Interpretationen", einer Sendereihe des Deutschlandfunks, der da heißt: "Letzter Lichtflug, Die Paganini-Rhapsodie" und vielen Eindrücken, die einen so beim mehrmaligen Hören überfallen.
30.9.2025
Sergej Wassiljewitsch Rachmaninow als jüngerer Mann.
Und als älterer Mann auf einer Gangway eines Ozeandampfers. Hier kann man seine Körpergröße von kolportierten 1,98 m anhand der hinter ihm stehenden Passagiere besser abschätzen.
Überblick über die 125 gehörten Aufnahmen mit Rachmaninows Rhapsodie. Es waren darunter:
86 Stereo-Einspielungen
15 historische Mono-Aufnahmen
23 Aufnahmen von im Rundfunk übertragenen Konzerten, teils auch in den Mediatheken oder/und bei YouTube zu finden
1 Aufnahme mit der Beteiligung einer Orgel statt eines Flügels
Die ausführlichen Rezensionen finden sich wie immer im Anschluß.
Die Stereo-Einspielungen:
5
Julius Katchen
Sir Adrian Boult
London Philharmonic Orchestra
Decca
1959
22:03
5
Earl Wild
Jascha Horenstein
Royal Philharmonic Orchestra, London
Readers Digest, Chesky, Chandos
1965
20:58
5
Philippe Entremont
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1958
21:50
5
Sergei Dorensky
Alexander Dimitriev
Sinfonieorchester des Kulturministeriums der UdSSR
Melodija, MFSL, MCA, Essential Media
1982
22:43
5
Daniil Trifonov
Yannick Nézet-Seguin
Philadelphia Orchestra
DG
2015
23:53
5
Stephen Hough
Andrew Litton
Dallas Symphony Orchestra
Hyperion
2003
23:34
5
Zoltan Kocsis
Edo de Waart
San Francisco Symphony Orchestra
Philips
1985
22:25
5
Howard Shelley
Bryden Thomson
Royal Scottish National Orchestra
Chandos
1990
23:57
5
Lukas Vondracek
Tomas Brauner
Prager Sinfonieorchester
Supraphon
2022
24:01
5
Jewgeni Sudbin
Lan Shui
Singapore Symphony Orchestra
BIS
2011
23:04
5
Artur Rubinstein
Fritz Reiner
Chicago Symphony Orchestra
RCA
1956
23:19
4-5
Anna Vinnitskaya
Krzysztof Urbanski
NDR Elbphilharmonie Orchester
Alpha Classics
2016
22:22
4-5
Natasha Paremski
Fabien Gabel
Royal Philharmonic Orchestra, London
RPO
2012
24:42
4-5
Leonard Pennario
Arthur Fiedler
Boston Pops
RCA
1963
22:16
4-5
Leonard Pennario
Erich Leinsdorf
Los Angeles Philharmonic Orchestra
EMI
1957
20:30
4-5
Mikael Rudy
Mariss Jansons
St. Petersburger Philharmoniker
EMI, Brilliant
1991
24:09
4-5
Margrit Weber
Ferenc Fricsay
Radio-Sinfonieorchester Berlin
DG, Edition Beulah, BnF
1960
24:21
4-5
Rafael Orozco
Edo de Waart
Royal Philharmonic Orchestra, London
Philips
1973
22:53
4-5
Vladimir Ashkenazy
André Previn
London Symphony Orchestra
Decca
1971
23:33
4-5
Vladimir Ashkenazy
Bernard Haitink
Philharmonia Orchestra
Decca
1986
23:57
4-5
Peter Jablonski
Vladimir Ashkenazy
Royal Philharmonic Orchestra, London
Decca
1991
23:05
4-5
Jean-Yves Thibaudet
Vladimir Ashkenazy
Cleveland Orchestra
Decca
1993
23:16
4-5
Behzod Abduraimov
James Gaffigan
Luzerner Sinfonieorchester
Sony
2020
22:57
4-5
Nobojuki Tsujii
Vasily Petrenko
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
DG, zuvor Avex
2018
24:23
4-5
Boris Berezowsky
Dmitry Liss
Ural Philharmonic Orchestra, Jekaterinburg
Mirare
2006
22:06
4-5
Gary Graffman
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1964
23:00
4-5
Martin James Bartlett
Joshua Weilerstein
London Philharmonic Orchestra
Warner
2022
24:24
4-5
Yuja Wang
Claudio Abbado
Mahler Chamber Orchestra
DG
2010
23:04
4-5
Boris Giltburg
Vasily Sinaisky
Brussels Philharmonic
Naxos
2022
22:26
4-5
Horacio Gutierrez
David Zinman
Baltimore Symphony Orchestra
Telarc
1990
23:15
4-5
Oleg Marshev
James Loughran
Aarhaus Symphony Orchestra
Danacord
2001
26:33
4-5
Bernd Glemser
Antoni Wit
Polnisches Nationales Rundfunk-Sinfonieorchester, Kattowitz
Naxos
1995
24:12
4-5
Tamás Vásáry
Yuri Ahronovitch
London Symphony Orchestra
DG
1977
23:25
4-5
Josef Bulva
Bystrik Rezucha
Radio-Sinfonieorchester Bratislava
Mediaphon
P 1994
23:32
4-5
Werner Haas
Eliahu Inbal
Radio-Sinfonieorchester Frankfurt (heute: HR-Sinfonieorchester)
Philipps, Pentatone
1974
23:09
4-5
Mikael Pletnev
Claudio Abbado
Berliner Philharmoniker
DG
1997, live
23:02
4
Sequeira Costa
Christopher Seaman
Royal Philharmonic Orchestra, London
RPO Records
1991
23:01
4
Agustin Anievas
Mosche Atzmon
New Philharmonia Orchestra, London
EMI
1967
22:25
4
Nikolai Lugansky
Sakari Oramo
City of Birmingham Symphony Orchestra
Warner
2003
23:23
4
Valentina Lisitsa
Michael Francis
London Symphony Orchestra
Decca
2010
22:41
4
Simon Trpčeski
Vasily Petrenko
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
Avie
2009
22:46
4
Oleg Volkov
Andrei Tschistiakov
Moskauer Philharmoniker
Brioso
Späte 80er Jahre?
24:56
4
Jenö Jando
György Lehel
Budapest Symphony Orchestra
Naxos
1988
23:53
4
Mikhael Pletnev
Libor Pesek
Philharmonia Orchestra
Virgin
1987
23:46
4
Kun Woo Paik
Vladimir Fedoseyev
Moskauer Radio-Sinfonieorchester
BMG
1998
25:15
4
Philip Fowke
Yuri Temirkanov
Royal Philharmonic Orchestra, London
EMI
1985
24:05
4
Cecile Licat
André Previn
Chicago Symphony Orchestra
CBS-Sony
1983
22:57
4
Jue Wang
Carlos Miguel Prieto
The Orchestra of the Americas
Tinerant Classics
2009, live
23:13
4
John Ogdon
Sir John Pritchard
Philharmonia Orchestra
EMI
1963
23:52
4
Victor Eresko
Vladimir Ponkin
Leningrad Philharmonic Symphony Orchestra
Melodija
1985
23:36
4
Bella Davidovich
Neeme Järvi
Concertgebouw Orchestra Amsterdam
Philips
1981
23:18
4
Eva Knardahl
Mariss Jansons
Oslo Philharmonic Orchestra
Simax
1982, live
24:14
4
David Golub
Wyn Morris
London Symphony Orchestra
IMP, Carlton, LSO Live
1988
23:27
4
Denis Matsuev
Rico Saccani
Budapest Philharmonic Orchestra
BPO Live
P 2007
23:20
4
Abbey Simon
Leonard Slatkin
St. Louis Symphony Orchestra
Vox
1976
23:21
4
Yuja Wang
Gustavo Dudamel
Los Angeles Philharmonic Orchestra
DG
2023, live
23:35
4
Shura Cherkassky
Zdenek Macal
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester (heute: WDR-Sinfonieorchester Köln)
Ica
1970, live
25:33
4
Ian Hobson
Der Pianist in Personalunion
Sinfonia Varsovia
Zephyr
2004
21:15
4
Noriko Ogawa
Owain Arwel Hughes
Malmö Symphony Orchestra
BIS
1998
24:47
4
Jean-Philippe Collard
Michel Plasson
Orchestre du Capitole de Toulouse
EMI
1978
24:43
4
Lise de la Salle
Fabio Luisi
Philharmonia Zürich
Philharmonia Records
2015, live
24:27
3-4
Van Cliburn
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
RCA
1970
24:44
3-4
Denis Matsuev
Valery Gergiev
Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg
Mariinsky
2009
22:17
3-4
Hae-Jung Kim
Julius Rudel
Philharmonia Orchestra
Helicon
1997
24:09
3-4
Irina Georgieva
Sascha Goetzel
Sinfonieorchester Basel
Prospero
2022
25:13
3-4
Anna Federova
Modestas Pitrenas
Sinfonieorchester Sankt Gallen
Channel Classics, Outhère
2020
24:56
3-4
Jean-Philippe Sylvestre
Alain Trudel
Orchestre Métropolitain, Montréal
Atma
2018
24:43
3-4
Lang Lang
Valery Gergiev
Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg
DG
2004, live
23:52
3-4
Jorge Luis Prats
Enrique Batiz
Mexico City Philharmonic Orchestra
ASV, Brilliant
1990
22:17
3-4
Martino Tirimo
Yoel Levi
Philharmonia Orchestra, London
EMI, CFP, Alto
1982
23:41
3-4
Evelyn Chen
Leonard Slatkin
Philharmonia Orchestra, London
Sony-BMG, Conifer
1997
25:25
3-4
Michie Koyama
Andrew Davis
BBC Symphony Orchestra
Sony
1992
24:57
3-4
Tzimon Barto
Christoph Eschenbach
Schleswig-Holstein Festval Orchestra
Ondine
2010
25:55
3
Peter Rösel
Kurt Sanderling
Berliner Sinfonieorchester
Eterna, Berlin Classics
1982
25:13
3
Vladimir Feltsman
Zubin Mehta
Israel Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1989
23:49
3
Igor Levit
Daniel Harding
Wiener Philharmoniker
Sony
2021
24:14
3
Jon Nakamatsu
Christopher Seaman
Rochester Philharmonic Orchestra
Harmonia Mundi
2001
24:13
3
Ilona Prunyi
Howard Williams
Pécs Symphony Orchestra (heute: Pannon Symphony Orchestra)
Hungaroton
1993
24:01
3
Daniel Wayenberg
Christoph von Dohnanyi
Philharmonia Orchestra
EMI
1963
23:26
3
Cécile Ousset
Simon Rattle
City of Birmingham Symphony Orchestra
EMI
1983
25:46
3
Mikhail Pletnev
Kent Nagano
Rachmaninow International Orchestra
Euroarts
2023
25:13
3
Ekaterina Mechetina
Yuri Simonov
Moskauer Philharmoniker
Moscow Philharmonic Society
2025, live
25:34
3
John Lill
Tadaaki Otaka
BBC National Orchestra of Wales
Nimbus
1995
23:38
3
Andrej Gawrilow
Riccardo Muti
Philadelphia Orchestra
EMI
1989
22:14
3
Irina Moreland
Horst Buchholz
Denver Philharmonic Orchestra
Veröffentlicht von der Pianistin
P 2024, wahrscheinlich früher, live
22:11
3
Elisso Bolkvadze
Jansug Kakhidze
Tblissi Symphony Orchestra
HDC, Mazur Media
1994
24:52
Die historischen Aufnahmen in Mono-Technik:
5
Leon Fleisher
George Szell
Cleveland Orchestra
CBS-Sony
1956
21:57
5
Benno Moiseiwitsch
Basil Cameron
London (Liverpool) Philharmonic Orchestra
EMI, Naxos, Membran
1938
21:40
5
Jakov Zak
Kyrill Kondraschin
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Hänssler, APR
1952
21:14
5
Julius Katchen
Sir Adrian Boult
London Philharmonic Orchestra
Decca, Dutton
1954
21:58
5
Cyril Smith
Sir Malcolm Sargent
Philharmonia Orchestra, London
EMI, Guild
1948
21:37
5
Monique de la Bruchollerie
Sir Eugene Goossens
BBC Symphony Orchestra
ICA
1955, live
22:24
5
William Kapell
Fritz Reiner
Robin Hood Dell Orchestra
RCA, Naxos, Diapason
1951
21:51
5
Sergei Rachmaninow
Leopold Stokowski
Philadelphia Orchestra
RCA, BnF
1934
21:59
4-5
Monique de la Bruchollerie
Joel Perlea
Orchestre des Concerts Colonne
Pathé-Vox, Eurodisc
1956
22:21
4-5
Benno Moiseiwitsch
Sir Malcolm Sargent
BBC Symphony Orchestra
Guild
1955, live
21:32
4-5
William Kapell
Artur Rodzinsky
Philharmonic Symphony Orchestra of New York
Pearl, JSP Records
1945, live
22:23
4-5
André de Groote
René Defossez
Orchestre National Belgique
Cypress
1968, live
23:11
4
Benno Moiseiwitsch
Hugo Rignold
Philharmonia Orchestra London
EMI, Maestoso, BnF
1955
23:10
4
Artur Rubinstein
Walter Süsskind
Philharmonia Orchestra London
EMI, Naxos
1947
22:04
3-4
Artur Rubinstein
Victor de Sabata
New York Philharmonic Orchestra
Archipel, Guild
1953, live
21:44
Live-Mitschnitte aus dem Radio, oft in den jeweiligen Mediatheken der Sender oder der ARD oder auf YouTube zu finden.
5
Alexander Malofeev
Alain Altinoglu
HR-Sinfonieorchester
HR
2024, live
22:07
5
Daniil Trifonov
Yannick Nézet-Seguin
Philadelphia Orchestra
SWR
2023, live
21:18
5
Kirill Gerstein
Alan Gilbert
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, gesendet vom ORF
2022, live
23:42
5
Kirill Gerstein
Alan Gilbert
NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR
2025, live
23:00
4-5
Igor Levit
Kirill Petrenko
Bayerisches Staatsorchester, München
BR
2017, live
24:50
4-5
Julianna Avdeeva
Juraj Valcuha
Orchestra Sinfonica della RAI di Torino
Deutschlandfunk
2023, live
23:38
4-5
Mikhael Pletnev
Jean Fournet
Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (heute: Deutsche Radiophilharmonie)
SR
1985, live
24:15
4-5
Anna Vinnitskaya
Lahav Shani
Wiener Symphoniker
ORF
2022, live
22:14
4-5
Anna Vinnitskaya
Pietari Inkinen
Deutsche Radio-Philharmonie
SR
2024, live
22:28
4-5
Behzod Abduraimov
Vladimir Ashkenazy
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
RBB
2019, live
22:50
4-5
Marc-André Hamelin
Elim Chan
Antwerp Philharmonic Orchestra
YouTube
2019, live
24:09
4-5
Denis Matsuev
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
2018, live
23:22
4-5
Dinorah Varsi
Günter Neuhold
Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (heute: Deutsche Radio-Philharmonie)
SR
2006, live
23:12
4-5
Beatrice Rana
Josep Pons
BBC Symphony Orchestra
BBC, gesendet von Deutschlandradio
2025
24:08
4-5
Vadim Cholodenko
Dima Slobodeniuk
SWR-Sinfonieorchester
SWR
2022, live
23:37
4
Nikolai Lugansky
Kazushi Ono
Sinfonieorchester der SWR Baden-Baden und Freiburg
SWR, live
2011. live
23:48
4
Nikolai Lugansky
Tugan Sokhiev
Berliner Philharmoniker
RBB
2016, live
24:22
4
Evgeni Bozhanov
Yutaka Sato
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
RBB
2011, live
24:04
4
Lauma Skride
Andrés Orozco-Estrada
HR-Sinfonieorchester
HR
AD ?
24:30
4
Shura Cherkassky
Hans Schmidt-Isserstedt
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
1954, live
23:58
4
Rudolf Buchbinder
Tomas Netopil
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
2011, live
23:30
3-4
Lise de la Salle
Dennis Russell-Davies
Münchner Philharmoniker
BR
2023, live
25:46
3-4
Eva Gevorgyan
Anna Skrylova
Magdeburgische Philharmonie
MDR
2023, live
24:48
Irrungen und Wirrungen bei der Instrumentenwahl:
1-5
Cameron Carpenter
Christoph Eschenbach
Konzerthausorchester Berlin
Sony
2018
26:40
Die Rezensionen:
Die Stereo-Einspielungen:
5
Julius Katchen
Sir Adrian Boult
London Philharmonic Orchestra
Decca
1959
22:03
Julius Katschen hat die Rhapsodie zwei Mal für sein Hauslabel Decca eingespielt. 1954 entstand noch in Mono-Technik die erste Aufnahme, übrigens in exakt der gleichen Besetzung. Da galt vielleicht für 1959 die Prämisse: „Never change a winning team“. Die Aufnahme entstand sogar mit demselben Team hinter den Reglern (u.a. mit Kenneth Wilkinson als Tonmeister) in der inzwischen leider abgerissenen akustisch für Aufnahmen klassischer Musik ganz hervorragend geeigneten Kingsway Hall in London. Dass man den amerikanischen Pianisten heute nicht noch besser kennt, mag daran liegen, dass er bereits im Alter von 42 Jahren an Leukämie verstorben ist. Bei der Aufnahme war er 36. Sir Adrian war bereits 70. Die Unterschiede zwischen den beiden Aufnahmen liegen in erster Linie im aufnahmetechnischen Bereich. Und wenn man beide im Vergleich hört, kann man ermessen was für einen Quantensprung damals die neue Stereotechnik mit sich gebracht hat. Gerade wenn ein Meister seines Fachs, wie Mr. Wilkinson, der die Stereotechnik bereits zu Höhenflügen animieren konnte. Und das, obwohl er selbst bereits aus der Monotechnik das Beste herauszuholen verstand (siehe die Katchen-Aufnahme in der Liste der Mono-Aufnahmen).
Musikalisch steht die Einspielung mit ihrer flammenden Dramatik wie unter Strom, da ändert es auch nicht viel, dass Sir Adrian nun keine flotten 65 mehr war, wie 1954. An das entfachte Feuer kommen, so haben es uns die 125 gehörten Einspielungen gelehrt, nur die wenigsten jungen Pianisten und Dirigenten je wieder heran und wenn, dann klingt es meist „windschlüpfrig“ oder allzu gleichförmig. Bei Katchen und Boult werden auch die lyrischen Variationen lebendig durchpulst, sodass die Spannung nie abreißt. Das Spiel von Herr Katchen ist von einer athletisch-muskulösen Virtuosität geprägt und von offensiv wirkendem Tatendrang durchpulst, jedoch gepaart mit einer beseelten Poesie. „Die Mischung machts“, könnte man hier meinen, denn beides für sich genommen trifft man durchaus mal häufiger an. Hinzu kommt dann noch ein nahtloses Zusammenspiel mit dem Orchester, das in seinem Spiel besonders im Solistischen noch sattelfester bzw. ausgereifter wirkt als 1954. Das Orchester spielt als Ganzes pointiert, höchst aufmerksam und mit viel „Schmackes“. Es geht jede geforderte Rasanz mit angetrieben wirkender Empathie an. Auch die mittlerweile hervorragenden Soli von Horn, von Klarinette, den Celli, den Trompeten (in Var. 14) und sogar von der Oboe (vor der hätte man es wegen der Klangqualität der Londoner Oboen aus dieser Zeit am wenigsten erwartet) erscheinen gegenüber ´54 nochmals verbessert. Nur das Englischhorn kann auch 1959 heutige Erwartungen noch nicht ganz erfüllen (Var. 16). Die Solovioline gefällt hingegen sehr. In Var. 17, nun schön düster mit viel deutlicherem Holz und Blech wirkt der Klang so viel reichhaltiger. Die berühmte Var. 18 wird so auf eine magische Art vorbereitet. Var. 18 erhält nun etwas mehr Rubato, sodass sie spontaner wirkt als zuvor und insgesamt sehr ausdrucksvoll, auf eine zunächst zärtliche Art. Dann wallt das Orchester ordentlich auf aber selbst hierbei achtet man penibel darauf, dass keiner den anderen übertönt. Var. 19 und 20 erklingen wunderbar vorantreibend und bei Var. 22 wird das Marziale voll herausgebracht. Dem Finale schließlich nähert man sich mit umwerfender Verve und ordentlich Biss, sodass man sich fragt, ob da nicht doch Georg Solti, der der 50er Jahre, dirigiert hat, wie bei Katchens Einspielung des 2. Klavierkonzerts von Rachmaninow. Der zu jener Zeit als Feuerkopf bekannt (und berüchtigt) war.
Der Klang der Aufnahme ist besonders knackig, da kommen auch die nachfolgenen Decca-Aufnahmen nicht mehr heran. Besonders hervorzuheben, wie so oft bei den Decca-Aufnahmen der späten 50er und früheren 60er Jahre ist der Biss und die Attacke-Fähigkeit von Blech und Schlagwerk. Genauso verhält es sich beim Flügel, der perfekt mit dem Orchester ausbalanciert erscheint. Beide erklingen hervorragend präsent. Auf einen käfigen Bass brauchte der geneigte Hörer damals nicht zu verzichten und man fragt sich, warum er in so vielen späteren Einspielungen sozusagen unter das Podium fällt. Der Gesamtklang wirkt saftig, sehr brillant, offen, transparent, extrem dynamisch bei einer schon recht ausgeprägten Tiefenstaffelung des Orchesters. Diese Aufnahme bietet genau den Klangzauber, den das Werk braucht und sie wirkt zudem auch klanglich umwerfend lebendig (also nicht nur musikalisch). Eine Glanzleistung der Techniker, die damals auch noch viel musikalisches Gespür mit zur Arbeit brachten. Eine phantastische Aufnahme, der noch einige wenige andere folgen sollten. Leichtes Rauschen.
5
Earl Wild
Jascha Horenstein
Royal Philharmonic Orchestra, London
Readers Digest, Chesky, Chandos
1965
20:58
Readers Digest gab seine Aufnahmen gerne bei Decca in Europa in Auftrag, denn sie waren dort günstiger zu machen als in den U.S.A. Dieses Mal hatte die audiophile Klassik-Welt besonderes Glück, den der Auftrag wurde an ein Team mit Kenneth Wilkinson als Tonmeister weitergegeben und man hatte sich als Aufnahmeort wie bei Katchen die Kingsway Hall im Londoner Stadtteil Holburn ausgewählt, die trotz (zu geringer) Gegenwehr von Künstlern und Produzenten, die den guten Klang der Aufnahmen dort schätzten, 1998 abgerissen wurde. Zuvor kamen allerdings schon Teile der Decke runter, sodass man von Glück reden muss, dass nichts Schlimmeres dabei passiert ist. Aufgrund ihrer zentralen Lage und der hervorragenden Akustik wurde die Halle, die Platz für 2000 Zuhörer bot, zum gefragtesten Aufnahmeort für Orchestermusik in England, insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren, als die Unternehmen von Mono- auf Stereoaufnahmen umstellten. Allein das London Symphony Orchestra machte zwischen 1926 und 1983 dort 421 Aufnahmen; das London Philharmonic Orchestra machte dort 280 Aufnahmen, das RPO und das Philharmonia Orchestra folgten in dieser Statistik. Nicht nur Decca nahm dort auf, auch EMI und RCA. Die letzte Aufnahme, die dort entstanden ist, war übrigens Puccinis „Manon Lescaut“ mit Sinopoli, allerdings für DG. Heute steht an der Stelle der Kingsway Hall immerhin ein Hotel gleichen Namens „Hotel Kingsway Hall“.
Nun wieder schnell zurück zur Aufnahme mit Earl Wild und Jascha Horenstein. Sie ist aus ganz ähnlichem Holz geschnitzt wie die Aufnahmen mit Julius Katchen: Feurig, temperamentvoll, mit einem höllischen Tempo und enorm kraftvoll. Ebenso dynamisch und mit explosiven Akzenten versehen. Das gilt sowohl für das Spiel bzw. den Klang des Pianisten und seines Flügels als auch für das Orchester. Beim Anschlag geht Mr. Wild bis an die Grenzen des noch klangvoll Machbaren, wenn z.B. ein sf verlangt wird. Man bewegt sich äußerst kontrastreich zwischen den heroischen, grotesken, wenn man so will dämonischen einerseits und den lyrisch-gefühlvollen Anforderungen des Werkes andererseits. Allenfalls erscheint die Subtilität der Nuance dem halsbrecherischen Tempo mehr zum Opfer gefallen zu sein als bei Julius Katchen, der deshalb vom äußersten Tempo absieht, zurecht wie wir meinen. Das Orchester wird von seinem Dirigenten, von dem wir bisher qualitativ sehr heterogene Einspielungen kennenlernen durften, hervorragend befeuert. Es kann in jeder Hinsicht mit dem Solisten mithalten, was einer Glanzleistung gleichkommt. Da hört man fulminante Kraftentfaltung aber auch sensible Nuancierungskunst, wobei jedoch eindeutig ersteres stärker in Erinnerung bleibt. Man befeuert sich zusätzlich gegenseitig und entfacht ein Drama, wie auf Leben und Tod. Darum geht es in dem Stück ja eigentlich. So ist die höchste Temperatur auf der musikalischen Hitzeskale emotionaler Erregung sowohl bei Wild als auch beim Orchester genau richtig am Platze. Es hört sich an wie ein Drahtseilakt ohne Netz oder Fangseil, extrem konzentriert und spieltechnisch funkensprühend. In den lyrischen Passagen nicht ganz so ausdrucksvoll wie Katchen und Boult, was dem rasanten Tempo mehr geschuldet scheint als den musikalischen Fähigkeiten. In Var. 18 geht man mit höchster Kraftentfaltung zu Werke, ohne Plüsch und Tränen, wenn man so will, emotional mit einer gewissen Herbheit. Da gibt es kein ausschweifendes Rubato und schon gar kein „Verweile doch, Du schöner Augenblick“. Am meisten an dieser durch und durch testosterongesättigten Einspielung erfreut jedoch der überaus lebhafte Puls, der die ganze Einspielung gleichsam von A bis Z beseelt. 2023 versuchte Daniil Trifonov bei seinem Gastspiel mit dem Philadelphia Orchestra in Baden-Baden ähnliches. Darauf kommen wir bei den Radio-Mitschnitten zurück, denn der SWR war dabei und hat die Aufnahme gesendet. Da ging es ähnlich rasant zu, viel rasanter als bei der Studioaufnahme Trifonovs von 2015. Davon später mehr. Die Partitur wurde bei der Aufnahme Wilds leicht gekürzt, aber ein echter Mangel entsteht dadurch nicht. Durchgängig unerbittlich, kühn, groß im Format, aufregend und stürmisch. Das mag wohl etwas einseitig wirken, aber bei der Bravour der Horowitz-Klasse wird dieser Aspekt (für uns jedenfalls) zweitrangig.
Der Klang erinnert nicht von ungefähr an den besten Decca-Klang der 60er Jahre. Er ist sehr dynamisch, klar, differenziert, brillant und von anspringender Präsenz, energiegeladen, körperhaft und wie bei Katchen sehr lebendig. Auch hier erfreut man sich an einem kräftigen Bass. Herausragend.
5
Philippe Entremont
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1958
21:50
Diese Aufnahme entstand im Broadwood Hotel in Philadelphia. 24 Jahre nach Rachmaninows eigener Einspielung tritt der französische Virtuose mit demselben Orchester wie der Komponist selbst und mit fast derselben Spieldauer in die Fußstapfen der Ersteinspielung. Es dürfte kaum verwunderlich sein, dass sich die nachkommenden Pianisten sehr wohl mit der Einspielung des Komponisten auseinandergesetzt haben, besonders die ihm unmittelbar nachfolgenden. Die Pianisten von heute sehen das Vorbild von 1934 offensichtlich als wesentlich unverbindlicher an, ob aus mangelnden pianistischen Fähigkeiten heraus oder weil sich unterdessen der „Stil“ geändert hat. Man erkennt es schon an den immer länger werdenden Spielzeiten, dass sich da sukzessive was ändert. Monsieur Entremont befand sich jedoch 1958 auf dem Höhepunkt seines pianistischen Könnens und konnte es mit der eigenen Aufnahme des Komponisten durchaus noch aufnehmen, was ihm im Alter, das Rachmaninow 1934 bei seiner Aufnahme hatte, sicher nicht mehr gelungen wäre.
1958 geht es jedoch energisch, leidenschaftlich, mitunter sogar rasend, knackig und virtuos zu, aber auch wenig finessenreich. Also auch eher wenig subtil und mitunter etwas zu eilig für unser Empfinden. Allerdings macht Entremonts Spiel einen von manuellen Grenzen völlig ungehemmten Eindruck. Der Pianist hat ein gerade bei Rachmaninow besonders erfahrenes und präzises Orchester mit seinem langjährigen Chef an seiner Seite, das enorm klangvoll den Solisten mit allen Mitteln gleichgesinnt unterstützt, was Dynamik und knackige Rhythmik anlangt. So geht es straff, enorm präsent, pointiert und sehr deutlich voran, wie man sich das von den Virtuosen Paganini und Rachmaninow, die einen Pakt mit dem Teufel eingehen, vorstellen kann. Das Werk wird unter Strom gesetzt und wie unter einen Bogen gespannt. Eine typische Einspielung wie man sie von den allerbesten Einspielungen aus den 30er bis zu den frühen 60er Jahre hören kann. Je häufiger es dann später aufgenommen wurde, desto betulicher wurde der Gestus, nicht immer, aber oft. Var. 8 klingt wie auf „Speed“, enorm virtuos, enorm kraftvoll vom Pianisten und vom Orchester, allenfalls das col legno könnte deutlicher herauskommen, eine Schwäche der allermeisten Einspielungen. Besonders hervorhebenswert das dolce-cantabile der Celli, das bis zum ff wunderbar gesteigert wird. Var. 12 erklingt nuancenreich um bei Var. 13 wieder das volle Marcato aufzubieten, immer größtmöglich effektvoll. Var. 14 wird zu einem Triumph der Trompeten des Orchesters. Var. 15, die sogenannte „Art-Tatum-Variation“, die zum großen Teil ohne Orchester erklingt, wird in einem Atemzug und ohne jede dynamische Abstufung virtuos durchgehämmert. Das typische Staccato des Jazz-Pianisten, der von Rachmaninow so sehr wegen seiner Virtuosität geschätzt wurde, kann auch von Philippe Entremont nicht genau imitiert werden. Das muss auch nicht unbedingt das Ziel sein. Aber man sollte sich doch annähern um den historischen Bezug zu erhalten. Var. 17 erklingt dunkel und spannungsreich, vom Orchester her besonders farbenreich. Entremont bleibt hier leider zu laut und zu pauschal. Bei Var. 18 bleibt sozusagen kein Auge trocken, wer hätte vom Philiadelphia Orchestra unter Ormandy anderes erwartet? Gleichwohl sollte diese die gelungenste Einspielung des Orchesters bleiben, zumindest einmal bis 2015. Die letzten Variationen, von uns „Mephisto-Variationen“ genannt, lassen Entremont und das Orchester fast wie selbst mit dem Teufel im Bunde erscheinen: virtuos, tempogeladen und ganz unter Spannung gesetzt.
Das Orchester bietet noch Portamenti und üppigen Streicherklang gegen den viele spätere Orchester geradezu anämisch wirken, romantisches Schwelgen und Weltklasse-Virtuosität. Die Aufnahme selbst lässt jede Tiefenstaffelung vermissen, sie klingt platt wie eine Flunder. Das ist der „alte“ gefürchtete Breitwand-Sound aus Philadelphia, der von so vielen Aufnahmen der Zeit bekannt geworden ist. Trotzdem ergibt sich noch eine ganz gute Transparenz, fast nur aus der Aufstellung in der Breite resultierend. Die deutlichen Soli erklingen wie direkt an der Rampe. Das Orchester wirkt aber auch sehr dynamisch und druckvoll, voluminös und sehr brillant. Die Balance zwischen Flügel und Orchester weist beide als gleichberechtigte Partner aus. In ihrer Art eine beeindruckende Einspielung mit kleinen Schwächen und großen Stärken.
5
Sergei Dorensky
Alexander Dimitriev
Sinfonieorchester des Kulturministeriums der UdSSR
Melodija, MFSL, MCA, Essential Media
1982
22:43
Der Pianist scheint in Westeuropa wenig bekannt geworden zu sein, nichtsdestotrotz spielt kaum jemand die Rhapsodie dermaßen virtuos. Ein „pianistisches Schwergewicht“, das an Emil Gilels oder Svjatoslav Richter denken lässt. Es fällt aber auf, dass Herr Dorensky auch als Lehrer herausragender Schüler bekannt geworden ist, darunter Nikolai Lugansky, Denis Matsuev, Olga Kern u.a. Er spielt kraftvoll, mit einem großen, substanzreichen, fast schon furchteinflößenden Ton. Leuchtend, brillant und mit viel Schwung. Das Orchester kennt „seinen“ Rachmaninow, wirkt sehr aufmerksam, pointiert und klar und solistisch ohne Fehl und Tadel. Es kann in Sachen Brillanz durchaus mit dem Pianisten mithalten. Leider kommen nicht alle Soli aufnahmetechnisch bedingt gleich gut zur Geltung und Oboe und Englischhorn klingen noch etwas hart und unbeweglich. Var. 18 wirkt höchst dynamisch und zügig, das ganze Stück wirkt ohne Mätzchen in aller Fulminanz aber auch sensibel im Lyrischen „hingelegt“. Dabei hat man den Eindruck, dass Herr Dorensky nicht einmal besonders im Rampenlicht stehen möchte. Er schüttelt die Darbietung aus dem Ärmel, so wirkt es jedenfalls.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr transparent aber in seiner Räumlichkeit ziemlich stark eingeschränkt. Es gibt keinerlei Tiefenstaffelung, als ob sich alles auf einer Ebene abspielen würde. Im ff wird er dicht. In Sachen Präsenz wird die „Living-Stereo“ bzw. die „Living-Presence“-Ära ziemlich erfolgreich wiederbelebt. Der Flügel steht warm klingend und fast raumfüllend vor uns. Die Dynamik gibt dem Ganzen ordentliche Fulminanz mit. Es fehlt nicht an Leuchtkraft der Farben.
5
Daniil Trifonov
Yannick Nézet-Seguin
Philadelphia Orchestra
DG
2015
23:53
Der kompletten Besetzung werden wir 2023 (im Rachmaninow-Jahr) in Baden-Baden wiederbegegnen. Der SWR zeichnete auf und sendete. Die Interpretation wird sich bis dahin verändert haben, man braucht dann nur noch 21:18. Davon mehr bei den Radio-Mitschnitten.
2015 traf man sich in der Verizon Hall des Kimmel Centers for Performing Arts in Philadelphia. Ganz sicher viel besser ausgestattet als das Kirchenstudio in dem Rachmaninow selbst 1934 sein Werk sechs Wochen nach seiner Uraufführung mit demselben Orchester und demselben Dirigenten einspielte. Daniil Trifonov nahm mit dieser Einspielung sein erstes Studioalbum auf. Wir erinnern noch einmal dran, dass er beim Chopin-Wettbewerb 2010 hinter Julianna Avdeeva, Lukas Genuisas und Ingolf Wunder (gemeinsam auf dem zweiten Platz) dritter geworden ist und den Tschaikowsky-Klavierwettbewerb 2011 vor Yeol Eum Son und Seong-Jin Cho gewonnen hatte. Martha Argerich wurde damals zu dem Ausspruch hingerissen: „Was er mit seinen Händen macht ist unglaublich!“ Das gilt auch für den Klavierpart der Rhapsodie. Argerich weiter: „Sein Anschlag hat Zartheit und zugleich ein dionysisches Element. So etwas habe ich noch nie gehört.“ Sein Anschlag kann wie gestochen sein, enorm schnell und klar, er kann der Musik aber auch eine gewisse Fantasie mitgeben und sogar Witz verleihen, was nur Wenigen gelingt. Wahnsinn oder Dämonie im Sinne des Auftretens von Paganini kommt einem allerdings kaum in den Sinn. Bei ihm löst sich die Spannung in den lyrischen Variationen immer wieder schön auf. Das wirkt schön rhapsodisch. 2023 live in Baden-Baden geht das nun entfachte Temperament über fein ausgesponnene Lyrik eher hinweg zugunsten eines atemlosen Antriebs. 2015 wirkte er bei seiner Klavierlyrik noch freier und etwas spontaner. Insgesamt ist die Darbietung sehr farbig geraten, woran das Orchester (und die Aufnahmetechnik) ihren nicht unerheblichen Anteil haben. Das Orchester erreicht in seinen koloristischen Fähigkeiten durchaus die Ormandy-Aufnahme mit Entremont von 1958, spielt mit feinem Rubato und im Verlauf mit weit gespreizten Tempogegensätzen. Man lässt sich die Ruhe, um zu erzählen. Die Aufnahmen von Earl Wild, Julius Katchen oder Leonard Pennario dürften ihm kaum als Vorbild dabei gedient haben. Das Orchester klingt üppig und reichhaltig, solistisch prägnant, es spielt aber lange nicht so sehr ums „sein Leben“ wie das Cleveland Orchestra in der Aufnahme mit George Szell (mit Leon Fleisher, noch in Mono!) oder das LPO mit Sir Adrian (mit Julius Katchen 1959 und noch mehr 1954). Trifonovs Lyrik gelingt in den Var. 12 und 18 besonders innig und ausdrucksvoll-schön; bestechend dabei immer die vollkommene Klarheit. Die dynamischen Abstufungen erscheinen perfekt austariert, das Spiel ziemlich offenherzig und freizügig. Dazu braucht man schon immense Ressourcen im Technischen. Das Orchester hat ein „Heimspiel“.
Die Aufnahme klingt wunderbar klar, warm und präsent, farbstark dynamisch und detailreich. Der Bass wurde nicht vergessen, die Gran Cassa klingt mächtig. Der Klang des Flügels gefällt rundum, er ist sehr klar und deutlich, recht füllig und wunderbar brillant. Es klingt ein wenig trocken (nicht so sehr wie bei Rachmaninow 1934), aber die Tiefenstaffelung könnte großzügiger sein. Vielleicht könnte auch die Räumlichkeit eine Spur ausladender sein. Es ist gar nicht leicht eine gute Decca von 1959 (Katchen) oder 1965 (eine Decca unter falscher Flagge mit Earl Wild) zu toppen.
5
Stephen Hough
Andrew Litton
Dallas Symphony Orchestra
Hyperion
2003
23:34
Wie man dem Beiheft entnehmen kann erhielt diese Einspielung (gemeinsam mit den vier Konzerten) einen Gramophone Award 2005. Nicht zu Unrecht. Man hat sich die Eigenaufnahme des Komponisten genau angehört und vieles übernommen, manches variiert. Das wäre nicht weniger als legitim, wenn man schon eine Eigenaufnahme des Komponisten zur Verfügung hat. So hört man wieder eine paar Portamenti und Tenuti, was mittlerweile selten oder gar obsolet geworden ist. Allerdings nicht verschmiert sondern blitzsauber. Der Pianist kann immer wieder das schnelle Tempo Rachmaninows mitgehen, in der Lyrik gibt er jedoch (wie in den Einspielungen der Neuzeit fast schon Usus) gerne deutlicher nach. Der Pianist macht einen hochgradig kompetenten Eindruck, spielt leicht und spritzig und kann mit seiner hervorragenden Technik die ganze Bandbreite von filigran bis auftrumpfend komplett bedienen. Er spielt sehr genau ohne akribisch oder gar schulmeisterlich zu wirken. An Elan fehlt es ebenfalls nicht. Allerdings wird es manchmal etwas hektisch, obwohl technisch alles im grünen Bereich bleibt. Es soll also hektisch klingen. Die lyrischen Variationen erreichen eine gewisse „Gefühlstiefe“, ohne dass es gewollt wirken würde. Das Zusammenspiel wirkt auffallend gelungen, man hört aufeinander und musiziert gemeinsam. Keiner überdeckt den anderen, jeder der Parteien (Orchester und Pianist) kommt zu ihrem Recht. Das Orchester zeigt eine sehr gute „Begleitkompetenz“, vielleicht merkt man da, dass Litton selbst auch Pianist ist. Ähnlich verhält es sich auch bei den anderen dirigierenden Pianisten bzw. klavierspielenden Dirigenten Andre Previn, Leonard Bernstein oder Vladimir Ashkenazy. Am Selbstbewusstsein, sich selbst mal an die erste Stelle zu setzen, mangelt es ebenso wenig. Man spielt auffallend eloquent und geschmeidig, da wurde sehr gut geprobt. Die Soli sitzen „auf dem Punkt“ und klingen sehr schön und subtil. In den Var. 17 und 18 weiß Mr. Hough, wie man frei und eindringlich von der Seele weg klangredet und das Orchester hängt sich schließlich voll rein, macht dabei aber nichts kaputt (ja das passiert schnell, wenn man es übertreibt wird es kitschig) die Streicher klingen einfach wunderbar. Insgesamt hat uns diese Einspielung rundum überzeugt.
