Sergej Rachmaninow
Sinfonische Tänze
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Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow wurde am 1. April 1873 in Semjonowo, Russland, geboren und starb am 28. März 1943 in Beverly Hills, Kalifornien. Er komponierte seine Symphonischen Tänze im Sommer und Herbst 1940, hauptsächlich in Orchard Point, Long Island, New York. Die Partitur ist Eugene Ormandy und dem Philadelphia Orchestra gewidmet, die die Uraufführung am 3. Januar 1941 in Philadelphia gaben.
„Will man Sergej Rachmaninow und seiner Musik gerecht werden, so muss man zu ihren Ursprüngen zurückkehren, nach Russland. Seit der Moskauer Uraufführung seines Opus 1 - des Klavierkonzerts fis-Moll - am 17. März 1892 und der glänzend aufgenommenen Premiere seiner preisgekrönten Oper „Aleko“ am 27. April 1893 war Rachmaninow nicht etwa als Traditionalist, sondern als eigenständige, zukunftsweisende Komponistenpersönlichkeit begrüßt worden.
Vier, fünf Jahre verfolgte er seinen Weg als Komponist äußerst geradlinig und schien alle Erwartungen zu bestätigen, die man in ihn gesetzt hatte. Werke wie die Orchesterfantasie „Der Fels“ op. 7 (1893, nach einem Gedicht von Michail Lermontow) oder das „Caprice bohémien“ op. 12 entsprachen durchaus der schwerblütigen russischen Fin de siècle-Ästhetik, der auch die frühen Orchesterwerke Strawinskys und Prokofievs noch verpflichtet sind. Dann aber fand (am 15. März 1897) in Sankt Petersburg die vom, wie in verschiedenen Quellen behauptet wird, nahezu sturzbetrunkenen Alexander Glasunow dirigierte Uraufführung der ersten, nach Themen der russisch-orthodoxen Liturgie komponierten Sinfonie d-moll op. 13 statt, die einen katastrophalen Misserfolg erlebte. Glasunow, der weder Rachmaninow noch seine 1. Sinfonie mochte, gab später tatsächlich im privaten Kreis zu, das Werk bei der Uraufführung im betrunkenen Zustand dirigiert zu haben. Rachmaninow, der von sich aus nicht gerade eine Frohnatur war, sondern eher eine Tendenz zur Schwermütigkeit mitbrachte, geriet durch die vernichtende Kritik in eine tiefe Schaffenskrise und nachfolgende Depressionen, die durch die ablehnende Haltung Lew Tolstois gegenüber seiner Musik während eines Privatkonzerts noch verstärkt wurde. Die erste Sinfonie wurde als „modernistisch, banal, armselig in ihrer thematischen Erfindung und krankhaft pervers in ihrer Harmonik“ radikal abgelehnt. Die Kritik richtete sich gegen den Modernismus der Sinfonie, nicht etwa gegen irgendwelche konservativen oder gar eklektizistischen Elemente, was man dem Komponisten später gerne vorwarf.
Rachmaninow war über diesen Misserfolg so enttäuscht, dass er so sehr in Depression verfiel, dass er mehrere Jahre lang zu jeder schöpferischen Arbeit unfähig war. Rachmaninow selbst zur Uraufführung seiner Ersten: „Es gibt schwere Krankheiten und tödliche Schicksalsschläge, die den Charakter eines Menschen verändern. Diese Wirkung hatte meine eigene Symphonie auf mich. Als die unbeschreibliche Qual dieser Aufführung endlich zu Ende war, war ich ein anderer Mensch.“ Rachmaninow erlitt einen völligen Nervenzusammenbruch und dachte mehr als einmal an Selbstmord. Im Sommer 1900 konnte er durch die Hypnosebehandlung des Psychiaters Nikolai Dahl diese Krise zwar überwinden, doch sie hatte sein Wesen verändert. Abgesehen von der glücklichen, unbeschwerten und kompositorisch überaus fruchtbaren Zeit, die Rachmaninow von 1906 bis 1908 in Dresden verlebte, wo unter anderem seine zweite Sinfonie e-Moll op. 27, die sinfonische Dichtung, „Die Toteninsel“ op. 29 (nach dem gleichnamigen Gemälde von Arnold Böcklin) und das dritte Klavierkonzert entstanden, überschattete der Misserfolg der ersten Sinfonie sein ganzes Leben.
Er spiegelt sich ebenso in seiner Musik wider, deren moll-betonte Düsternis sich nur gelegentlich aufhellt, wie in seinen Interviews und Briefen. „Ich habe kein Selbstvertrauen mehr“, schreibt er etwa am 8. Mai 1912 an Marietta Schaginjan. „Wenn es je eine Zeit gab, in der ich Selbstvertrauen hatte, so liegt sie lange zurück - lange, sehr lange - in meiner Jugend. Seit zwanzig Jahren bin ich in der Behandlung von Doktor Dahl, der mich immer wieder anregt, Mut zu fassen. Aber die Krankheit hat mich ein für allemal gepackt und ist, fürchte ich, in den letzten Jahren eher schlimmer geworden. Irgendwann werde ich wohl das Komponieren ganz aufgeben…“
So gibt es zum einen in der Biographie Rachmaninows verschiedene mehr oder weniger lange Phasen, in denen kaum ein Werk entstand; zwischen 1919 und 1925, zwischen 1927 und 1930, zwischen 1931 und 1934 und zwischen 1941 und seinem Tod am 28. März 1943. Zum anderen war er auch mit abgeschlossenen und erfolgreich aufgeführten Arbeiten nie zufrieden und hat ältere Partituren immer wieder vorgenommen und revidiert. „Ich wollte, ich könnte die ganze Orchestration neu schreiben“, äußerte er zum Beispiel über die Kantate „Frühling“ op. 20; und die viersätzige Kantate „Die Glocken“ op. 35 (1913, nach der russischen Übertragung von Edgar Allan Poes Vers-Poem „The Bells“) hat Rachmaninow noch 1936 überarbeitet.