Der zweite Versuch Hyperions in Sachen Paganini-Variation (nach John Lill und Tadaaki Otaka) klingt sehr, sehr viel besser als der Erste. Der herausragende Klavierklang wirkt bestens mit dem Orchesterklang abgestimmt. Die Transparenz ist hervorragend und kommt dem „modernen“ Ideal ziemlich nah. Es klingt sehr klar und sehr dynamisch. Die Klarheit bleibt in jeder Besetzung und jeder Lautstärke erhalten.
5
Zoltan Kocsis
Edo de Waart
San Francisco Symphony Orchestra
Philips
1985
22:25
Eine frühe Digitalaufnahme aus der Davies Symphony Hall, temporeich aber nie unruhig. Im Klavier (und Orchester) leicht gedeckt klingend. Herr Kocsis gibt nicht permanent Vollgas, er schattiert sehr subtil ab. Die höchste Virtuosität steht jederzeit auf Abruf bereit, das merkt man. Der Klavierklang selbst klingt nicht mit der Brillanz eines Dorensky aus dem gleichen Jahr, obgleich die Spieltechnik ebenso brillant erscheint, das sei eigens erwähnt, nicht dass es bei der „Brillanz“ zu einer Fehleinschätzung kommt. Das Zusammenspiel wirkt hochgradig perfektioniert und nahtlos. Man liegt auf einer Wellenlänge. Die Var. 18 (es ist nun mal die bekannteste) klingt zügig gespielt und wird vom Orchester leidenschaftlich gesteigert. Die „Mephisto-Variationen“ beginnen ein wenig bedächtig, wahrscheinlich nur damit die stetige Steigerung emotional noch mehr ins Schwarze trifft. Diese Einspielung zeigt trotz eines enormen Tempos einen besonders differenzierten Klavierpart. Dadurch wirkt sie überlegter und nicht so draufgängerisch wie z.B. die Einspielungen von Wild, Dorensky oder Entremont.
Der Klang der Aufnahme ist transparent aber etwas flach geraten, d.h. er könnte tiefer in den Raum hineinreichen. Das Orchester hat ja auch bei seiner Aufstellung eine gewisse räumliche Tiefe, die man in dieser Aufnahme kaum realistisch einschätzen kann. Die Balance von Flügel und Orchester ist dennoch als geglückt zu bezeichnen, denn zumindest der Flügel wird nie verdeckt. Es klingt etwas trocken, aber farbig, der Flügel trotz der frühen Digitalaufnahme warm, fein abschattiert und mit gedeckter Brillanz. Dem Orchester hört man die frühe Digitalaufnahme eher und deutlicher an als dem Flügel.
5
Howard Shelley
Bryden Thomson
Royal Scottish National Orchestra
Chandos
1990
23:57
Der Pianist Howard Shelley hat für Hyperion das gesamt Solo-Klavierwerk Rachmaninows eingespielt und auch sonst eine unerhört reichhaltige Diskographie erarbeitet. Seine Einspielung der Paganini-Rhapsodie ist besonders stimmungsvoll geraten. Zwar nicht ganz so flink wie bei Kocsis nicht ganz so kraftvoll und schillernd wie bei Katchen oder Wild und nicht ganz mit dem hinreißenden Zusammenspiel wie bei Katchen und Boult oder bei Hough und Litton. Howard Shelley ist kein Blender, seine Mozart-Konzerte (KV 491 oder KV 595) waren („nur“) eher solide als in irgendeiner Richtung auffallend. Aber seine Darstellung der Rhapsodie wirkt klar und wohlproportioniert, intensiv und expressiv zugleich und sie strahlt Ruhe und pianistische Souveränität aus. Er bringt eine bemerkenswerte Vielfalt mit ein, Schattierungen und Akzente, die anderen gerne mal entgehen. Er artikuliert sehr differenziert, lebendig und zugleich in langen Bögen. Das Orchester wirkt zunächst etwas robust, im Verlauf aber immer klangvoller. Meist spielt es sorgfältiger und präziser als unter Thomsons Vorgänger Neeme Järvi. Manchmal könnte es gegenüber dem Flügel nur etwas lauter klingen. Besonders das Holz. Bryden Thomson war nur 1988-1990 Chefdirigent des Orchesters bevor er 1991 mit nur 63 Jahren an Krebs verstorben ist. Wir hören in dieser Einspielung eine der allerbesten der 18. Variation, geschmackvoll mit Glanz aber auch „innerer Glut“.
Die Aufnahme bietet eine sehr angenehme und tief ausgeleuchtete Räumlichkeit und klingt sehr transparent und körperhaft. Der Flügel ist weit ins Orchester eingebettet kann sich aber jederzeit „aus eigener Kraft“, d.h. ohne technische Hilfe in den Mittelpunkt spielen. Entgegen vieler anderer Einspielungen von Chandos, gerade aus Glasgow, klingt diese nicht hallig und sie verfügt über eine sehr gute Dynamik. Die frühdigitale gläserne Härte hatte man nun schon gut im Griff.
5
Lukas Vondracek
Tomas Brauner
Prager Sinfonieorchester
Supraphon
2022
24:01
Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat man diese Einspielung bereits für das Rachmaninow-Gedenkjahr 2023 produziert. Dazu hat man sich sogar während eines Lockdowns in Prag zur Aufnahme zusammengefunden, denn 2022 regierte noch Corona (nicht nur) über das Kulturleben.
Trotz der relativ langen Spielzeit erscheint die Einspielung enorm kontrastreich, spannend, intensiv und dynamisch. Zu einem gewaltigen Klavierklang bringt Herr Vodracek viel Farbe in die Klavierstimme und er hat einen sehr genauen Blick auf den emotionalen Gehalt des Stückes. Er lässt sich zwar viel Zeit, aber sie erscheint gut investiert. Da ist von ppp bis fff alles da mitsamt den Zwischentönen. An purer Virtuosität mangelt es nicht; nie auftrumpfend vermittelt er neue Spielweisen. Es gibt impulsive Kontraste und ganz besonders sensible Nuancen. Das Spiel wirkt vollkommen vertieft und „sprechend“ phrasiert. Es hört sich nach einer echten Herzensangelegenheit an. Sehr sympathisch. Das Orchester steht dem Pianisten in Sachen Nuancenreichtum nicht nach, spielt farbig und temperamentvoll, nur bei der Var. 18 wünschte man sich ein paar Violinen mehr. Für unseren Geschmack fehlt es insgesamt etwas an Drama und Tempo, aber der enorme Nuancenreichtum wiegt dieses subjektive Manko mehr als auf. Manch ein Hörer würde jedoch die Einspielung vielleicht eher in die 4-5 Kategorie einordnen, der andere vielleicht noch höher.
Der Klang ist ganz besonders transparent, präsent, eher warm getönt und offen, eher filigran als saftig. Das Orchester präsentiert sich gut gestaffelt. Die Violinen eher etwas hell getönt, schlank und eher wenig sonor und wenig füllig. Da mag die Corona-Aufstellung mit viel „Luft“ zwischen den einzelnen Musiker/innen mit eingewirkt haben. Bei der Aufnahme hilft ein leichter Dreh des Potis nach rechts, dann wird es gleich viel plastischer. Man merkt auch der Aufnahme an, dass man sich viel Zeit lassen konnte um das Ergebnis zu perfektionieren. Man hatte ja sonst nicht viel vor.
5
Jewgeni Sudbin
Lan Shui
Singapore Symphony Orchestra
BIS
2011
23:04
An vielen neu erbauten Konzerthäusern gerade in Fernost kann man sehen, wie der „Westen“ langsam aber sicher auch in der Architektur abgehängt wird, bei den chinesischen Megacitys wird es mitunter noch offensichtlicher. Bei dieser Einspielung wurde in der Esplanade Concert Hall in Singapur aufgenommen. Man könnte annehmen, dass Singapur ein Teil von Malaysia wäre, es ist aber nur ein kleiner Stadtstaat darin, trotzdem kann man sich einen ordentlichen Konzertsaal leisten. Bankgeschäfte machen es möglich. Chefdirigent des Orchesters ist derzeit Hans Graf (seit 2020), Principal Guest Conductor Andrew Litton (seit 2017).
Die Einspielung erfreut vor allem durch das makellose Spiel des Pianisten, das frisch und leicht angetrieben wirkt. Dies ist eher kein „großer“ Rachmaninow, der Anschlag ist gut fokussiert, nobel-brillant im Klang, durchaus dramatisch und einfach mit sehr schönem Flügelklang ausgestattet. Die Dynamik wirkt breit, vor allem die leisen Bereiche werden gut ausgehört. Losdonnern ist nicht Sache von Herrn Sudbin. Seine Stärke ist die introvertierte Zartheit, er kann aber auch brillante Virtuosität zeigen, wenn erforderlich. Die Tempogestaltung erfolgt partiturgemäß, das einsatzfreudige Orchester mit seinem damaligen Chefdirigenten musiziert eher zurückhaltend, dezent und locker, immer präzise mit einem gewissen Schwerpunkt auf dem sehr deutlichen und klangschönen Holz. Immer offen für Kammermusik. Der symphonische Gestus wirkt nicht so stark ausgeprägt. Die 15. Var. (die sogenannte „Art Tatum-Variation“) erklingt blitzend, virtuoser als bei Rachmaninow selbst, aber auch glatter, Var. 18 erscheint geschmackvoll, klar, nicht überbordend emotional, doch gefühlvoll. Es gibt in dieser Einspielung nie Leerlauf, es geht mit Schwung voran, mit Emphase und ab und an mit Witz. Sehr ausgewogen. Für manch einen Geschmack angesichts des hinterlegten Sujets der Rhapsodie vielleicht ein wenig glatt.
Klanglich ist diese Einspielung eine der besten. Sehr räumlich, sehr präsent, sehr transparent, sehr farbig und recht dynamisch. Vielleicht etwas zu filigran. Das Holz ist präsent und sehr gut fokussiert, die Streicher angenehm weich, wohlklingend und zart. Dieser besondere Schönklang spielt sehr deutlich in die Interpretation hinein. Mit einem raueren Klang käme man möglicherweise zu einem anderen Urteil.
5
Artur Rubinstein
Fritz Reiner
Chicago Symphony Orchestra
RCA
1956
23:19
Von Artur Rubinstein, der Werke Rachmaninows erst nach dessen Tode gespielt hat, ob aus Respekt oder weil er sich dem Vergleich nicht aussetzen wollte wissen wir nicht, gibt es außer der 56er mit Fritz Reiner zwei weitere Aufnahmen der Paganini-Rhapsodie. 1947 mit Walter Süsskind und dem Philharmonia Orchestra auf EMI und einen Live-Mitschnitt aus New York mit Victor de Sabata, den man heute noch auf Archipel und auf Guild zu greifen bekommt. Die Technik Rubinsteins mag bei den früheren Aufnahmen vielleicht eine noch minimal bessere gewesen sein, wir möchten aber unbedingt die RCA-Version mit Fritz Reiner empfehlen, denn orchestral und klangtechnisch ist sie den beiden anderen haushoch überlegen und Rubinstein spielt mit seinen 70 Lenzen immer noch bewunderungswürdig. Er meinte einmal zu den Werken Rachmaninows: „Ich verfalle dem Charme seiner Kompositionen, wenn ich sie höre, kehre aber mit leichtem Widerwillen wegen ihrer unverhohlenen Süße nach Hause zurück.“ Es gibt also noch einen dritten Grund, weshalb er so lange keinen Rachmaninow spielte, der war aber anscheinend später, als er die Werke dann spielte nicht mehr relevant.
Er spielte die Rhapsodie nicht nur wenn man sich sein Alter vergegenwärtigt unglaublich virtuos, zügig, im Gestus angetrieben und hoch spannend. Was davon auf die harte Hand des Dirigenten zurückfällt mag man ersehen oder vielmehr erhören, wenn man die Aufnahme von William Kapell hört, die ebenfalls von Fritz Reiner dirigiert wurde. Da mag Rubinstein ganz besonders in Sachen Virtuosität herausgefordert worden sein. Mit dem Üben hatte er es ja mitunter nicht so. In dieser Aufnahme wirkt sein Klavier-Klang voll und schillernd, sein Spiel sensibel, spontan und schwungvoll. Die Artikulation wirkt fein. Chicago zeigt seine ganze Virtuosität, spielt straff, enorm kraftvoll, lebendig und befeuert im Zusammenspiel: man lässt die Wechselspiele sehr pointiert erklingen. Sogar prickelnd. Mit höchster Aufmerksamkeit gespielt werden wir Zeuge eines orchestralen (und pianistischen) Feuerwerks. Das Werk zerfällt nicht in einzelne Episoden, die Spannung wird durchgehend gehalten.
Manche hören in dieser Einspielung schon ein gewisses vergebliches Bemühen bei Herrn Rubinstein, wenig Subtilität und daher einen beschränkten Nuancenreichtum. Und man stört sich an den Schnitten in Var. 15, der „Art-Tatum-Variation“. Uns hat das alles, falls in Teilen vorhanden, überhaupt nicht gestört.
Die Living Stereo klingt sehr dynamisch, sehr präsent, prall, voll, saftig, recht warm und sehr farbig, brillant und klar. Unserer Meinung eine der besten Living-Stereos mit Soloinstrument! Rubinsteins Flügel wird nicht zu groß abgebildet, das Orchester fordert seinen gebührenden Platz und bekommt ihn auch. Dies ist keine „Klavier-Star-Aufnahme“. Der Klang ist exzellent. Gerade wenn man das CBS-Konkurrenzprodukt aus demselben Jahr vergleicht. Mit Leon Fleisher und George Szell wurde die Rhapsodie im gleichen Jahr in Cleveland aufgenommen, pianistisch allerdings nochmals virtuoser, aber klanglich mit einem vergleichsweise ärmlichen Monoklang wie stiefmütterlich abgespeist.
4-5
Anna Vinnitskaya
Krzysztof Urbanski
NDR Elbphilharmonie Orchester
Alpha Classics
2016
22:22
Mit Anna Vinnitskaya liegen uns drei Aufnahmen der Rhapsodie vor. Zu dieser im Rolf-Liebermann-Studio aufgenommenen gesellen sich noch zwei Live-Aufnahmen aus dem Radio, 2022 aus Wien und 2024 aus Saarbrücken. Herr Urbanski trat damals häufig mit dem Hamburger Orchester auf, denn er war damals sein 1. Gastdirigent. Heute ist er Leiter der Warschauer Philharmoniker.
Die Hauptperson der Einspielung ist jedoch (natürlich) die Pianistin. Sie spielt temperamentvoll, packend, klar und frisch, mit gehörigem Pepp und einfallsreich-überraschender Phrasierung, fein nuancierter Dynamik und perfekter Technik. Nicht ganz so herausfahrend in der „Attacke“, nicht ganz so „dämonisch-sarkastisch“ wie die Herren Katchen, Wild, Entremont oder Dorensky. Aber da fehlt nicht viel. Dafür aber mit subtiler Lyrik in den entsprechenden Variationen. In der Zusammenarbeit Klavier/Orchester steht das Klavier im Mittelpunkt, das Orchester ist aber beileibe nicht nur schmückendes Beiwerk. Der Dirigent profiliert den Orchesterpart zwar mehr als hinreichend, das Resultat muss aber wegen der aufnahmetechnischen Meisterleistungen in den 50er und 60er Jahren ein wenig hinter den Einspielungen von Katchen oder Wild zuvor zurückstehen. Dabei spielt das Orchester besonders aufmerksam und klangschön, man hört einander sehr gut zu. Der Gesamtaufbau wirkt schlüssig, sodass es keinen Zerfall in einzelne Episoden gibt, wie in vielen anderen Einspielungen. Der Var. 18 gibt Frau Vinnitskaya genau so viel Gewicht wie nötig, damit Nachdruck und Sentiment im Einklang stehen. Das Orchester bleibt ebenfalls gefühl- und geschmackvoll.
Beim Klang der Aufnahme gerät der Flügel etwas in den Vordergrund, wohingegen das Orchester mehr Präsenz verdient hätte. So kann man das Spiel der Pianistin in vollen Zügen genießen, aber man hätte doch gerne vom Orchester etwas mehr gehört. Es braucht sich nämlich eigentlich nicht zu verstecken. Insgesamt klingt die Aufnahme klar, räumlich, dynamisch und warm getönt. Die beiden genannten Live-Aufnahmen aus dem Radio fallen dagegen nicht ab.
4-5
Natasha Paremski
Fabien Gabel
Royal Philharmonic Orchestra, London
RPO
2012
24:42
Mit der zumindest bei uns wenig bekannt gewordenen Pianistin liegt noch eine zehn Jahre ältere Einspielung der Rhapsodie russischer Provenienz vor, derer wir aber leider nicht habhaft werden konnten. Sie wurde 2002 mit den Moskauer Philharmonikern und Dmitry Jablonsky eingespielt. In London war der Aufnahmeort die Henry Wood Hall, in der man, seit die Kingsway Hall nicht mehr vorhanden war, immer häufiger aufgenommen hat. Frau Paremski wurde in Russland geboren, ist aber bereits mit elf in die U.S.A. gekommen.
Schon der Beginn wirkt temperamentvoll und trifft die spezifische Atmosphäre des Stückes sehr gut. Die Pianistin spielt klar, makel- und mühelos. Mit Mumm und Courage mit Flair und der erforderlichen Poesie. Man fragt sich bereits ziemlich am Anfang des Stückes, wieso man sie nicht schon vorher kannte. Ihr Spiel wirkt agil, dringlich und spannend. Leidenschaftlicher als z.B. bei Lukas Vondracek. Es fehlt weder am konzisen Anschlag noch an geschärfter Rhythmik. Die Orchesterbegleitung geht weit über bloße Begleitung hinaus und wirkt außergewöhnlich engagiert. Die dynamische Palette wirkt breit und steigert den Ausdruck erheblich. Ganz perfekt klingt es jedoch nicht immer, da bei den Streichern die letzte Homogenität in den schnellen Figuren fehlt, aber nur selten. Was besonders gefällt ist der einnehmende drängende, jugendlich wirkende Gestus. Beim Orchester gefallen die sehr klangschönen Soli von Holz, Violine und Celli besonders.
Var. 18 ist eine der romantischsten, da versteckt man sich nicht verschämt, sondern man steht voll zum romantischen Gehalt (wenn er auch durch die Verwendung als Filmmusik allzu bekannt manch einem verkitscht vorkommen mag). Die folgenden „Mephisto-Variationen“ erklingt prägnant und saftig mit viel Drive und sehr virtuos, ohne die Raffinesse zu vernachlässigen. Manchmal fragt man sich, warum immens begabte Talente den großen Sprung auf die Bühnen der Welt nicht schaffen. Am Aussehen der Pianistin kann es jedenfalls nicht gelegen haben, das erscheint, zumindest wenn man vom Cover ausgehen darf, ähnlich umwerfend wie ihr Spiel. Aber selbst das ist heute kein Alleinstellungsmerkmal mehr, wenn man sich die Cover der CDs oder Fotos auf den Webseiten der anderen hier im Vergleich befindlichen Pianistinnen anschaut.
Der Klang der Aufnahme ist präsent, weniger räumlich und dynamisch ein wenig eingeebnet. Es ist aber lange nicht alles „gleichlaut“ wie in der Neueren der beiden Aufnahmen mit Yuja Wang und Gustavo Dudamel. Diese hier wirkt naturbelassener und noch lebendiger. Der Flügel wirkt ein wenig überdimensioniert, aber er verdeckt das Orchester nie.
4-5
Leonard Pennario
Arthur Fiedler
Boston Pops
RCA
1963
22:16
Auch Herr Pennario dürfte vielen jüngeren Musikfreunden nur noch wenig bekannt sein. Vielleicht noch als Mitglied des Klaviertrios von Jascha Heifetz und Gregor Piatigorsky, die übrigens alle drei in Beverly Hills wohnten. Vom Pianisten gibt es zwei Einspielungen der Rhapsodie. Der Hinweis auf die zweite, chronologisch gesehen erste Einspielung folgt gleich im Anschluss. Die Zweite aus Boston ist nicht mehr ganz so rekordverdächtig schnell und klingt, zumindest in unseren Ohren viel besser als die nur sechs Jahre zuvor in Los Angeles entstandene Erste.
Bei der Bostoner Einspielung war Leonard Pennario 39 Jahre alt und wahrlich im Vollbesitz seiner pianistischen Fähigkeiten. Artur Fiedler, von 1930-1979 Leiter des Boston Pops, was nur ein anderer Name für das Boston Symphony Orchestra ist, den es immer dann annimmt, wenn es um die leichtere Muse geht, war da 69. Das Orchester spielt (wie das in L.A.) hochmotiviert und aufmerksam, klanglich vor allem beim Holz etwas runder und voller, mit einem sehr guten Violinen-Solo und erstklassigem Blech. Die Musikalität des Pianisten wirkt unaufdringlicher als bei den Landsmännern Katchen, Wild oder Kapell, strotzt aber nur so vor Kraft und Virtuosität. Der Klang des Flügels ist brillanter (einfach auch natürlicher, „besser“) als 1957 in L.A. von dem er sich auch sonst deutlich unterscheidet. Brillant wie bei Steven Hough, obwohl es bei dem noch etwas klarer klingt. In der Var. 18 lässt Fiedler die Streicher der Bostoner dermaßen aufbrausen, dass die Aufnahme sogar leicht übersteuert. Die Temporelationen innerhalb der Variationen werden eingehalten. Dank der Temporeduktion gegenüber der 57er Einspielung verliert die Interpretation viel von ihrer damaligen Hektik, weshalb sie uns besser gefällt. Manch einer mag das anders sehen.
Die RCA von `63 klingt deutlich bassgewaltiger als die EMI von 1957. Flügel und Orchester präsenter, vor allem das Klavier erheblich brillanter (die Aufnahme hat einen stärkeren Höhenanteil als die EMI). Sie klingt auch dynamischer, lediglich die Violinen wirken ein wenig dünner, als wären es weniger. Die Räumlichkeit ist in Boston hingegen weniger stark ausgeprägt, wirkt sogar ein wenig dicht. Die Aufnahme war schon keine „Living-Stereo“ mehr, stattdessen stand dann Dynagroove auf der Plattenhülle. Nichtsdestotrotz klingt sie noch sehr stark nach einer „Living-Stereo“. Quirliger und lebendiger im Klang als in L.A., aber pianistisch wenn man es mal weniger nett formulieren will: etwas müder, bedächtiger. 1957 war das Spiel aber schon fast hyperaktiv. Es bleibt also bei obiger subjektiver Rangfolge.
4-5
Leonard Pennario
Erich Leinsdorf
Los Angeles Philharmonic Orchestra
EMI
1957
20:30
Diese Aufnahme mit dem 33jährigen Pianisten entstand in der Stage 7 der Samuel-Goldwyn-Studios in Hollywood. Der Gestus zu Beginn (und fast durchgängig) ist vor allem durch das rekordverdächtige Tempo schon mehr als temperamentvoll, eher bereits gehetzt. Eigentlich ganz im Stil der Virtuosen der Zeit, nur noch ein wenig gesteigert. Der Flügel wirkt eher gedeckt als brillant, der Anschlag eher rund, aber präzise, wenig metallisch, klingt stumpfer als üblich, mehr nach Holz. So wirkt der Flügel nie perkussionsartig. Wenn es sich um ein Klavierkonzert handeln würde, wäre es ein „großes“ Konzert. Es wird sich kaum Zeit gelassen, den lyrischeren Verästelungen nachzugehen, die stets fließende Bewegung geht vor. Allerdings extrem schwungvoll. Das Orchester wirkt hochkonzentriert und akzentuiert mit viel Temperament. Eine hellwache Truppe. Das Holz klingt noch hart und dünn (vor allem Oboe und noch extremer: das Englischhorn). Erst Var. 10 und Var. 11 bringt einmal eine kleine Verschnaufpause, dennoch sind die Skalen auch da in blendender Virtuosität hingezaubert. In Var. 12 wird sogar der Menuett-Charakter sehr zügig und fließend dargestellt. Var. 14 erklingt stolz und eitel. Bei Var. 15 der „Art-Tatum-Variation“ wird das piu vivo mit einem schönen scherzando realisiert. Bei der berühmt-berüchtigten Var. 18 werden die Streicher des LAPO dem Aufnahmeort gerecht. Da blühen sie hollywoodgerecht auf, wobei Herr Pennario stets diskret bleibt, er versucht da gar nicht mitzuhalten. Bei den „Mephisto-Variationen“, vom Pianisten pointiert und hochvirtuos durchgehalten, lässt Erich Leinsdorf das Orchester geradezu jubeln. Da wird klar, auf welcher Seite die standen. Mephistos!
Die Aufnahme klingt recht präsent und recht transparent. Auch hier gibt es noch wenig Raumtiefe, was auch daran liegen mag, dass der Flügel nicht weit vorgezogen wird, sondern wie im Orchester eingebettet erscheint. Es klingt aber schon recht körperhaft. Insgesamt klingt es auch weniger brillant als bei Rubinstein und Reiner anno 1956, vielleicht ist diese Aufnahme deshalb weniger populär geworden? Denn eigentlich erscheint sie sogar besser ausbalanciert. Allerdings spielt Herr Pennario auch nicht so charmant wie Artur Rubinstein… Die damalige Konkurrenz bei CBS von Fleisher/Szell wird klanglich überholt, das war auch keine so große Kunst, da diese noch monaural aufgenommen wurde. Dieses Manko wurde aber bereits 1958 schnell von CBS mehr als egalisiert: mit der Aufnahme Philippe Entremonts (mit Eugene Ormandy).
4-5
Mikael Rudy
Mariss Jansons
St. Petersburger Philharmoniker
EMI, Brilliant
1991
24:09
Das Spiel des damals 39jährigen Pianisten und des Orchesters in der St. Petersburger Philharmonic Hall, ist vorantreibend-agil und schwungvoll. Es spielt pointiert im Virtuosen, lässt sich dann aber Zeit zur lyrischen Entfaltung in den betreffenden Variationen. Er spielt dabei kraftvoll und „muskulös“ genug. Ohne mit den „Übervirtuosen“, wie Katchen, Wild oder Dorensky rivalisieren zu wollen. Dabei klingt Rudys Instrument relativ hart, bei höchster Klarheit im Anschlag und in der Phrasierung bietet er die ganze Palette zwischen filigran wirkenden, zarten Gespinsten und dem vollen Zugriff, nur eben immer fein dosiert und abgewogen. Seine Lyrik wirkt liebevoll, bei gleichzeitiger Abneigung gegenüber dem Sentimentalen. Man meint aber bisweilen, dass seinem Spiel etwas stark durchdachtes eigen ist und so die Spontaneität etwas zu kurz kommt. Der leicht kühl wirkende „Touch“ kommt jedoch sehr wahrscheinlich von der Akustik in Sankt Petersburg oder von dem damals noch meist zum kühlen hinneigenden Digitalklang der EMI. Denn er ist auch dem Orchester eigen. Die Zusammenarbeit kann man nur als völlig nahtlos bezeichnen. Das Orchester wirkt sogar eine Spur spontaner, ebenfalls brillant, geschmeidig, sehr kraft-, ausdrucks- und gefühlvoll. Nicht unbedingt genauso wie man es noch von Mrawinsky kennt. Die Darbietung der Variation 18 gehört mit zu den Dynamischsten unseres ganzen Vergleiches. Die Finalvariationen (vom Charakter Mephistos geprägt) sind spannend und warten immer wieder mit grandiosen Steigerungen auf. Dirigent Jansons gefällt uns 1991 sogar noch besser als bei seiner Aufnahme mit Matsuev für den BR und mit Frau Knardahl für Simax, er agiert hier agiler und noch dynamischer.
Die Aufnahme ist sehr klar und plastisch aber etwas kühl in den Farben und in der „Ausstrahlung“. Es klingt etwas hallig, allerdings nicht beim Flügel, nur beim Orchester. Das Orchester hat relativ wenig Tiefenstaffelung. Die Bühne ist in St. Petersburg jedoch auch in Natura zwar breit, aber ziemlich wenig tief, was letztlich zur speziellen Orchesteraufstellung der Philharmoniker geführt hat. Den Klang des Flügels empfanden wir insgesamt sogar als besonders gelungen, da kann das Orchester nicht ganz mithalten, obwohl man sich im Verlauf an die leicht kühlen Farben ganz gut gewöhnt.
4-5
Margrit Weber
Ferenc Fricsay
Radio-Sinfonieorchester Berlin
DG, Edition Beulah, BnF
1960
24:21
Wenn wir uns mal kurz die Produktionen, die die DG von der Rhapsodie gemacht hat, ansehen, dann scheint die mit Margrit Weber die erste gewesen zu sein. Es ist uns zumindest keine älteren bekannt. Danach kamen die der Herren Vasary und Trifonov, dazwischen die erste Produktion von Yuja Wang und als letzte ihre zweite. Wenn man bedenkt, wieviel bei EMI da produziert wurde, so mag man daran ersehen, dass Rachmaninows Ruf in Deutschland noch lange nicht der beste war. Frau Weber ist vielleicht nicht mit den fast schon transzendenten Fähigkeiten im Virtuosen gesegnet wie Herr Trifonov, sie bleibt aber gegenüber den anderen Einspielungen nur wenig bzw. gar keine Brillanz schuldig. Zumindest einmal klanglich. Sie spielt etwas langsamer, vielleicht auch ein wenig bedächtiger aber besonders differenziert, präzise und mit einem besonders weiten dynamischen Ambitus. Das Orchester ist solistisch bereits sehr gut aufgestellt und besticht bereits mit außerordentlicher Präzision. Im partnerschaftlichen Verhältnis scheint man besonders aufeinander zu achten. In den wechselhaften Beziehungen von Klavierpart und Orchester kommt kein Part zu kurz. Das Orchester erreicht aber eine ganz besonders hohe Deutlichkeit. Angesichts des frühen AD fällt das auf. Es wird sehr gefühlvoll phrasiert, das Hervorrufen von Emotionen geht hier vor der rein technischen Brillanz. Die Instrumentierungskunst Rachmaninows wird hier einmal richtig gewürdigt. Gerade auch die unterschiedlichen Kombinationen der verschiedenen Instrumente. Am treibenden Rhythmus wird der langen Spielzeit zum Trotz nicht gespart. Das Orchester pointiert stark, das Satanische mag man dabei besonders heraushören können, sogar deutlicher als bei Rachmaninow und Stokowski selbst, die da eigentlich ziemlich deutlich sind. Dem Stimmungsgehalt wird diese Einspielung in vielen Details und als Ganzes besser gerecht als manche Hochglanzproduktion. Leider gelingt gerade Var. 18 nicht ganz präzise und der Höhepunkt wird abgeregelt, damit er nicht zur Übersteuerung führt. Das ist bedauerlich für diese hochgradig gewissenhafte Produktion. Da rücken die Violinen sogar etwas ab und der Flügel scheint im Orchester zu verschwinden. So wird Var. 18 in ihrem eigentlichen Effekt allenfalls angedeutet, nicht aber ausgelebt. Wie schade. Mit der gesteigerten Dynamik hatten die Techniker anscheinend nicht gerechnet. Danach geht es dann mit der gewohnten Transparenz und Präsenz weiter. Die Finalvariationen sind leider im Tempo ein wenig zu auffallend gebremst. Wir empfanden die Einspielung dennoch als besonders interessant. Besonders gefiel uns die unaufdringliche Brillanz und die phänomenale Transparenz.
Den Klang der Aufnahme kann man derzeit zumindest noch in drei Varianten genießen. Die originale DG (z.B. remastered in der Fricsay-Gesamtausgabe, allerdings nur antiquarisch) ist die beste, als Beulah-Version klingt es sogar noch transparenter aber ein wenig gepresst und überraschend gut klingt auch die überspielte LP aus den digitalisierten Beständen der Bibliothèque national de France. Alle klingen offen, sehr transparent, räumlich, plastisch und körperhaft (noch transparenter als die spätere Aufnahme mit Vasary). Die Aufnahme erinnert an die sagenhaften Aufnahmen der Bartok Klavierkonzerte mit Géza Anda, dem RSO Berlin und Ferenc Fricsay, erstaunlich voll und sonor. In der Dynamik nur manchmal im ff abgeregelt.
4-5
Rafael Orozco
Edo de Waart
Royal Philharmonic Orchestra, London
Philips
1973
22:53
Der meist unterschätzte Pianist aus Spanien starb bereits viel zu früh im Alter von 50 Jahren an den Folgen einer AIDS-Infektion. Er spielt das Stück virtuos und besonders agil in einer straff-dramatischen Gangart, mit großen dynamischen Gegensätzen und einem schnellen, straffen Anschlag. Der Klang des Flügels ist dabei nie perkussiv-hart, eher rund, farbig, recht sonor, aber nicht sonderlich brillant. Die leichte und bewegliche Artikulation wirkt weniger wuchtig, durchaus extrovertiert, aber nicht theatralisch. Die völlige Beherrschung des Technischen lässt ihn völlig frei aufspielen. Er ist jedoch kein „Übertechniker“, der alle Schwierigkeiten völlig unhörbar machen könnte, er ist aber denkbar nah dran, wie man auch an der Var. 15 hören kann. Das Orchester passt gut zum Vortragsstil des Pianisten, wirkt ebenfalls temperamentvoll und jugendlich frisch, wird dem Sujet gerecht bleibt in der Ausführung jedoch ein wenig „handfest“. In der Var. 18 dominiert der Flügel das Orchester ein wenig zu sehr, es spielt jedoch leidenschaftlich, aber die Violinen klingen ein wenig dünn. Bisher war die Aufnahme mit Wild und Horenstein die beste Performance des RPO. Damals war Rudolf Kempe sein Chef (auf Lebenszeit).
Der Klang der Aufnahme wirkt präsent und warm, aber recht schlank. Lebendig mit einem ziemlich stark hervorgehobenen Flügel. Es herrscht eher eine Studioatmosphäre, klingt aber nicht trocken. Es gibt keine Härten im Klang. Wir genießen den runden analogen Philips-Klang. Das Orchester wirkt leider (besonders gegenüber dem Flügel) etwas distanziert. Der Gesamtklang gefällt insgesamt besser als der Klang der nachfolgenden digitalen Philips-Aufnahme, ebenfalls mit Edo de Waart und Zoltan Kocsis aus San Francisco.
4-5
Vladimir Ashkenazy
André Previn
London Symphony Orchestra
Decca
19717 nachfolgende Einspielung mit Bernard Haitink, eingespielt und zwei weitere Male als Dirigent (mit Jablonski und Thibaudet an den Tasten), alle auf Decca. Es hat sich auch noch ein Radiomitschnitt von 2019 aus Berlin gefunden, bei dem er das DSO dirigiert, Behzod Abduraimov spielt dabei den Klavierpart.
1971 war, wie bereits mehrmals zuvor in der Decca Aufnahmegeschichte des Werkes, die Kingsway Hall Aufnahmeort und Kenneth Wilkinson platzierte die Mikrophone und steuerte sie aus. Wir erleben Herr Ashkenazy in seiner besten Zeit als Pianist, er spielt enorm geschliffen und nuanciert, könnte aber bisweilen mehr „Pranke“ zeigen. Durchaus brillant und souverän begegnet er allen Höchstschwierigkeiten und geradezu liebevoll phrasiert er die lyrischen Variationen. Das macht ihm so schnell keiner nach und es scheint ihm leicht von der Hand zu gehen. Oft auch mal mit leichten Verzögerungen und leichten Beschleunigungen. Gerade auch in der Var. 15. Zudem recht frei im Vortrag. Das Orchester klingt eloquent und klangschön, dieses Mal jedoch mit einem Hang ins Weiche und Klangüppige jedoch ohne seine Beweglichkeit und Flexibilität einzubüßen. Die damals auch beim LSO noch hart klingende Oboe fällt so kaum auf, sie wird zudem auf Distanz gehalten, bleibt aber für empfindliche Hörer/innen ein Manko in dieser hochkarätigen Orchesterleistung. Das Zusammenspiel mit dem Pianisten wirkt einmütig und nahtlos. Man bevorzugt dabei eine gewisse romantische, etwas weitschweifige, finessenreiche Ausformulierung vor einer harten und übermäßig „männlich“ oder gar „dämonisch“ wirkenden Virtuosität. Dabei fehlt es noch nicht einmal an Dramatik. Nur räumt man der Melancholie weiten Raum ein. Da spielt wohl immer noch Heimweh nach der weit entfernten russischen Heimat eine herausragende Rolle, die Ashkenazy gebührend herausstellen möchte. Die 18. Variation klingt in dieser Einspielung besonders verträumt. Die ganze Darbietung wirkt im Vergleich hingebungsvoll und romantisch.
Wenn man die ältere Decca (1971) z.B. mit der in etwa gleichalten EMI von Anievas vergleicht, so wirkt die Decca transparenter, weicher und etwas voller, auch räumlicher um nicht zu sagen „weitläufiger“. Es fehlt jedoch die Präsenz der EMI und der älteren Decca mit Katchen und Boult, die zudem brillanter klingt. Der unmittelbare „Anmachfaktor“ ist 1959 an gleichem Ort und mit demselben Tonmeister stärker ausgeprägt, zumindest einmal für unser „Gemüt“. Dieses Mal bleibt der Klang gedeckt und etwas weichgezeichnet, besonders anschmiegsam, angenehm und unaufdringlich, ausgewogen und ausbalanciert. Dagegen kommt die Spritzigkeit, die wir bei der ´59er Katchen-Aufnahme so schätzen und lieben gelernt haben zu kurz. Es klingt etwas entfernt und unverbindlich, weniger packend. Die Dynamik nur noch gediegen. Der Geschmack der 60er Jahre hatte sich da anscheinend schon ein wenig geändert.
4-5
Vladimir Ashkenazy
Bernard Haitink
Philharmonia Orchestra
Decca
1986
23:57
Dieses Mal scheint die Kingsway Hall bereits besetzt gewesen zu sein, sodass die Aufnahme in der Walhamstow Hall gemacht wurde. Herr Ashkenazy zählte nun 49 Jahre. Nach 15 Jahren wollte man die Paganini-Rhapsodie (und die Klavierkonzerte) auch noch digital eingespielt haben. Es hat sich gegenüber 1971 musikalisch wenig geändert. Pianistisch immer noch topp, denn Ashkenazys Dirigentenkarriere hatte noch nicht den höchsten Intensitätsgrad erreicht, das passierte erst ein Jahr später mit der Übernahme des Jobs als Chef des RPO, 1987. Das Orchester klingt jetzt besonders im Holz noch ausgewogener als das LSO, denn das Philharmonia bekam Ende der 70er Jahre einen neuen ersten Oboisten, der einen vollen und weichen Klang nach Berliner Vorbild hervorbringen konnte. Ashkenazy spielt immer noch sehr nuancenreich und verspielt (im Sinne eines freien Vortrags), aber mit viel weniger Spannung als z.B. Philippe Entremont 1958 mit Eugene Ormandy. Tendenziell also erneut besinnlich und reflexiv wird die romantische und tieflotende Darbietung von 1971 wiederholt. Bernard Haitink begünstigt diese Wirkung noch, wirkt aber über das gesamte Stück gesehen etwas weniger temperamentvoll als André Previn. Var. 18 erklingt erneut ausgesprochen gefühlvoll und unverkitscht. Bei den folgenden „wilderen“ Variationen tut man sich etwas schwer Bravour zu zeigen. Insgesamt bietet uns die Einspielung eine warme, klare, genaue und vor allem gefühlvolle, eher dunkle und gut ausbalancierte, atmosphärische Darbietung des Werkes.
Die digitale Aufnahme wirkt etwas transparenter als die analoge 1971, das Holz sitzt aber immer noch weit hinten. Der Flügel kommt meist besser zur Geltung, räumlicher und etwas brillanter. Bei Decca fallen digitale Artefakte bereits 1986 nicht mehr ins Gewicht. Auch diese Einspielung könnte jedoch etwas brillanter und in der Dynamik etwas kraftvoller klingen.
4-5
Peter Jablonski
Vladimir Ashkenazy
Royal Philharmonic Orchestra, London
Decca
1991
23:05
Für diese Einspielung blieb man der Walthamstow Hall als Aufnahmeort treu. Nur Herr Ashkenazy hat nun den Flügel durch einen Dirigierstab ersetzt. An seiner Seite sitzt nun Peter Jablonsky mit dem er seinerzeit häufig in Konzert und Aufnahmestudio zusammenarbeitete. Der hatte schon als 17jähriger einen Plattenvertrag mit Decca abgeschlossen. Nur zu Beginn wirkt er dieses Mal noch etwas steif und „gerade“, aber schon bald geht es frisch und lebendig voraus. Als Pianist scheint er Ashkenazy in Sachen Virtuosität nicht nachzustehen. Sein Anschlag wirkt sogar etwas griffiger während Ashkenazys dagegen oft ein wenig schwammig wirken konnte, bei den beiden Paganini-Rhapsodien-Aufnahmen allerdings nicht. Bei dem jungen Jablonski, der übrigens 1971 im südschwedischen Karlskrona-Lyckeby geboren wurde, also im Jahr der ersten Aufnahme Ashkenazys, erscheint dagegen das poetische Nachsinnen weit weniger ausgeprägt. Der Drang nach vorne bleibt auch in den lyrischen Variationen immer leicht spürbar. Das Orchester, dessen Chefdirigent Ashkenazy von 1987-1994 war, wirkt hochkonzentriert und ernst, Humoristisches oder Sarkastisches wird nicht eigens betont. Dass Rachmaninow dem Dirigenten, wie zuvor dem Pianisten Ashkenazy eine Herzensangelegenheit zu sein scheint, merkt man auch dem klangschönen Spiel des Orchesters an. Die Var. 18 gefällt mit einem bodenständigen, intensiven Ausdrucksgehalt. Bei den abschließenden „Mephisto-Variationen“ geht es deftig zur Sache, ohne dass jemals die Kontur aufweichen würde. Da erscheint uns der 20jährige Jablonski seinem Mentor pianistisch leicht überlegen.
Die Aufnahme klingt räumlich, dynamisch und farbig. Sie ist gut ausbalanciert, das Orchester gut gestaffelt.
4-5
Jean-Yves Thibaudet
Vladimir Ashkenazy
Cleveland Orchestra
Decca
1993
23:16
Zunächst meint man der Pianist passe mit Anschlag und Klangentwicklung besser zum Ravel-Konzert, so schlank und relativ wenig sonor und so leichtfüßig (eigentlich doch eher „leichfingrig“) klingt es. Das Spiel ist enorm geschmeidig, perlend und finessenreich. Man erfreut sich dann an einer spontan und etwas verspielt wirkenden Virtuosität, aber auch an der Leidenschaft bei den dramatischen Höhepunkten. Ashkenazy, der das Stück wie kaum ein zweiter kennen dürfte, lässt es auch als Dirigent durchaus schwelgen, obwohl diese Art des Spiels nicht unbedingt die bekannteste Domäne des schlank-virtuosen Cleveland Orchestra ist. Es zeigt sich wieder einmal als eines der allerbesten unseres Vergleiches, besonders was die Virtuosität anlangt. Leider wurde es von der Technik allzu sträflich in die Tiefe des Raumes geschickt. Es spielt mit viel Drive, was man auch bemerkt, obwohl die Tempi keine anderen als bei Previn sind und kaum schneller als bei Haitink. Die schnellen Tempi sind aber doch etwas schneller geworden und die langsamen etwas langsamer und schon klingt es lebendiger und die Art des Musizierens ist wie beim Pianisten auffallend „leichtfüßig“. Thibaudet wirkt pianistisch brillanter und lebendiger als Ashkenazy, aber nicht ganz so nuanciert und „seelenvoll“. Um das Klischee noch deutlicher zu machen. Thibaudet spielt „französischer“, Ashkenazy „russischer“. Insgesamt geht es nun im direkten Vergleich etwas oberflächlicher zu, aber auch bravouröser. Es handelt sich nur um Nuancen.
Es liegt hier ein feiner, runder, geschliffener Klang vor. Das Orchester erscheint exzellent gestaffelt, obwohl es nach hinten gesetzt erscheint. Der Flügel ebenfalls, er bleibt aber deutlich, sodass die Balance untereinander stimmt, auch wenn wir uns den ganzen Klangapparat präsenter und transparenter gewünscht hätten. Die Wärme und Sonorität der ´71er Aufnahme Askenazys und Previns kann sie nicht bieten.
4-5
Behzod Abduraimov
James Gaffigan
Luzerner Sinfonieorchester
Sony
2020
22:57
Vom jungen Pianisten aus Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans, haben wir auch noch einen Konzertmitschnitt aus Berlin (DSO) mit Vladimir Ashkenazy von 2019 im Programm, bei dem er sich noch spielfreudiger zeigt als bei der Aufnahme für CD (und alle anderen Speichermedien, die es von der Aufnahme geben sollte) in Luzern ein Jahr später.
Die Einspielung in Luzern fand im KKL statt, eigentlich in unmittelbarer Nähe zum Ort der Komposition in Rachmaninows „Villa Senar“ am Vierwaldstätter See. Es durfte dazu der originale Flügel Rachmaninows, der seit 1934 in der „Villa Senar“ steht genutzt werden, ein Steinway D aus den 30er Jahren, der etwas kleiner ist als die großen Konzertflügel, die große Konzertsäle beschallen sollen. Das merkt man ihm an, denn sein Spektrum unterscheidet sich (aber nur wenig) im lauten Bereich. Er klingt ansonst vorzüglich, zumindest einmal in der Aufnahme. Die Mikrophone sind aber auch viel näher dran als die Ohren der Zuhörer im großen Saal. Der Pianist phrasiert sehr geschmeidig und spielt besonders in der Dynamik nuanciert, seine flinke Fingertechnik erlaubt ihm ein sehr virtuos wirkendes Spiel. Bemerkenswert ist, dass er, wenn einmal Wiederholungen zu spielen sind, diese auch variiert, indem er ihnen eine leicht andere Klangfarbe verleiht. Das Orchester gefällt mit warmem Klang und spielt hellwach. Besonders gefallen die plastisch herausgearbeiteten klangschönen Soli. Da tun sich besonders die Oboe, die Klarinette, aber auch Fagott und die Hörner hervor. Sehr gelungen: Die Var. 18 wird poetisch gespielt und das Orchester zeigt sein schönstes Cantabile. Allerdings merkt man auch, dass es nicht die Wiener Philharmoniker sind. Aber man bemerkt, dass das Orchester schon vor Michael Sanderling große Fortschritte gemacht haben dürfte, was bei dem tollen Konzertsaal zu erwarten war. James Gaffigan gibt eine gewisse Dringlichkeit vor, die bei dem Werk eigentlich unabdingbar erscheint. Bei den „Mephisto-Variationen“ könnte der (kleinere) Flügel allerdings besser herauskommen. Da hätte ihn die Klangtechnik ein wenig unterstützen können. Ein marginaler Einwand, aber ärgerlich, weil er leicht vermeidbar gewesen wäre.
Der Klang ist räumlich und zeigt (außer bei den Schlussvariationen) eine ausgewogene Balance zwischen Flügel und Orchester. Die Dynamik ist auffallend partiturgerecht.
4-5
Nobojuki Tsujii
Vasily Petrenko
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
DG, zuvor Avex
2018
24:23
Seit wenigen Jahren befinden sich alle älteren Aufnahmen des von Geburt an blinden Pianisten, die er noch für die japanische Firma Avex gemacht hat, im Katalog der DG. Nobojuki Tsujii erfreut sich einer ganz besonderen Beliebtheit in seinem Heimatland Japan. So schloss sich an die Aufnahme in Liverpool eine Japan-Tournee an. Sicher findet man auch auf YouTube Aufnahmen mit ihm, leider nicht von der Paganini-Rhapsodie.
Sein Klavierspiel ist technisch und klanglich perfekt kontrolliert, glanzvoll, auf einem denkbar hohen Niveau. Das alles ohne je eine Note gelesen zu haben! Wohl aber hat er sich (oder man hat es für ihn) ein spezielles System entwickelt, wie er sich die Stücke aneignen kann. Er spielt einfach temperamentvoll und hellwach. Es gibt kein Donnern, es gibt keine Veräußerlichung, wenig extra-glitzern, trotzdem wirkt alles sehr klar und brillant. Es ist durchaus ein ungewöhnliches Erlebnis diesem Pianisten zu folgen, das kein anderer so bietet. Das Orchester (offensichtlich von ihm angesteckt) spielt ebenfalls temperamentvoll und klangschön auf. Die Bläsersoli sind exzellent gelungen. Die Orchester aus London müssen sich mittlerweile warm anziehen. Die „Provinz“ hat mächtig aufgeholt.
Insgesamt erscheint uns die Paganini-Rhapsodie noch gelungener als Tsujiis Aufnahme des f-Moll Klavierkonzertes von Chopin. Nur am Ende erscheint das Spiel etwas schaumgebremst.
Auch die Aufnahmequalität gefällt. Die Aufnahme wurde noch vom japanischen Team von Avex verantwortet, mittlerweile erscheint die Aufnahme jedoch mit dem Gelbetikett. Es klingt sehr brillant, präsent und klar. Der Flügel steht deutlich vorne, warm, voll und sehr konturiert klingend. Das Orchester selbst klingt zwar transparent, weist aber für eine so neue Aufnahme wenig Staffelung in die Raumtiefe auf. Dennoch wirkt der Klang sehr differenziert. Es macht Spaß, diese Einspielung zu hören.
4-5
Boris Berezowsky
Dmitry Liss
Ural Philharmonic Orchestra, Jekaterinburg
Mirare
2006
22:06
Rein von der körperlichen Statur kommt Herr Berezowsky, zusammen mit seinen „ähnlich gebauten“ Kollegen (die Herren Matsuev, Barto, Richter oder Earl Wild sind mehr oder weniger ähnlich hünenhaft bzw. „lang“) ziemlich nahe an die Figur des Komponisten heran, dessen Körpergröße man mit 1,98 m angibt. Wir gehen einmal davon aus, dass sich die Größenverhältnisse auch bei den Händen wiederfindet. Mit dem Fingersatz sollten sie die wenigsten Probleme bekommen. Das Spiel von Herrn Berezowsky wirkt dann auch ein wenig einseitig athletisch, nicht kraftmeierisch, aber doch sehr kraftvoll und teils donnernd. Ähnlich wie man es in der 50ern und 60ern mehr oder weniger von den Kollegen Kapell, Wild, Fleisher oder auch Entremont hören kann. Es fehlt auch nicht an technischem Differenzierungsvermögen, doch klingt es bei ihm im Lyrischen weniger erfühlt bzw. erfüllt. Er ergeht sich nicht im sinnlichem Nachspüren einzelner Klänge. Das Aufbrausen, „abzischen“ oder besser „losbrettern“ und die Eruptionen liegen diesem Pianisten einfach besser. Das Orchester ist klanglich gut in Schuss, manchmal klingt es ein wenig grob und ungeschliffen im Detail. Man unterstützt so ein wenig das Klischee des „Russischen“. Andererseits passt sich das Orchesterspiel so der Spielweise des Pianisten an. Es langt in der Dynamik ordentlich zu, muss es ja auch, damit der Pianist nicht so alleine damit dasteht. Solistisch gibt es nichts zu mäkeln, da kann man locker mit den zahlreichen Moskauer Orchestern mithalten. Man ist ihnen in Sachen Engagement sogar voraus. Bei Var. 18 lässt sich das Orchester nicht lumpen und die Streicher zeigen ihre ganze (beträchtliche) Klangschönheit. Die Schlussvariationen werden herausragend gesteigert, da zeigt Herr Berezowsky sein ganzes Potential an Kraft und Virtuosität und auch hier hält das Orchester gekonnt mit. Da kommt er an die großen Pianisten der Vergangenheit heran. Die Rhapsodie erscheint als ein Werk, das ihm buchstäblich auf den Leib geschrieben worden sein könnte (siehe oben).
Klanglich erscheint das Orchester gegenüber dem Flügel etwas benachteiligt. Mitunter donnert der Flügel so sehr und es glitzert so ungeniert, sodass man gerade noch so von einer gewissen klanglichen Ausgewogenheit schreiben kann. Denn wenn man den Flügel gedämpfter aufgenommen hätte, wäre der besondere Reiz der Einspielung vielleicht sogar in Mitleidenschaft gezogen worden.
4-5
Gary Graffman
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1964
23:00
Bei den Paganini-Variationen kann Gary Graffman zeigen, was für ein brillanter Pianist er ist. Obwohl dem Rubato eigentlich nicht abgeneigt, spielt er ausgeglichener in den Tempogegensätzen (das heißt auch weniger kontrastreich), als z.B. die Herren Katchen und Fleisher. Er spielt temperamentvoll mit perfekter Virtuosität, farbenreich und effektvoll in Technik und Klang und noch sauberer als Philippe Entremont in der unmittelbaren Vorgänger-Aufnahme bei CBS. Die New Yorker und Mister Bernstein sind ihm kongeniale Partner, gut einstudiert und sehr engagiert bieten sie eine exzellente Vorstellung. Es läuft aber alles so perfekt und wie am Schnürchen gezogen, dass die Darbietung (beim Pianisten und Orchester) weniger spontan wirkt. Katchen zeigt mehr flexibles Rubato und die Londoner wirken ebenfalls spontaner, wenn man mal einen Vergleichspartner direkt benennen möchte. Allerdings begegnet man „unterwegs“ wunderbaren Klangschönheiten. In Var. 18 lässt Bernstein die Philharmoniker ungehemmt aufblühen und espressivo singen, wie man es nur sehr selten hören kann, das Klavier tritt hier gebührend zurück. Die Dringlichkeit dieser Darbietung bei den letzten Variationen wirkt geringfügig reduziert besonders im Tempo, ohne dass die Spannung nennenswert in Mitleidenschaft gezogen werden würde. Das höhnische Gelächter Mephistos kommt so aber ungemein deutlich heraus.
Der Klang der Aufnahme ist vorbildlich klar und luzide und insgesamt viel besser als bei Fleisher/Szell 1956. Das galt ja bereits für die zweite CBS-Aufnahme mit Entremont und Ormandy 1958. Es klingt knackig, griffig, recht voll aber noch sehnig, sehr dynamisch und sonor. Die Aufnahme ist fast völlig rauschrei. Die Tiefenstaffelung ist gegenüber Entremont/Ormandy verbessert. Insgesamt eine hervorragende Klangqualität für die 60er Jahre und nicht nur deshalb ebenfalls empfohlen.
4-5
Martin James Bartlett
Joshua Weilerstein
London Philharmonic Orchestra
Warner
2022
24:24
Der bei der Aufnahme gerade einmal 26jährige Pianist wurde bereits 2014 mit der Paganini-Rhapsodie zum BBC Young Musician oft he Year gewählt. Dabei handelt es sich um einen recht lukrativen Wettbewerb. Das vorgelegte Tempo findet man oft bei Einspielungen neueren Datums. Die neueren Generationen haben in großen Teilen durchaus eine andere Tempovorstellung als die älteren, die sich noch mehr an der eigenen Aufnahme des Komponisten orientieren. Dennoch wirkt der Vortrag des jungen Mannes (er sieht eher noch jünger aus als er ist) durchaus noch quirlig und kontrastreich, klar und lebhaft. Auffallend ist sein schneller Anschlag und die gepfefferten Staccati. Seine Läufe erfolgen beeindruckend fix. Der Flügel klingt schlank, weich und leicht gedeckt. Die lyrischen Variationen kommen sehr gesanglich, da könnte der Klang dann etwas voller sein. Bei den ff fehlt gegenüber den Virtuosen der Vergangenheit dann auch die sonore Durchschlagskraft. Wir vermuten jedoch, dass das Instrument einfach ein schlanker klingendes war, vielleicht kein Steinway? Besonders die lyrischen, die verspielten, sensibel und spontan ausgeformten Passagen werden wohl von dieser Einspielung länger im Gedächtnis haften bleiben. Die Virtuosität wohl nur in zweiter Linie. Die Korrespondenz zwischen Pianisten, Dirigent und Orchester wirkt gelungen, man gewährt sich gegenseitig die wechselnde Vorfahrt. Das Orchester spielt nicht unkonzentriert, könnte dem Pianisten aber manchmal etwas stärker Paroli bieten. Herr Weilerstein war von 2015-21 Chefdirigent des Orchestre de Chambre de Lausanne, dann ab 2022 im dänischen Aalborg und ist ab 2024 als Nachfolger von Alexandre Bloch bei Orchestre Philharmonique de Lille.
Der Klang der Aufnahme wirkt viel klarer als bei der 25er Aufnahme mit Mechetina aus Moskau. Sehr räumlich und offen. Das Holz ist sehr gut zu hören, trotz der tiefen Staffelung und dem damit verbundenen leichten Eindruck einer gewissen Ferne. Der Flügel hingegen erklingt präsent und ziemlich groß abgebildet. Ziemlich dominant. Insgesamt wirkt der Klang glanzvoll und dies ist eine sehr gut klingende moderne Einspielung.
4-5
Yuja Wang
Claudio Abbado
Mahler Chamber Orchestra
DG
2010
23:04
Dies ist die erste von zwei Aufnahmen der Rhapsodie durch die Pianistin. Sie war bei der Aufnahme im Teatro Comunale di Ferrara 23 Jahre jung. Dass sie einmal Schülerin von Gary Graffman war, hätten wir nicht unbedingt herausgehört. Die Aufnahme klingt in jeder Hinsicht pianistisch zurückhaltender, weicher und nachgiebiger, auch etwas blasser als die Neuaufnahme aus L.A. mit Gustavo Dudamel und als die Aufnahme ihres ehemaligen Lehrers. Die Pianistin spielt noch anschmiegsamer und nicht so dominant, noch nicht durchgängig impulsiv als 2023. Aber differenzierter, vor allem im Dynamischen. Technisch ist sie bereits 2010 dem Werk bestens gewachsen, ihr Anschlag hat jedoch noch nicht die Härte von 2022, sie spielt noch nicht so fest und schnell im Sinne von durchtrainiert und durchzugskräftig. Es scheint damals noch ein wenig an Kraft zu fehlen, die sie später hinzugewonnen hat. Die schnelleren Variationen scheinen so beim ersten Zuhören ein wenig lasch. Das Zusammenspiel wirkt mit Abbado und dem etwas kleiner besetzten Orchester allerdings kongenial. Das MCO spielt zudem solistisch eloquenter als das LAPO und es kann sich viel besser gegenüber der noch jüngeren Pianistin behaupten. 2022 war Frau Wang bereits ein Weltstar und die Aufnahmetechnik hat dieser Tatsache übermäßig stark Rechnung getragen. Die lyrischen Passagen wirken 2010 nachdrücklicher und empfindungsreicher, immer unterstützt vom alles hörenden Dirigenten Abbado und dem sensibel aufspielenden MCO. Vieles scheint da noch intuitiv erfasst, was zwölf Jahre später nur noch im Minimum vorliegt. Man kommt ohne Übertreibungen aus. Es wirkt einfach musikalisch und hört sich nie nach Show an. Var. 16 klingt sehr innig gespielt, die 17 mit einem besonders ausdrucksvollen Orchester. Die 18 erfährt ein viel besseres Zusammenspiel und wirkt viel intimer als 2023. Bei den letzten Variationen wurde Rachmaninow noch nicht auf Speed gesetzt. Da fehlt dann doch noch ein wenig Pepp. Sehr zugute kommt dieser Einspielung der inspirierende Dirigent und dessen Übersicht.
Das MCO klingt brillanter als die Berliner beim Mitschnitt vom Silvesterkonzert mit Pletnev und Abbado als auch bei Yuja Wangs Aufnahme mit dem LAPO und Gustavo Dudamel. Dies ist noch keine Star-Produktion, die vor allem den Star hören lässt und das Orchester zum Statistendasein verdammt. Man hört hier auch noch natürlich wirkende Unterschiede zwischen laut und leise. Diese wurden in LA völlig eingeebnet zugunsten eines immer gleichlauten Sounds, wie bei einer Pop-Aufnahme. 2010 wahrt man die natürlichen Relationen, sie klingt aber viel leiser als die von 2023, was zum zunächst unscheinbaren Charakter viel beträgt. Hier lohnt das zweite Hinhören.
4-5
Boris Giltburg
Vasily Sinaisky
Brussels Philharmonic
Naxos
2022
22:26
Boris Giltburg scheint sich in seiner Einspielung, die man ebenfalls in Erwartung des 150. Komponisten-Geburtstages produziert haben dürfte, wieder mehr an Rachmaninow und den Pianisten-Kollegen der 50er und 60er Jahre zu erinnern als andere seiner Generation. Er spielt virtuos, sehr präzise, stets hellwach, technisch perfekt mit einem prallen, aber auch perlenden Anschlag à la Trifonov. Enorm klar, enorm dynamisch, kraftvoll und oft aufregend. Wieder orientiert an der „alten“ Tempogestaltung. Das Lyrische wird jedoch durch die hohen Tempi in der Tiefgründigkeit beeinträchtigt und ein wenig verharmlost. Da wollte man sich vielleicht doch von jeder Sentimentalität weit genug distanzieren. Pianist und Orchester befinden sich auf Augenhöhe. Das Orchester zieht in Tempogestaltung und Gestus voll mit. Die Soli sind gelungen, nur die Solo-Violine könnte dem einen oder anderen etwas dünn erscheinen. Das Holz klingt schön voll. Insgesamt zeigt der Orchesterklang jedoch wenig Eigencharakter. In der berühmten Var. 18 wurde der Flügel zu dominant abgemischt, da hätte man gerne mehr vom Orchester gehört.
Der Klang der Aufnahme wirkt warm getönt und sehr transparent. Die Räumlichkeit wirkt wenig ausladend, also etwas zu kompakt. Die Aufnahme ist stark präsenzbezogen, ausgesprochen dynamisch und sehr brillant und plastisch. Der Flügel steht an vorderster Front, das Orchester unmittelbar dahinter, eine geballte Ladung mit wenig Tiefenstaffelung. Der Klang einer „Living-Stereo“ scheint da vielleicht Vorbild gewesen zu sein. Nicht das schlechteste. Guter Bass, gute Gran Cassa.
4-5
Horacio Gutierrez
David Zinman
Baltimore Symphony Orchestra
Telarc
1990
23:15
Der Gewinner der Silbermedaille beim Tschaikowsky-Klavierwettbewerb in Moskau 1970 spielte die Rhapsodie in der Stadt der Uraufführung, Baltimore, ein. Genauer in der Meyerhoff Symphony Hall, die allerdings erst 1982 eröffnet wurde und aussieht wie ein großer Hut.
Der Pianist spielt dynamisch ziemlich ausladend, technisch mehr als nur versiert, aber nicht auftrumpfend. Sein Anschlag wirkt nicht sehr hart, aber schnell, leicht und „flottfingrig“, sein Klang brillant. Das Orchester und sein damaliger Chef (1985-1998) gewährt ihm oft uneingeschränkte Vorfahrt. Fast ein bisschen devot, was allerdings von der Aufnahmetechnik unterstützt, wenn nicht bedingt wird. Die Darbietung gerät stimmig und gekonnt, ohne zu viel Imponiergehabe, virtuos, deutlich und genau. Sie wirkt zugleich unaufgeregt, souverän und modern. Weder der Pianist noch das Orchester macht viel Lärm um sich, man agiert für die Musik und sonst nichts. Man könnte die Ansicht vertreten, das sei vielleicht für dieses Stück zu wenig. Var. 18 ist ein Musterbeispiel an sympathischer Bescheidenheit, beim Pianisten und beim Orchester. Was besonders in den „Mephisto-Variationen“ zu kurz kommt ist der Biss. Insgesamt wirkt die Darbietung stimmig und keinesfalls blass.
Der Klang der Aufnahme ist plastisch, weich, offen, räumlich, sauber gestaffelt und transparent. Der Flügel, zwischen brillant und gedeckt ist prominent abgebildet, das Orchester dagegen zumeist ein wenig hintergründig. Es klingt durchweg wohl. Die Aufnahme wirkt anders als vom Label erwartet ganz „unamerikanisch“.
4-5
Oleg Marshev
James Loughran
Aarhaus Symphony Orchestra
Danacord
2001
26:33
Diese Einspielung entstand im Frichsparken in Aarhaus und dürfte wohl die sein, die am meisten Zeit für sich beansprucht. Episch ausufernd oder hoffnungsfroh romantisch möchte man meinen, aber langweilig, wie so manch eine Einspielung, die ähnlich langsame Tempi nutzt, wird sie nie. Das Orchester nutzt die gewonnenen Zeiträume zu einem ausgesprochen detailreichen Spiel, bei dem man die Instrumente, natürlich besonders bei ihren Soli, selten so deutlich heraushört wie hier. Der Flügel ist da Primus inter pares. Herr Marshev spielt trotz der langsamen Tempi behände, kraftvoll, klar und perlend. Und da sie nuancenreich ausgestaltet werden, ausdrucksvoll. Er scheint nicht einmal richtig in die Tasten donnern zu müssen um einen schweren und kräftigen Klang zu erzeugen. Durch diesen außergewöhnlich tragfähigen Klang braucht sich der Pianist keine Sorgen zu machen, dass es zu Problemen kommt, wenn er mal das Tempo ganz rausholen möchte, es klingt trotzdem durch (z.B. bei den Var. 12, 16 und ganz besonders 17). Dann kommt aber auch mal das klassische Imponiergehabe heraus, denn es geht ja auch um Paganini und seinen Pakt mit dem Teufel. Bei Var. 18 scheint der Flügel virtuell meterweit vor dem Orchester zu stehen. Die abschließenden „Mephisto-Variationen“ wirken bullig wie selten einmal. Man muss den Interpreten Respekt für ihrem Mut zollen, einen so „gewichtigen“, eigenständigen Ansatz gewählt zu haben. Im grundsätzlich warm getönten Klang und dem epischen Ansatz erscheint auch der Ausdruck dem von Earl Wild extrem gegensätzlich. Die Spannung hat man dabei nicht aus den Augen verloren, das Stück hält zusammen.
Das sehr laut aufgenommene Orchester klingt präsent, der gesamte Klang offen, sehr transparent, körperhaft und sehr detailreich. Der Flügel erscheint meist wie im Orchester eingewoben. In der Var. 18 allerdings ganz weit vor ihm. Im ff steht er stets machtvoll vor ihm. Der Bass wird mal nicht vernachlässigt. Der Klang macht einen weitmöglich originalgetreuen Eindruck.
4-5
Bernd Glemser
Antoni Wit
Polnisches Nationales Rundfunk-Sinfonieorchester, Kattowitz
Naxos
1995
24:12
In dieser Einspielung aus der Konzerthalle des Polnischen Rundfunks in Kattowitz übertrifft Bernd Glemser seinen Vorgänger bei Naxos in Sachen Paganini-Rhapsodie, Jenö Jando, im Temperament und er kann auch einen etwas brillanteren Klavierklang vorweisen. Sein Spiel wirkt klarsichtig, geradlinig mit rhythmischem Drive und durchgängig musikalisch. Er hat es nicht sonderlich eilig, wirkt jedoch trotzdem durchweg etwas virtuoser, obwohl er langsamer unterwegs ist. Sein Anschlag ist straff, die Technik mehr als zuverlässig. Das Orchester musiziert nuanciert, mitunter leidenschaftlich; das Zusammenspiel wirkt sehr aufmerksam. Die Soli erklingen klangschöner und etwas prägnanter als in der Naxos Aufnahme mit Jando aus Budapest. Man vermag den Zuhörer durchaus zu fesseln sowohl in den lyrischeren Variationen (z.B. bei Nr. 7 aber auch bei den virtuosen (z.B. Nr. 23).
Der Klang der Aufnahme ist ein klein wenig brillanter und offener als 1988 in Budapest. Es schwingt viel Raumanteil im Klang mit (die Konzerthalle ist groß), dennoch vermeidet man unangenehmen Nachhall (genau wie studiohafte Trockenheit). Zwischen den Instrumenten „schwingt“ viel Luft, trotzdem klingt es klar genug. Die Klangfarben wirken etwas weniger warm als bei Jando 1988, aber nie kühl oder glasig. Summa summarum eine gut klingende Aufnahme, der man ihren damaligen Schnäppchenpreis nie anhört. Sie ist recht dynamisch, die Gran Cassa klingt allerdings schwach.
4-5
Tamás Vásáry
Yuri Ahronovitch
London Symphony Orchestra
DG
1977
23:25
Diese Aufnahme entstand in der Watford Town Hall in London. Herr Vasáry ist 1977 pianistisch voll auf der Höhe, spielt virtuos und akzentuiert und lässt die Funken liegen. Laut Beiheftchen möchte er bei Rachmaninow besonders streng sein und sich nicht gehen lassen. Daran mag man noch erkennen können, dass die Musik Rachmaninows auch in den 70er Jahren noch ein Imageproblem hatte. Vielen mag sie nicht seriös genug gewirkt haben, zu emotional, sodass der Interpret gegenzusteuern hatte. Nichtsdestotrotz wirkt das Spiel des Pianisten ziemlich spontan und er macht nicht halt vor agogischen Wechselspielen. Der Dirigent macht dabei gleichgesinnt mit. Allerdings lässt sich die Musik so auch bisweilen einfacher spielen, wenn man bei den Höchstschwierigkeiten einfach mal etwas langsamer werden kann. Wobei sich der Verdacht bei Herrn Vásáry absolut nicht aufdrängt. Er fegt nur so durch die schwierigsten Passagen. Heute setzt man allerdings Rubato in sparsamer Verwendung auch nicht mehr mit kitschig oder halbseiden in eins. Die Dynamische Spreizung ist in dieser Aufnahme größer als in der neuen Aufnahme mit Yuja Wang und Gustavo Dudamel. 1977 klingt es passagenweise im Gesamtklang leicht, pianistisch sogar federleicht. Da hat man viel von der sonst anzutreffenden Schwere bei Rachmaninows Musik weggenommen, die man gerne a priori mit ihr assoziierte. Da wird wendig und flexibel gespielt. Das LSO klingt sehr transparent und klangschön, auch die vielen ausdrucksvollen Soli. Bei Oboe und Englischhorn allerdings weniger, denn die klingen noch hart. Die spannende Reise durch die Variationen der Paganini-Rhapsodie wirkt genauso subtil wie virtuos, genauso rhapsodisch wie charaktervoll. Die abschließenden „Mephisto-Variationen“ wirken eher getragen als mit vortreibender Verve gespielt, letztlich klingen sie dann aber doch noch zupackend gesteigert. Die Paganini-Rhapsodie dürfte der Höhepunkt der Gesamteinspielung der Werke mit Klavier und Orchester in dieser Besetzung sein.
Der Klang erscheint warm, weich und tief gestaffelt, fast so räumlich wie 2015 bei Trifonov und in jedem Fall klarer als bei Wang 2023. Vielleicht nicht im ff des Tutti. Generell klingt es viel differenzierter im Dynamischen und im Ganzen weniger aufdringlich.
4-5
Josef Bulva
Bystrik Rezucha
Radio-Sinfonieorchester Bratislava
Mediaphon
P 1994
23:32
Das Orchester des slowakischen Rundfunks konnte damals noch nicht so recht mit den Spitzenorchestern mithalten, vor allem das Holz wirkt ermattet, das Ganze recht schwerfällig. Den Violinen fehlt es an Homogenität und im ff klingen sie strohig. Vielleicht hat man das Orchester gewählt, weil es in Bulvas Heimatstadt beheimatet ist? Josef Bulva soll als einziger mit einem Flügel mit drei Pedalen spielen, zusätzlich mit dem sogenannten „Sostenuto-Pedal“. Das können wir nicht überprüfen. Sein Spiel ist pianistisch tadellos, sehr virtuos, klanglich recht sonor, voll und gut konturiert. Seine Darlegung der Partitur wirkt charaktervoll, ganz eigen, vor allem rhythmisch. So klingt die Var. 18 besonders tänzerisch und frisch. Immer wirkt er pfiffig, lebendig und überlegt und wenig vorhersehbar. Bulvas Darbietung unterscheidet sich deutlich von allen anderen.
Die Aufnahme wirkt etwas trocken und wenig warm getönt, aber recht transparent. Hauptmangel sind die dünn klingenden Violinen.
4-5
Werner Haas
Eliahu Inbal
Radio-Sinfonieorchester Frankfurt (heute: HR-Sinfonieorchester)
Philipps, Pentatone
1974
23:09
Bei der in Bad Homburg (die Alte Oper war noch war lange eine Ruine, erst 1976 begann ihr Wiederaufbau) aufgenommenen Einspielung war Werner Haas 43 Jahre jung. Er war geborener Stuttgarter, erhielt seinen Feinschliff jedoch besonders bei Walter Gieseking in Saarbrücken. Zwei Jahre nach der Aufnahme ist er bei einem Autounfall während einer Fahrt von einem Konzert im Elsass ums Leben gekommen.
Ob der Aufnahmeort in Bad Homburg eine gute Wahl war? Zunächst ist man überrascht wie wenig präsent das Holz klingt. Es wird oft vom Flügel zugedeckt. Haas spielt ohne virtuose Übertreibungen. Man kann von einem bodenständigen Rachmaninow reden, geprägt von einer natürlich wirkenden Musikalität, romantischer Grundstimmung und einem brillanten Diskant. Er zeigt uns nicht den Übertechniker, sondern einen warmen Klang ohne Härte, der in die Anmutungsqualität gewichtig mit hineinspielt. Der Vortrag ist durchweg einfühlsam. Es gibt allerdings keine selbstgefälligen Gefühligkeiten, genau wie es keine auftrumpfende Kaskaden-Brutalität und kein Tastendonner gibt. Stattdessen herrscht feinfühlige Luzidität. Ein französisch anmutender Rachmaninow. Das RSO kann ganz gut mithalten, wenngleich uns die Violinen heute erheblich sonorer vorkommen, aber das könnte auch am Bad Homburger Aufnahmeraum gelegen haben.
Es klingt dort dunkel und sonor, es gibt weite Räumlichkeit, die sehr weit in Breite und Tiefe aufgespannt erscheint. Die Violinen klingen gerade für eine Philipps-Aufnahme jedoch ziemlich hell heraus. Die Balance ist noch gut, der Flügel kommt meist sehr gut durch, beim Holz sieht es wie bereits erwähnt anders aus. Der Bass ist gut hörbar, trotz der hellen Violinen erhalten wir noch einen warmen, analogen Grundcharakter. Wir haben die Pentatone-SACD gehört, die die originale Quadro-Version der Aufnahme zur Verfügung stellt. Als LP ist die Aufnahme nie in diesem Format erschienen.
4-5
Mikael Pletnev
Claudio Abbado
Berliner Philharmoniker
DG
1997, live
23:02
Mit Mikael Pletnev konnten wir vier Aufnahmen der Rhapsodie hören. Die älteste kommt vom SR, da war der 28jährige 1985 live zu Gast (er spielte zusammen mit dem RSO Saarbrücken unter Jean Fournet (heute Deutsche Radio Philharmonie). Dann kam 1987 die Aufnahme für Virgin mit dem Philharmonia und Libor Pesek. Und nach der nun in Augenschein genommenen von 1997 aus Berlin noch eine weitere Live-Einspielung mit dem von ihm gegründeten Rachmaninow International Orchestra und Kent Nagano von 2023 (anlässlich des 150. Geburtstages des Komponisten), die uns am wenigsten gefiel.
Bei der 1997 entstandenen Aufnahme aus der Berliner Philharmonie handelt es sich um den Mitschnitt eines Teils des Silvesterkonzertes, das damals den Titel „A Salute to Carmen“ trug. Der Titel hing mit den anderen Werken des Konzertes zusammen, denn bei der Rhapsodie fällt ein direkter Zusammenhang mit „Carmen“ nicht gerade unmittelbar ins Auge.
Wie bereits in Saarbrücken 1985 und London 1987 spielt Pletnev technisch brillant und mit einem eher gedeckten Klang. Sein Anschlag ist gegenüber den beiden älteren Aufnahmen eine Kleinigkeit schwammiger geworden. Er ging 1997 bereits seinem Zweitberuf als Dirigent nach. Das nimmt Ressourcen in Anspruch. Er spielt dennoch dynamisch nuanciert, agil, temporeich und mit einem gewissen Drang. Die lyrischen Passagen wirken elegant und die einzelnen Variationen werden gut charakterisiert. Das Orchester zeigt seine gewohnten Qualitäten, vor allem solistische Brillanz, Klangschönheit, präzises Zusammenspiel und sonore Klangpracht. Das Orchester lässt Abbado in der Var. 18 mächtig aufbrausen, eine fast schon überbordende Gefühlsaufwallung vor allem bei den Streichern. Der Pianist wählt da einen sachlicheren Weg. Die Schlussvariationen gelingen spannender als 1987 und viel spannender als 2023, mit mehr Drive und dem rechten Klang-Feuerwerk, vielleicht hat man das Werk deshalb mit ins Silvesterkonzert reingenommen? Mitreißend virtuos aber emotional etwas kühl.
Die Live-Aufnahme ist ganz gut ausbalanciert mit einem leichten Übergewicht für den Flügel. Eine deutliche räumliche Separierung von Flügel und Orchester gibt es kaum, trotzdem klingt der Flügel deutlich. Transparenz und Tiefenstaffelung gehen in Ordnung. Die Dynamik ist gut, es gibt nur wenige Publikumsgeräusche während des Spiels.
4
Sequeira Costa
Christopher Seaman
Royal Philharmonic Orchestra, London
RPO Records
1991
23:01
Diese Aufnahme entstand in der Watfort Town Hall. Der spanische Pianist spielt an der Seite von Christopher Seaman. Seaman wird das Werk in zehn Jahren erneut, dieses Mal in Rochester einspielen, allerdings gelingt der Orchesterpart wie die ganze Einspielung in London erheblich profilierter, lebendiger und frischer. Das RPO spielte die Rhapsodie im gleichen Jahr auch unter Vladimir Ashkenazy ein, der damals dort als Director wirkte. Vielleicht färbte das noch auf den Gestus der Musik ab. Gegenüber der Einspielung in Rochester spielt Herr Costa aber auch deutlich temperamentvoller als Jon Nakamatsu 2001. Er ist der großen Geste fähig ohne die Nuancen zu vernachlässigen. Seine Technik wirkt mühelos, sein Anschlag konturiert oder konsistent, sein Klang brillant. Die „Art-Tatum-Variation klingt beim ihm feurig. Das Orchester spielt erneut engagiert, wie bei Ashkenazy, Gabel oder auch Temirkanow. In der Var. 18 haben die Hörner ihre besonderen Momente, aber die Streicher erscheinen im oberen Register etwas dünn, das klang bei Ashkenazy voller. Die Mephisto-Variationen erklingen mit Kraft und Schwung, teils mit temporeichen Sprints hochspannend.
Der Klang der Aufnahme ist offener, transparenter, brillanter und präsenter als die Harmonia Mundi mit Nakamatsu und Seaman von 2001. Allerdings weniger warm und balsamisch. 1991 klang es erheblich dynamischer und frischer. Leider sind die Violinen noch ein wenig in der frühdigitalen Anfangsphase verhaftet.
4
Agustin Anievas
Mosche Atzmon
New Philharmonia Orchestra, London
EMI
1967
22:25
Der bei der Aufnahme 43jährige Pianist hat sich in seiner Karriere auf die Werke von Chopin, Liszt und Rachmaninow spezialisiert. Seinem Bekanntheitsgrad scheint dies nicht unbekannt förderlich gewesen zu sein. Uns waren von jeher sogar nur seine Aufnahmen der Klavierkonzerte Rachmaninow bekannt. Das will allerdings weiter nichts heißen. Er spielt die Rhapsodie technisch hoch versiert, er hat keine Angst vor den Anforderungen und stürzt sich unternehmenslustig ins Abenteuer. So bewundert man in Var. 4 seinen leichten Anschlag, in Var. 6 seine besonders geschickte Subtilität. Var. 8 und 13 beeindruckt mit Kraft und Brillanz. 11,16,18 erklingen durchaus mit Zärtlichkeit, wobei es bei der 18 keine Übertreibungen gibt. Das Orchester wirkt aufmerksam und schlagkräftig, Defizite gibt bei der lyrischen Ausformung besonders bei der Oboe, die 1967 immer noch sehr hart klingt und zu keinem p oder gar pp in der Lage zu sein scheint. Man hat das PO jedoch auch schon mit mehr Feinschliff gehört.
Der Klang der Aufnahme ist hingegen recht warm, klar, offen und spritzig. Der Sound des Flügels hat viel Körper und Brillanz. Das Orchester ist meist gut durchhörbar, gelegentlich aber seltsam dumpf. Während das Spiel des Pianisten immer noch aktuell wirkt, hat insbesondere am Orchesterklang und generell an der Klangqualität leichte Patina angesetzt.
4
Nikolai Lugansky
Sakari Oramo
City of Birmingham Symphony Orchestra
Warner
2003
23:23
1994 war Nikolai Lugansky Gewinner des Tschaikowsky-Klavierwettbewerbs in Moskau. Aufgenommen wurde jedoch in der Symphony Hall in Birmingham. Eine zweite Aufnahme vom RBB aus der Philharmonie Berlin mit Tugan Sokhiev fanden wir zudem noch in unserem Rundfunkarchiv. Eine dritte aus Baden-Baden mit dem Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg unter Kazushi Ono fand sich da ebenfalls. Obwohl viel Kraft und Durchsetzungsvermögen im Spiel sind, kann sich Herr Lugansky nicht richtig in den Vordergrund spielen. Grund ist der distanzierte Klang seines Flügels. Er bleibt aber auch eher nobel und zurückhaltend in den aufwallenden Variationen, stets nuancenreich, subtil, ja elegant und raffiniert in den lyrischen. Seine makellose Technik meistert die Schwierigkeiten des Stückes locker. Vielleicht wirkt das Spiel deshalb so unaufdringlich? Er kann viele Sympathiepunkte auf sich vereinigen und bringt die Schönheiten des Werkes sensibel und klangschön zur Geltung. Die Musik steht im Vordergrund, nicht die Technik und nicht das Ego. Im Zusammenspiel herrscht Verve, vor allem aber Präzision vor. Das Spiel könnte nach unserem Dafürhalten bisweilen ein wenig ausdrucksvoller ausfallen. Die Distanzierung im Klang gilt auch für das Orchester, sodass es zwangsläufig weniger plastisch klingt. Die Streicher wirken schlank, die vortrefflichen Bläser sind sogar bei ihren Soli nur schwach zu hören. Kein Wunder, dass man vom sarkastischen Biss, falls intendiert, kaum etwas mitbekommt. Es sei denn der Flügel schweigt, dann hört man die Bläser besser. Insgesamt eine zügige, solide Darstellung, sie steht jedoch insgesamt hinter Katchen, Entremont, Kocsis und Wild und wie die Kolleg/innen alle heißen zurücksteht. Es gibt vom Werk viele gute Aufnahmen und einige vorzügliche.
Im Gesamtklang steht der Flügel etwas zu deutlich im Fokus. So wird das Orchester und die meisterhafte Instrumentation vernachlässigt. Das Blech und das Holz kommen einfach zu schwach. Bei den Streichern kommen nur die Violinen gut zur Geltung. Den Rest vernimmt man nur unter „ferner liefen“. Auch die Dynamik bleibt wenig urwüchsig. Insgesamt klingt es aber sauber, vielleicht etwas zu „clean“. Im Sinne von synthetisch zusammengesetzt. Schade um die gekonnte Interpretation, die eigentlich mehr Verve mitbringt als die Aufnahmetechnik vermittelt.
4
Valentina Lisitsa
Michael Francis
London Symphony Orchestra
Decca
2010
22:41
Ganz anders geartet klingt es bei der Aufnahme mit Valentina Lisitsa. Sie wurde allerdings auch im Abbey Road Studio No. 1 aufgenommen. Da kommt das temporeiche und temperamentvolle der Darbietung gut bei der Hörerschaft an. Frau Lisitsa spielt mit einer gut geölt wirkenden Fingertechnik, bringt jedoch auch einen kraftvollen Zugriff mit ordentlicher Attacke mit ein. Zudem bringt sie nuancenreich und geschmeidig einige Pointen gut rüber. Sie bringt immense Virtuosität mit, sicherlich jedoch nicht in höherem Maß als Herr Lugansky Dennoch spielt sie eine oder zwei Nuancen „machohafter“ als er. D.h. mit mehr Attitüde, angeberischer, wenn man so will. Beim Sujet Paganini oder Mephisto wäre das nicht unangebracht. Der Klang ihres Flügels erscheint nicht extra groß, hat keine Härten, ist nicht zu weich, sondern sonor. Es fehlt gerade bei den schnelleren Variationen ein wenig an den feinen Nuancen, das fällt durchweg auf. Das Orchester unterstützt klanglich ganz hervorragend, es könnte jedoch noch mehr eigene Akzente setzen, aber das ist Jammern auf wirklich hohem Niveau. Jedoch klingt es etwas pauschaler als beim LPO unter Boult oder beim RPO unter Horenstein. Die sind dem LSO in diesem Fall auch beim Engagement die berühmte Nasenspitze voraus. Ehemals nicht gerade die Domäne des LSO: Oboe und Englischhorn klingen jetzt exquisit. Die Tutti kommen schön kraftvoll, aber nicht kraftmeierisch. Var. 18 klingt beim LSO nun (nicht wie noch bei Previn 1971) ganz ausgezeichnet, es gibt keinerlei Einschränkungen in Klang oder Transparenz, keine Übertreibung, kein unnötiges Verweilen. Die Spannung wird gehalten, man wähnt sich diesbezüglich wie in einem Live-Konzert.
Der Flügel steht deutlich im Vordergrund, klingt leicht gedeckt gerade noch so brillant. Das Orchester ist hinreichend präsent und könnte etwas offener klingen. Die Aufnahme klingt voll, voluminös und sehr dynamisch.
4
Simon Trpčeski
Vasily Petrenko
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
Avie
2009
22:46
Der mazedonische Pianist spielt die Rhapsodie mühelos, ja widerstandslos, leichtgängig, klangschön kultiviert und warm grundiert. Er kann sich wunderbar zurücknehmen und dem Orchester die Vorfahrt überlassen, wenn es am Zuge ist. Er scheint in jeder Situation einen kühlen Kopf zu bewahren. Es fehlt dabei das Imponiergehabe der älteren Pianisten-Generation. Im Gegenzug wirkt sein Spiel „sprechend“. Mehr Brillanz hört man z.B. bei Jablonski und noch mehr bei Tsujii. Was auch für das Orchesterspiel gelten kann. Da spielt das gleiche Orchester unter dem gleichen Dirigenten noch klangschöner, auch bei den zahlreichen Soli und es fehlt der Glanz der DG-Aufnahme (eigentlich handelt es sich ja um eine Avex-Aufnahme). Var. 18 klingt „groß“, aber nicht schwelgerisch. Vorantreibend dann die „Mephisto-Variationen“ zudem pianistisch einwandfrei gemeistert. Es fehlt der Darstellung vielleicht noch etwas „Persönlichkeit“, was Individuelles, unverwechselbares.
Über der Aufnahme liegt ein leichter Schleier, sie geht aber noch als klar durch. Sie ist recht transparent und dynamisch, es fehlt ihr jedoch Brillanz. Die Balance von Flügel und Orchester ist ausgewogen: Der Flügel wird allerdings nicht eigens vorgezogen, sondern scheint inmitten des Orchesters zu stehen. Eine gute Ausgangsposition für eine gleichberechtigte Partnerschaft. Das Orchester selbst ist nicht so spektakulär aufgenommen, dass es vom Flügel ablenken würde.
4
Oleg Volkov
Andrei Tschistiakov
Moskauer Philharmoniker
Brioso
Späte 80er Jahre?
24:56
Oleg Volkov, Jahrgang 1958 gehört zu jenen Pianisten, die die Rhapsodie lieber langsam angehen. Sein Spiel ist sicher und gewichtig, nicht schwerfällig, aber auch nicht elegant. Der Klang des Flügels ist voll, der Anschlag erfolgt nicht so blitzschnell wie bei den besten. Sein Spiel wirkt streng, brillant, technisch souverän, stets klar in der Phrasierung, nuancenreich und mit einem weiten dynamischen Ambitus, aber irgendwie auch humorlos. Das Stück ist so kein Schaustück virtuoser Eitelkeiten mehr. Hier wird hochkonzentriert musiziert, ohne ein Augenzwinkern, mit kompromisslosem Ernst. Sonst eher langsam zieht Herr Volkov für die „Art Tatum“-Variation Nr. 15 das Tempo stark an. Var. 18 erklingt mit dem konsequenten Ernst, den man erwarten konnte. Das Orchester assistiert solide, ohne klanglich besonders aufzufallen, etwas grau in grau, woran die Aufnahmetechnik sicher nicht wenig beiträgt. Trotz alledem wirkt die Darbietung weder langsam noch langweilig.
Die Aufnahme klingt nicht gerade umwerfend, aber doch recht klar, offen, transparent und recht deutlich. Das Orchester könnte farbiger und freier klingen, auch etwas wärmer. Im Gegensatz zum Klavier wirkt das Orchester etwas verhangen. Den Klavierklang kann man dagegen als brillant bezeichnen. Die Dynamik bewegt sich auf durchschnittlichem Niveau.
4
Jenö Jando
György Lehel
Budapest Symphony Orchestra
Naxos
1988
23:53
Der Flügel des ungarischen Pianisten klingt recht weich, warm, sein Spiel völlig ungestresst. Ohne die Härte der (männlichen) Russen (Trifonov, Matsuev). Alle Töne wirken ebenmäßig geformt, haben jedoch im Spiel untereinander genug Flexibilität. Obwohl die Dynamik reichhaltig erscheint wirkt der Gestus weniger zugespitzt; Donnern wird vermieden, genau wie „übermäßige“ Zärtlichkeit. In der Darstellung überwiegt das Lyrische, übrigens ähnlich wie bei Kun Woo Paik, dessen Orchester jedoch ein wenig besser klingt. Die Artikulation wirkt nicht messerscharf, es wird aber lebendig und mit Herzblut gespielt. Mit dem Orchester gemeinsam wird der Musik eine angenehme Wärme mitgegeben. Das Orchester selbst unterstützt Herrn Jando sehr, hält sich jedoch, wenn es auf seine ureigenen Beiträge ankommt, etwas zurück. Es könnte für sich genommen auch brillanter und virtuoser wirken. Im Solistischen etwas klangschöner. Das Zusammenspiel mit dem Pianisten macht ungeachtet dessen einen stimmigen Eindruck. Den abschließenden „Mephisto-Variationen“ hätte man noch etwas mehr schneidige Brillanz gewünscht.
Die Aufnahme wirkt gerade für eine frühe Naxos sehr gelungen. Sie klingt weiträumig und recht farbig, also ohne die häufig bei den ersten Veröffentlichungen zu hörende Blässe. Die Balance erscheint geglückt.
4
Mikhael Pletnev
Libor Pesek
Philharmonia Orchestra
Virgin
1987
23:46
Als diese Aufnahme in der St. Augustine´s Church in Kilburn gemacht wurde, was der russische Pianist 30 Jahre alt. Damals war er noch hauptberuflicher Pianist ohne nachdrückliche Ambitionen am Taktstock. Erst 1990 gründete er das Russian National Orchestra, dessen Chefdirigent er dann über viele Jahre war. Gegenüber seiner späten Aufnahme 2023 spielt er noch zügig, lebhaft und flüssig, schwungvoll und mit etwas Rubato. Und viel agiler und straffer. Mit subtilen Schattierungen und technisch absolut brillant. Die klangliche Brillanz wirkt durch den stark bedämpften Klang des Flügels eingeschränkt, sodass die Funken zwar fliegen, aber nicht so recht glänzen wollen. Die Höhepunkte werden gut gesteigert, besonders in den letzten Variationen fehlt ihnen gegenüber Katche, Wild oder auch Entremont Schwung und Dringlichkeit. Das wirkt wenig stampfend, eher auf eine subtile Art kühl. So kann man sich Mephisto durchaus ebenfalls vorstellen. In Summe ist diese Einspielung viel spannender als 2023, aber klanglich nicht ganz so voll und rund. Von allen Einspielungen mit Pletnev gefällt uns sein Spiel in Saarbrücken 1985 am besten. Dazu später mehr. Das Philharmonia Orchestra hatte schon seine neue Oboen-Besetzung, die gegenüber der früheren sehr viel angenehmer klingt. Das Zusammenspiel wirkt nahtlos, man merkt, dass sich Dirigent und Orchester gut verstehen und bereits viel miteinander zusammengearbeitet haben.
Der Klang der Aufnahme wirkt klar, präsent und kraftvoll. Die Transparenz erreicht nicht den höchsten Standard. Es klingt voll, rund, recht farbenfroh, recht dynamisch und räumlich. Der Klang des Flügels und des Orchesters wirkt gedeckt. Es gibt entgegen der Annahme nach Kenntnis des Aufnahmeortes keine Kirchakustik und es gibt keine frühdigitalen Härten.
4
Kun Woo Paik
Vladimir Fedoseyev
Moskauer Radio-Sinfonieorchester
BMG
1998
25:15
Es fällt bei den Einspielungen des Pianisten aus Südkorea immer wieder auf (ganz extrem bei den Chopin-Konzerten) wie schwer er sich tut, seinem Gesichtsausdruck ein wenig Freundlichkeit zu verleihen. Das wäre für einen Kaufimpuls in der CD-Auslage sicher von Vorteil gewesen. Dieses Mal wirkt er jedoch nicht tieftraurig oder grimmig, sondern nur sehr nachdenklich, möglicherweise aber auch schon halb eingenickt. Tiefgründig erscheint allerdings auch sein Zugang zur Musik, die er präsentiert. Und das Tempo könnte ein Einnicken provozieren, wenn die sonstige Gestaltung nicht unsere Aufmerksamkeit wachhalten würde. Es gibt tatsächlich keine Schnellschüsse, Herr Pail artikuliert meist sauber, prägnant und überlegt und sein Spiel mit dem Tempo (ziemlich gegen den gewohnten Strich gebürstet) fördert die Emotionalität der Musik durchaus. Er spielt sehr flexibel mit der Dynamik. Seinem Anschlag fehlt im Vergleich sowohl die Schnelligkeit als auch die Härte. Beides hätte zum vorgelegten Tempo auch weniger gut gepasst. So wirkt das Spiel insgesamt hoch serös und nachdenklich, aufflammende Leidenschaft wird man wohl vermissen. Mitunter fehlt es auch an Inspiration, denn da wo andere noch Perlen zu finden in der Lage sind, geht es bei Paik nur gerade und allzu gleichmäßig durch. Auffallend gut entwickelt zeigt sich hingegen seine Fähigkeit das Orchester zu begleiten. Uneigennützig scheint er ganz besonders an den richtigen Relationen und an der Gesamtwirkung interessiert. Dass er sich sehr viel Zeit lässt merkt man u.a. an der Var. 12, so wenig brillant hört man sie sonst selten. Obwohl es dem Pianisten hörbar nicht am technischen Können oder an möglicher Virtuosität mangelt, verzichtet er auf alles Blendwerk. Kaum einmal erklingt die Var. 18 so intim wie bei ihm (pures Understatement), so geschmackvoll-zurückhaltend. Auch beim Orchester. Beim Dirigenten und damit auch beim Orchester hat man das Gefühl, dass sie sich mit der Werksicht des Pianisten sehr gut angefreundet haben und sie mittragen. Man hat bei ihm den Eindruck, dass es alles versteht, was es da spielt. Dieser Eindruck könnte aber auch vom Tempo herrühren. Die „Mephisto-Variationen“ vermeiden ebenfalls jedes pianistisches Donnern, erklingen aber stets mit nuancierter Binnendynamik. Der Pianist lässt sich anscheinend selbst nicht mitreißen und vermeidet, wie bereits das ganz Stück über, jedes Blendwerk.
Die Aufnahme ist eine der transparentesten. Man hört jeden Einsatz glasklar. Sie ist räumlich, offen, farbig und recht dynamisch. Der Flügel wird sehr präzise abgebildet und ist immer sehr gut und klar zu hören. Die Aufnahme ist exzellent ausbalanciert und wirkt natürlich. Es gibt auch aufnahmetechnisch keine Showeffekte, aber auch keine Defizite. Die Einspielung sammelt eigentlich viele Sympathiepunkte entspricht jedoch nicht unbedingt den landläufigen Erwartungen.
4
Philip Fowke
Yuri Temirkanov
Royal Philharmonic Orchestra, London
EMI
1985
24:05
Die Aufnahme entstand in der Henry Wood Hall in London. EMI hat das Werk sehr häufig eingespielt, immer wieder hat man aber auch auf Wiederveröffentlichungen älterer Aufnahmen zurückgegriffen. Dabei hat man diese Einspielung fast immer ignoriert. Damit mag es zusammenhängen, dass man sie heute vielerorts vergessen hat. Dabei fehlt es ihr nicht an beachtlichen Qualitäten.
Mister Fowke spielt temperamentvoll und kontrastreich. Der Flügel wird wieder einmal höchstwahrscheinlich ein Opfer der frühdigitalen EMI-Klangtechnik, denn er könnte sonorer klingen und erscheint mit einem Hall-Fähnchen versehen, das das Orchester nicht aufweist. Und er klingt kühl, wenn nicht kalt. Er klingt manchmal sogar etwas blechern. Am Anschlag oder an der behänden Phrasierung gibt es nichts zu kritisieren. Pianist und Orchester wirken bestens aufeinander abgestimmt, was man zum großen Teil der fachkundigen Leitung Temirkanows zuschreiben dürfen, dem wir aus dieser Zeit auch eine sehr gute Einspielung der 2. Sinfonie Rachmaninows zu verdanken haben (ebenfalls mit dem RPO, dessen erster Gastdirigent er damals war). Das Orchester kommt immer sehr gut zu Wort, wenn es kompositorisch erforderlich ist. Es gibt sozusagen eine freie Kommunikation mit offenen Kanälen. Dies konnte die Technik damals gut nachzeichnen. Das Orchester, im Verlaufe der Diskographie immer wieder mit dem Werk beschäftigt, wirkt kundig (und willig), bringt freche Akzente, genau wie klangsinnliche Unterstützung z.B. in die „Liebes-Variation“ Nr. 18 mit ein, bei der man sich Zeit lässt, damit sie sich verströmen kann. Temirkanow steuert intensive russisch gestimmte Leidenschaft bei. Das Orchester trumpft bei den „Mephisto-Variationen“ beherzt auf. Bei der Einspielung ist es besonders bedauerlich, dass der Klang der Aufnahme ihrer Musikalität so sehr hinterherhinkt.
Es wurde ziemlich leise überspielt. Der Klang ist, wie bereits erwähnt, vom noch wenig ausgereiften digitalen Aufnahmeverfahren stark beeinträchtigt. Man versteht, dass die Tonmeister der Chefetage empfohlen haben, beim analogen Verfahren zu bleiben. Die hatte immer noch ihre Ohren am rechten Fleck, dennoch hatte der Einspruch wenig Erfolg, man fürchtete von den anderen derzeit als „fortschrittlicher“ verorteten Firmen abgehängt zu werden. So fehlt besonders dem Flügel aber auch, wenn auch in geringerem Maß dem Orchester, Fülle, Wärme und Sonorität.
4
Cecile Licat
André Previn
Chicago Symphony Orchestra
CBS-Sony
1983
22:57
Die zur Zeit der Aufnahme 22jährige Pianistin studierte am Curtis Institute bei Mieczyslav Horszowski, Seymour Lipkin und Rudolf Serkin. Sie hat „geölte Finger“, was soviel heißen soll, dass es ihrer Technik nicht an Geschmeidigkeit fehlt. Vor allem die langsameren Variationen spielt sie mit jugendlicher Frische und sehr sensibel. Besonders ins Ohr fallen zarteste Pianissimos. Es wird deutlich subtiler gespielt als in Wangs zweiter Einspielung mit Dudamel. Dem Flügel wird jedoch wenig klangliches Gewicht zuteil, sodass es an einer tiefgreifenden Sonorität mangelt und der Flügel leichgewichtig wirkt. Zudem vermiest die flache Aufnahme eine größere Freude an der Einspielung. Es fehlt zudem ein wenig an Intensität. Beim Orchester herrscht eine gewisse lichte Eleganz, Pointiertheit und Präzision, ganz ähnlich wie in Yuja Wangs erster Aufnahme, ebenfalls von Claudio Abbado dirigiert. Es wird eine gute Balance zum Flügel erreicht. Die Violinen klingen bisweilen ziemlich harsch, sogar hart. Die feurige Attacke und der brillante, herrische Klavierklang fehlt weitgehend, genau wie bei Yuja Wangs erster Aufnahme bei der sie erst 26 Jahre jung war. Bei den „Mephisto-Variationen“ am Schluss fehlt der sarkastisch-humorige Unterton. Da wirkt es etwas wattiert, aber doch leicht, klar und gut phrasiert.
Der Klang der Aufnahme erscheint durch eine neueres Remaster verbessert worden zu sein. Sie wirkt nicht mehr so resonant wie damals die LP, bei der es noch zu Überlagerungen von Orchester und Flügel kam. Insgesamt liegt jetzt ein abgerundetes, weich gerundetes, aber immer noch recht flaches Klangbild vor uns. Es kann es in Hinsicht auf Präsenz, Dynamik, Tiefenstaffelung und Brillanz in keiner Weise mit der 27 Jahre älteren Aufnahme mit Rubinstein und Reiner aufnehmen, obwohl das Chicagoer Orchester wieder mit dabei war.
4
Jue Wang
Carlos Miguel Prieto
The Orchestra of the Americas
Tinerant Classics
2009, live
23:13
Bei Jue Wang ist es nicht einfach mehr über ihn zu erfahren, so gibt es auch eine Pianistin und Komponistin gleichen Namens. Und nicht zu vergessen die große Ähnlichkeit des Namens mit der mittlerweile weltbekannten Yuja Wang. Es scheint sich aber um den 1984 in Shanghai geborenen und weitgehend auch in China ausgebildeten Pianisten zu handeln, der 2008 zwei Klavierwettbewerbe in Spanien gewonnen hat, in Barcelona und in Santander. Beim Orchester ist die Bestimmung der Identität genauso schwierig, denn es gibt ein weiteres, das sich ganz ähnlich nennt. Das Philharmonic Orchestra of the Americas wurde von Alondra de la Parra 2004 gegründet und wird POA abgekürzt, ob es überhaupt noch existiert wissen wir gar nicht. Das OA abgekürzte und in dieser Aufnahme musizierende Orchester wurde zwei Jahre früher gegründet (u.a. von Placido Domingo) und rekrutiert junge Musiker im Alter von 18-30 Jahren aus ca. 25 Ländern der westlichen Hemisphäre, vor allem aus Mittel- und Südamerika. Und vor allem aus ärmeren Bevölkerungsschichten, ganz ähnlich wie es beim Simon Bolivar Youth Orchestra war. Vor allem um mit zu einem sozialen Wandel beizutragen. Sein Chefdirigent ist Carlos Miguel Prieto und zwar seit seiner Gründung 2002, wenn wir das richtig verstanden haben. Gustavo Dudamel war Co-Chef von 2003-2010.
Manchmal ist das Blech des jungen Orchesters nicht ganz treffsicher, ansonsten zeigt es eine gute Homogenität, sehr schöne Soli und warmherziges Spiel. Der Pianist beeindruckt mit makelloser Technik, man hört jedoch keinen besonderen Klang, das Spiel erscheint nicht ohne Raffinesse und mit ausreichend „Feuerkraft“. Er war in den 2010er Jahren ein aufstrebender Stern am Pianisten-Himmel, allerdings wohl weniger in Deutschland, vielleicht war ihm die große Namensähnlichkeit mit Yuja Wang bei der Karriere im Weg.
Der Klang der Aufnahme ist offen, räumlich, plastisch, transparent, körperhaft und sehr gut gestaffelt, zudem präsent. Die Balance von Flügel und Orchester ist ausgezeichnet gelungen. Eine sehr gute Aufnahme.
4
John Ogdon
Sir John Pritchard
Philharmonia Orchestra
EMI
1963
23:52
John Ogdon ist einer der beachtenswertesten britischen Pianisten und hatte vor allem seit dem Gewinn des Tschaikowsky-Klavierwettbewerbs 1962 (Sieger gemeinsam mit Vladimir Ashkenazy) eine große Karriere vor sich, die jedoch von einer Krankheit (wahrscheinlich eine bipolare Störung oder Schizophrenie) bereits Anfang der 70er Jahre beendet wurde. In den 80er Jahren kam er nach mehreren Jahren im Krankenhaus vor allem mithilfe seiner Frau Brenda Lucas wieder zurück, ohne ganz die vorherige Brillanz wieder zu erreichen. Er starb 1989 im Alter von 52 Jahren.
Im Pianistischen bleiben bei dieser Einspielung kaum Wünsche offen, denn für den dumpfen, verhangenen Klang kann der Pianist nichts. Sein Spiel ist sehr kontrastreich, pianistisch voll auf der Höhe und kann mit den besten mithalten. Sein Anschlag ist hervorragend konturiert und sein Spiel hat das gewisse Feuer, ist kraftvoll und mitreißend. Die Aufnahme wurde sehr lange zurückgehalten und blieb Jahrzehnte unveröffentlicht. Gründe mögen vielleicht der nur mittelmäßige Klang sein, das bisweilen in den Proportionen benachteiligte Orchester und die mangelhafte Balance gewesen sein. Musikalisch und von der pianistischen Seite hätte nichts gegen eine Veröffentlichung in den 60er Jahren gesprochen. Vielleicht gefiel den Verantwortlichen die Produktion mit Daniel Wayenberg und Christoph von Dohnanyi aus dem gleichen Jahr einfach besser und man wollte sich selbst keine Konkurrenz machen. Zur Veröffentlichung als CD innerhalb einer Box wurde die Aufnahme neu digital überarbeitet.
Sie klingt jetzt besser als die völlig misslungene Aufnahme mit Gawrilow und Muti von 1989, ist aber sogar vom 1963 erreichbaren EMI-Optimum immer noch weit entfernt. Vor allem die Violinen klingen etwas gepresst, der Rest vom Orchester wie auch der Flügel etwas dumpf. Es fehlt also an schimmernder Brillanz, die die Virtuosität erst so richtig zur Geltung bringt. Die Ausstrahlung ist so dunkel und triste. Die Aufnahme wirkt zudem noch monaural geprägt, man muss genau hinhören um eine gewisse stereophone Räumlichkeit überhaupt erkennen zu können.
4
Victor Eresko
Vladimir Ponkin
Leningrad Philharmonic Symphony Orchestra
Melodija
1985
23:36
Victor Eresko, geb. 1942 und Schüler von Heinrich Neuhaus, gewann 1966 die Bronzemedaille beim Tschaikowsky-Klavierwettbewerb 1966, hinter Grigori Sokolow und Misha Dichter und vor Peter Rösel, der Vierter wurde. Besonders einnehmend erscheint sein kraftvolles Spiel während der dramatischen Passagen der Rhapsodie, Defizite gibt es bei den langsameren, lyrischen Variationen. Es klingt sehr virtuos, pointiert und brillant bei ersteren und eher halbherzig in den Abstufungen im p-Bereich bei letzteren. Generell gibt es eine Tendenz ins Deftige, Pointen werden klar herausgestellt. Beim Holz gibt es Schwächen, da es noch sehr „sowjetisch“ klingt. Ob es sich tatsächlich um die Leningrader Philharmoniker handelt oder um das zweite Orchester, das in der Leningrader Philharmonie spielt, die Symphoniker, war nicht eindeutig zu ermitteln.
Insbesondere der Flügel klingt sehr präsent, besonders hart klingen die Violinen. Die Aufnahme klingt erheblich mehr von der frühdigitalen Technik in Mitleidenschaft gezogen als die drei Jahre zuvor produzierte Aufnahme mit Herrn Dorensky. Das nährt bei uns den Verdacht, dass man 1982 in Moskau noch analog aufnahm. Der Bass ist kräftig, Dynamik und Transparenz sind in Ordnung. Die Aufnahme wirkt wenig räumlich.
4
Bella Davidovich
Neeme Järvi
Concertgebouw Orchestra Amsterdam
Philips
1981
23:18
Diese Aufnahme erfolgte im Großen Saal des Concertgebouw. Frau Davidovich spielt temperamentvoller, pianistisch spritziger und brillanter als Frau Federova, die lieblicher wirkt. Der Klang wirkt insgesamt kompakt, auch beim Klavier. Es gibt diskretes Rubato und das Spiel wirkt insgesamt lebendig, präzise und ausdrucksstark. Das Orchester wirkt wie fast immer qualitativ höchstwertig, es wird aber wie die Pianistin durch den frühdigitalen Philips-Klang etwas unter Wert verkauft.
Der Flügel erscheint fast ins Orchester eingebettet, er könnte offener und luftiger klingen. Das Orchester seinerseits könnte besser gestaffelt, räumlicher und transparenter klingen. Es wirkt aber präsent und hat eine plausible Dynamik. Die Klangfarben wirken etwas gedeckt, aber doch kräftig und natürlich. Die digitalen Artefakte sind erträglich, aber hörbar. So klingt das Orchester dünner und harscher als man es ein paar Jahre zuvor noch mit analoger Aufnahmetechnik gewöhnt war. Die Balance von Flügel und Orchester ist gut, es fehlt noch an Dreidimensionalität.
4
Eva Knardahl
Mariss Jansons
Oslo Philharmonic Orchestra
Simax
1982, live
24:14
In dieser Aufnahme hören wir den Klavierpart meist ziemlich hart und durchgehend in hoher Lautstärke. Die Pianistin spielt nicht unvirtuos, gehört aber nicht zu den Supertechnikerinnen. Ihr Spiel ist von einem kraftvollen Impetus getragen. Die Balance von intro- und extrovertiert ist gut. Ihr Anschlag vielleicht etwas breit, nicht so schnell wie man es von anderen hören kann. Mariss Jansons war auch vor der St. Petersburger Aufnahme mit Rudy 1991 und vor den Münchner Konzert mit Matsuev 2018 schon ein sehr aufmerksamer Partner. Vielleicht noch etwas geradliniger aber profund, klar und deutlich, wie die Pianistin. Die Var. 18 wirkt zärtlich mit großer Entwicklung, sehr gut gesteigert, in jedem Fall aber macht man keine weltumspannende, aufgedonnerte Sache draus. Am Ende gibt es leichtes Durcheinander (verursacht von der Pianistin), aber sie fängt sich gleich wieder.
Der Klang wirkt etwas eingehallt, aber sehr deutlich, sehr räumlich und gut gestaffelt. Der Flügel erklingt mit einem weiten Frequenzbereich und ist mit hoher Dynamik eingefangen. Er hat in der Balance Vorrang vor dem Orchester. In diesem Fall kann man es kaum glauben, dass es sich um eine frühe Digitalaufnahme handeln soll. Sie klingt warm und voll und bei den Violinen weitestgehend uneingeschränkt.
4
David Golub
Wyn Morris
London Symphony Orchestra
IMP, Carlton, LSO Live
1988
23:27
Die Aufnahme erschien zwar im Nachhinein auch beim orchestereigenen Label, dass gewöhnlich seine Konzerte live aufnimmt, es handelt sich aber um eine Aufnahme unter Studiobedingungen aus der Watfort Town Hall. Der US-amerikanische Pianist (1950-2000) ist in Deutschland kaum bekannt geworden. Er ist auch mit Isaac Stern und Leonard Rose im Trio aufgetreten, später dann gemeinsam mit Mark Kaplan und Colin Carr. In den 90er Jahren widmete es sich mehr dem Dirigieren. Man kann hier auch wieder einmal der Arbeit des berühmt-berüchtigten Wyn Morris lauschen, seine Aufnahmen sind wirklich nur selten zu finden. Es liegen mit ihm insbesondere teils sogar selbst finanzierte Mahler-Aufnahmen vor.
Der Pianist zeigt eine sehr gute Technik, einen recht brillanten Klang und ein kraftvolles Spiel mit gutem Durchhaltevermögen. Morris weiß mit dem LSO besonders die lebhafteren Variationen plastisch zu gestalten, in denen es um Paganini und Mephisto geht. Das Orchester ist immer mal wieder mit klugen Details unterwegs, die man sonst kaum so hören kann, spielt aber weniger perfekt zusammen wie man es von ihm gewöhnt ist. Hinzuweisen wäre noch auf die „Art-Tatum-Variation“ Nr. 15, die sehr beachtlich hingelegt wird.
Der Klang der Aufnahme wirkt weniger transparent. Der Flügel wirkt sehr deutlich ins Orchester integriert, dominiert so die Gesamtgestaltung weniger als üblich, lässt andererseits so dem Orchester viel Raum zur Entfaltung. Der Klang wirkt aber plastischer als in der EMI-Einspielung mit Ousset und Rattle von 1983 und viel transparenter als die 89er Aufnahme mit Gavrilov und Muti, die, wir sagten es schon einmal, eine glatte klangliche Enttäuschung war. Der Gesamtklang ist etwas trocken geraten, es fehlt insgesamt an Klangvolumen. Die Violinen klingen noch ziemlich hart und leicht verzerrt, vor allem zu hören bei Var. 18, wo sie „aus sich rausgehen“ müssen. Da gibt es einen leichten Hang ins Schrille zu hören wie auch beim Schlagwerk.
4
Denis Matsuev
Rico Saccani
Budapest Philharmonic Orchestra
BPO Live
P 2007
23:20
Dies ist unsere früheste Aufnahme mit Denis Matsuev, es gibt dann noch eine von 2009 aus St. Petersburg mit Valery Gergiev und eine dritte von 2018 live mit dem BRSO und Mariss Jansons. Denis Matsuev war 1998 Gewinner des Tschaikowsky-Klavierwettbewerbs in Moskau. Rico Saccani war von 1985-2005 Chefdirigent des BPO, irgendwann in dieser Zeitspanne, sollte die Aufnahme entstanden sein. Zu finden war allerdings nur ein „P 2007“. Das Orchester spielt quirliger und ausdrucksvoller als das Mariinsky Orchester 2009 und mit mehr Temperament. Das war für uns eine nicht wenig überraschende Erkenntnis. Matsuev, ein ähnlich großer Mensch wie Rachmaninow selbst, zeigt sich ungebremst virtuos mit frischem, enorm kraftvollem Spiel, mitunter schleichen sich aber auch Episoden ein mit denen er weniger anzufangen weiß, da klingt es nach l´art pour l´art. Leider ist der Pianist aber gegenüber dem Orchester einfach zu laut (z.B. bei der Var. 18). Die letzten Variationen klingen allerdings sagenhaft virtuos. Da setzt sich diese ungarische Einspielung noch deutlicher von der St. Petersburger ab, und das obwohl die Gesamtspielzeit ein längere ist. Sie wirkt viel sanguinischer. Gergiev erscheint da als Bremser vom Dienst.
Auch der Klang der Aufnahme wirkt erheblich räumlicher und transparenter, offener und lebendiger als der aus dem Mariinsky-Konzertsaal. Deutlicher der Flügel voller und sehr dynamisch.
4
Abbey Simon
Leonard Slatkin
St. Louis Symphony Orchestra
Vox
1976
23:21
Die Aufnahme entstand in der Powell Hall in Saint Louis, Missouri. Abbey Simon ist ein sehr sicherer Rachmaninow-Spieler, sogar brillant. Es fehlt ihm jedoch die „sprechende Poesie“, trotz einer zu beobachteten Versenkung in die Details. An die Durchschlagskraft der Besten kommt er ebenfalls nicht ganz heran, wobei man ja nicht so recht weiß, wie viel davon vom Raum und von der Technik „geschluckt“ wird. Das Orchester befindet sich in guter Verfassung, spielt aufmerksam und man bringt die wohlklingenden Soli angemessen zur Entfaltung. Und das obwohl die Klangdisposition eigentlich eher klavierfreundlich ausgelegt erscheint. Das Orchester steht ziemlich weit zurück. Es gibt nur wenige kleine Mängel, aufgefallen in Var. 14, die man leicht hätte korrigieren können. Um es nicht zu tun sind sie eigentlich zu gravierend bzw. auffällig. Insgesamt wirkt diese Einspielung jedoch grundsolide, völlig untheatralisch, fast ein wenig nüchtern, selten überraschend und gegenüber vielen anderen sehr zurückhaltend. Nicht unsympathisch geht sie so gut wie nie unter die Haut.
Im neuesten Remastering klingt die Aufnahme sehr klar und offen, dreidimensional, warm, weich, recht dynamisch, brillant und präsent. Es wird eine meist gute Balance zwischen Flügel und Orchester gewährleistet. Der Flügel könnte ein wenig voller und sonorer klingen. Angenehm analog, nach so vielen zweifelhaften frühdigitalen Aufnahmen ein Labsal.
4
Yuja Wang
Gustavo Dudamel
Los Angeles Philharmonic Orchestra
DG
2023, live
23:35
Aufgenommen wurde in der Walt Disney Concert Hall, zur rechten Zeit um das Jubiläumsgeschäft noch mitzunehmen. Das ist keinesfalls verwerflich, denn die Kosten für so eine aufwändige Produktion in Bild und Ton müssen ja wieder eingenommen werden, wenn die Produktion auch in Zukunft weiterlaufen soll. Yuja Wang hat ihren Stil seit der ersten Aufnahme von 2010 mit Abbado deutlich verändert. Sie ist jetzt 36 und – wir würden es mal einfach behaupten – mittlerweile noch vor Lang Lang - der absolute Klavierstar weltweit, zumindest einmal bei der DG. Sie spielt jetzt erheblich kraftvoller, man könnte meinen immer mit voller Kraft voraus. Da ist viel Brio mit im Spiel, sie spielt aber auch deutlich mehr auf den Effekt hin als Daniil Trifonov acht Jahre zuvor beim gleichen Label. Ihre Anschlagskultur, oder besser gesagt ihre gesamte Klaviertechnik hat sich vervollkommnet, zumindest einmal, wenn es um die pure Kraft geht. Sie spielt nun mit viel Pedal, vor allem aber mit viel „Gaspedal“. Das wäre uneingeschränkt zu bewundern, wenn sie nicht bei vielen Details einfach drüber hinweg musizieren würde. So bleibt der Anschlag nicht immer so schön gestochen klar, wie z.B. bei Rachmaninow selbst oder bei Trifonov. Der bringt auch noch mehr Biss mit ins Spiel. Aber meist sitzen die Effekte bei Yuja Wang perfekt, unbestreitbar. Ihre ohnehin schon fulminante Technik hat gegenüber 2010 an herben, ja wenn es denn sein muss: „männlich“ wirkendem Zugriff gewonnen. Das hört sich oft bravourös an. Nur mit den Emotionen in einigen lyrischen Variationen scheint es noch ein bisschen zu hapern. Var. 18 klingt wenig subtil, wie fast alle lyrischen Variationen. Das ist möglicherweise aber noch nicht einmal ihre alleinige Schuld, denn die Klangtechnik durchkreuzt die Pläne einer subtileren Differenzierung erheblich. Alles klingt tatsächlich wie gleichlaut, diesbezüglich, wenn man genau hinhört, wären wir wieder fast in den 30er Jahren angekommen. Da war es nur technikbedingt nicht anders möglich. Jetzt ist es gewollt. Die Violinen klingen manchmal wie „gebrüllt“. Da wird aus großem Kino: Kitsch. Manche würden vielleicht auch „romantischer Überschwang“ dazu sagen. Zu Tränen rühren vermag man so jedenfalls nicht. Oder doch? Auf uns wirkt es einfach zu „gemacht“. Zu unecht. Die Var. 19-24 klingen dann funkelnd, spannend, mitreißend und virtuos. Und sehr effektvoll. Das Orchester fällt tatsächlich ziemlich wenig auf in dieser Einspielung. Dudamel lässt meist der Pianistin uneingeschränkt die Vorfahrt. Bei Trifonov war der Eindruck ungleich konzertanter, bei Yuja Wangs Einspielung mit Abbado ebenfalls.
Der Klang bietet einen erheblich größeren Raum als bei Trifonov/Nézet-Seguin. Dafür fehlt jetzt die Schärfe in der Abbildung. Der Orchesterklang wirkt offen, warm, weich, verfügt über geschmeidige, voll klingende Violinen, voller als in Philadelphia 2015. Ebenso erklingt der Bass viel ausgeprägter aber auch weniger konturiert als beim Philadelphia Orchestra. Die Gran Cassa klingt ebenfalls viel mulmiger. Die Dynamik ist ein großer Schwachpunkt der Aufnahme, da klingt nämlich alles gleichlaut. Wie bei einer Pop-Produktion. Und alles ist irgendwie im Vordergrund, alles im lauten, höchstens mal halblauten Bereich. Wie fürs Auto (mit Verbrenner-Motor) oder das Hören mit Handy, Tablett oder PC gemacht. So wie es die jüngere Generation heute gerne zu tun pflegt. Alles schön breitbandig und dabei immer gleichermaßen lebendig. Damit man das Interesse nicht verliert. Für alle Hörer/innen, die am natürlichen Klangeindruck interessiert sind, muss dies von Nachteil sein. Vielleicht gewinnt man aber so neue Interessenten oder neue junge Kunden aus dem Pop-Lager, die so merken wie leicht konsumierbar dieser Klassiker doch eigentlich ist. Deccas Phase IV lässt grüßen. Da war die Dynamik genauso eingeebnet wie hier. Das hat man nun davon, wenn man Pop-Star-Status erreicht hat.
4
Shura Cherkassky
Zdenek Macal
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester (heute: WDR-Sinfonieorchester Köln)
Ica
1970, live
25:33
Mit Shura Cherkassky gibt es nur eine Studioaufnahme von 1953 mit dem Philharmonia Orchestra und Herbert Menges bei EMI. Die hat es jedoch anscheindend nicht bis ins CD-Zeitalter geschafft. Auf LP gab es sie, aber leider ohne Zugriff unsererseits. EMI hat allerdings mehr Aufnahmen der Rhapsodie als genug in ihrem Katalog, sodass man bei EMI wohl nie einen Mangel verspürt hat. Zum Ausgleich gibt es bei ICA eine Stereoaufnahme aus Köln und der BR sendet vielleicht einmal wieder seine Archivaufnahme mit dem BRSO und dem Lieblingsdirigenten von Herrn Cherkassky: Hans Schmidt-Isserstedt, so wie er es 2023 zum Geburtstag von Rachmaninow gemacht hat, obwohl es sich um eine betagte Mono-Aufnahme handelt.
Die nun vorliegende Aufnahme wurde im Saal 1 des Kölner Funkhauses gemacht. Zdenek Macal hatte damals in Köln seine erste größere Anstellung (1970-74 war er dort Chefdirigent). Vielleicht für den damals 34jährigen etwas zu „groß“ geraten für den Anfang. Es waren damals zuvor bereits große Namen als Chef im Gespräch: Mitropulos, Solti, Celibidache, Busch, Rosbaud…Die einen wollten nicht, die anderen konnten nicht (mehr). Dennoch gefällt uns das Orchesterspiel insgesamt besser als das des Pianisten, wenn man das überhaupt so klar trennen darf, denn es gibt ja vielfältige Abhängigkeiten. Randnotiz: Die Kölner Solo-Oboe klingt nun viel besser als in den 50er und 60er Jahren.
Cherkasskys Spiel macht einen etwas unsteten Eindruck und erweist sich als wenig patiturgenau, besonders in der Dynamik. Da spielt er mitunter genau umgekehrt wie es in der Partitur steht, also, man mag es kaum glauben p, wenn f gefordert wird. Oder auch mal schneller, wenn es langsamer gehen soll. Generell liegt hier ein gewichtiger Rachmaninow vor, sogar ein schwergewichtiger. Das Spiel scheint aus einer anderen Zeit zu stammen und entspricht vielleicht am ehesten dem alten Klischee, wie „die alten Einspielungen“ einmal geklungen hätten. Nach unserer Erkenntnis gab es dieses Spiel in der Historie zumindest einmal bei der Paganini-Rhapsodie überhaupt nicht. Höchstens einmal in Einzelfällen. Darüber mehr bei den historischen Mono-Aufnahmen. Shura Cherkassky bringt nach alter Väter Sitte noch viel eigene „Kreativität“ mit ein. Manuell beeindruckend, allerdings in diesem Fall nicht immer ganz perfekt, bisweilen jedoch mit atemberaubender Virtuosität.
Cherkasskys Klavier klingt kernig, manchmal eher erstaunlich schlank, ziemlich hart und unflexibel. Es fehlt ihm an Wärme und es klingt etwas gläsern und bekommt eigens ein Hallfähnchen verpasst, was den gläsernen Charakter noch unterstreicht. Wenn man die Partitur vergisst ergeben sich jedoch berückende Momente. Letztlich zieht Herr Cherkassky aber doch eher „sein Ding“ durch. Var. 18 erklingt prototypisch „herzerweichend“, man legt sich keinerlei Schranken auf. Von da an wird es richtig dramatisch, aber keineswegs rasant und auch jetzt nicht immer ganz perfekt. War ja auch live und ohne doppelten Boden und ohne Fangnetz.
Man erfreut sich daran, dass die Aufnahme bereits Stereo erfolgte. Es klingt aber noch etwas hart und dumpf, obgleich es nicht an Höhen fehlt. Es klingt räumlich schon ziemlich ausladend, dynamisch jedoch noch nicht. Bei letzterer Eigenschaft trifft man sich mit Yuja Wang und Gustavo Dudamel, obwohl es 2023 natürlich erheblich voller, praller, brillanter und auch konturierter wirkt. Und nicht mehr verfärbt.
4
Ian Hobson
Der Pianist in Personalunion ist auch der Dirigent
Sinfonia Varsovia
Zephyr
2004
21:15
Dies ist die einzige Aufnahme in der der Pianist auch noch zugleich das Orchester dirigiert. Ein ambitioniertes Projekt, das Ian Hobson auch auf die vier Klavierkonzerte anwendet. Recherchen haben ergeben, dass es sich bei dem Label Zephyr um das eigene Label des Pianisten handelt. Es würde uns nicht wundern, wenn er auch noch selbst die Mikrophone ausgerichtet und den Aufnahmeraum geputzt hätte. A priori schon einmal größten Respekt, hoffen wir mal, dass die Unternehmung glücklich endet. Ian Hobson war Professor an den Universitäten von Chicago und Illinois, dann an der Universität von Florida. 2023 übernahm er, lange nach der Einspielung der Rhapsodie die Position als fester Gastdirigent der Sinfonia Varsovia. Er dirigiert in dieser Einspielung von einem deckellosen, in der Mitte des Orchesters aufgestellten Flügel aus.
Das Orchester spielt auch ohne hauptamtlichen Leiter aufmerksam und präzise, wahrscheinlich sogar wacher als mit, denn es wird seine volle Aufmerksamkeit benötigt, fehlen doch einige Impulse und Sicherheiten durch einen hauptamtlichen Dirigenten. Die Herausforderung durch die vielen Tempowechsel wird genauso gemeistert wie eine gute Präzision im Zusammenspiel. Auch pianistisch bleiben nur wenige Wünsche offen, der Klang des Flügels wirkt brillant, der Anschlag verbindet Klarheit mit Harte und Wärme. Gelegentlich mischen sich leichte Unsicherheiten ins Spiel, man achtet jetzt allerdings besonders darauf, weil man sie schon erwartet. Und manch eine Figur könnte ein wenig profilierter klingen, wirkt auch mal leicht „verhuscht“. Mitunter wird Herr Hobson auch ein wenig hektisch. Da ist man doch geneigt zu bemerken: „Da hat er sich ein wenig zu viel aufgebürdet“. Andererseits gibt es auch temperamentvolle, ja mitunter sogar feurige Passagen, die man so gar nicht erwartet hätte. Var. 18 ist eine der zügigsten und eine der flüchtigsten, aber auch am wenigsten kitschigen überhaupt. Vielleicht nicht das, was man sich erwartet, aber eine neue anerkennenswerte Variante. Am Ende, also bei den „Mephisto-Variationen“ wird es dann doch wieder etwas flüchtig. Sowohl pianistisch als auch im Orchesterspiel. Kompromisse beim Tempo werden deshalb keine eingegangen. Hut ab! Eine tolle Leistung, aber trotzdem keine Spitzeneinspielung.
Der Klang der Aufnahme ist offen, farbig, klar und brillant. Es wird eine gute Balance von Flügel und Orchester erreicht, nur im ff ist der Klang nicht mehr vollends transparent.
4
Noriko Ogawa
Owain Arwel Hughes
Malmö Symphony Orchestra
BIS
1998
24:47
Diese Aufnahme wurde mustergültig in der Malmö Concert Hall aufgenommen. Seltsamerweise wurde sie bereits 1998 aufgenommen aber erst 2012 erstveröffentlich. Eine weitere CD mit Rachmaninow-Konzerten wurde gleich nach der Aufnahme veröffentlicht, soll aber nur wenig zufriedenstellende Kritiken erhalten haben, weshalb man erst einmal Gras über die Sache wachsen lassen wollte. Dabei klingt zumindest die Paganini-Rhapsodie ganz hervorragend, also man kann schon einmal feststellen, dass das Malheur zumindest einmal ganz sicher nicht am Klang oder einer sorglos geplanten Produktion liegen kann.
Bei Frau Ogawa stellen wir einen wunderbar perlenden, geschmeidigen Klavierklang fest, technisch perfekt, klar und deutlich artikuliert. Es wird nie übereilt, man tendiert aber auch nicht zu schleppenden Tempi. Allerdings wirkt ihr Spiel doch schaumgebremst und in Anbetracht des Sujets sehr sachlich. Es geht in einem ernsten aber auch seriös wirkenden Gestus durch von vorne bis hinten. Das Orchester spielt zuverlässig und vermag nicht unbedingt eigene Glanzlichter zu setzen, es passt sich dem Gestus der Pianistin an. Gibt es gibt doch zur wenige temperamentvollere Impulse und oft hängt der Spannungsverlauf ein wenig durch. Aber: Alles fließt leicht und locker dahin. Die Var. 18 erscheint in unserem Umfeld stark zurückgenommen, nur die Violinen befleißigen sich eines starken Vibratos. Wir waren nun gespannt, wie man sich in die „Mephisto-Variationen“ reinstürzen würde. Und tatsächlich gibt es nun etwas mehr Temperament und ein wenig mehr Brio. Man reißt aber keine Bäume aus. Aus unserer Sicht gab es zumindest bei der Rhapsodie keinen Grund mit der Veröffentlichung 14 Jahre zu warten. Wir höhen eine hochachtbare Pianistik und ein gutes, wohlklingendes Orchester, von der Musikalität her allerdings etwas betulich und unverbindlich. Schönklang ist eben nicht alles.
Die Aufnahme klingt offen und sehr transparent, weich, warm und gut gestaffelt. Der Gesamtklang ist einfach rundum gelungen, man kann ihn ohne Umschweife als „sehr schön“ bezeichnen.
4
Jean-Philippe Collard
Michel Plasson
Orchestre du Capitole de Toulouse
EMI
1978
24:43
Jean-Philippe Collard spielt seinen Part präzise, geschmeidig und brillant. Der Klang seines Instruments wirkt schlank, etwas gläsern (obwohl es sich um keine frühe Digitalaufnahme handelt, aber um eine sehr frühe Digitalisierung für die CD). Es fehlt ihm das Sonore und besonders groß wirkt er nicht. Das Spiel wirkt nie protzig, eher mitunter ein wenig schüchtern. Sein Portrait Paganinis wirkt, wenn man so will, nicht gerade testosterongesättigt. Das Orchester wartet ebenfalls mit schlankem Klang auf. Auffallend: Michel Plasson hat hier eine Vorliebe für die Hornstimmen entdeckt, wann immer ein oder mehrere Hörner dran sind, hört man es oder sie deutlich. Das macht die Einspielung unverwechselbar. Ansonsten spielt das Orchester sehr aufmerksam, präzise, temperament- und druckvoll. EMI hat das Orchester aus Toulouse eine gewisse Zeit den Pariser Orchestern deutlich vorgezogen und viel mit ihm aufgenommen. Es ergeben sich gerade im munter aufspielenden Orchester gute Korrespondenzen, die man gut verfolgen kann, auch weil der Flügel häufig ein wenig leise geraten ist. Die 18. Variation wirkt geschmackvoll gestaltet. Den Franzosen liegt das Aufbauschen nicht, obwohl man sich nicht zurückzuhalten scheint.
Das Klangbild wirkt ziemlich hell und sehr klar, räumlich und recht luftig. Das Instrumentarium ist gut ortbar. Der Flügel erscheint als gleichberechtigter Partner, jedenfalls stellt er sich nicht als bevorzugter Partner vor. Man vermisst die Bässe sowohl beim Orchester als auch beim Flügel. Es klingt brillant, aber dem Klang wäre etwas mehr Fülle zu wünschen.
4
Lise de la Salle
Fabio Luisi
Philharmonia Zürich
Philharmonia Records
2015, live
24:27
Eine weitere Aufnahme erfolgte im Land in dem die Rhapsodie komponiert wurde, der Schweiz. Die französische Pianistin, im gleichen Jahr nur ein paar Monate nach Yuja Wang 1987 geboren, hören wir auch noch einmal in einem Rundfunkmitschnitt aus München mit den Philharmonikern. Madame de la Salle spielt durchaus virtuos und im Vergleich zur neueren Aufnahme mit Yuja Wang nachdenklicher und mitunter genauer aber lange nicht mit der Kraftentfaltung und der Brillanz der Chinesin. Die Finger sind aber genauso flink. Bei plastischem Spiel und gefühlvoller Lyrik geht ihr jedoch die emotionale Hitze ab. Die Raffinesse spielt sich im Kleinen und Leisen ab, es wirkt oft sehr langsam. Einige der Variationen dürften die langsamsten in unserem ganzen Vergleich sein. Wir haben jedoch nicht nachgemessen. Manchmal klingt es wunderbar duftig, manchmal ein wenig zäh, manchmal fast schon lähmend. Das Orchester (es ist das Orchester des Opernhauses Zürich, das den Namen annimmt, wenn es Konzerte gibt) spielt eigentlich klangvoll und geschmeidig und mit schönen Soli, aber die Aufnahmetechnik belässt es zu weit im Hintergrund. Es bleibt gegenüber seiner Bedeutung in der Komposition klanglich etwas unterbelichtet. Zusammen mit den langsamen Tempi hängt die Spannung dann schon mal durch. Da klingt es oft mehr nach Gretchen als nach Paganini oder gar Mephisto.
Die klangliche Disposition lässt das Werk in Anbetracht der kompositorischen Absicht (da geht es in erster Linie um den „Zauberer und Verführer“ Paganini) zu zurückhaltend. Es klingt sehr weich und man wünschte sich etwas mehr Kontur und Sonorität. Man höre nur einmal in die Aufnahme von Herrn Tsujii (Avex, jetzt DG), dann merkt am sofort, wie eine Aufnahme der Rhapsodie heute klingen kann. Es fehlt demgegenüber einfach an Brillanz. Räumlichkeit und Staffelung sind dagegen gelungen (sogar besser als bei Tsujii). Es klingt aber verhangen und sogar leicht diffus. Da es jedoch trotzdem noch transparent genug klingt, kann man sich auf die Sachverhalte einstellen und sich daran gewöhnen. Das Weiche und Milde des „Schweizer Klangs“ wirkt ermüdungsfrei. Der Flügel dominiert stark, leider auch über die Soli des Orchesters. Der Klang wirkt im Ganzen viel sanfter als der von Yuja Wangs Einspielung von 2023. Da steht ja das Klavier auch zu sehr im Vordergrund. Die Dynamik ist in der Schweizer Aufnahme nicht so gleichlaut wie bei Wang. Bei der Chinesin klingt es jedoch viel spektakulärer klingt.
3-4
Van Cliburn
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
RCA
1970
24:44
Schon zu Beginn fällt auf, dass man vom einleitenden Allegro vivace nicht viel hält. Van Cliburn will anscheinend zur Entschlackung des damaligen Rachmaninow-Bildes beitragen und hält sich sehr zurück. Er wirkt emotional wenig involviert. Das deutlich gegenüber den älteren Einspielungen des Orchesters aufgelichtete Philadelphia-Klangbild (z.B. gegenüber der Einspielung mit Philippe Entremont) geht in dieselbe Richtung. Der lyrische Gehalt des Werkes wirkt jedoch zusätzlich vergrößert, weil es den dramatischen, von Leidenschaft geprägten Variationen an Antrieb und Temperament fehlt. Unbeschwert wirkt die Musik nie, sondern seltsam gehemmt, bedächtig gar, aber andererseits auch besonders klar und gut ausgeleuchtet. In Sachen Spieltechnik herrscht Perfektion und die Klangschönheit von Flügel und Orchesterspiel gefällt, aber es fehlt entschieden an Spannung. Man merkt: Da geht man kein Risiko ein, spielt man nur auf „Nummer sicher“, alles wirkt wohl überlegt, nichts irgendwie spontan. Da fragt man sich, welche Art von Teufel da mit im Bunde war.
Die Aufnahme gelingt sehr transparent und räumlich, die Abbildung erscheint auffallend breit. Es wird sogar eine beachtliche Raumtiefe geboten. Das überrascht, denn oft fallen die RCA-Aufnahmen Ormandys auch klanglich gegenüber den älteren bei CBS ab (wenn sie nicht zu alt sind). Der Flügel wird besonders deutlich vom Orchester abgegrenzt, obwohl er vom ihm umschlossen erscheint. Beides klingt gut, die Dynamik erscheint als passabel.
3-4
Denis Matsuev
Valery Gergiev
Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg
Mariinsky
2009
22:17
Dies ist eine Aufnahme aus dem Konzertsaal des Mariinsky-Orchesters. Denis Matsuev war u.a. Schüler von Sergei Dorensky, dessen Einspielung der Rhapsodie wir bereits in der 5er Kategorie würdigen durften. Das Spiel seines Schülers weist durchaus ähnliche Züge auf, der große farbige Klang, die große Geste erinnert auch an Gilels oder Richter. Der Anschlag ist kräftig doch mannigfacher Abstufungen fähig, hervorstechend sind jedoch der Eindruck von athletischer Kraft und von ansatzloser, schneller Virtuosität. Das Tempo erscheint mitunter überstürzt und äußerlich, vor allem bei den letzten Variationen, da wird es hektisch. Dennoch würde uns Matsuevs Spiel besser gefallen als das von Herrn Cliburn, denn jede Variation hat Form und Charakter. Aber das Orchester ist hier nur ein „Nebenschauplatz“, einige Passagen wirken uninspiriert, andere genial, was bei und den Verdacht aufkeimen lässt, dass da nicht besonders sorgfältig geprobt wurde, zumal es bisweilen auch an Präzision fehlt. Oder der Dirigent schlägt manche Passage doch sehr fantasielos durch. Die Solobläser wirken mitunter dumpf, manchmal nicht ganz sicher. Den Streichern fehlt mitunter Wucht und Lebendigkeit, da fehlt auch mal die rhythmische Energie. Das findet man besser in der Aufnahme Matsuevs aus Budapest (in der Kategorie 4 zu finden) oder aus München, die wir bei den Radioaufnahmen gelistet haben. Dabei haben wir gerade das Mariinsky-Holz schon mit dem besten internationalen Standard gehört. Var. 18 klingt einfach nur laut, ohne echte Leidenschaft.
Der Klang, den wir dieses Mal nur in Stereo in CD-Qualität gehört haben (es wäre auch die Multichannal-Wiedergabe vom SACD-Layer möglich gewesen) wirkt auffallend flach. Die Balance von Flügel und Orchester wirkt uneinheitlich. Der Flügel selbst mitunter auch mal etwas hölzern und weniger sonor. Er schwingt nicht immer richtig aus. Das Orchester erscheint trotz der eigentlich flach wirkenden Aufnahme zurückgesetzt aber noch einigermaßen plastisch und voll. Es könnte jedoch transparenter sein. Wenn man das AD bedenkt (2009) nicht ganz überzeugend.
3-4
Hae-Jung Kim
Julius Rudel
Philharmonia Orchestra
Helicon
1997
24:09
Das Philharmonia Orchestra durfte die Rhapsodie (wie das RPO) in seiner Geschichte schon häufig einspielen. Besonders bei den historischen Mono-Einspielungen griff man gerne aus es zurück, war es doch zuerst als ein reines Aufnahmeorchester gegründet worden. Im gleichen Jahr wurde es auch noch für die Aufnahme mit Evelyn Chen/Leonard Slatkin herangezogen.
Frau Kim spielt ihren Part spritziger als Frau Chen. Flink, klangschön, klar und mit einem etwas offensiver wirkendem Gestus. Natürlich ohne die Poesie zu vernachlässigen, mit zarter Hand eben. In einen Klangrausch verfällt man jedoch nie. Es gibt keinerlei Härte im Klang ihres Flügels. Sie kann sich zudem hervorragend unterordnen, wenn dem Orchester die Hauptrolle obliegt. So gibt es nie Verdeckungen von Stimmen. Das scheint eine gar nicht so häufig anzutreffende Tugend bei Rachmaninow-Spieler/innen zu sein. Das Orchester nutzt diese Chance zu atmosphärischen Zwischenspielen. Bei den abschließenden „Mephisto-Variationen“ fehlt es noch nicht einmal an behänder und geschmeidiger Geschwindigkeit und die pianistische Kraftentfaltung wirkt zur bereits gehörten Gestaltung des Klavierparts passend.
Der Klang der Aufnahme wirkt offen, weich, rund und recht präsent und recht dynamisch, ziemlich brillant und transparent. Der Flügel kommt immer deutlich und natürlich und wird in passender Größe abgebildet. Das ganze Klangbild wirkt brillanter als das der im gleichen Jahr mit dem gleichen Orchester entstandenen Aufnahme mit Chen und Slatkin.
3-4
Irina Georgieva
Sascha Goetzel
Sinfonieorchester Basel
Prospero
2022
25:13
Diese Aufnahme entstand im Stadtcasino Basel. Die Pianistin aus Rumänien ist der Stadt Basel eng verbunden, studierte sie doch hier bereits bei Rudolf Buchbinder.
Dies ist eine besonders zarte Einspielung der Rhapsodie geworden, sie ist sehr gut durchhörbar und klingt nie dick oder massiv, auch nicht bei den massivsten Akkorden. Frau Georgieva spielt sehr präzise und nuanciert, elegant und geschmeidig. Ihr bestimmter und recht schneller Anschlag erscheint sanft. Sie spielt sehr leise, sodass sie oft vom Orchester übertönt wird. Da hätte die Aufnahmetechnik vielleicht doch genauer hinhören sollen, denn das Orchester selbst befleißigt sich eigentlich einer ebenfalls zurückhaltenden Gangart und wirkt sehr aufmerksam und um die Belange der Pianistin bemüht. Es ist ein gutes Orchester, allenfalls die Violinen sind nicht immer ganz homogen,
Andererseits kann die Pianistin durchaus auch lauter, dann klingt der Flügel sonor und brillant. Diesbezüglich bleibt sie jedoch insgesamt weit hinter den Besten zurück. Ihre Domäne scheint das Hervorheben der poetischen Stärken in der Rhapsodie zu sein. Ihr Spiel wirkt sehr romantisch, empfindungsreich und verträumt. Das ist aber bei der Rhapsodie nur die halbe Wahrheit. Was zudem auffällt sind die langsamen Tempi, mitunter sehr langsamen Tempi, z.B. bei Var. 7. Ein Moderato sollte doch eigentlich kein Andante oder gar Adagio sein. Es gibt allerdings keine Metronom-Angaben in der Partitur. Dass es auch temperamentvoll gehen kann zeigt die Var. 9. Was der Einspielung fehlt ist ein gewisser Spannungs- und Kontrastreichtum. Gewonnen aus Dynamik und Tempo. Es ist jedoch vorstellbar, dass diese Einspielung durchaus bezaubern kann.
Das Klavier wirkt etwas matt und, wie bereits angesprochen im Verhältnis zum Orchester zu leise. Die Gran Cassa erklingt schön kräftig und die Räumlichkeit erscheint dreidimensional ausgeprägt.
3-4
Anna Federova
Modestas Pitrenas
Sinfonieorchester Sankt Gallen
Channel Classics, Outhère
2020
24:56
Die vierte Einspielung aus der Schweiz hat gewisse Ähnlichkeiten mit der gerade zuvor gelisteten. Das Zusammenspiel von Pianistin und Orchester ist von hoher Achtsamkeit geprägt. Die Pianistin spielt gerade die lyrischen Passagen wunderbar voll aus und lässt sich sehr viel Zeit dabei, sodass sich der Klang ihres Flügels voll entfalten kann, sehr geschmackvoll und zurückhaltend. Dabei spürt sie den einzelnen Variationen etwas länger nach als üblich und die Tempi tendieren in die Breite. Die wunderbare Kantabilität muss man einfach genießen, denn sie wird mit Präzision und „Herz“ dargeboten und dabei wirkt ihre Brillanz im Klang nur leicht gedämpft. Das Orchester erreicht nicht ganz die Brillanz der besten, aber verstecken braucht man sich gewiss nicht. Insgesamt ist diese Darbietung für unsere Ohren wenig glamourös aber musikalisch-seriös und insofern schon in jedem Fall hörenswert. Es fehlt jedoch die Spritzigkeit und die kämpferische Note (schließlich mischt hier ja auch der Teufel mit), die wie bei den älteren Aufnahmen so besonders schätzen und lieben gelernt haben. Denen gegenüber wirkt die Einspielung einfach nur brav.
Der Klang der Aufnahme lässt die Darbietung zusätzlich weich wirken. Es klingt voll und abgerundet, warm und das Klavier bleibt immer deutlich. Obwohl es weniger weit vor das Orchester gezogen scheint als zumeist. Vielmehr scheint es aus dem Orchester heraus zu klingen. Orchester und Flügel erklingen recht sonor und brillant.
3-4
Jean-Philippe Sylvestre
Alain Trudel
Orchestre Métropolitain, Montréal
Atma
2018
24:43
Als besonders auffallend an dieser Einspielung erscheint nun einmal weniger der Pianist, als das Orchester und sein Gastdirigent, der zunächst Trompeter war. Yamaha hat eigens ein Trompeten-Mundstück nach ihm benannt. Er wirkt sehr aufmerksam und das Orchester klingt entsprechend sehr transparent und nuanciert. Keine Stimme geht verloren und auch wenn die Spielzeit anderes suggerieren sollte, es fehlt nicht an Schwung. Monsieur Sylvestre (wir haben es bei dieser Aufnahme nur mit Kanadiern zu tun) ist in besonderem Maß der zarten Nuance mächtig, viele männliche Pianisten trauen sich das nicht (oder können es nicht?) und sie suchen stattdessen ihr Heil in der Offensive und in der athletischen Kraftentfaltung, wobei ihnen dabei das Werk sehr weit entgegenkommt. Die Nuance ist häufig die Domäne der Pianistinnen. Das hat unser kleiner Vergleich wieder einmal klar gemacht, bei Chopins f-Moll Konzert war es übrigens ganz ähnlich.
Sylvestre rundet fein ab, klingt weich, wirkt aber nicht „soft“. Er spielt mit unaufdringlicher Leichtigkeit, allerdings haben wir seinen Anschlag als wenig kernig empfunden. Wir erleben ein sehr gut abgestimmtes Miteinander, es gibt keine Überlagerungen verbunden mit einem „Ausradieren“ von einzelnen Stimmen. Zumindest einmal nicht, wenn sie von Relevanz sind. Von Beginn an wirkt diese Darbietung stimmungsvoll. Aber wie si oft, wenn die Lyrik fein ausgesponnen und tief empfunden erscheint, fehlt es an durchgängiger Hochspannung sodass man festhalten muss: Die lyrischen Variationen gelingen deutlich besser, als die anderen, wo Mephisto oder Paganini interagieren. Var. 18 erklingt zurückhaltend in Flügel und Orchester, bei den letzten Variationen fehlt es am frechen, harten Zugriff und am Vorwärtsdrang. So bleibt das wichtige Erlebnis des dritten Satzes (wenn es ein Konzert wäre) relativ spannungsschwach und brav.
Der Klang der Aufnahme erscheint sehr transparent, relativ offen, schön räumlich und mit dem rechten Maß an Fülle und Abrundung. Er erscheint zwischen Flügel und Orchester als perfekt ausbalanciert, die Dynamik ist gut. Uns fehlt es etwas an der Direktheit und Präsenz. Beides hätte vielleicht die musikalische Seite noch etwas stimulieren können. Ein Schuss Brillanz mehr wäre bei dem hochwertigen Klang aus Kanada das i-Tüpfelchen gewesen und hätte das letzte Quäntchen Mattigkeit vertrieben.
3-4
Lang Lang
Valery Gergiev
Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg
DG
2004, live
23:52
Aufgenommen wurde in der Martti Talvela Hall in Mikkeli, Finnland, im Anschluss an eine Tournee durch Russland. Vielleicht ist das der Grund, dass das Orchester ein wenig „abgespielt“ und routiniert klingt, an klanglicher Substanz hätte es nicht gemangelt. Angererseits gibt es auch Passagen, die übertrieben fetzig wirken. Begeistern kann es jedenfalls kaum. Zudem fühlt sich die Aufnahmetechnik veranlasst, die Soli künstlich nach vorne zu ziehen. Lang Lang spielt flink und flott, sehr detailfixiert und ohne den großen Spannungsbogen hinreichend zu beachten. Und es scheint ihm kaum in den Sinn zu kommen, dass er in diesem Stück die Aufgabe hätte, auch das Orchester mal zu begleiten. Sein Spiel wirkt auf uns wenig leidenschaftlich. Mitunter hört man auch des Pinisten Fingernägel auf den Tasten klackern. Das kam bei keiner anderen Einspielung vor und wäre leicht vermeidbar gewesen. Ein eigentlich unwichtiges Detail, das einem Meisterpianisten jedoch nicht passieren sollte. Die lediglich episodenhafte Wirkung (jede Variation steht allenfalls für sich selbst) ohne einen verbindenden Bogen stört eigentlich mehr. Denn es kann sich so keine übergreifende Spannung entwickeln. Var. 18 wirkt aufgedunsen und kitschig (zumindest einmal in unseren Ohren), zudem nicht immer partiturgemäß (Bässe überspielen ihr tacet). Alles in Allem wird auch zu wenig konzertant gedacht. Dies ist wie bereits beim f-Moll-Konzert Chopins die Produktion eines Starvehikels. War Lang Lang überhaupt bereits 2004 ein Star? Wenn nicht sollte er es sicher werden. Insgesamt gefällt uns „seine“ Rhapsodie immer noch besser als „sein“ f-Moll Konzert. Noch eine Anmerkung: Die Spielweise geht viel zu glatt durch um dem rhapsodischen Kern des Werkes vollauf gerecht zu werden. Das kollidiert zwar theoretisch mit dem episodenhaften Eindruck, mindert ihn aber in diesem Fall nicht.
Der Klang der Aufnahme ist immer gleichermaßen prall, voll bis füllig und meist recht transparent. Der Flügel steht im Zentrum und meist zu prominent im Vordergrund. Das Orchester ziemlich benachteiligt im Hintergrund. Ähnlich der Aufnahme Yuja Wangs von 2023 wirkt fast alles gleichlaut. Wie abgemischt für Handy und Autoradio. Im Orchester unterscheidet man nur zwischen f und ff.
3-4
Jorge Luis Prats
Enrique Batiz
Mexico City Philharmonic Orchestra
ASV, Brilliant
1990
22:17
Die Musiker aus Kuba bzw. Mexiko pflegen einen ziemlich direkten Zugriff auf die Musik, straff, dynamisch, frisch und jugendlich. Prats´ Anschlag ist dabei hart und schnellfingrig, kaum lässt er mal sein sanftes Legato hören. Er bevorzugt ein Spiel ohne spürbares Rubato. In Sachen Elan ist er sich mit Herrn Batiz völlig einig. Man hat das Gefühl, dass Prats immer noch mehr aufs Tempo drücken würde, was einen gewissen Hochdruck erzeugt. Sentimentalitäten oder Romantisieren wird so wirksam untergraben. Es geht ziemlich laut durch das Stück und es gibt kaum dynamische Zwischenwerte, eigentlich nur laut und leise. Auf die kontemplative Seite wird weit weniger Wert gelegt als auf die vorantreibende und die dunkle Seite. Die kommt sehr gut zu Gehör und dominiert die Gesamtinterpretation. Es gibt bei alledem kleine Ungenauigkeiten bei Flügel und Orchester. Das Orchester wirkt allzu oft hemdsärmelig, gibt meist volle Kraft voraus. Da fallen die Zwischentöne gerne mal weg und die Musik rauscht wie ein Schwall mit einer gewissen Unruhe vorbei. Am besten gelingen die von Mephisto dominierten Schlussvariationen, da gibt es ordentlich Drive, Tempo und Kontrast. Da puschen sich Pianist und Dirigent gut gegenseitig hoch, jedenfalls verbreitet man diesen Eindruck: ziemlich rasant!
Der Klang wirkt leicht hallig, weniger transparent und im Tutti verschwommen. Er wirkt recht dynamisch, aber kühl und hart. Das Orchester scheint mitunter ein gewisses Echo zu verursachen, als ob es nicht vollkommen zusammen wäre, das könnte aber auch von der Technik herrühren, die die Tücken des Raumes nicht ganz bewältigen konnte. Der Flügel klingt übrigens hart und wenig sonor, wie das Orchester auch. Es kommt einem so vor als hätte man in einem Tunnel aufgenommen, nicht in einem Konzertsaal, oder Studio. Mit Infos, wie Aufnahmeort und oft Aufnahmedatum, wird bei Brilliant meist gegeizt.
3-4
Martino Tirimo
Yoel Levi
Philharmonia Orchestra, London
EMI, CFP, Alto
1982
23:41
Diese Einspielung entstand in der Henry Wood Hall in London. Auch dieser Aufnahmeort wird gerne genutzt, wenn ein Londoner Orchester mit einer Einspielung betraut wurde, konnte aber selten einmal so überzeugen wie die Kingsway Hall. Wie fast alle bei unserem Vergleich gehörten Pinist/innen ist Martino Tirimo enorm fingerfertig. Er spielt mit einer exzellenten Technik und einer gewissen ruhigen Unerschütterlichkeit. Ohne das Kämpferische temperamentvoll darzustellen. Wenig dringlich droht Schwungverlust, sodass der 70jährige Rubinstein temperamentvoller wirkt, der im Übrigen auch mehr klangliche Vielfalt und Emotion einzubringen vermag. Das Orchester klingt voll und satt, es hat, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, nicht mehr das Oboen-Problem der 60er und frühen 70er Jahre. Funkensprühend wirkt es jedoch ebenfalls nicht, sein Spiel wird eher noch mehr von Schwungverlust geplagt als das Tirimos. Dies ist eine gepflegt aber ziemlich spannungslos wirkende Einspielung, der es ganz besonders bei den „Mephisto-Variationen“ an Attacke und Biss fehlt.
Die Aufnahme wirkt recht räumlich obwohl die Tiefenstaffelung ziemlich flach ausfällt, recht transparent und voll. Für so eine frühe Digitalaufnahme erfreuen die satten Mitten ganz besonders. Ein Rest von Härte bleibt allerdings noch erhalten. Dieses Mal mehr beim Schlagwerk, weniger bei den so besonders anfälligen Violinen. Der fehlende Bass lässt den Klang wenig sonor erscheinen.
3-4
Evelyn Chen
Leonard Slatkin
Philharmonia Orchestra, London
Sony-BMG, Conifer
1997
25:25
Diese Aufnahme entstand in den Abbey Road Studios. Frau Chen spielt perfekt perlend, klar und fließend, geschmeidig und sicher. Auf der anderen Seite wirken die Akzente harmlos, der Gestus spannungsarm. Das piu vivo bei Var. 4 wird ignoriert, auch ein marcato wird gerne mal unterschlagen. Bei Var. 7 klingt das „Dies irae“ nur wenig oder gar nicht pesante. Kaum lebendig die Var. 12, ganz lethargisch dann Var. 17. Generell scheint es an Kraft zu fehlen, die dramatischen und leidenschaftlichen Passagen gebührend rauszustellen. Var. 18 wirkt zurückhaltend und nachdenklich. Das anschmiegsam begleitende Orchester, weich, rund, warm timbriert und zurückhaltend klingend, unterstützt gut. Es tritt aber selten einmal führend in Erscheinung. Klanglich sehr schön, aber selten mal druckvoll, eher fein ausziseliert. Insgesamt wenig enthusiastisch oder mal vorantreibend. In dieser Einspielung wird weitgehend ignoriert, dass es sich eigentlich um ein dramatisches Werk handelt.
Der Klang der Aufnahme wirkt mit ihrer zurückhaltenden Brillanz schön samtig. Räumlich, weich und gut abgerundet klingt sie auch noch.
3-4
Michie Koyama
Andrew Davis
BBC Symphony Orchestra
Sony
1992
24:57
Dieses Mal wählte man erneut die Henry Wood Hall als Aufnahmeort. Die Pianistin verfügt über ein recht weites dynamisches Spektrum, vor allem in leisen Bereich. Ihr Anschlag ist frei von jeder Härte und keinesfalls teigig, ihr Flügel klingt warm und ziemlich brillant. Schwung und Druck ist jedoch nur wenig zu hören. Die Var. 15, die „Art-Tatum-Variation“, kann mit der Anschlagspräzision des Vorbild Rachmaninows nicht mithalten und wirkt ziemlich verschwommen. Das Orchester spielt klangschön und aufmerksam, Biss oder vorantreibender Schwung gibt es hingegen auch hier wenig (besonders deutlich bei den abschließenden „Mephisto-Variationen“). Wichtiger scheint den Interpreten sich viel Zeit zu nehmen um die spezifische Atmosphäre des Werkes einzufangen, mitunter (z.B. bei Var. 17) reißt dann auch mal der Spannungsfaden. Var. 18 erklingt sehr klangschön von den Streichern des BBC-Orchesters vorgetragen.
Auch diese Aufnahme klingt gut. Die Balance zwischen Flügel und Orchester ist gut. Der Flügel kommt klar und deutlich heraus, klingt, als ob er inmitten des Orchesters stehen würde. Alle Schallquellen sind genauestens ortbar. Dennoch klingt das Klangbild nicht wie synthetisch zusammengesetzt. Es bleibt noch genug „Mischklang“ übrig. Die Dynamik ist gut, grobdynamisch vielleicht ein wenig zurückhaltend, was aber zum Spiel der Pianistin gut passt. Die Klangfarben wirken kräftig und warm getönt, voll, weich und natürlich. Nur wenn es mal richtig laut wird kommt es zu leichten Überdeckungen hörenswerter Details. Die CD kommt aus Japan. Vielleicht wurde sie eigentlich für den japanischen Markt produziert. Das erklärt viel, aber nicht, dass es relativ wenig Bass gibt.
3-4
Tzimon Barto
Christoph Eschenbach
Schleswig-Holstein Festval Orchestra
Ondine
2010
25:55
Diese Aufnahme entstand in der Musik- und Kongresshalle Lübeck. Wegen seiner hünenhaften und kraftvollen Erscheinung und der letztlich damit verbundenen Spannweite der Hände sollte er mit Rachmaninows Notensatz keinerlei Probleme haben. Er war zur Zeit der Aufnahme 53 Jahre jung. Die dynamische Bandbreite des enorm kraftvollen Pianisten kommt uns nun etwas weniger geweitet vor als in jüngeren Jahren. Er ist nach wie vor ein exzellenter Techniker, alle Töne sind da, der Anschlag ist gut fokussiert und gefällt, der Klang des Flügels ist brillant und schwingt gut aus. Die Darbietung wirkt kontrastreich und durchaus bewegt. Die Tempi wirken jedoch alles andere als vorantreibend, vermitteln aber dennoch ausreichenden pianistischen Aplomb. Var. 16 und 17 wirken sehr gedehnt, da fällt die Spannung ab. Das jugendlich besetzte Orchester ist sehr gut besetzt, die Soli wissen zu gefallen, das Spiel erscheint durchweg detailreich. Barto und Eschenbach sind ein eingespieltes Gespann, auch mal mit zwei Klavieren spielend oder umgekehrt dirigiert auch Barto mal, wenn Eschenbach Klavier spielt (häufiger bei den beiden Brahms-Konzerten). Bei Var. 18 wird das Tempo nahezu komplett herausgenommen. Wir vermuten, damit sie sich innig und verträumt verströmen kann, sie klingt auch zunächst sehr schön, nur wenn das Orchester richtig aufblühen sollte, wirkt es doch stark aufgedunsen. Danach geht es im zuvor verwendeten Mainstream-Tempo kontrastreich und dynamisch weiter, allerdings auch sehr laut. Nun blitzt der Klang des Flügels schön auf und man zieht das Tempo merklich und sogartig an. Ein schwungvoller Abgang einer zuvor nur weniger mitreißenden Darstellung.
3
Peter Rösel
Kurt Sanderling
Berliner Sinfonieorchester
Eterna, Berlin Classics
1982
25:13
Während der Pianist bei der Einspielung 37 Jahre zählte, konnte Kurt Sanderling bereits auf 70 Lebensjahre zurückblicken. Ohne zu wissen, wer von beiden für die durchweg getragenen Tempi verantwortlich war, wirkt besonders der Klavierpart ohne Feuer, ohne Antrieb und ohne Pepp. Man vermisst die große Linie, sodass die einzelnen Variationen wie Solitäre wirken und nicht unter einen Spannungsbogen gespannt werden. Gut abschattiert im Dynamischen, fehlt es am rhythmischen Biss und am brillanten „Aufriss“. Herr Rösels Spiel macht einen ziemlich unbeteiligten Eindruck. Gut gefällt allerdings das gemeinsame Concertare vom Solisten und vor allem vom Orchester. Niemand verdeckt den anderen, das Zusammenspiel erscheint allerdings nicht immer ganz präzise. Letztlich dominiert aber doch die symphonische Schwere. Das Orchester agiert mit einer gewissen Behäbigkeit, was den schwermütigen Charakter des Werkes verstärkt. Var. 18 gelingt hingegen auf eine gewisse Weise sehr gut, weit ausgreifend, voller Zärtlichkeit. Man lässt es Strömen und bauscht nichts auf. Diese Einspielung wirkt summa summarum leider nur grundsolide und ein bisschen langweilig, sie klingt aber gut.
Um es noch etwas genauer zu sagen: Warm und weich, fast üppig, räumlich, sehr körperhaft und transparent. Der Klavierklang wirkt klar, weich, rund und gut fokussiert, aber nicht sonderlich präsent. Es herrscht ein natürlich-ausgewogener Konzertsaal-Eindruck. Ein sehr guter VEB-Klang. Klingt nach analoger Aufnahme.
3
Vladimir Feltsman
Zubin Mehta
Israel Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1989
23:49
Bereits 1979 wollte Vladimir Feltsman die Sowjetunion verlassen und stellte daher diverse Ausreiseanträge. Als er darauf beharrte erhielt er schließlich Auftrittsverbot. Erst acht Jahre und viele weitere Versuche später wurde ihm die Ausreise gestattet 1987 gab er dann erste Konzerte in den USA. Sein Spiel wirkt sehr klar, präzise und kontrolliert. Er verfügt über einen großen Nuancenreichtum. Der Flügel klingt leider wenig warm, sogar ein wenig synthetisch, es fehlt ihm vor allem an Sonorität. Das Orchester wirkt bei aller Professionalität ein wenig unbeteiligt, nicht ganz schwunglos, aber letztlich nur routiniert und ziemlich einfallslos. So blüht Var. 18 bedingt durch das wenig sensible Spiel und zuvorderst die Klangtechnik nicht auf, im Gegenteil: Auf uns wirkte sie sogar ein wenig gewalttätig. Vor allem wird die Musik hier Opfer einer einengenden Klangtechnik, die der Musik die Sinnlichkeit verwehrt.
Es klingt nämlich staubtrocken und dadurch betont nüchtern, ohne natürliche Räumlichkeit. Eine Art sterile Transparenz herrscht vor. Der Klang hat wenig Körper. Flügel und Orchester sind räumlich kaum getrennt. Es fehlt beiden an Sonorität. Es klingt wenig brillant und nur im ff wirkt die Musik etwas lebendiger. Es sind keine Bässe hörbar. Diese Produktion kommt uns wie ein Schnellschuss vor, dem es an liebevoller Vorbereitung fehlte.
3
Igor Levit
Daniel Harding
Wiener Philharmoniker
Sony
2021
24:14
Dieser Mitschnitt stammt aus einem sogenannten „Sommernachtskonzert“ aus Schönbrunn. Man beginnt zügig und entschlossen um eine beeindruckende faustische Tatkraft zu vermitteln. Igor Levit, mit dem uns noch ein gelungenerer Mitschnitt aus München vorliegt, kann da gerade noch folgen, das Zusammenspiel wackelt leicht, aber hörbar. Im Folgenden fehlt es an Sonorität, an Ausdruck, an viriler Kraftentfaltung und an der dunkel wirkenden Expression. Diese Event-Konzerte haben bisher selten zu musikalischen Höhenflügen geführt, auch in Schönbrunn nicht. Die Wiener können zumindest auf der Tonkonserve nicht ihr Klangpotential noch nicht ansatzweise entfalten. Der Klang des Flügels wirkt aber auch stumpf, der Klang kann sich einfach nicht entfalten, bleibt wie am Instrument kleben, genau wie beim Orchester. Ob das an der Konzertmuschelakustik liegt? Herr Levit überzeugt im weiteren Verlauf mit geläufiger, ja stupender, aber nie überwältigender Technik. In einem guten Konzertsaal aufgenommen, könnte man einer dann sicher viel lebendiger und nuancenreicher wirkenden Darstellung viel mehr Gegenliebe entgegenbringen. Auch bei der Var. 18 vermisst man den Musikvereinssaal schmerzlich, so stumpf klingen die Violinen dort einfach nicht. Igor Levit spielt die Schlussvariationen enorm leichtfingrig, fast schwerlos. Wenn es um eine Aufnahme der Paganini-Rhapsodie mit Igor Levit geht, dann höre man die mit den Münchner Philharmonikern und Kyrill Petrenko in einem ganz normalen Konzert in einem richtigen Gebäude. Einziges Problem: Die müsste erst einmal veröffentlicht oder mal wieder vom BR gesendet werden. Wir haben die Aufnahme glücklicherweise in unserem Archiv gefunden. Zu finden bei den Radiomitschnitten am Ende unserer Liste.
Wie schon häufig bei den Tonträgern, die man von den Schönbrunn-Konzerten produziert hat, erklingt das Orchester seltsam gedämpft um nicht zu schreiben dumpf und kaum gestaffelt. Uns fällt da der Begriff lieblos ein, in Wirklichkeit werden vielerlei Sachzwänge oder Kompromisslösungen zu diesem Resultat geführt haben. Der Hintergrund wartet mit einem beständigen Rauschen auf, wahrscheinlich ein Relikt aus dem Komprimieren der vielen Geräuschen der zig-tausend Besucher/innen und vieler anderer Umgebungsgeräuschen.
3
Jon Nakamatsu
Christopher Seaman
Rochester Philharmonic Orchestra
Harmonia Mundi
2001
24:13
Bei der Produktion aus Rochester stimmt in jedem Fall schon einmal die Klangqualität milder als in Schönbrunn, aber der beste Sound nützt ja nicht viel, wenn nur technisch perfekt und ansonsten ohne spürbares Engagement, also spürbare Leidenschaft, und so vorsichtig und kalkuliert wirkend Klavier gespielt wird. Technisch poliert aber beiläufig. Auch orchestral geht es zu wie mit angezogener Handbremse Vom Dirigenten, der das RPO aus London schon einmal zu erheblich temperamentvollerem Spiel animieren konnte, kommen weder Akzente noch das Signal zum rechten Drive. Das Orchester klingt nicht schlecht, aber auch nicht besonders edel. Man spielt recht präzise, die Soli gefallen besser als sein Gesamtklang. Mitunter hängt die Spannung richtig durch. Selten hat man mal so eine artige, „wohlgesittete“ Var. 18 gehört, (wenn man so will: bar jeder Erotik) immerhin klingen die Streicher, wenn auch wenig dynamisch, warm. Da wallt aber keine große Emotion auf. Nur in den Schlussvariationen wird es etwas temperamentvoller. Insgesamt bleibt es brav.
Der Flügel steht in dieser Aufnahme deutlich vor dem Orchester, das selbst nicht sonderlich präsent oder transparent wirkt. Der Gesamtklang ist aber warm und stimmungsvoll, jedoch wenig brillant und wenig dynamisch, auch der Klang des Flügels nicht. Der Gesamtklang wirkt für so eine noch recht aktuelle Aufnahme wenig räumlich. Im Ganzen klingt es angesichts dieses Werkes zu zurückhaltend.
3
Ilona Prunyi
Howard Williams
Pécs Symphony Orchestra (heute: Pannon Symphony Orchestra)
Hungaroton
1993
24:01
Mr. Williams war 1989-93 und 1996-2000 Chefdirigent des Orchesters. Die Pianistin zeigt sich versiert mit lockerem Spiel und (nicht immer) prägnantem Anschlag. Den Klang des Flügels hat man leicht verhallt, wahrscheinlich hat man es gut gemeint und wollte ihm nur eine „paganinieske“ Aura verleihen. Das Orchester macht einen recht zuverlässigen Eindruck mit auffallend klangvollem Blech und eher steifem, unflexiblem Holz. Es bietet keinen Luxusklang. Das Zusammenspiel wirkt nicht immer nahtlos.
Hauptproblem dieser Einspielung ist, dass das Orchester das Klavier immer wieder und allzu oft im Tutti zudeckt. Ansonsten ist die Transparenz (nur wenn kein Tutti anliegt) ganz passabel und das Orchester zeigt sich sogar ganz gut gestaffelt und recht räumlich aufgenommen. Das Klavier wirkt etwas zurückgesetzt und, wie erwähnt, leicht eingehallt. Das Holz klingt mitunter entfernt.
3
Daniel Wayenberg
Christoph von Dohnanyi
Philharmonia Orchestra
EMI
1963
23:26
Der Flügel Daniel Wayenbergs wurde allzu entfernt aufgenommen, er klingt sehr luftig und es fehlt entschieden an Sonorität und Wärme. Durch das enorm distanzierte Klangbild (das Orchester ist ebenfalls weit weg) wird die emotionale Kontaktaufnahme zum Hörer deutlich erschwert. Auch wenn man den Ernst des Musizierens und das filigrane, nuancierte Spiel im Lyrischen würdigen kann, so kann einfach kein Funken überspringen. Dichter dran sicher erheblich mitreißender erscheint es so nur korrekt-gekonnt. Die „Mephisto-Variationen“ gelingen pianistisch nicht jederzeit präzise. Der Klang stört die Darbietung jedoch viel mehr.
Es klingt entfernt, etwas hallig, wenig transparent, wenig voll, wenig farbig. Wirklich kein Klang, wo man mitten drin wäre. Es fehlt an Fülle und Präsenz und die Dynamik wirkt ebenfalls lasch. Sehr präsent klingen dagegen das Glockenspiel und der Triangolo, ansonsten klingt es fast breiig. Es gibt nur ganz wenig Bass. Der Klang bekommt gegen Weber/Fricsay 1960 (DG) „keinen Stich“. Und wenn wir die Auswahl zwischen Ogdon/Pritchard und Wayenberg/von Dohnanyi (beide EMI von 1963) gehabt hätten… Ein Klang wie in der allerletzten Reihe unter einem den Bass abschneidenden Balkon. Vielleicht haben wir aber auch nur eine ganz miese Pressung erwischt. Auch das sollte nicht vorkommen.
3
Cécile Ousset
Simon Rattle
City of Birmingham Symphony Orchestra
EMI
1983
25:46
EMI hat die Paganini-Rhapsodie besonders fleißig aufgenommen. Pianistisch gesehen ist diese im Vergleich über die Jahrzehnte gesehen wenig gelungen. Die Darbietung wirkt pianistisch bemüht, weder leichtfingrig oder behände, noch so brillant oder virtuos wie bei den vielen anderen. Es fehlt die Schnelligkeit im Anschlag, der ziemlich weichlich wirkt und an der selbstverständlichen, freien Kraftentfaltung. So wirkt das Klavierspiel insgesamt wenig hellwach. Demgemäß gelingen die lyrischen Variationen am eindringlichsten. Die Temponahme spielt diesem Eindruck zu. Dem Zusammenspiel mit dem Orchester scheint auch noch die enge Verzahnung zu fehlen und ganz selten gehen einmal anfeuernde Impulse von einem der Partner aus. Man kommt weder ins Staunen, noch jagt einem die Darbietung Schauer über den Rücken. Man hätte sich mal vor der Aufnahmesitzung eine der „großen“ alten Aufnahmen anhören sollen. Da hätte auch im Hause EMI „Elektrisierendes“ vorgelegen.
Der Klang der frühen Digitalaufnahme wirkt stumpf und wenig lebendig. Er zeigt sich nur wenig räumlich und stark von der neuen Technik (negativ) beeinflusst. Wenig natürlich und wenig klangsinnlich.
3
Mikhail Pletnev
Kent Nagano
Rachmaninow International Orchestra
Euroarts
2023
25:13
Diese Rhapsodie wurde in der Rosey Concert Hall in Rolle (Schweiz) von der San Francisco Classical Company aufgenommen. Das Orchester wurde erst 2022 von Pletnev gegründet (es wäre ja nicht das erste). Viele russische und ukrainische Musiker/innen, die vom Krieg betroffen waren, sind dabei, auch Israeli und Palestinenser. Wenn wir da nichts völlig falsch verstanden haben wurden alle vier Konzerte an einem Abend live dargeboten und eingespielt. Das wäre allerdings kaum zu glauben und würde viel erklären. Und dann die Rhapsodie gleich noch mit. Sicher bot das Rachmaninow-Gedenkjahr zum 150. Geburtstag einen würdigen Rahmen. Dass unter der Masse an Musik die Qualität der Darbietung leiden könnte, darauf ist anscheinend niemand gekommen. Zumal die beiden Protagonisten 66 bzw. 72 Jahre zählten und keine jungen Männer mehr sind. Bewundernswert ist die Leistung in jedem Fall und bestimmt einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde wert. Pletnev nutzt seinen eigenen Shigeru-Kawai, der mit seinem sanften Charakter kaum zum dramatisch-schillernden Werk passen will. Es fehlt ihm an Brillanz, wobei die Aufnahmetechnik da immer ein gewichtiges Wörtchen mitredet. Der Pianist hat nun keinen kernigen Anschlag mehr und er spielt seinen Part lieblos-routiniert und ziemlich einförmig herunter. Da gibt es keine akrobatische Beweglichkeit mehr, die wir noch 1985 in Saarbrücken oder 1987 in London hören konnten, es gibt nun maßvolle Vorsicht, statt kraftvollem Antritt. Des Pianisten Technik ist erstaunlicherweise auch bei so einem Mammutkonzert noch perfekt, die Finger laufen immer noch wie „geölt“. Die Steigerungen erfolgen aber, wenn überhaupt, zögerlich. Dem Orchester ergeht es ja bei der Beanspruchung ja nicht anders als dem Pianisten, es wirkt kaum spritzig, ermüdet und ein wenig lustlos. Zu den lyrischen Variationen passen sowohl das Klavierspiel als auch Klang und Orchesterspiel viel besser. Sie strahlen von innen heraus, während der Klang eigentlich immer noch matt bleibt. Nie richtig spritzig oder brillant. Auch die Ausdruckstiefe leidet unter dem Marathon.
Klanglich geht es (nur manchmal!) leicht hallig zu. Der Klavierklang wirkt gedämpft, im ff diffus, wenig sonor. Bei hoher Lautstärke leidet die Transparenz. Das Orchester bietet trotz allem noch eine gute Dynamik und wirkt recht voluminös, voller und sonorer als im Vergleich der Flügel. Der Bass wirkt mächtig, der Gesamtklang noch angenehm und wegen der Gran Cassa wuchtig.
3
Ekaterina Mechetina
Yuri Simonov
Moskauer Philharmoniker
Moscow Philharmonic Society
2025, live
25:34
Die Pianistin unterrichtet am Moskauer Konservatorium und scheint so etwas wie die „Hauspianistin“ der Moskauer Philharmoniker zu sein, denn mit ihnen hat sie über die letzten Jahre viel aufgenommen. Die Pianistin ragt weder pianistisch noch gestalterisch hervor. Wenn die Angabe des AD stimmt, dann müsste Herr Simonov, der seit 1998 Chefdirigent des Moskauer Orchesters ist, 84 Jahre gewesen sein. Das Orchester spielt nun deutlich leichtgewichtiger als in der Aufnahme aus den 80er Jahren mit Volkov und Chistiakov, zwar recht lebendig aber sorgloser, zwar etwas prägnanter und farbiger aber auch weniger präzise. Während das Blech immer etwas bevorzugt zu werden scheint ist vom Holz sehr wenig zu hören. Es klingt zudem sehr matt. Insgesamt vermittelt die Darbietung, obwohl live, nur sehr wenig Spannung und wirkt wenig inspiriert und etwas schemenhaft.
Es klingt recht weiträumig und klar. Der Flügel steht deutlich im Vordergrund. Das Orchester wirkt tief gestaffelt und mitunter (Blech) recht weit entfernt. Wenn es laut wird leidet die Transparenz erheblich. Den Klang würden wir eher in die späten 80er Jahre verorten, nicht nach 2025.
3
John Lill
Tadaaki Otaka
BBC National Orchestra of Wales
Nimbus
1995
23:38
Obwohl in der Brangwyn Hall in Swansea aufgenommen klingt die Aufnahme wie so oft bei den frühen Nimbus-Aufnahmen nach einer großen leeren Kirche als Aufnahmeraum. Der Pianist wirkt zurückhaltend und weniger inspiriert, seiner Pianistik mag auch die akrobatische Beweglichkeit vieler Kolleg/innen fehlen. Er leiert vieles einfach nur runter, zeigt kein loderndes Temperament, seine Technik wirkt nur „geölt“. Sein Flügel klingt wenig kernig und leicht verschwommen und es gibt wenige Steigerungen in der Dynamik. Die Prahlerei Paganinis, seine Verführungskunst oder auch die Häme Mephistos bleiben stark unterbelichtet. Die lyrischen Variationen, sehr wohl einfühlsam gespielt, strahlen nicht von innen heraus, dazu bleibt der Klang einfach zu matt. Das Orchester passt sich den Leistungen des Pianisten an. Dermaßen mit Understatement gespielt erscheint die Rhapsodie selbst nicht unbedingt als das rechte Objekt der Begierde. Die Klangtechnik und die Akustik des Aufnahmeraums erweisen den Interpreten allerdings auch zusätzliche Bärendienste. Es klingt leicht hallig und das Orchester zu weit entfernt. Man gewährt uns nur einen pauschalen Überblick über das Orchester, das sich nicht transparent, sondern nur diffus präsentieren kann. Bei zunehmendem Pegel nimmt das Diffuse noch weiter zu. Dem Flügel fehlt es am kernigen Anschlag und an der Sonorität, obwohl er sehr weit vor dem Orchester geparkt wurde. Die Balance erscheint plausibel, wenn das Instrumentarium tatsächlich so aufgebaut wurde. Insgesamt wirkt die Musik so sehr wenig lebendig.
3
Andrej Gawrilow
Riccardo Muti
Philadelphia Orchestra
EMI
1989
22:14
Musikalische Darbietung und deren klangtechnische Übermittlung klaffen bei dieser Einspielung besonders weit auseinander. Herr Gawrilow spielt stürmisch und vorantreibend. Er ist ein weiterer technisch perfekter mit blendender Brillanz ausgestatteter Pianist. Er könnte allerdings etwas dynamischer spielen und sein Spiel wirkt weniger poetisch vertieft. Er wird jedoch von der ungenauen Aufnahme bzw. der verschwommenen Akustik sehr benachteiligt. Dem Orchester ergeht es kaum anders. Er bzw. es klingen diffus und undifferenziert und können so trotz einigem Brio kaum begeistern. Die Musik gelangt geradezu ungeschlacht ans Ohr der Zuhörer, weit, weit unter Wert. Falls man sich in Philadelphia der „eigenen“ Ersteinspielung von 1934 mit Rachmaninow und Stokowski erinnern wollte, so müsste man sich besser vor ihr verstecken. 45 Jahr und kaum ein klanglicher Fortschritt, es klingt höchstens anders, aber nicht wirklich besser. Am besten gelingen noch die „Mephisto-Variationen“. Da setzen sich Drive und Spannung über das hallige, undifferenzierte und pompöse Klanggeschehen einfach hinweg.
Der Klang bietet uns eine weitausgreifende, extrem distanzierte Räumlichkeit. Hallig und ungenau, nebulös. Die Transparenz wirkt sehr unklar, das Orchester wabbelig. Die an sich gute Tiefenstaffelung könnte viel präsenter und klarer sein. EMI sprang auf den Räumlichkeitswahn in der Aufnahmeästhetik der damaligen Zeit auf und wollte dabei anscheinend neue Marksteine setzen. Das stellt sich zumindest heute aus unserer Perspektive über 35 Jahre später und nach 125 gehörten Einspielungen als Irrweg heraus. Frei von frühdigitaler Härte war die Aufnahme immer noch nicht. Es klingt, nochmal kurz zusammengefasst: ohne Glanz, ohne Wärme, insgesamt flach, ungenau und unangenehm.
3
Irina Moreland
Horst Buchholz
Denver Philharmonic Orchestra
Veröffentlich von der Pianistin
P 2024, wahrscheinlich früher, live
22:11
Horst Buchholz, die Namensgleichheit mit dem Deutschen Schauspieler ist rein zufällig, war 1999-2009 als Chefdirigent für das Orchester tätig. Danach betätigte er sich als Kirchenmusiker der Erzdiözese Saint Louis, Missouri. Das Orchester sollte nicht mit dem Profi-Orchester „Denver Symphony Orchestra“ verwechselt werden. Bei den Philharmonikern spielen 80% der Musiker ehrenamtlich.
Die Pianistin spielt zügig und sicher. Mit den technischen Anforderungen der Rhapsodie hat sie keine Probleme, auch nicht bei Dynamik und Präzision. Sie kann ihr immenses pianistische Rüstzeug gut einbringen und mit ihrem ambitionierten Tempo stellt sie das Orchester vor besondere Herausforderungen. Sie selbst lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Beim Orchester gibt es allerlei Mängel bei den solistischen Darbietungen, da bricht auch mal ein Ton ab, bevor die Phrase eigentlich zu Ende gewesen wäre. Aber vergessen wir nicht, dass hier ein Tempo vorgelegt wird, auf das sich so manch eine Toppianistin oder Toppianist gar nicht eingelassen hätte, aus welchen Gründen auch immer und das einem Profi-Orchester zur Ehre gereicht hätte. Man merkt durchaus, dass es den Beteiligten großen Spaß gemacht hat das Stück zu spielen.
Die Aufnahme rauscht ziemlich stark. Trotz einer ordentlichen Präsenz klingt alles etwas schwammig und aufgedunsen. Wahrscheinlich hat man nur mit einem Paar Mikrofone aufgenommen, also ohne weitere Stützmikrofone. Trotzdem gelingt die Balance zwischen Orchester und Flügel akzeptabel. Transparenz und Ortungsschärfe können mit Profiaufnahmen nicht mithalten. Es gibt sehr viele Publikumsgeräusche, aber meist sind sie leise.
3
Elisso Bolkvadze
Jansug Kakhidze
Tblissi Symphony Or-chestra
HDC, Mazur Media
1994
24:52
Die armenische Pianistin studierte u.a. bei Tatjana Nikolayeva in Moskau. Seit 2020 ist sie jedoch Mitglied des georgischen Parlaments und seit 2025 Kulturministerin der autonomen Republik Adscharien. Der Flügel ist bei dieser Aufnahme voll im Fokus, auch das pp klingt schon sehr laut. Ein partnerschaftliches oder auch antagonistisches Interagieren mit dem Orchester wird so denkbar erschwert. Die Pianistin erscheint so mit sagenhaft kraftvoller Attacke, absolut brillant, aber auch geschmeidig. Der Anschlag wirkt recht hart und der Klang des Flügels blechern. Das Orchester, oft nicht gerade klangfarbenecht klingend aber doch recht aufmerksam, gibt eigentlich immer Vollgas oder signalisiert zumindest die Bereitschaft dazu. Es spielt meist schroff und wenig kultiviert, mit reichlich groben Einsätzen. Ziemlich „exotisch“, wenn man so will. Am besten gelingt noch die „Liebesvariation“ Nr. 18.
Die musikalische Darbietung könnte noch gefallen, wenn man vom gebotenen Klangbild abstrahieren könnte, der Klang selbst ist ziemlich misslungen. Es klingt extrem laut. Vorsicht! Gehörschäden sind möglich, wenn man den Poti zuvor nicht nach links bewegt. Es klingt hallig und wenig durchhörbar. Man ist extrem dicht am Flügel dran, geradezu indiskret direkt. Er klingt deshalb zwar nicht „verstimmt“, aber doch verklirrt. Er ist zu weit links positioniert und viel zu dominant. Die Violinen klingen rau, dürr, fast scharf. Nur in den leisen Passagen (und die ergeben sich in dieser Einspielung eigentlich nicht) erhält man ein halbwegs übersichtliches und erträgliches Klangbild. Es wirkt schlecht ausbalanciert, nebulös und teils vulgär laut, weil mit einem Brüllen vergleichbar. Das, was bei so einem groß dimensionierten Aufnahme-Projekt schief gehen kann, scheint schiefgegangen zu sein. Da hat sich Mephisto wohl aus dem Stück befreit und sich als Tonmeister verkleidet und als solcher selbst Hand angelegt. Da müsste er aber zuerst mal in die Lehre gehen. Schade um die sicherlich ehrenwerte Darbietung.
Die historischen Aufnahmen in Mono-Technik:
5
Leon Fleisher
George Szell
Cleveland Orchestra
CBS-Sony
1956
21:57
Diese Einspielung entstand in der Severance Hall noch in Mono-Technik obwohl man beim amerikanischen Hauptkonkurrent RCA bereits in Stereo aufnahm. Da waren vielleicht nur ein paar Monate entscheidend. Bedauerlich, denn außer der ein wenig antiquiert wirkenden (aber keineswegs schlecht klingenden) Aufnahmequalität reicht eine Lupe kaum, um an der Einspielung etwas Nachteiliges zu finden, da bräuchte man schon ein Mikroskop. Leon Fleisher und George Szell bieten einen Ansatz von „gigantisch“ wirkender Virtuosität, der bei uns einen sehr emotionalen Nerv trifft. Das mag überraschend sein, sind beide Künstler doch eher für ihren kühlen Kopf auch bei hoher Gischt, für Klarheit und geistige Durchdringung bekannt. Leon Fleisher träumt nicht, er drängt, rhythmisch geschärft, funkensprühend und mit dem notwenigen bissigen Sarkasmus. Bewundernswert zudem die glänzende Zusammenarbeit mit dem sich im Virtuosen auf Augenhöhe bewegenden Perfektionsensemble aus Cleveland. Mit seiner extrem und flexibel ausgeprägten Virtuosität ist er dem Cleveland Orchestra und seinem Leiter ein idealer Partner bzw. umgekehrt. Da werden aus den Fingern des Pianisten scharfe Krallen ausgefahren. Selten hört man Var. 6 so bizarr, selten wird die Staccato Var. Nr. 8 zu einem treibend-virtuosen Hochgenuss. Die aufnahmetechnischen Defizite machen sich beim Dies irae besonders bemerkbar, da wirkt nämlich das Col legno sogar beim Cleveland Orchestra ein wenig zu zahm, obwohl das Orchester extrem knackig, pointiert und energisch spielt. Var. 15. das ist die, die Rachmaninoff in Erinnerung eines Besuches des Jazz-Konzertes (da sagt man ja „Gig“ dazu) von Art Tatum geschrieben haben soll, weitgehend a capella, gelingt hochgradig brillant und mit staunenswerter Technik, die sich mit dem diesbezüglich als nach wie vor unerreicht geltenden Tatum, mindestens messen kann. Bei vielen klingt es da verschliffen, nicht bei Fleisher. Var. 17 klingt sehr düster, die berühmte Var. 18 mit einem echten pp (wo gibt es denn sowas!). In einem zügigen Tempo spielt das Orchester sehr intensiv, bewahrt aber stets die Façon und steigert ohne aufzubauschen, was gar nicht so einfach ist und oft zu einer Gradwanderung wird. Var. wartet mit straffen sf auf, Var. 22 wird zu einem marche alla breve! Die „Mephisto-Variationen“ werden atemberaubend virtuos hingelegt, manch einem könnte das schon zu viel sein. Uns nicht. Var. 23 wirkt extrem virtuos und draufgängerisch. Mr. Fleisher scheint keine Angst zu haben sich die Finger zu brechen. Eine ungemein lebendige Darstellung des Werkes, energisch und ultrapräzise. Leider durch den Monoklang etwas gehandicapt, oder sagen wir besser: nicht vollständig zur besten Wirkung gebracht. Der Klang könnte sinnlicher wirken.
Er wirkt hart und kantig, wenig voluminös, naturgemäß wenig räumlich. Man hört aber auch keine Punktschallquelle zwischen den Boxen. Der Klang verteilt sich schon ein wenig im Raum. Die Streicher blühen kaum seidig auf. Insgesamt klingt es harsch und „alt“. Der Flügel klingt bereits brillanter. Insgesamt dynamisch ein wenig zahm. 1956 hatte RCA schon die herausragend klingende Living Stereo mit Rubinstein und Fritz Reiner eingespielt. Schon bald konnte man bei CBS nachziehen. 1958 mit Philippe Entremont.
5
Benno Moiseiwitsch
Basil Cameron
London (Liverpool) Philharmonic Orchestra
EMI, Naxos, Membran
1938
21:40
Herr Moiseiwitsch geboren 1890, er war also zur Zeit der Einspielung 48 Jahre jung, stammt wie Gilels, Milstein, Oistrach, Shura Cherkassky oder Swjatoslaw Richter aus Odessa und hatte sich als Pianist auf die Romantiker spezialisiert. Rachmaninoff bezeichnete Moiseiwitsch als seinen geistigen Erben (ähnliches sagte er auch von Horowitz, der die Rhapsodie leider nie eingespielt hat). Noch ein Wort zum Orchester: Da steht bei den alten LP´s und Covers oft das Liverpooler Orchester, bei den nachfolgenden CDs jedoch das London Philharmonic Orchestra. Man könnte annehmen, dass Herr Moiseiwitsch das Werk mehrmals eingespielt hat, was auch stimmt, aber nicht mit Basil Cameron. Die beiden anderen Einspielungen in unserem Vergleich sind ebenfalls hochklassig, seine erste von 1938, also nur vier Jahre nach Rachmaninows Ersteinspielung, gefällt uns jedoch am besten. Es gibt noch Aufnahmen mit Sir Malcolm Sargent, 1955, live von den Proms und ebenfalls 1955 mit dem Philharmonia Orchestra und Hugo Rignold.
Dass es sehr wahrscheinlich das London Philharmonic war, das bei der Aufnahme 1938 dabei war, darauf deutet der Aufnahmeort hin: Abbey Road Studios. Benno Moiseiwitsch führte das Werk bereits 1935 bei den Proms erstmalig auf, also nur ein Jahr nach der Uraufführung und der Erfolg war riesig. So groß, dass er die Rhapsodie in den folgenden sechs Spielzeiten erneut dort vorstellte. Davon gibt es ebenfalls eine Aufnahme, mit Sir Adrian Boult und dem BBC Symphony Orchestra, die uns aber leider nicht vorlag.
Moiseiwitsch spielt das Werk technisch ungemein ausgewogen mit einem souveränen, entspannten Elan. Technisch noch besser als 1955 unter Rignold, ebenfalls im Studio. Sein warm singender Ton fällt unter allen anderen Einspielungen auf. Wir konnten nicht feststellen, dass seine Einspielung hinter der des Komponisten in irgendeiner Form zurückfällt, er wirkt sogar weniger distanziert und statuenhaft, als der klavierspielende Komponist bei seinem eigenen Werk 1934. Das Holz des Orchesters bleibt meist nur leise, der Flügel ist jedoch klar und deutlich. Moiseiwitsch spielt technisch höchst versiert, gefühlvoll und noch poetischer als Rachmaninow selbst, zärtlich, teils verträumt und enorm vertieft (z.B. in Var. 8). Er wirkt befreit von allen Hemmnissen und kann völlig frei „erzählen“. Man redet ja gerne von einem „sprechenden“ Vortrag, hier kann man einen hören. Er vermittelt die volle Breite die der Komposition innewohnenden Gefühlspalette, ebenfalls ist er ein zumeist herausragender Virtuose. Manch ein Musikfreund würde sicher gerne dieser Einspielung ganz nach oben setzen. Wir würden sie gerne gleichberechtigt neben die Aufnahme mit Leon Fleisher setzen, aber eine simple Liste gibt das einfach nicht her.
Der Klang bietet gute, fast unhörbare Übergänge zwischen den einzelnen Schellackplatten, die ja zum Transfer in die Neuzeit herhalten mussten. Man konnte anscheinend auf sauberes Ausgangsmaterial zurückgreifen. Es klingt erstaunlich weich und rund, es gibt kaum Rauschen. Es klingt ein bisschen weniger brillant als die eigenen beiden Aufnahmen des Pianisten von 1955 und als die Aufnahme der Kollegen Katchen, Fleisher oder Kapell. Vor allem das Orchester wirkt klanglich noch kleiner, enger und matter als bei den fast 20 Jahre jüngeren Einspielungen. Für das AD 1938 klingt es jedoch hervorragend.
5
Jakov Zak
Kyrill Kondraschin
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Hänssler, APR
1952
21:14
Jakov Zak studierte in den 30er Jahren bei Heinrich Neuhaus und konnte seinerseits auf eine Schar berühmt gewordener Schüler blicken: Richter, Gilels, Egorov, Toradze, Petrov, Wirsaladze gehör(t)en dazu. Er spielt enorm kraftvoll und rasant-virtuos, strahlend brillant. So ist man wirklich bestens für einen Dialog mit dem Teufel gerüstet. Es ergibt sich auch mit dem Orchester ein Schlagabtausch auf Augenhöhe. Bei der Einspielung soll es sich um sie erste sowjetische Aufnahme handeln, die auf LP veröffentlicht wurde. Der Frequenzbereich war nach oben noch nicht so weit ausgreifend, sie wirkt also in der Brillanz des Diskants des Flügels noch auffälliger als beim Orchester beschnitten. Das Orchester spielt erstaunlich plastisch mit deutlichem Holz. Der Pianist stets ausdrucksvoll ist wie das Orchester mit viel Drama und Biss ist bei der Sache. Zak und Kondraschin halten die Spannung genauso hoch wie das Ausdrucksniveau. In Var. 18 werden gemeinsam die Fähigkeiten der damaligen sowjetischen Aufnahmetechnik „gesprengt“. Wir hören ein Musizieren aus vollem Herzen, mit höchstem pianistischem Vermögen und Emphase auch beim Dirigenten und beim Orchester. Was kann man mehr erwarten? Aus klangtechnischer Sicht wäre die Aufnahme besser erst 20 Jahre später erfolgt, dennoch liegt hier ein Dokument ersten Ranges vor, das man unbedingt kennen sollte.
Der Frequenzbereich wirkt wie bereits erwähnt begrenzt. Es gibt keinerlei bemerkenswerte Störungen. Es liegt ein erstaunlich transparenter Monoklang vor. Wir hören dabei eine recht gedrungen wirkende Dynamik, das Holz kommt recht deutlich, das Blech und das Schlagwerk in der Relation leider viel zu leise. Wenn der Klang übersteuert (wie bei Var. 18) kommt es zu den unvermeidlichen Verzerrungen. Diese Einspielung wäre bestens dazu angetan gewesen, dass man Rachmaninows Musik endlich auch in seinem Heimatland schätzen und lieben hätte können. Dazu kam es aber erst in den 60er Jahren. Umso höher muss man die Emphase der Mitwirkenden dem Werk gegenüber gerade in diesem eher feindlich gesinntem Umfeld würdigen.
5
Julius Katchen
Sir Adrian Boult
London Philharmonic Orchestra
Decca, Dutton
1954
21:58
Mit Herrn Katschen haben wir bereits das Stereo-Remake in derselben Besetzung an eine prominente Stelle gesetzt. Die Mono-Aufnahme wurde nur fünf Jahre zuvor eingespielt und musikalisch hat sich in der Zeit nicht viel verändert. Der Pianist charakterisiert die einzelnen Variationen deutlich und spielt absolut souverän. Die Var. 9 erklingt sehr temperamentvoll, wobei man das Gefühl hat, dass der Pianist auch da nicht ins Schwitzen kommt. Bei Var. 11 wird schon viel Klangzauber verbreitet (aber kein Vergleich zum Stereo Remake von 1959). Bei Var. 13 sind Holz und die Violinen nicht ganz zusammen, was fünf Jahre später nicht mehr passierte; überhaupt macht das Orchester in der späteren Aufnahme einen geschliffeneren Eindruck und bei geschliffenen Edelsteinen strahlt es ja auch einfach besser als bei den ungeschliffenen. Bei Var.15 kommt einem die Virtuosität schwindelerregend vor, da spielt Katchen mindestens so virtuos als Fleisher und vielleicht sogar noch ein wenig virtuoser als 1959. Bei Var. 16 kommt das klangliche Defizit der Londoner Oboen noch stärker zum Tragen als 1959, als die Oboen deutlich „gnädiger“ zu Werke gehen. Var. 17 wirkt sehr düster und in sich gekehrt, selten dass da jemand so leise spielt wie Katchen und dabei immer noch so herausragend klingt. Unglaublich, wie man die Kraft so beherrscht dosieren kann, dass so ein Klang resultiert. Var. 18 gelingt 1954 bereits herzerweichend, aber doch unverkitscht. Der Flügel steht dabei sehr deutlich im Vordergrund, dem Orchester bleibt nur die „zweite Geige“. Die Violinen sind bei Zi. 51 nicht ganz zusammen. In dieser Variation wurden die Proportionen 1959 besser gewahrt. Das Orchester kommt nun deutlich und viel klangschöner zu seinem Recht. Noch ein kleiner Nachtrag: Bei der „Militärvariation“ wird das Blech 1954 viel zu zurückhaltend aufgenommen. Manche Kenner meinen die 54er Version bevorzugen zu müssen. Das würde uns schwerfallen, denn in unseren Ohren wurde sie, obwohl vom gleichen Team auch hinter den Reglern verantwortet und am gleichen Ort aufgenommen wurde, 1959 in fast allen Belangen in den Schatten gestellt. Da wurde der 54er sozusagen noch die Krone aufgesetzt.
Der Klang zeigt einen deutlich hervorgehobenen Flügel. Das Schlagwerk klingt brillanter als 1956 bei Fleisher und Szell. Insgesamt kommt der Flügel in dieser Einspielung besser weg als das recht dünn klingende Orchester, dem viel seines Volumens, viel von seiner Sonorität und seiner Tiefe fehlt. Dies in ganzer Drastik zu erkennen, das ist dem 59er Remake zu verdanken.
5
Cyril Smith
Sir Malcolm Sargent
Philharmonia Orchestra, London
EMI, Guild
1948
21:37
Wie Solomon Cutner wurde auch Cyril Smith in den 50ern (1956) von einem schweren Schlaganfall getroffen, er konnte später jedoch mit seiner rechten Hand weiterspielen. Mit seiner Frau Phyllis konnte er so weiterhin im Klavierduo (nun 3-händig) auftreten. Für diese Einspielung kam man als Aufnahmeort wieder einmal auf die Abbey Road Studios zurück. Mister Smith hatte Rachmaninow in den 30er Jahren kennengelernt und war mit dessen Musizierstil bestens vertraut. So verwundert es nicht, dass sich eine ziemlich große Ähnlichkeit mit Rachmaninows eigener Aufnahme zeigt, was nicht zuletzt auch an der Aufführungsdauer abzulesen ist. Sein Vortrag erscheint bis ins kleinste Detail partiturgenau und seine Technik erweist sich als brillant wobei die Fingerfertigkeit besonders ins Ohr fällt. Sein Anschlag wirkt enorm klar. Die Darbietung erhält einen feurig-gepfefferten Gestus, auch pointiert, fast witzig. Trotz des vorantreibenden Tempos lässt man sich in den lyrischen Variationen genügend Freiraum für die Nuance. Herausragend virtuos: Die Var. 15.
Das Orchester zeigt sich unter Sir Malcolms Leitung bereits drei Jahre nach seiner Gründung in Top-Form. Besonders die Streicher und das kraftvolle Blech sind bereits hochklassig, während das Holz bereits in frühen Jahren Geschmackssache bleibt. Es spielt präziser als man den Orchesterpart in manch einer Neuaufnahme oder Konzertdarbietung heutzutage hören kann. Als imponierend erweisen sich die „Mephisto-Variationen“, die mit zu den besten gehörten, die wir während unserer Sitzungen hören konnten.
In Anbetracht des AD klingt die Aufnahme bereits frisch, offen und bemerkenswert transparent. Und nahezu störungsfrei. Der Klang wurde sehr gut aufbereitet. An der ziemlich eingeebneten Dynamik konnte man allerdings nur wenig verbessern.
5
Monique de la Bruchollerie
Sir Eugene Goossens
BBC Symphony Orchestra
ICA
1955, live
22:24
Madame de la Bruchollerie war ein sogenanntes „Wunderkind“, das mit 13 bereits die Ausbildung am Pariser Conservatoire abschießen konnte. Auch mit ihr meinte es das Schicksal nicht gut: Ein Autounfall beendete bei ihr die Karriere. Diese Aufnahme stammt aus dem Archiv von Richard Itter, der die Sendung der BBC zuhause (also privat) mitschnitt. Man griff mehrmals auf sein Archiv zurück, immer wenn die Bänder bei der BBC verloren gegangen waren. Man muss Einschränkungen an der Klangqualität hinnehmen, aber gegenüber der französischen Pathé-Aufnahme der Pianistin aus Paris (aus dem Studio) ein Jahr später klingt das Orchester sogar deutlicher und transparenter. Die Einschränkungen halten sich also der Zeit entsprechend noch in Grenzen. Allerdings, wenn man sie den Klang der 56er Rubinstein/Reiner Aufnahme vergegenwärtigt, dann liegen doch „Welten“ dazwischen. Wenn wir nach den für uns verfügbaren Einspielungen gehen, dann scheint Frau Bruchollerie zu ihrer Zeit die einzige Frau gewesen zu sein, die den männlichen Kollegen bei der Paganini-Rhapsodie als mindestens ebenbürtig in Erscheinung trat. Zumindest haben wir nur vor ihr klingende Dokumente gefunden.
Ihre brillante Spieltechnik ist die gleiche wie in der Studioaufnahme von 1956. So fulminant, dass viele Virtuos/innen von heute dagegen erblassen. Sie oder vielmehr man, denn das Orchester muss man ja einbeziehen, denn es zieht gleichgesinnt mit, spielt mit viel Schwung. Sie spielt mit dem gleichen Ernst und dem gleichen Impetus wie in Paris, nur das Londoner Orchester spielt live viel besser als das Pariser im Studio. In London befeuert man sich gegenseitig und man spürt ein anderes Künstlerethos. Die Schlussvariationen werden in London erheblich spannender aufgebaut als 1956 in Paris. Da wirkt das Orchester von jeder zurückhaltenden britischen Noblesse befreit und richtig befeuert. Von Sir Eugene und von Madame de la Bruchollerie.
Der Klang rauscht vernehmlich und die Musik wird nicht völlig störungsfrei und sauber wiedergegeben.
5
William Kapell
Fritz Reiner
Robin Hood Dell Orchestra
RCA, Naxos, Diapason
1951
21:51
Diese Einspielung, bei der das Philadelphia Orchestra einen wirklich seltsamen Namen trägt, wurde in der Academy of Music aufgenommen. Der junge William Kapell, der zwei Jahre nach der Aufnahme bei einem Flugzeugabsturz mit gerade einmal 31 Jahren ums Leben kommen wird, lässt sich von den technischen Schwierigkeiten seines Parts zu keiner Sekunde aus der Ruhe bringen. Es wirkt cool, fast allzu souverän, wie er die Musik sozusagen aus dem Ärmel schüttelt. Dennoch wirkt sie im Gestus knackig und sicher auch bedingt durch die Aufnahmetechnik sehr trocken. Er gewann übrigens mit zehn Jahren bereits seinen ersten Klavierwettbewerb, wobei sein Preis in einem Truthahnessen mit dem Pianisten José Iturbi bestand. Er galt zu seiner Zeit als der vielversprechendste amerikanische Pianist (laut Harold Schoenberg). Innerhalb weniger Jahre sind der Welt drei bedeutende Instrumentalisten durch Flugzeugabstürze entrissen worden: 1949 Ginette Neveu, 1951 William Kapell und 1953 Jacques Thibaud. Es gibt mit ihm auch noch einen Mitschnitt einer Radiosendung, erneut mit dem Philadelphia Orchester, dieses Mal unter der Leitung von Herrn Ormandy, die sogar noch mehr Feuer, Spontaneität und Begeisterung als die spätere mit Fritz Reiner entwickeln soll (was kaum zu glauben ist), leider hatten wir auf sie keinen Zugriff. Aber auf auf einen Mitschnitt aus New York mit Artur Rodzinski aus dem Jahr 1945. Davon später mehr. Das Orchester klingt bei Reiner feurig, sehr detailreich, kraftvoll und energiegeladen, schlank, sehnig und sehr virtuos. 1956, also fünf Jahre später sollte seine Einspielung mit Artur Rubinstein und dem Chicago Symphony Orchestra bereits in Stereo erfolgen. Im Laufe der Darbietung wirkt das Spiel des jungen Pianisten immer feuriger, seine Technik sozusagen immer „glühender“, so dass man denkt: „Irgendwann muss der Flügel doch mal Feuerfangen…“ Es klingt jedoch immer so klar, ebenmäßig und brillant, dass es auch ein „abkühlendes“ Gegengewicht im Spiel gibt. Die Musik klingt vorantreibend und steht unter Hochspannung. Die lyrischen Var. 6 und 7 zum Beispiel, die aber trotzdem ausdrucksvoll wirken. Einfach mal nur etwas erzählen, das gibt es hier nicht. Alles muss von Hochspannung begleitet werden. Bei Var. 9 fordert Fritz Reiner die Staccato-Fähigkeiten des Orchesters nicht besonders, die Col legno-Stelle kommt aber sehr prägnant. Var. 10 und 11 wirken sehr virtuos, Var. 12 zeigt ein wunderbar tänzerisches Pizzicato-Menuett, bei 14 spielt die Trompete klasse, bei 15 muss man die Virtuosität (in Anlehnung an Liszt) schon transzendent nennen. Art Tatum hätte wohl zugestimmt. Die Solovioline in der stimmungsvollen Var. 19 klingt ausgezeichnet. Var. 18 wird auch von Reiner voll ausgereizt, es ist ja auch schwer da zu widerstehen. Die Schlussvariationen wirken ausgesprochen klar, ein wenig zurückgenommen, statt besonders wild. Man wollte es mit dem Ausdruck ja nicht übertreiben.
Wir konnten die Naxos-Version und die Diapason (aus Frankreich) hören. Naxos war dumpfer, rauschte aber kaum, war genauso transparent wie Diapason. In Sachen Brillanz, Bass, Offenheit, lebendiger Klarheit und Offenheit war sie vorzuziehen. Die Diapason-Version fehlte es nur gegenüber neueren Aufnahmen etwas an Glanz. Und es bleibt natürlich beim Monoklang. Beide sind empfehlenswert.
5
Sergei Rachmaninow
Leopold Stokowski
Philadelphia Orchestra
RCA, BnF
1934
21:59
Nur sechs Wochen nach der Uraufführung in Baltimore traf man sich in derselben Besetzung im Kirchenstudio in Camden (bei Philadelphia) zur ersten Aufnahme des Stückes. Der klavierspielende Komponist war dabei 61, Mister Stokowski 52 Jahre alt. Diese Einspielung steht in vielfachen Überspielungen zur Verfügung. Wir konnten in zwei RCA-Ausgaben reinhören (Ende der 90er Jahre und eine aktuelle), dann jeweils noch eine Naxos, eine Membran und eine Ausgabe von Dutton.
Die Darbietung verzichtet auf Bombast (wobei man immer die alles mehr oder weniger schmälernde Wirkung der damaligen, sehr trockenen Studioaufnahme ins Kalkül ziehen muss), setzt im Lyrischen auf einen erstaunlich sanften Dialog und in den brillanteren Passagen auf ein mendelssohn- oder chopinnahes Funkeln. Bei Bedarf ist pianistisch Kraft und Virtuosität in Hülle und Fülle vorhanden. Rachmaninows Körpergröße maß 1,98 m. Sicher, Rachmaninoff hat seine Faulheit beim Üben und sein Alter bei der Einspielung selbst bemängelt, aber das erscheint, wenn man keinen Vergleich zu einer Einspielung aus jüngeren Jahren hat, als Makulatur. Vielleicht wollte er so auch nur die Messlatte für die Kritiker ein wenig tiefer gehängt sehen? Wir haben nur die eine Aufnahme mit dem Komponisten am Flügel und das ist schon ein großes Glück. So etwas gab es früher nicht. Und der Komponist muss keine fremden Wünsche berücksichtigen, wie der „normale“ Interpret. Es werden fließende Tempi genutzt, besonders schnelle und besonders langsame werden gemieden, also in dieser Beziehung wird kein maximaler Kontrast befördert. Auffallend ist die Var. 15 ausgefallen, die der Komponist in Erinnerung an das Klavierspiel Art Tatums geschrieben haben soll. Rachmaninow hebt die einzelnen Motive wenig hervor, wichtig ist ihm die Bewegung als solches und er hebt stattdessen die Blue Notes und den jazzigen Groove hervor. Rachmaninow hat den schwer sehbehinderten Tatum selbst gehört. Er soll beim Konzertbesuch zu Horowitz, der ihn begleitet haben soll, gesagt haben: „Wenn der je beschließt klassische Musik zu spielen, sieht es schlecht für uns aus.“ Selbst wenn der Spruch nur eine Legende ein sollte, ist doch was Wahres dran. Das Orchester klingt ein wenig entfernt spielt aber enthusiastisch unter der meisterhaften Leitung seines damaligen Chefs. Dennoch spielt der Pianist hier eindeutig die Hauptrolle. Wer die Orchesterarbeit Stokowskis bei der Rhapsodie besser kennenlernen möchte, dem sei ein Probenmitschnitt bei YouTube empfohlen. 1968 erarbeitete er das Stück in einem Probenmitschnitt mit dem jungen Jerome Lowenthal (Klasse!) und dem American Symphony Orchestra. Eine Einspielung davon ist uns leider nicht bekannt geworden. Die Erstaufnahme von 1934 ist a priori eine Aufnahme, die in keiner Sammlung der Paganini-Rhapsodie fehlen darf. Nur welche Ausgabe wäre empfehlenswert? Es gibt, seit das Copyright gefallen ist eine stattliche Auswahl. Wie bereits erwähnt haben wir in fünf davon reingehört.
Die RCA aus den 90er Jahren klingt entfernt, flach und trocken aber immer noch recht differenziert. Im neueren Remaster klingt das Orchester weniger entfernt, der Flügel wird deutlicher vom Orchester abgehoben. Die Membran-Version klingt mit Abstand am schlechtesten, sie wurde schonungslos entrauscht, Flügel und Orchester klingen verfärbt und es gibt keinen gleichmäßigen Grundpegel. Bei Dutton wirkt der Klang besonders einheitlich, d.h. Flügel und Orchester erscheinen wenig getrennt, aber der gesamte Klang ist nicht so auf einen Punkt konzentriert, d.h. die Abbildung wirkt etwas vergrößert. Die Naxos-Version klingt recht offen, genauer und differenzierter, sie bringt etwas mehr Bass mit und klingt räumlicher und weniger trocken.
Keine der Versionen rauscht nennenswert, bei allen herrscht eine intime, aber auch trockene Studioatmosphäre. Man ist dicht dran. Uns gefiel das Naxos-Remastering am besten, obwohl es bei ihm ein ganz leichtes Knistern gibt. Sie klingt am offensten und bringt die am natürlichsten wirkenden Klangfarben mit. Auch bei ihr herrscht ein eingeschränkter Frequenzbereich und eine sich nahe an der Null dB-Grenze bewegenden Lautstärkeunterschiede zwischen laut und leise.
Zusätzlich zu den fünf gehörten Versionen, in die wir mal reingehört haben, gibt es noch eine sechste, von der man behauptet, sie wäre die Beste. Sie ist von Pristine, aber wir konnten sie leider nicht mit den anderen vergleichen und dieses Urteil somit nicht bestätigen.
4-5
Monique de la Bruchollerie
Joel Perlea
Orchestre des Concerts Colonne
Pathé-Vox, Eurodisc
1956
22:21
Hatten wir bei der zuerst aufgeführten Aufnahme mit der französischen Pianistin schon erwähnt, dass sie Schülerin von Alfred Cortot und Emil Sauer war? Uns erinnert ihr Anschlag an Géza Anda. Das ist bei uns die höchstmögliche Auszeichnung für Anschlagskultur. Super klar, wunderbares jeu perlé und nobel mit gut geformten Bögen. Kurz: Eine respektgebietende Technik bei ebensolcher Musikalität. Ihr zur Seite steht leider ein uninspiriertes Orchester von dem kaum Impulse ausgehen zudem spielt es nicht gerade perfekt, stört aber auch nicht besonders, weil es von der Aufnahmetechnik lediglich eine Rolle im Hintergrund zugewiesen bekam. Man kann so nahezu ungestört dem persönlichkeitsstarken, pianistisch glanzvollen, genauso kraftvollen wie poetischen, stets hochkonzentriert wirkenden Spiel der Pianistin folgen. Wie sie hier die Var. 15 spielt, einfach toll. Sie ist ein künstlerisches Schwergewicht, das völlig zu Unrecht fast vergessen ist. Und sie war also, wie wir jetzt hören konnten, nicht nur eine begnadete Mozart-Spielerin.
Der Klang der Aufnahme ist flach, ohne jede Tiefe, räumlich sowieso, aber auch die Dynamik. Erstaunlich ist dagegen der kräftige Bass. Völlig zurecht hat hier der Flügel ein Übergewicht. Es hört sich so an, als hätte man eine zeitgenössische LP digitalisiert. Anscheinend gibt es keine reguläre Digitalisierung vom Magnetband zur Erstellung einer CD und man konnte auch keine anfertigen.
4-5
Benno Moiseiwitsch
Sir Malcolm Sargent
BBC Symphony Orchestra
Guild
1955, live
21:32
Dies ist ein Mitschnitt der BBC aus der Royal Albert Hall, entstanden während der Proms 1955. Beinahe sekundengenau wiederholt Benno Moiseiwitsch die Tempi seiner 1938er Aufnahme mit Basil Cameron, und das live. Also spürbar rasanter als mit Hugo Rignold im gleichen Jahr, aber im Studio. Man spielt in der Royal Albert Hall trotz des riesigen Raumes und der hohen Anzahl an Zuhörern poitierter und dialogischer orientiert als mit Hugo Rignold im Studio. Moiseiwitschs Flügel klingt auch in der Royal Albert Hall mit weichem, rundem Anschlag, geschmeidig und mit warmem Klang. Sein Spiel wirkt mühelos, die Figuration bzw. Ornamentik perlend, mit hoher Präzision und flexibler Rhythmik. Mit einer Souveränität wie man sie sich leichtgängiger kaum vorstellen kann. Das Orchester in dem großen Raum aufzunehmen, war für die Technik damals noch nicht so einfach, dennoch schimmert die Klangschönheit, die im Konzert sicher viel sinnlicher wirkte noch ganz gut durch. Besonders fein und seidig gelingt die berühmte Var. 18. Begeisterter Applaus in der Royal Albert Hall.
Wir können uns keinen Reim darauf machen, aber die Live-Aufnahme klingt zwar halliger, aber auch offener, klarer und dynamischer als die Studio-Aufnahme im gleichen Jahr. Zu Beginn hört man noch ein paar Interferenzen, aber die Störungen hören nach ungefähr einer Minute auf. Es rauscht sehr wenig und man meint sogar eine leicht räumliche Anmutung zu hören. Die Publikumsgeräusche sind während des Spiels geringfügig, danach ist es kaum zu halten. Insgesamt, um nicht einen falschen Eindruck entstehen zu lassen, klingt es immer noch dünn und flach, also bescheiden. Die Aufnahme mit Moiseiwitsch und Basil Cameron von 1938 gefiel uns klanglich besser.
4-5
William Kapell
Artur Rodzinsky
Philharmonic Symphony Orchestra of New York
Pearl, JSP Records
1945, live
22:23
Auch live in der Carnegie Hall wirkt das Spiel des jungen Pianisten, dessen Art des Spiels trotz seiner nur kurzen Lebensspanne sehr großen Einfluss auf andere junge Pianisten ausübte, straff und super virtuos und es klingt sogar in der alten Aufnahme brillant, ziemlich glitzernd und keineswegs dumpf. Manchmal wirkt seine Gangart (mit Rodzinsky hat er da den denkbar gelichgesinnten Partner) für unser Empfinden fast schon zu schnell und feurig. Obwohl sie im, wenn die Rhapsodie ein Konzert wäre, langsamen Satz (Var. 11 -18), noch maßvoller als die Aufnahme mit Reiner von 1951 wirkt. Wie 1951 erklingt die sog. „Art-Tatum-Variation“ Nr. 15 extrem virtuos. Rein pianistisch gesehen hat der junge Amerikaner dem Komponisten am Klavier einiges voraus. Leider klingt gerade die Var. 18 durch die Live-Begebenheiten in Mitleidenschaft gezogen. Die abschließenden „Mephisto-Variationen“ klingen absolut rasant, um nicht zu schreiben rasend.
Der Klang der Aufnahme wirkt trocken und in der Dynamik stark eingeschränkt, teils auch recht stark verzerrt. Die 51er mit Reiner klingt erheblich besser, sie ist ja auch eine Studioproduktion. Der Klang erfordert große Kompromissbereitschaft von den Hörenden.
4-5
André de Groote
René Defossez
Orchestre National Belgique
Cypress
1968
23:13
Bei dieser Aufnahme handelt es sich um einen Mitschnitt vom Reine-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel, der 1968 besonders stark besetzt war. So wurde Jeffrey Siegel 3., André de Groote nur 5., Francois-Joel Thiollier 6., Elisabeth Leonskaja 9. und Mitsuko Uchida 10. Die Namen der anderen Platzierten hatten für uns keine Aussagekraft, da sie unbekannt geblieben sind. Trotz des „nur“ fünften Platzes in der Gesamtwertung schaffte es André de Groote auf eine CD-Sammlung, die Preisträger von 1951-2001 zusammenfasst. Er ist vom 1968er Wettbewerb der einzige Beitrag, der es in die Sammlung geschafft hat. Das wirkt nachträglich fast wie eine Korrektur der damaligen finalen Abstimmung.
Man merkt es der Einspielung an, dass sich der junge Mann ausgezeichnet vorbereitet hat. Sein Spiel wirkt mit der frischen Artikulation jugendlich. Sein Zugriff recht hart und kraftvoll. Der Gestus sportlich-rasant. Es fehlt nicht an Virtuosität, auch in den langsamen Variationen. Der dynamische Nuancenreichtum wirkt, wie oft bei Wettbewerbsbeiträgen, dagegen eingeschränkt, das Risiko, dass ein hingehauchtes pp mal unhörbar bleibt, möchte man in einem wichtigen Wettbewerb nicht unbedingt eingehen. Selten scheint sich eine gewisse Nervosität auf das Spiel niederzuschlagen. Es gelingt dem jungen Pianisten gut, sie spannungsfördernd in seinem Spiel zu kanalisieren. Kontrastrich und gut akzentuiert, oft vorantreibend ließ er sich von den damals schon großen Kollegen offensichtlich in wichtigen Aspekten inspirieren. Abschließend geht er volles Risiko, aber es geht alles gut. Das Wettbewerbsorchester, oft reichlich gefordert während der Zeit des Wettbewerbs macht keine „schlechte Figur“ vielleicht strengt es sich auch besonders an, um den Landsmann tatkräftig zu unterstützen und so in bestmöglichem Licht erscheinen zu lassen. Oboe und Englischhorn klingen noch sehr hart und unflexibel und manchmal klingt es auch ein bisschen improvisiert.
Wahrscheinlich war der Wettbewerbsmittschnitt nicht für eine Veröffentlichung gedacht, denn sonst hätte man bereits längst im etablierten Stereo aufgenommen. Es klingt auch so noch recht transparent und dynamisch. Es lassen sich während des Spiels nur wenige Publikumsgeräusche hören. Der Klang ist sehr trocken und direkt, was Atmosphäre kostet. In der Dynamik wirkt das Orchester etwas unausgewogen, man musste bei der Aufnahme manchmal abregeln, damit der Klang nicht verzerrt.
4
Benno Moiseiwitsch
Hugo Rignold
Philharmonia Orchestra London
EMI, Maestoso, BnF
1955
23:10
Herr Moiseiwitsch war zur Zeit der Aufnahme 65 Jahre alt. Dass der Klang von seinem Flügel so matt und stumpf wirkt hat aber wahrscheinlich nichts mit ihm oder seinem Alter zu tun, sondern mit der Digitalisierung in Mono von Maestoso. Wir erinnern uns nämlich, die Aufnahme schon in einer Stereo-Version gesehen (aber nicht gehört) zu haben. Sie wurde in den Abbey Road Studios aufgenommen, da kann man ein gewisses Niveau erwarten. Moiseiwitschs Vortrag wirkt immer noch eindringlich und warm-tönend. Er lässt das Werk immer noch leicht und ziemlich leichtgewichtig klingen. Insgesamt aber nun (auch gegenüber der Live-Aufnahme mit Sargent aus demselben Jahr) weniger spritzig und mit abgemilderter Attacke. Man wollte die Rhapsodie vielleicht in Reinschrift für die Nachwelt abliefern.
Diese Überspielung klingt dumpfer als das Naxos-Remastering der Einspielung von 1938. Der Flügel wirkt allzu dominant, das Orchester steht konsequent in allen Variationen zurück. Sogar die digitalisierte LP aus Beständen der Bibliothèque national de France (BnF) klingt besser! Bei dieser Ausgabe wird allerdings Otto Ackermann als Dirigent genannt. Mit ihm ist uns eigentlich keine Einspielung der Paganini-Rhapsodie mit Benno Moiseiwitsch bekannt.
4
Artur Rubinstein
Walter Süsskind
Philharmonia Orchestra London
EMI, Naxos
1947
22:04
Wenn man sich fragt, warum Rubinstein zu Lebzeiten des Komponisten nie Stücke desselben spielte, könnte man sich fragen, vielleicht aus Respekt, aus Ignoranz oder um sich pianistisch nicht mit ihm messen zu müssen, so gibt er uns folgendes zu Protokoll: „Ich verfalle dem Charme seiner Kompositionen, wenn ich sie höre, kehre aber mit leichtem Widerwillen wegen ihrer unverhohlenen Süße nach Hause zurück.“ Wir hatten dies zwar schon bei Rubinsteins 56er Einspielung erwähnt, das ist aber schon so lange her bzw. so weit weg, dass man es vielleicht nochmals erwähnen sollte. Man fragt sich sofort, was des Komponisten Tod an Rubinsteins Eindrücken geändert haben könnte, denn danach, war er gerne im Studio mit Kompositionen Rachmaninows und er führte sie auch gerne in Konzerten auf.
1947 im Abbey Road Studio No. 1 leistet er sich kleinere Nachlässigkeiten, sein Spiel wirkt aber spontan und erstaunlich natürlich, wenn man den wenig brillanten Klang der Aufnahme bedenkt. Einen gewissen Widerwillen ließe sich jedenfalls nicht ablesen. Manches gelingt mit Brio und geschliffener Eleganz, anderes hat man schon funkelnder gehört. Beim gerade mal vor zwei Jahren gegründeten Orchester ist es ähnlich. Gelungenes steht neben weniger Gelungenem.
Der Klang bietet leises Rauschen, wirkt jedoch schon recht transparent. Sowohl der Flügel als auch das Orchester sind präsent aufgenommen. Generell noch etwas matt und wenig dynamisch ist dies keine schlechte Aufnahmequalität, wenn man den Entstehungszeitpunkt bedenkt.
3-4
Artur Rubinstein
Victor de Sabata
New York Philharmonic Orchestra
Archipel, Guild
1953, live
21:44
Live wirkt es in New York etwas hektisch aber Rubinstein wirkt erheblich spontaner, scheint von Herrn de Sabata beflügelt. Ähnliches bemerkt man auch beim New Yorker Orchester gegenüber dem Londoner. Mitunter scheint die Musik geradezu davonlaufen oder davonfliegen zu wollen, gerade in den dramatischeren Variationen. In den lyrischen fehlt es hingegen an Ruhe und Anmut. Manchmal nervt da einfach nur der Brumm, der sich permanent über die Aufnahme gelegt hat und sich bei leiseren Passagen unvermittelt aufdrängt. Hauptargument, das für die Veröffentlichung der Aufnahme gesprochen haben könnte, ist der hier herausgeforderte Rubinstein, der sich von seiner spontanen Seite zeigt. Das Finale ist mitreißend. Stürmischer Beifall die beinahe logische Folge. Der extramiese Klang spricht gegen eine nähere Beschäftigung mit der Aufnahme und ließe uns viel lieber zur Living-Stereo mit Fritz Reiner und den Chicagoern greifen. Da klingt es um Äonen besser.
Wir haben uns nur die Version von Archipel angetan. Der Klang ist sehr schlecht, deutlich dumpfer als 1947 mit Süsskind in London. Zudem kommt der aufdringliche Brumm. Besonders das Orchester klingt hintergründig und mitunter undeutlich. Die Publikumsgeräusche bei leisen Passagen kommen dagegen deutlich zu Gehör.
Live-Mitschnitte aus dem Radio, oft in den jeweiligen Mediatheken der Sender oder der ARD oder auf YouTube zu finden.
5
Alexander Malofeev
Alain Altinoglu
HR-Sinfonieorchester
HR
2024, live
22:07
Diesen Mitschnitt findet man sofort, in der ARD-Mediathek oder auf YouTube. Google listet sie ganz oben, was dem HR besonders häufig gelingt. Die Darbietung des jungen Pianisten strotzt nur so vor Lebendigkeit. Es wird wunderbar klar und sauber in Anschlag und Phrasierung gespielt mit einer selbstverständlichen Sicherheit, aber nicht kühl wie u.a. bei Pletnev. Der Klang des Flügels bringt genug Härte und ordentlich Kraft mit, um wunderbar brillieren zu können. Das Spiel des jungen in Berlin lebenden Pianisten, ausgebildet u.a. anderem von Sergei Dorensky und gefördert von Valery Gergiev und Denis Matsuev, war beim Konzert gerade einmal 22, wirkt wendig, geschmeidig und hat ordentlich Biss. Er vereint die Poesie im Lyrischen perfekt mit seiner selbstverständlich wirkenden Virtuosität, als ob es gar nicht anders klingen könnte. Trotz der Selbstverständlichkeit wirkt die Darbietung immer spannend. Das Zusammenspiel klappt nahtlos mit großem gegenseitigem Einverständnis. Das reaktionsschnelle Orchester wirkt klangsatt, ja süffig. Nur auf die richtig leisen Töne müssen wir dieses Mal verzichten. Da fegt das Temperament (Alai Altinoglus?) gerne ein wenig drüber hinweg. Rachmaninow ansatzweise wieder wie im Stil der 30-60er Jahre. Klasse! Der junge Mann scheint mehr als nur ein Ausnahmetalent.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr präsent, voll, saftig, farbig, recht räumlich, aber sehr transparent Für eine Rundfunkübertragung sehr brillant und dynamisch. Wir hörten die Direktübertragung auf HR 2.
5
Daniil Trifonov
Yannick Nézet-Seguin
Philadelphia Orchestra
SWR
2023, live
21:18
Anlässlich des 150. Geburtstags Rachmaninows 2023 ging das Philadelphia Orchestra, das inzwischen nicht nur die Klavierkonzerte, sondern auch die Sinfonien und die Sinfonischen Tänze für die DG eingespielt hatte, auf Tournee. Es machte dabei auch im Baden-Badener Festspielhaus Station. Man gab drei Konzerte, mit der Vocalise, der Rhapsodie, Klavierkonzerten und Sinfonischen Werken. Der SWR war dabei und sendete zumindest einmal zwei Konzerte der drei. Vielleicht ist uns das dritte aber einfach nur entgangen.
Nach der DG-Einspielung von 2015 lässt man es jetzt geradezu lossprudeln vor Virtuosität. Der Gestus ist noch erheblich vorantreibender, man könnte schon fast meinen, man brettert jetzt regelrecht durch die Variationen. Manchmal wirkt das Spiel auch mal forciert, da muss man vielleicht dann doch mal sogar bis an die Grenzen gehen. Hektik kommt jedoch nicht auf, zumindest einmal nicht beim Pianisten, beim Hörer vielleicht schon eher. Trifonov zieht ziemlich ungerührt, allerdings pianistisch wie entfesselt durch die lyrischen Variationen, lässt sein Spiel vom Rhythmus dominieren, ohne die Kantabilität ganz zu vergessen, aber sie steht hinten an. Manchmal kommt es einem so vor, als hätte der Pianist Lust gehabt, einmal seine schier unerschöpflichen Reserven auszuloten. Das war 2015 noch nicht so. Andererseits überlässt er auch immer wieder selbstlos dem Orchester die Bühne. Natürlich kann sein Spiel aus keinem spontanen Einfall resultieren, sonst wäre das Zusammenspiel mit dem Orchester nicht so perfekt. Dieses hat seinen Rachmaninow verinnerlicht und besticht wie der Pianist durch Rasanz und klangvolle Perfektion. Dabei für uns herausragend: das brillante Blech. Bei der Var. 15, der sogenannten „Art Tatum-Variation“ kommt Trifonov dem Vorbild Rachmaninows, Art Tatum, sehr nahe. Leider hat der Jazz-Pianist die Rhapsodie nie eingespielt, die 15. Variation würde wohl sehr ähnlich klingen wie 2023 in Baden-Baden. Die Virtuosität macht eigentlich sprachlos. Bei den letzten Variationen 19-24 wird gnadenlos Vollgas gegeben. Schwindelerregendes Spiel bei vollkommener Klarheit. Auch das Gelächter Mephistos kommt noch glasklar und höhnisch. Dagegen war die 2015er Einspielung nur eine Vorübung. Ganz ähnlich elektrisierend wie bei Earl Wild und das dann auch noch live. Trotz aller Bewunderung: Für uns war es manchmal einfach zu schnell. In Baden-Baden gab es Ovationen für die Darbietung, wie man sie in keinem anderen Live-Mitschnitt der Rhapsodie in unserer kleinen Sammlung hören konnte.
Die Aufnahme des SWR lässt einen üppigen Orchestersound hören, von dem der Flügel klar und deutlich abgesetzt wird. Im Rahmen der Möglichkeiten einer Sendung eines Konzertes im Radio wirkt der Mitschnitt dynamisch. Wir haben keine Manipulationen im Aufnahmepegel während der Darbietung bemerkt. Das größte Manko gegenüber der Studio-Aufnahme in Philadelphia 2015: Es klingt lange nicht so transparent und brillant. Dafür kam sie, wenn man von den Rundfunkgebühren einmal absieht, ganz umsonst ins Haus.
5
Kirill Gerstein
Alan Gilbert
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, gesendet vom ORF
2022, live
23:42
Dieser Mitschnitt entstand im Herkulessaal der Münchner Residenz. Kirill war in der Saison Artist in Residence beim BRSO. Vor der Paganini-Rhapsodie spielte man die Burleske von Richard Strauss, ein technisch anspruchsvolles, widerborstiges Stück, von dem es ebenfalls einen diskographischen Überblick in unserer Website gibt. Aufnahmen des BR werden immer wieder vom ORF ins eigene Programm aufgenommen, umgekehrt seltsamerweise so gut wie nie. Für uns ist das eine gute Angewohnheit des ORF, denn die Direktübertragung des BR aus München hatten wir verpasst. Dass sich Solist, Dirigent und Orchester gut verstehen und schon einiges miteinander gemacht haben, merkt man der Aufführung an.
Herr Gerstein artikuliert brillant und klar, singt genauso kantabel aus aber besonders auffallend ist der Dialog mit den Solisten im Orchester und mit dem ganzen Orchester. Er spielt generell leicht und unforciert, also eigentlich ganz anders als Daniil Trifonov in Baden-Baden zuvor. Dennoch ist Gersteins Anschlag entschieden und dynamisch sehr differenziert, seine Phrasierung straff und geschärft. Er wirkt frisch, feurig und mit virtuosem Aplomb. Das gelingt alles besser als man es bei Rudolf Buchbinder ein paar Jahre zuvor an gleicher Stelle hören konnte. Das Zusammenspiel wirkt nahtloser und viel spannender als bei Buchbinder und Netopil. Insgesamt ausdrucksstärker. Das BRSO spielt mit dem Chef des NDR Elbphilharmonie Orchesters präzise und engagiert, sehr aufmerksam und solistisch exzellent, wie eigentlich immer. Herr Gilbert macht mit dem Orchester im Prinzip „nur“ genau das, was in der Partitur steht, dabei heraus kommt eine perfekte Balance. Gegenüber Buchbinder/Netopil fällt der virtuosere Spielstil mit der pointierten Rhythmik und der brillantere Klang durchaus auf. Die Darbietung wirkt frischer und feuriger. Und da hatte Gerstein schon die zuvor gegebene Burleske in den Fingern. Von all den notierten Einzelereignissen bei den einzelnen Variationen greifen wir nur die stimmungsvolle 17. und die 18. heraus, die mit wenig Rubato dargeboten wird, aber trotzdem zündet. Man lässt sich genug Zeit, aber das Rührende wird nicht ins Monströse geweitet. Die „Mephisto-Variationen klingen jederzeit pointiert, deutlich, super gesteigert und super virtuos. Drei Jahre später trifft man sich in Hamburg wieder und wiederholt die Darbietung mit den beiden hochvirtuosen Werken.
Auch vom ORF gesendet klingt die Aufnahme offen, voll, rund, transparent und recht dynamisch
5
Kirill Gerstein
Alan Gilbert
NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR
2025, live
23:00
2025 trafen sich die Herren Gerstein und Gilbert erneut, um dieses Mal die „Opening Night“, also die Saisoneröffnung 2025/26 zu begehen. Dazu wiederholen sie ihr Erfolgskonzept von München 2022 und spielen vor der Rhapsodie bereits die Burleske von Richard Strauss. An der Qualität der Darbietung ändert sich nichts, Gerstein spielt prägnant und souverän, leicht und kantabel. Kraft, Flexobilität und Wärme sind seinem Spiel bzw. Flügelklang eigen. Es ist ein „großer“ Rachmaninow ohne Gesäusel, der ohne Donnern auskommt, immer sonor, akzentuiert, brillant und differenziert. Die Zusammenarbeit mit dem glänzend disponierten Orchester ist ebenso nahtlos und baut auf gegenseitigem Verständnis auf wie bereits in München. Beeindruckend die Var. 17 und 18, die beide viel Atmosphäre und starke Emotionen aufbauen. Es fällt uns sehr schwer einen qualitativen Unterschied zwischen den beiden Darbietungen aus München und Hamburg zu entdecken. Dazu müsste man noch mehr in die Details gehen. Dass in Hamburg etwas mehr Schwung drin ist, vielleicht resultierend aus einem über die Jahre weiterhin gewachsenen gegenseitigem Vertrauen, kann man schon an der Spielzeit ablesen.
Die von uns mitgeschnittene Direktübertragung (von daher kein geringer Vorteil gegenüber der Sendung des ORF) klingt offen, klar, räumlich und mitunter sehr präsent. Der Orchester wirkt in die Tiefe des Raumes hinein sehr gut gestaffelt. Der Flügel steht deutlich im Vordergrund, sonor und brillant, mit einigem Gewicht, da man viel Wert auf eine gute Basswiedergabe gelegt hat. Bei Flügel und Orchester.
4-5
Igor Levit
Kirill Petrenko
Bayerisches Staatsorchester, München
BR
2017, live
24:50
Hier können wir dem Debüt des Pianisten beim Bayerischen Staatorchester lauschen, bei dem er 30 Jahre jung war. Um es gleich vorwegzunehmen, es gefällt uns viel besser als der Mitschnitt aus Schönbrunn. Vom Pianisten her und auch von Orchester, Dirigent und vor allem der Aufnahmequalität her. Schon der Beginn ist gelungener, das Orchester bereits zu Beginn rhythmisch pointiert. Herrn Levits Klang fällt in diesem Umfeld auf, denn er wirkt zurückhaltender und etwas farbschwächer als bei den drei Pianisten zuvor. Beinahe so, als ob er dem Orchester die Führungsrolle bereitwillig, wenn nicht aktiv übergeben, so doch passiv überlassen wolle. Seine Geschmeidigkeit im Spiel wirkt unforciert, die Pointen werden leicht und locker serviert, seine Rubati wirken unaufdringlich. Dennoch gelingt der Auftakt fulminant, denn selten hört man das Orchester einmal schon am Anfang so spöttisch wie hier. Auch beim Orchester ergeht man sich bei den betreffenden Variationen in eine distanziert wirkende Raserei, nie protzig, im Lyrischen nie sentimental. Das Orchester gibt sehr viele Impulse und lässt eine Menge Delikatessen hören, die einem sonst weniger auffallen. Bei Var. 9 gefällt das Col legno-Geklapper sehr gut, da tun sich viele Orchester schwer. Var. 10 wirkt schön dämonisch, aber leicht ironisch gebrochen. Die Zusammenarbeit wirkt hier exzellent. Sehr detailreich und doch nie den Blick aufs Ganze verloren. Bei Var. 12 wählt man ein sehr langsames Tempo, ein Menuett, fast zur Elegie gesteigert, wozu Var. 13 ein denkbar starker Kontrast bildet. Bei Var. 15 hatten wir schon Bedenken, dass Herr Levitts Klavierklang das Vorbild von Art Tatum ganz außeracht lässt. Das bewahrheitet sich auch, aber es gibt ausgezeichneten Ersatz: Igor Levits-Version wirkt schwerelos und leicht, als ob sie davonfliegen könnte. Das Orchester zeigt ebenfalls seine Klasse, hervorzuheben ist dabei die sprechend wirkende Artikulation und die subtile Agogik, mit der Petrenko die Lebendigkeit der Musik deutlich zu steigern weiß. Var. 16 hören wir mit irisierendem Klang, da wird manchmal das Orchester zur eigentlichen Attraktion. Das Klavier tritt immer da sinnfällig zurück, wenn das Orchester für die Stimmung sorgen soll oder thematisch hervortritt. Var. 18 wirkt stark gedehnt, aber beglückend „schön“ gespielt, da versteht man, wieso dieses Variation auch „Liebesvariation“ genannt wird. Die folgenden Variationen in denen sich Mephisto immer mehr durchsetzt werden bestechend präzise bei großer Spannung artikuliert. Allerdings gibt es keinen Geschwindigkeitsexzess. Der Triumpf des Teuflischen wird voll ausgekostet, nur die letzte Variation wirkt als Stretta. Das höhnische Gelächter wird besonders deutlich. Am Ende bleibt nur ein witziges Verschwinden. Diese Darstellung wirkt summa summarum besonders reichhaltig und bereichernd.
Die Aufnahme ist ebenfalls sehr gelungen: Voll, rund, kräftig und sonor. Besonders transparent und deutlich, räumlich, farbig und saftig. Die gut ausgeprägte Raumtiefe bietet auch eine ideale Balance von Flügel und Orchester, wobei der Flügel leicht diffus klingt. Dagegen wirkt er wunderbar weich fließend und fast schwerelos eingefangen, farbig, aber nicht ganz so voll und sonor wie bei anderen Aufnahmen. Der Klang der Schönbrunn-Aufnahme wird auf die Plätze verwiesen.
4-5
Julianna Avdeeva
Juraj Valcuha
Orchestra Sinfonica della RAI di Torino
Deutschlandfunk
2023, live
23:38
Eine Aufnahme aus dem Auditorio Arturo Toscanini in Turin. Der Dirigent Juraj Valcuha ist für das Orchester ein „alter“ Bekannter, denn er war von 2009-2016 sein Chefdirigent. Derzeit ist er Chef in Houston. Das Spiel des Orchesters ist stark akzentuiert und temporeich. Das Zusammenspiel mit der Pianistin, die 2010 den Chopin-Wettbewerb in Warschau gewonnen hat, erscheint vollkommen nahtlos. Die ganze Aufführung wirkt spannend. Die Pianistin, die uns noch von unserem Vergleich der Diskographie den 2. Klavierkonzerts f-Moll von Chopin in sehr guter Erinnerung geblieben ist, (ein Hammerflügel kommt bei Rachmaninow auch für Frau Avdeeva nicht mehr infrage) spielt virtuos und mit einiger Kraft, aber mindestens genauso subtil mit reichen Abschattierungen bei allen Parametern. So wirkt die Rhapsodie dieses Mal etwas näher an Chopin gerückt als üblich. Das Orchester reizt seinen Part gut aus und lässt sich von der Differenzierungskunst der Pianistin anstecken. Wir haben es schon wesentlich handfester gehört. Es klingt nicht ganz so abgerundet wie z.B. das BRSO oder das Elbphilharmonie Orchester. In der Partnerschaft dominiert der Klavierpart lange nicht so wie in den meisten anderen Aufnahmen. Sehr gut gelingt Frau Avdeeva die 15. Var., die sie nicht so sehr im Legatospiel versumpfen lässt wie so viele andere, bei ihr hört man das Spiel von Art Tatum noch ansatzweise durch, das sich ja durch ein sagenhaftes Non-Legato auszeichnet (man muss es gehört haben). Hier kann die Pianistin ihre Virtuosität wieder besonders aufblitzen lassen. Sehr geschmackvoll gelingt die Var. 18, allerdings mit auffallend zurück gepegelten Streichern, sodass das Technikteam die Wirkung fast schon wieder verschenkt. Dies ist eine sehr spannende Darbietung ohne Durchhänger.
Die Aufnahme aus dem Rachmaninow-Jahr klingt klar und präsent, vor allem das Holz, das einem fast schon im Verhältnis zum restlichen Orchester zu laut vorkommt. Der Flügel ist hingegen stark ins Orchester eingebettet. Das Ganze klingt ziemlich trocken, aber nicht stumpf. Die leisen Passagen werden etwas lauter gesendet als sie gedacht waren. Das merkt man besonders bei den Variationen 16 und 17.
4-5
Mikhael Pletnev
Jean Fournet
Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (heute: Deutsche Radiophilharmonie)
SR
1985, live
24:15
Dies ist vom Datum her die erste der vier Aufnahmen Mikhael Pletnevs unseres Vergleichs. Und sie gefällt uns von den vieren am besten. Er hatte 1978 den Tschaikowsky-Klavierwettbewerb in Moskau gewonnen und stellte sich damals auch in Saarbrücken vor. In Saarbrücken gab es gerade einen Wechsel des Chefdirigenten. Auf Hans Zender folgte der junge Myung Whun Chung. Zum 28jährigen Pianisten gesellte sich jedoch nicht der neue Chef, sondern der 72jährige Franzose Jean Fournet. In der vollbesetzten Kongresshalle zeigt der junge Mann seine immensen pianistischen Fähigkeiten, sehr differenziert im Dynamischen, kräftig, klar, sehr schnell und präzise im Anschlag. Das war damals zur Zeit der UdSSR einer der seltenen Auslandsauftritte des Pianisten, der vor allem im Inland spielen musste, im Westen aber bereits als neuer Benedetti-Michelangeli oder Horowitz gehandelt wurde. Ab 1990 gründete er dann das Russian National Orchestra und er lenkte seinen Fokus immer mehr auf das Dirigieren. Die Brillanz des Klangs und seine fabelhafte Technik, kombiniert mit einer ausdrucksvollen Phrasierung können damals auch tatsächlich begeistern. Wenn er doch nur nicht bisweilen so kräftig mitsummen würde. Er müsste die Mikrophone eigentlich gesehen haben und sicher war die Aufnahme auch Gegenstand des Vertrages. Das Orchester agiert bereits auf einem sehr hohen Niveau, nur die Violinen klingen noch dünner als heute. Vielleich eine Folge anderer Mikrophone, vielleicht sind es durch die Fusionierung heute immer noch ein paar mehr Violinen als damals. Die Var. 18 wird besonders langsam genommen mit ganz besonders viel Rubato scheint er da die „Russische Seele“ ausschütten zu wollen. Das Orchester konterkariert jedoch die Absicht mit ein wenig Understatement und donnert nicht mit auf: Wirklich wunderschön. Im Verlauf fallen immer wieder die phänomenale pianistische Transparenz und Anschlagskultur ins Ohr, aber bisweilen gerät der Ausdruck auch damals schon ein wenig kühl. Vielleicht durch die „Über-Virtuosität“, die alles glasklar hörbar macht und vieles so locker erscheinen lässt. Was für ein Unterschied zur langweiligen Darbietung von 2024, 37 Jahre später. Die relativ lange Spielzeit vergeht wie im Flug, für Spannung ist gesorgt.
Die Aufnahme klingt offen, präsent (bis zum Umblättern des Notenpapiers) und sehr transparent. Sogar transparenter als die 2024er Einspielung aus der Schweiz. Wir konnten die Aufnahme während des ARD-Nachtkonzertes, das immer vom BR gesendet wird, mitschneiden. Man sollte übrigens auch den BR als Sender eingestellt haben, da klingt es nämlich am besten (höchste Datenrate). Die Balance zwischen Flügel und Orchester ist sehr gut gelungen. Nur dynamisch ist die Aufnahme etwas eingebremst, zumindest einmal, wenn man ein BR-Konzert aus München bei der Live-Sendung dagegen als Vergleich heranzieht.
4-5
Anna Vinnitskaya
Lahav Shani
Wiener Symphoniker
ORF
2022, live
22:14
Klar und frisch, temporeich und mit vorantreibendem Elan, ganz wie bereits 2016 in Hamburg auf CD, so stellt sich Anna Vinnitskaya in Wien vor. Der Vortrag wirkt frei und befreit von allen Hindernissen technischer oder mentaler Natur. Eine packende Vorstellung mit einem bestechend brillanten (und brillant eingefangenen) Klang des Flügels und glänzender Virtuosität. Nie gibt es bei ihr nur lockeres Beiwerk, immer gibt sie der Musik den ihr gemäßen Ausdruck. Das Orchester zeigt sich in guter Form und mit prägnanten Soli (exzellentes Fagott bei Var. 7) oder die Klarinette und das Horn in Var. 12. Stets ist man höchst aufmerksam. Nur in der Var. 18 (ausgerechnet die!) sind Streicher und Bläser nicht zusammen. Bei Var. 19 wirkt die Artikulation bei der Pianistin nicht so kontrastreich, wie sie es wahrscheinlich gerne gehabt hätte, p und sf werden nicht voneinander abgesetzt. Die Finalvariationen klingen dann aber angemessen kontrastreich mit dem dämonisch-sarkastischen Aplomb, wie wir es von Hamburg her kennen. Als eine Verbesserung kann man festhalten (gegenüber den sowieso schon kaum verbesserungsfähigen Versionen von 2016 und 2024), dass dieses Mal auch Rachmaninows Tempomuster dämonisch exakt eingehalten wurde. Das geht wohl auf Konto des jungen israelischen Dirigenten. Die Darbietung zeichnet sich zudem durch einen durchgehenden Spannungsbogen aus und neben dem Höllischen Pakt wird auch die engelsgleiche lyrische Seite ganz wunderbar zur Geltung gebracht.
Die Aufnahme des ORF klingt plastisch und präsent, sowohl beim Flügel als auch beim Orchester. Beides wirkt sehr gut ausbalanciert. Der Flügel wirkt trotzdem sehr gut vom Orchester abgesetzt und klingt sehr deutlich. Auch das Orchester ist sehr gut durchhörbar.
4-5
Anna Vinnitskaya
Pietari Inkinen
Deutsche Radio-Philharmonie
SR
2024, live
22:28
Diese Soiree wurde aus der Kongresshalle in Saarbrücken übertragen. Gegenüber der Darbietung mit Mikhael Pletnev 1985 an gleichem Ort wirkt das Spiel der Pianistin etwas schwärmerischer, mystischer vor allem aber noch zärtlicher. Temperamentvoll und hochdramatisch wirken sie beide. Diese Mal erscheint uns das pianistische Glitzerwerk sogar besonders virtuos und ausdrucksvoll. Das Orchester lässt wieder durch seine exzellenten Solisten aufhorchen und wie in Wien müsste man das Fagott in Var. 7 ebenfalls herausstellen, dabei sucht das Orchester immer noch einen Nachfolger für Guillaume Santana, der zum Mahler Chamber Orchestra gewechselt ist. Aber auch Oboe und Englischhorn in Var. 16 spielen einfach besonders schön. Die Solo-Violine dürfen wir nicht vergessen. Die Var. 18 klingt, nicht wie in Wien, sehr gut zusammen und ab Var. 19 gelingt der Gestus hoch spannend und es wird furios gespielt. Die Motivation dieses Orchesters ist immer wieder erstaunlich. Ganz erstaunlich ist es auch, dass das Tempomuster bei jeder der drei Einspielungen fast sekundengenau aufgeht. Da hat wohl Frau Vinnitskaya ihrerseits einen Pakt geschlossen um Dirigenten so zu kontrollieren um sie sekundengenau in ihrem Takt schlagen zu lassen.
Das Orchester ist in Saarbrücken noch ein wenig dichter an den Flügel herangerückt als in Wien, es wirkt jetzt so, als umschließe es den Flügel. Die Gran Cassa kommt schön kräftig und glücklicherweise konnten wir dieses Mal kaum Manipulationen in der Dynamik feststellen. So macht das Hören Spaß.
4-5
Behzod Abduraimov
Vladimir Ashkenazy
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
RBB
2019, live
22:50
In dem mitgeschnittenen Konzert gab der junge Pianist aus Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans sein Berliner Debüt. Auf ihn hat die Aufnahmesituation in Luzern, wo man für „die Ewigkeit“ mit Rachmaninows Flügel aufgezeichnet hat anscheinend ein wenig dämpfend gewirkt denn er scheint in der Philharmonie noch ein wenig freier und spielfreudiger aufzuspielen. Im direkten Vergleich bemerkt man nun den Klangunterschied des großen Steinways in der Philharmonie und des etwas kleineren aus Rachmaninows Privatvilla. Man kann natürlich nicht von der jeweiligen Aufnahmesituation abstrahieren, jedenfalls klingt es nun weicher, runder und nicht mehr so genau fokussiert wie in Luzern. Die außerordentliche Technik des jungen Pianisten bleibt in jedem der beiden Fälle erhalten. Auch bei ihm klingt das Werk bestechend klar und seine Technik wirkt phänomenal sauber, durchaus vergleichbar mit Trifonov oder Matsuev. Auffallend nuanciert und wie gestochen wirkt sein Anschlag. Ashkenazy ist ja ein erwiesener Fachmann in Sachen Rachmaninow allgemein und in Sachen Paganini-Rhapsodie insbesondere. Das Orchester spielt in sehr guter Form und klingt ausgezeichnet. Ashkenazy versteht es anscheinend sehr gut alle die Orchester, die er mit der Rhapsodie dirigiert zu sehr schönem Spiel zu animieren und die Spannung zu halten. Er kennt ja einerseits alle Klippen und Untiefen des Werkes, andererseits dirigiert er nur erstklassige Orchester (Cleveland, Royal Philharmonic, DSO). Allerdings klappt auch beim Konzert in Berlin die Synchronisierung mit dem Pianisten ausgerechnet bei der Var. 18 nicht vollends. Bedauerlich, aber live ist nun einmal immer besonders spannend.
Der Klang der Aufnahme ist offen, warm, voll, transparent, räumlich und sehr gut ausbalanciert.
4-5
Marc-André Hamelin
Elim Chan
Antwerp Philharmonic Orchestra
YouTube
2019, live
24:09
Marc-André Hamelin ist vier Mal mit Paganini-Variationen bei YouTube vertreten. Zwei Mal spielt er seine eigene Komposition mit diesem Titel und zwei Mal das Werk Rachmaninows. Mit ihm ist er sowohl in der Royal Albert Hall zu Gast als auch im Amsterdamer Concertgebouw. Wir haben uns für das Concertgebouw entschieden. Allerdings konnten wir der Veröffentlichung nicht entnehmen, wer die Aufnahme verantwortet (aufgenommen und gesendet) hat. Leider hat er Rachmaninows Werk noch nicht für sein Hauslabel Hyperion eingespielt, seine eigene Komposition „Paganini-Variationen“ allerdings schon. Monsieur Hamelin dürfte der Einzige der in unserer Aufstellung versammelten Pianisten und Pianistinnen sein, der Paganinis Thema in einer eigenen Komposition (für Klavier allein) verarbeitet hat.
Er spielt seinen Part locker und völlig widerstandslos, oft besonders gesanglich, nachdrücklich, poetisch und ohne Mätzchen, aber reich an Nuancen, technisch und klanglich brillant. Es steht ihm ein breites dynamisches und klangfarbliches Spektrum zur Verfügung. Die Zusammenarbeit mit dem Orchester aus Antwerpen erscheint harmonisch. Das Orchester unter der Leitung seiner damaligen Chefdirigentin (2019-2024) spielt straff und tendenziell wenig melancholisch, trotzdem nicht oberflächlich. Klanglich weiß das belgische Orchester durchaus zu gefallen. Die „Art-Tatum-Variation“ Nr. 15 erklingt sagenhaft geschmeidig und bestechend klar, da versucht Herr Hamelin das Original gar nicht erst nachzuahmen. Leider klingen die Violinen in Var. 18 etwas strohig, sodass die Gesamtwirkung geschmälert wird, obwohl der Pianist großartig spielt. Bei den abschließenden „Mephisto-Variationen“ fällt die mangelnde Dynamik und Offenheit der Aufnahme (oder was YouTube davon rüberbringt) besonders störend ins Gewicht. Besser wäre es schnellstmöglich eine Aufnahme für Hyperion zu erstellen, dafür wäre in der Diskographie vermutlich ein Ehrenplatz reserviert. Solange kann diese Aufnahme ein allerdings klanglich nur unvollkommener, aber verheißungsvoller Platzhalter sein.
Zum Klang: Die Aufnahme lässt die Violinen nur etwas strohig hören, sie tönt generell jedoch klar, offen, rund, sehr deutlich und dynamisch etwas eingeebnet. Auch bei YouTube scheint eine Dynamikkompression eingesetzt worden zu sein oder aber bei der das Original sendenden ungenannten niederländischen (?) Rundfunk- bzw. Fernsehanstalt. Im p bis zum mf-Bereich klingt die Aufnahme sogar faszinierend plastisch, räumlich und körperhaft. Teilweise platzen recht laute Huster in die leisen Passagen. Insgesamt fällt die Tonaufnahme dynamisch hinter die der besseren öffentlich-rechtlichen hierzulade zurück (oder der Transfer auf YouTube hat Dynamik gekostet).
4-5
Denis Matsuev
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
2018, live
23:22
Diese Aufnahme entstand bei einem Benefizkonzert für „Kinder in Not“. Der fulminante, kräftige Klang von Matuevs Flügel erinnert dann (ganz anders als der von Herrn Hamelin) wieder an die Virtuosen der 30er bis zu den 50er Jahre. Er bietet aber auch gleichermaßen ausgefeilte Lyrik und locker-virtuose Arabesken. Allerdings nicht immer mit der von ihm eigentlich bekannten Präzision (Var. 13). Von den drei hier vorgestellten Aufnahmen mit Matsuev gefällt die Münchner besser als die aus Budapest und die mit dem Orchester des Mariisky-Theaters, denn das BRSO harmoniert perfekt und die Dialoge mit dem Solisten wirken vollkommen synchronisiert und greifbar. Das Musizieren wirkt schwungvoll, sehr aufmerksam, die Soli punktgenau und klanglich sehr schön: die Celli in Var. 12, Klarinette und Horn (so kurz sie auch sind) oder Oboe, Englischhorn und Solo-Violine in Var. 16. Der Pianist nimmt sich in Var. 18 sehr gut zurück, sodass die Streicher mit ihrer „Liebesmelodie“ weitgehend ungehindert durchkommen. So gelingt der Spagat zwischen Auftrumpfen und Innigkeit. Rachmaninow sah die Var. 18 bekanntlich weniger romantisch und meinte: „Die ist für meine Agenten.“ Bei den abschließenden „Mephisto-Variationen“ ist Herr Matsuev in seinem ureigensten Element. Völlig zurecht gibt es Ovationen an diesem Abend für ihn im Herkulessaal der Münchner Residenz.
Das Klangbild ist offen, weit gefächert, doch immer noch präsent, voll und prall, auch im Streichersatz transparent, sehr gut ausbalanciert zwischen Flügel und Orchester. Der Flügel kommt jederzeit deutlich heraus. Die Aufnahme wirkt dynamisch bis zum dann doch eingeebneten sff. Sie klingt besser als die Aufnahmen aus St. Petersburg (mit Gergiev) und Budapest (mit Saccani).
4-5
Dinorah Varsi
Günter Neuhold
Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (heute: Deutsche Radio-Philharmonie)
SR
2006, live
23:12
Diese Aufnahme entstand im Rahmen eines Jugendkonzertes der Reihe „Musik für junge Ohren“, bei dem das Werk bevor es zur Gänze erklingt in Teilen jugendgerecht analysiert und gespielt wird. Die damals 67jährige Pianistin aus Montevideo/Uruguay gehört zur Generation der Südamerikanischen Pianist/innen wie Argerich, Gelber oder Barenboim, die damals verstärkt von diesem Kontinent die Bühnen der Welt eroberten. Zu Unrecht ist Frau Varsi schon heute (12 Jahre nach ihrem Tod) fast vergessen. Ihre Darbietung wirkt ganz besonders poetisch, ausdrucksvoll und eher wenig glamourös. Virtuose Drahtseilakte nimmt man bei ihr kaum wahr, denn sie verzichtet völlig auf Selbstdarstellung. Die Musik, ja einzelne Töne stehen im Vordergrund, was nicht heißen soll, dass ihrer Technik auch nur ein leiser Makel anhaften würde. Die erscheint immer noch als exzellent. Besonders stark wirkt ihre Darbietung in den lyrischen, leisen Variationen, Var. 6 wird bei ihr zu einem träumerischen Intermezzo. Wie so oft beim SR zu hören wird während der Aufführung wieder stark an der Dynamik geregelt. Besonders heftig trifft es die Var. 18, wo gerade, wenn das ff einsetzen soll zum p runtergeregelt wird. Rückgängig gemacht wird die Maßnahme erst bei Var. 19. Die letzte Var. erklingt nur mit gemindertem Brio.
Der Klang der Aufnahme wirkt im Großen und Ganzen plastisch und präsent. Das Orchester kommt sehr deutlich zu Wort. Der Flügel erscheint in der Relation etwas schwächer abgemischt als üblich, was dem Orchesterpart sehr guttut, sodass das Werk besonders farbig klingt. Leider werden die ff wieder stark abgeregelt, was den Genuss am guten Klang immer wieder stark mindert, statt ihn zu befördern.
4-5
Beatrice Rana
Josep Pons
BBC Symphony Orchestra
BBC, gesendet von Deutschlandradio
2025
24:08
Dieser Konzertmitschnitt fand im Rahmen der BBC Proms in der Royal Albert Hall statt. Beatrice Rana bezieht sich auf Aufnahmen mit Earl Wild und Philippe Entremont und natürlich auf die Aufnahme des Komponisten selbst. Wer könnte auch an diesen Marksteinen achtlos vorbeigehen? So sollte man eine rasche, vergleichsweise unsentimentale, eher aristokratische aber auch eine enorm kraftvolle von Paganini wie von Mephisto gleichermaßen geprägte Darbietung erwarten. Aber Frau Rana ist nun einmal keine 1,98 m groß wie Rachmaninow und hat sicher auch keine tellergroßen Hände. So klingt alles doch weicher im Anschlag und nicht ganz mit der kraftvollen Virtuosität der Vorbilder. Es ist aber nicht so, dass dafür andere Meriten nicht zum Zuge kommen könnten. Sie baut erheblich mehr flexibles Rubato ein, nicht wenige behaupten ja, mit einer flexiblen Agogik ließe sich das Stück erheblich leichter bewältigen. Das zieht aber ein erheblich höheres Anspruchsniveau an den Dirigenten und an das Orchester nach sich, da muss man stets hellwach bei der Sache sein und an die Proben muss man die höchsten Ansprüche stellen. Bei den Proms, wo ein Konzert nach dem anderen geboten wird und gerade das BBC SO enorm gefordert wird, sind da vielleicht Grenzen gesetzt. Andererseits ist das Orchester erstklassig, da gibt es keinen Zweifel und Herr Pons ist ein ausgezeichneter Dirigent mit einem enormen Erfahrungsschatz. Er ist der neue Chefdirigent (ab 2025) der Deutschen Radio Philharmonien und seine Interpretationen bereits vor dem Amtseintritt wirken ausgesprochen differenziert, er legt mehr Wert auf die dynamischen Abstufungen als sein Vorgänger Pietari Inkinen, was uns bisher sehr gefallen hat, der SR überträgt ja viele Konzerte der DRP im Verbund mit dem SWR. Doch nun wieder zurück in die Royal Albert Hall.
Tatsächlich bringt das Orchester einige neue Ideen ein, vor allem das Holz bringt seine Stimmen prononciert ein. So hören wir viele Phrasierungsdetails, die plausibel wirken. Auch in London besticht das Orchester mit besonders leisem Spiel. Das Zusammenspiel wirkt jedoch nicht immer ganz perfekt, denn das sonstige Programm des Abends könnte kaum anspruchsvoller sein. Da war Bartoks komplette Ballettmusik zu „Der wunderbare Mandarin“ dabei. Das war dann vielleicht doch ein wenig zu viel. Am Ende frische Gangart bei den „Mephisto-Variationen“ mit einer vitalen und durchaus impulsiven Pianistin, aber die Athletik ihrer Vorbilder erreicht sie nicht, was auch kaum zu erwarten war, wenn man sich ihre grazile, fast elfenhafte Erscheinung ins Gedächtnis ruft. Die Prommer, so nennt man die Besucher der Proms-Konzerte waren begeistert, auch wenn die beiden Schlussakkorde nicht synchron waren. Unter den gegebenen Umständen Hut ab vor der bewunderungswürdigen Leistung.
Der Klang zeigt eine weite Räumlichkeit auch wenn man unmöglich das gesamte Rund der riesigen Royal Abert Hall abbilden und zugleich ein Minimum an Präsenz erhalten kann. Es klingt nicht hallig und sehr transparent, offen und dynamisch, nicht ganz so weich wie bei HR, BR oder NDR oder bei den eigenen Aufnahmen des DLF. Der Flügel wird prominent vor das Orchester gestellt und die Staffelung des Orchesters dahinter ist ebenfalls gelungen. Die BBC überträgt alle Konzerte der Proms, da hat man natürlich „den Bogen raus“. Er gibt viele Huster, kein Wunder bei dem riesigen Auditorium.
4-5
Vadim Cholodenko
Dima Slobodeniuk
SWR-Sinfonieorchester
SWR
2022, live
23:37
Als dieses Konzert aus der Stuttgarter Liederhalle mitgeschnitten wurde, war der Pianist Artist in Residence beim SWR-Sinfonieorchester. Am unverdient spärlichen Schlussbeifall erkennt man, dass es sich noch um ein Konzert unter Corona-Bedingungen handelt. Der Pianist zeigt eine Mischung aus Stilempfinden und Herzblut, hohe Virtuosität und besonders ausgeprägte Kantabilität in seinem Spiel. Zudem erkennt man ein Spiel in längeren Spannungsbögen und reichhaltige Abstufungen in der Dynamik und beim Tempo. Den Dirigenten haben wir bis jetzt nicht gerade häufig gehört, aber wenn, dann immer partiturgenau, spannend und musikalisch. So wirkt der Orchesterpart auch dieses Mal gut durchgearbeitet. Es klingt entsprechend deutlich, mit Schwung und nuancenreich. Gut gefallen auch die warmen Klangfarben. Die Soli werden von der Klangtechnik nicht extra herausgestellt, sie bleiben nur Teil des Ganzen. So wird der symphonische Aspekt der Rhapsodie etwas mehr betont als der konzertante. Die 18.Variation, nicht zu schnell und nicht zu langsam, wirkt sehr expressiv. Die Mephisto-Variationen erklingen mit Feuer und Leidenschaft.
Dieses Mal haben die Techniker ein eher distanziertes und leicht halliges Klangbild erzeugt. Vielleicht hat man mit mehr Publikum gerechnet und die zuvor einberechnete Dämpfung fehlt nun in der Liederhalle. Der Flügel wird weniger herausgestellt als bei den anderen ARD-Mitschnitten. Das Klangbild wirkt jedoch immer noch transparent und immer noch recht sonor. Die Dynamik gefällt.
4
Nikolai Lugansky
Kazushi Ono
Sinfonieorchester der SWR Baden-Baden und Freiburg
SWR, live
2011. live
23:48
Den Gewinner des Tschaikowsky-Klavierwettbewerbs in Moskau von 1994 haben wir bereits in seiner CD-Aufnahme aus Birmingham gehört. Hier ist er im Festspielhaus in Baden-Baden zu Gast. Dirigent war der damals 51jährige Kazushi Ono, der damals künstlerischer Leiter der Oper in Lyon war. Gegenüber der Aufnahme aus Birmingham 2003 gibt es annähernd dieselbe Tempogestaltung und auch sonst kaum Veränderungen. Das Spiel des Pianisten wirkt kraftvoll, dynamisch, technisch makellos und durchaus temperamentvoll. Durchweg zügig könnte es mitunter etwas kontrastreicher klingen (Var. 5). Die Steigerung in den letzten Variationen wirkt gut, da erscheinen auch die Orchestereinwürfe ordentlich saftig. Dennoch konnte die Darbietung nicht recht begeistern.
Die Aufnahme des SWR bietet gute Dynamik, sie wirkt räumlich und recht farbig.
4
Nikolai Lugansky
Tugan Sokhiev
Berliner Philharmoniker
RBB
2016, live
24:22
Dieser Konzertmitschnitt hält das Debüt Luganskys bei den Berliner Philharmonikern fest, während der Dirigent bereits seit 2010 regelmäßig dort zu Gast ist. Wie bereits 2003 und 2011 spielt Herr Lugansky erstaunlich klar, selbst bei den schnellen Tempi (die mit dem Dirigenten Sokhiev gemeinsam nicht so sehr schnell sind), glänzend virtuos und klanglich perfekt ausgefeilt. Gelegentlich, so hat man den Eindruck, versucht er den Dirigenten und damit das Orchester ein bisschen anzutreiben, das lässt aber im Verlauf der Aufführung nach. Im Temperament kaum einmal vulkanisch zu nennen oder wild wie bei Earl Wild oder Julius Katchen, wirkt der Anschlag bei aller Kraftentfaltung gerade bei Akkorden bei Lugansky eher weich und warm. Das Orchester spielt differenziert, wohlklingend und sehr geschmeidig. Es wirkt gegenüber dem Klavier meist etwas „schlank“, ein Attribut, das einem bei den Philharmonikern sonst eher selten in den Sinn kommt. Bei Var. 14 klingt das Holz nicht wie Trompeten, wie es die Partitur wünscht, eher wird es vom Blech zugedeckt. Bei Var. 18 erscheint das Klavier gegenüber dem Orchester als zu laut und trotz der nun einmal deutlich zu hörenden, packend aufspielenden Hörnern, wirkt der Gesamtklang zu vornehm. Sokhiev bremst oft zu sehr ab, als anzufeuern. Selten spürt man einmal Impulse, die von ihm ausgehen würden. So bleibt der Gesamteindruck vor allem gepflegt. Var. 22 erklingt nur mit zurückhaltendem Marziale. Nur gegen Ende gesellt sich zum brillanten Klavierspiel endlich auch mal Feuer, das vom Orchester ausgeht.
Der Klang der Aufnahme ist weich, voll, recht räumlich, es gibt mehr Schmelzklang als eine schärfer gliedernde Transparenz, dennoch wirken auch Holz und Blech noch deutlich. Die Balance ist, bei leichtem Übergewicht des Flügels, noch in Ordnung.
4
Evgeni Bozhanov
Yutaka Sato
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
RBB
2011, live
24:04
Der Pianist, Jahrgang 1984, studierte bei Boris Bloch an der Folkwang Universität der Künste in Duisburg. Seit 2019 ist er ebendort (allerdings in Essen) Professor. Er wurde 2010 sowohl zweiter beim Königin-Elisabeth-Klavierwettbewerb in Brüssel als auch vierter beim Chopin-Wettbewerb in Warschau. Dieses Konzert wurde in der Berliner Philharmonie mitgeschnitten. Der Anschlag des Pianisten wirkt ein klein wenig rundlich, der Klang aber immer noch brillant genug. Das Orchester spielt, sehr wahrscheinlich entschlossen motiviert von Herrn Sato in Top-Form. Sehr klangschön wirken wieder einmal seine solistischen Darbietungen. Immer wieder scheinen sich die Impulse auf den Pianisten zu übertragen, der seinerseits technisch nichts schuldig bleibt. Var. 18 ist eine der klangmächtigsten Darbietungen überhaut, orchestral gesehen, leider spielt der Pianist dabei so laut, dass man ihn fast schon als störend empfindet. Ausgerechnet bei den dramatischen Schlussvariationen nimmt man das Tempo raus. Schade.
Es klingt räumlich, präsent und plastisch, voll und recht offen. Die Balance passt meistens, mitunter, wie in Var. 18 erscheint der Flügel vergleichsweise laut. Die Aufnahme wirkt so klangschön, wie man sie auch vom RBB nicht alle Tage serviert bekommt. Dynamisch mit einem breiten Ambitus und wir konnten keine auffallende Komprimierung feststellen.
4
Lauma Skride
Andrés Orozco-Estrada
HR-Sinfonieorchester
HR
AD ?
24:30
Wir haben schon seit längerem den Eindruck, dass der HR von allen Sendern der ARD besonders rege beim Veröffentlichen seiner auf Video festgehaltenen Konzertdokumente ist. Und besonders oft schaffen Sie es bei der Google-Suche bis ganz nach oben. Wir ziehen eigentlich die vom Radio gelieferte reine Audiodatei vor und verzichten gerne auf das von der Musik häufig mehr ablenkende als zu ihr hinführende Bild. In diesem Fall haben wir keinen Video-Mitschnitt im Netz gefunden. Und wir hatten auch kein Aufführungsdatum zur Hand. Es ist anzunehmen, dass die Aufnahme in der Zeit entstanden ist, als Herr Orozco-Estrade Chefdirigent in Frankfurt war, das war von 2014-2021. Im Vergleich zu seinem Nachfolger Alain Altinoglu schlägt er zu Beginn ein erheblich langsameres Tempo an. Da fliegen keine Funken, Paganini erscheint so nicht im Vollbesitz seiner zirzensischen Kräfte. Er hat allerdings auch nicht Herr Malofeev an seiner Seite, sondern Frau Skride, mit der er sich über das Tempo einig ist. Ihr Spiel wirkt im Vergleich zum Spiel des jungen in Berlin lebenden Russen bemühter, weniger feurig. Klarheit und Souveränität sind während ihres viel weicher wirkenden Zugriffs ebenfalls gewährleistet. Ihr Flügel klingt viel sanfter und weniger brillant. Dennoch kann man sich an ihrem erwärmenden Klavierspiel erfreuen. Das Orchester spielt erneut mit seinem sehr transparenten, vollen und farbigen Klang auf, jedoch mit viel mehr Bedacht und fast risikoscheu. Man scheint sich mit der Pianistin viel mehr auf die wehmütigen, langsameren Variationen kaprizieren zu wollen als Malofeev und Altinoglu. Man gewinnt zwar während der Aufführung durchaus noch etwas an Fahrt, aber mit der kraftvollen Rasanz Malofeevs kann man kaum mithalten. Das Zusammenspiel von Pianistin und Orchester ist gut, man vermisst aber das gegenseitige Befeuern, sodass aus dem gemeinsamen Musizieren kein aus der Spontaneität gewonnener zusätzlicher Gewinn entsteht. Sehr schön gelingen der Pianistin und dem Orchester allerdings die „lyrisch“ geprägten Variationen 11-18, die man, wenn die Rhapsodie ein Klavierkonzert wäre, dem langsamen Satz zuordnen würde. Sie erklingen sehr gefühlvoll. Var. 18 wirkt nur im Orchester ein bisschen kitschig. Da gibt es übertriebene Nachdrücker. Ist ja alles Geschmackssache. Die Mephisto-Variationen wirken dann besonders im Vergleich mit Malofeev ein wenig schwerfällig, wenn man andere Vergleichspartner gewählt hätte, würde das viel weniger auffallen.
Der Klang bietet wieder ein sehr transparentes Orchester, räumlich und gut gestaffelt, voll und sonor. Flügel und Orchester sind gut ausbalanciert.
4
Shura Cherkassky
Hans Schmidt-Isserstedt
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
1954, live
23:58
Diese Aufnahme hätten wir auch bei den Mono-Aufnahmen listen können, zugleich passt sie als ein Konzertdokument des Rundfunks auch in diesen Bereich der Liste. Dieser Mitschnitt erfolgte in etwa zwei Jahre nach der Plattenaufnahme Cherkasskys mit Herbert Menges und dem Philharmonia Orchestra für EMI. Von all den EMI-Aufnahmen, und EMI war in Sachen Paganini-Rhapsodie ganz besonders fleißig, hat es die von Cherkasskay nicht bis ins CD-Zeitalter geschafft. Im Rachmaninow-Jahr 2023 hat der BR sein Archiv weit geöffnet und sogar mal eine alte Mono-Aufnahme über den Äther geschickt. Das ist wirklich sehr selten.
Gegenüber des bei Ica herausgekommenen Mitschnitts aus Köln von 1970 wirkt Cherkassky ungestümer und oft schneller im Tempo, auch im Gestus dringlicher. Der Klang des Klaviers wirkt sogar deutlich wärmer und sogar eine Wenigkeit fülliger als in Köln. Sein Spiel wirkt aber bereits 1954 schwergewichtig. Leider haben die Trompeten des BRSO keinen guten Tag erwischt. Das Orchester tritt gegenüber dem Flügel zudem zu weit zurück, obwohl die Technik hörbar eingreift und den Flügel leiser klingen lässt, wenn das Orchester bedeutend hinzutritt. Das stört den homogenen Ablauf empfindlich, besonders weil die Technik mit dem passgenauen Regeln dem musikalischen Geschehen hinterherhinkt.
Der Klang der Aufnahme zeigt den Flügel deutlicher im Vordergrund als in Köln. Das Orchester erklingt weit weniger transparent, bis auf die Gran Cassa, die kommt in München besser. Der Flügel hat keine zusätzliche Hall-Aura und klingt erheblich dynamischer als das Orchester. Das Publikum blieb anscheinend bis auf ganz wenige Huster mucksmäuschenstill. Die Aufnahme rauscht in den leiseren Passagen merklich.
4
Rudolf Buchbinder
Tomas Netopil
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
2011, live
23:30
Eine Aufnahme aus der Philharmonie am Gasteig. Aus unserem Hörprotokoll: Bei Var. 4 piu vivo gibt es keine Tempoänderung und somit wenig Charakteränderung, bei Var. 7 nun differenziertere Dynamik als zuvor, damit ist bei Var. 8 schon wieder Schluss: kein Unterschied zwischen ff und p, es lässt sich schon jetzt sagen: generell eher sorgloser Umgang mit der Dynamik. Var. 12: Tempo di menuetto: vom Pianisten spannungslos dargestellt; Var. 13: Holz und Streicher sehr gut zusammen, das war sogar besser als bei Jansons 2018; Var. 15: scherzando, a capella-Teil ohne jede dynamische Nuance, kein Rubato, das wirkt ziemlich einfallslos; Var. 16: Holz sehr klangschön, genau wie das Violinsolo, Buchbinder hält sich zurück und lässt ihm den Vortritt, das ist längst nicht selbstverständlich, er kann also durchaus pp spielen, wenn er will; Var. 17: gut ;„Liebesvariation“ Nr. 18 sehr einfühlsam gespielt, man weiß genau worauf es man meisten ankommt und woran sich die Zuhörer später noch am besten erinnern, das ist die Var. 18; die abschließenden „Mephisto-Variationen“ entbehren der Wildheit und erneut der dynamischen Differenzierung, das Marziale wirkt ziemlich schlaff. Insgesamt zwar sauber, aber auch ziemlich leidenschaftslos gespielt.
Der Klang der Aufnahme wirkt weich, voll und rund wie immer beim BR, offen, räumlich und farbig.
3-4
Lise de la Salle
Denis Russell-Davies
Münchner Philharmoniker
BR
2023, live
25:46
Dieser Mitschnitt entstand erneut in der Münchner Philharmonie am Gasteig. Wie mit der Philharmonia Zürich erreicht die französische Pianistin einen hohen Grad an technischer Perfektion, in den lyrischen Variationen lässt sie es brillant perlen und an romantisch geprägter Nuancierungskunst fehlt es nicht. Man lässt sich und der Musik reichlich Zeit um durchzuatmen. Generell wirkt ihr Spiel sehr kantabel und wenig perkussiv geprägt. Es fehlt an Durchschlagskraft und an Feuer bei den Steigerungen. Die Var. 15 wird komplett legato gespielt, ohne nur ansatzweise auf die spezielle Art des Klavierspiels von Art Tatum hinzuweisen. Muss man ja nicht, aber es würde zeigen, dass man diesen historischen Bezug kennt und umsetzt. Am Ende, bei den „Mephisto-Variationen“ fällt es besonders ins Gewicht: Da wäre auch mal mehr Härte im Anschlag wünschenswert. Das Orchester spielt plastisch und ausdrucksvoll. Russell-Davies erweist sich mit dieser Pianistin an seiner Seite in den Zeitmaßen als ähnlich nachgiebig wie Fabio Luisi mit der Philharmonia Zürich 2015. Vielleicht wurden die beiden entsprechend verzaubert. Das klingt in beiden Fällen sehr anschmiegsam in der Begleitung. Die Soli kommen in der BR-Aufnahme sogar besser heraus als in der Zürcher. Allerdings ist man in München nicht immer ganz zusammen, aber es klingt etwas spannender. Insgesamt fehlt dieser Darbietung der Zug nach vorne.
Der Flügel klingt erheblich konturierter und deutlicher als in der Aufnahme mit Philharmonia Zürich, zudem voller und klarer. Der Rundfunkmitschnitt wirkt sogar etwas besser ausbalanciert. Der BR kennt seine Aufnahme-Locations ganz genau, das ist ein großer Vorteil. Andere müssen in kurzer Zeit erst einmal in fremden Räumen viel ausprobieren, um zu guten Ergebnissen zu kommen.
3-4
Eva Gevorgyan
Anna Skrylova
Magdeburgische Philhar-monie
MDR
2023, live
24:48
Eva Gevorgyan studierte bei Natalia Trull in Moskau und Stanislav Ioudenitch in Madrid. Bei der Aufnahme im Magdeburger Opernhaus im Rachmaninow-Jahr 2023 war sie 18 Jahre jung. Auf YouTube kann man sie als 16jährige mit der Rhapsodie (sogar etwas temperamentvoller!) hören und sehen an der Seite von Vladimir Spivakov. Sie ist eine „Yamaha-Künstlerin“. Anna Skrylova ist seit 2019 GMD in Magdeburg. Die junge Pianistin verfügt über einen weichen Anschlag, der nicht teigig wirkt. Der Klang ist eigentlich gut, doch fehlt es ihm doch noch etwas an Kraft und Dynamik. Die Spieltechnik erscheint gut ausgebildet und sehr sicher. Das Tempo erscheint mit einem gewissen Sicherheitspolster gewählt, es fehlt zumindest einmal für uns, die wir das Werk zuvor schon 113 Mal gehört haben an Pepp und Feuer. Für die Zuhörer im Magdeburger Opernhaus mag es ganz anders gewirkt haben. Da wirkte sicher die feenhafte Erscheinung der Pianistin mit dem dargestellten Gestus als passend. Das Orchester spielt solide, bringt aber mit seiner Chefin nur wenige Akzente mit ein und Spannung wird nur auf geringem Niveau aufgebaut. Mitunter wirkt es auch etwas schwerfällig. Bei Var. 15 tritt die Pianistin (bezeichnender Weise, wenn sie a capella spielt) ordentlich aufs Tempopedal, als ob sie sich freut, für ein paar Momente vom Korsett der Orchesterbegleitung befreit zu sein. Auch wenn die „Art-Tatum-Variation“ doch etwas nebensächlich abgehandelt wird, so zeigt sie doch, dass sie auch Tempo kann. Sie spielt mit weichem Legato, das Vorbild Rachmaninows Art Tatum mit kernigem non-legato. Rachmaninow versucht es selbst bestmöglich in seiner Aufnahme hinzubekommen. Var. 16 und 17 sind atmosphärisch gelungen, Var. 18 wirkt etwas buchstabiert. Die „Mephisto-Variationen“ geraten zu betulich und zu wenig teuflisch, denn der Teufel hat das „gute Ende“ ja für sich. Bekanntlich fängt er mit seinen Deals ja letztlich alle Seelen, die sich darauf einlassen. Mit 18 hat die Pianistin sicher noch ein beträchtliches Entwicklungspotential vor sich.
Die Aufnahme wirkt klar, recht warm, farbig und räumlich. Leider geht alles ziemlich in einer Lautstärke durch. Der Flügel ist im p schon sehr groß abgebildet, er nimmt da fast die gesamte Breite des Klangbildes ein. Er klingt gerade im p recht sonor und brillant. Die Balance ist dann etwas verschoben, wenn es lauter wird passt sie besser, da das Orchester dann ebenfalls großräumig abgebildet wird.
Irrungen und Wirrungen bei der Instrumentenwahl:
1-5
Cameron Carpenter
Christoph Eschenbach
Konzerthausorchester Berlin
Sony
2018
26:40
Cameron Carpenter spielt die Rhapsodie nicht auf einem Flügel, sondern mit seiner „International Touring-Orgel“, die den digital im Voraus gespeicherten Klang nicht über Pfeifen, sondern über ebenfalls mitreisende Lautsprecher wiedergibt. Carpenter nutzt dazu seine eigene Transkription. Es sind bei ihr 107 Register auf drei Etagen verfügbar. Größter Vorteil: das Instrument Orgel wird so einmal aus dem kirchlichen Raum befreit. Sie klingt aber immer noch, und das ist Absicht, nach einer traditionellen Orgel. Der amerikanische Organist Virgil Fox tourte ebenfalls einmal mit einer „Wanderorgel“. Live verbindet Herr Carpenter das noch mit viel Show, die uns auf der CD nolens/volens erspart bleibt. Was aber in jedem Fall bleibt, ob einem die Wandlung des „Hauptinstruments“ letztlich gefällt oder nicht, ist die sagenhafte Virtuosität des Organisten, die Kunst seines Arrangements und seine Disziplin als Musiker, dem Vorbild weitgehend zu folgen. Das hätte auch anders ausgehen können.
Für uns klang nach zuvor 124 gehörten Versionen mit diversen Flügeln Cameron Carpenter zunächst einmal erfreulich anders, allerdings oft nach Hochamt. Dann auch mal richtig spektakulär und oft, ob beabsichtigt oder nicht, richtig witzig. Da wollen wir niemandem zu nahetreten, aber nach so viel gehörten Klavier-Versionen hat man eben eine gewisse Erwartungshaltung und die wird immer wieder erfolgreich torpediert. Manchmal so, dass die Wände wackeln. Dynamisch wirkt die Programmierung (vielleicht bleibt die Dynamik auch spontan?) sehr differenziert und meist am Original orientiert, stärker als es die meisten Pianist/innen tun. Kraft spendet das elektronische Instrument in Hülle und Fülle, da kommen auch die Hünen unter den Pianisten nicht mehr mit. Manches klingt spektakulärer, weil es mit einem fulminanten Bassregister unterstützt wird. Dann schwellen auch mal Liegetöne orgeltypisch an, das kann ein Flügel nicht erbringen es sei denn man macht ein Tremolo draus und das klingt dann schon wieder ganz anders. Höllisches Spiel à la Paganini wie bei den besten Pianist/innen kann der junge Mann an der Orgel auch. Ob man allerdings die bestimme „Eine“ Auserwählte mit der Orgel verführen könnte, bleibt einmal dahingestellt. Schließlich heißt es ja nicht von ungefähr: „Klavierspielen müsste man können.“ Und nicht: „Orgeln müsste man können“. Das Dies irae ist dann wieder eine Domäne der Orgel, da kommt in der Suggestivität kein Flügel ran. Var. 15 kann keine Reminiszenz für Art Tatum mehr sein, klanglich zumindest nicht. Emotional ist diese Variation, wie andere auch, kaum wiederzuerkennen. Das Orchester spielt frisch und beweglich, rhythmisch versiert. Es hat sich total auf seinen Gast und dessen seltsames Soloinstrument eingestellt. Es hat jetzt sozusagen ein zweites Orchester an seiner Seite zu integrieren, das war sicher nicht einfach. Die Orchester-Solisten kommen klar und sehr klangschön zur Geltung. Die Klangtechnik verschafft ihnen auch gegen die Orgel Gehör. Oft sind sie besser und deutlicher zu hören als auf den „normalen“ Versionen. Das Orchester gibt „ordentlich Gummi“ um gegenzuhalten, da kommt ein Teil des Spaßes her, den man an der Einspielung haben kann. Man kommt aus dem Grinsen kaum heraus.
Diese Einspielung ist ein tolles Amüsement, sie klingt sowohl total falsch als auch mal genial anders, erfrischend und einfallsreich. Bei Puristen wäre hingegen dringend davon abzuraten. Da läuft sie völlig außer Konkurrenz.
Der Klang ist offen, transparent und räumlich, sehr voll und sehr saftig. Die Orgel steht klanglich nicht vor dem Orchester, wie es beim Flügel zumeist üblich ist, sondern wie dahinter. Mitunter umschließt die Orgel jedoch auch mal das komplette Orchester. Der Orchesterpart bleibt erfreulich gut durchhörbar. Die Techniker haben ganze Arbeit geleistet, das war bestimmt kein leichter Job. Der Bass ist genial tief. Er kann die Wände wackeln und den Boden beben lassen.
2.10.2025