Der Russe, den man in seiner Heimat als Amerikaner behandelte, während er in Amerika nur als russischer Emigrant galt - ein Entwurzelter. Tatsächlich ist Sergej Rachmaninow ein russischer Komponist: Von seinen 45 Werken mit Opus-Zahl sind 39 vor 1917 entstanden, bevor er Russland für immer verließ. Mehr noch: es sind dem Wesen nach „nationale“ Werke, in denen Rachmaninow an die Ästhetik des „Mächtigen Häufleins“ anschließt und sich mehr als irgendein anderer Komponist seiner Generation darum bemüht, das Erbe der originär russischen Musik zu pflegen und fortzusetzen. Auch (und vielleicht gerade) während der Jahre des amerikanischen Exils ist Rachmaninow dem „russischen Temperament“ seiner musikalischen Sprache treu geblieben; die „Drei russischen Volkslieder für Chor und Orchester“ bezeugen dies ebenso wie seine dritte Sinfonie oder die drei „Sinfonischen Tänze“, die von dem Freundeskreis russischer Emigranten als „Klänge der Heimat“ angesehen wurden, als durch und durch russische Werke.“ (Michael Stegemann im „Konzertführer“, Hrsg. Attila Csampai und Dietmar Holland, Wunderlich-Verlag)
Rachmaninoffs letzte Werke, darunter die Symphonischen Tänze, weisen jedoch eine straffere, klarere musikalische Struktur auf als die Werke zuvor und zeigen gleichzeitig sein bekanntes Talent für üppige Orchestrierung und einprägsame, herzerweichende Melodien.
Die Partitur der „Symphonic Dances“ sieht 2 Flöten und Piccoloflöte, 2 Oboen und Englischhorn, 2 Klarinetten und Bassklarinette, Altsaxophon, 2 Fagotte und Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Harfe, Klavier, Pauke, Triangel, Tamburin, Große Trommel, Kleine Trommel, Tamtam, Becken, Xylophon, Röhrenglocken, Glockenspiel und Streicher (erste und zweite Violine, Bratschen, Celli und Kontrabässe) vor. „Symphonic Dances“ dauert etwa 33-40 Minuten.
Sergei Rachmaninow ist der Einzige der großen russischen Komponisten seiner Zeit – Tschaikowsky, Strawinsky, Glasunow, Prokofjew –, der kein einziges Ballett schrieb. Und das nicht, weil er kein Interesse daran gehabt hätte. In einem Brief von 1914 an den Dirigenten Alexander Siloti äußerte Rachmaninow seinen Wunsch, „ein Thema für ein Ballett zu finden“, gab jedoch zu, keine Tänzer zu kennen und „aus irgendeinem Grund Angst vor ihnen zu haben!“. 1915 begann er eine Zusammenarbeit mit dem bekannten Moskauer Choreografen Kasjan Goleizowski an einem Ballett mit dem Titel „Die Skythen“, das auf einem Gedicht von Konstantin Balmont basierte. Doch Prokofjew kam ihm zuvor und vollendete im selben Jahr seine „Skythische Suite“, und das Projekt wurde aufgegeben. Goleizovsky behauptete später, Rachmaninow habe einen Teil der Musik, die er für „Die Skythen“ geschrieben hatte, in die Symphonischen Tänze integriert, doch gibt es keine weiteren stichhaltige Beweise für diese Behauptung. 1916 traten der brillante Bühnenregisseur Wsewolod Meyerhold und der Tänzer Michail Mordkin mit einem weiteren Ballettvorschlag an Rachmaninow heran, der diesmal auf Erzählungen von Hans Christian Andersen basierte, doch auch dieser kam nie über die Planungsphase hinaus. Rachmaninow war sehr selbstkritisch und eher ein Einzelgänger und möglicherweise von seinem Temperament her nicht dafür geeignet, mit den chaotischen Bedingungen der Zusammenarbeit umzugehen, die für die Schaffung eines neuen Tanzstücks erforderlich sind.
Dennoch hat Rachmaninows stimmungsvolle und emotionsgeladene Musik zahlreiche Choreografen angezogen. Seine „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ wurde mehrmals als Ballett aufgeführt, zu Lebzeiten des Komponisten von seinem Freund Michail Fokin (als „Paganini“ für Oberst de Basils Ballets Russes in London 1939) und später etwas von Leonid Lawrowsky (für das Bolschoi 1960). In dem Hollywood-Film „The Story of Three Loves“ (deutsch: „War es die große Liebe?“ ein dreigeteilter Episoden-Film, davon die erste Episode) von 1953 unter der Regie von Vincente Minnelli und Gottfried Reinhardt führt Moira Shearer (bekannt durch „Red Shoes“) ein von Frederick Ashton choreografiertes Ballett zu den Paganini-Variationen auf – und fällt dann (im Film) tot um. Andere symphonische Werke und Klavierwerke von Rachmaninow wurden von Choreografen wie Walter Gore, Christian Holder, Ben Stevenson, Riccardo Duse und Patrice Montagnon inszeniert.
Als Rachmaninow 1940 mit der Komposition seiner letzten Komposition, den Symphonischen Tänze begann – während er sich auf einem luxuriösen Anwesen am Meer auf Long Island von einer anstrengenden Saison mit 41 Konzertauftritten erholte –, schwebte ihm eine weitere mögliche Zusammenarbeit mit Fokine vor, ein Nachfolgewerk zu „Paganini“. Fokine wohnte sogar in der Nähe. Rachmaninow war so inspiriert, dass er die Klavierpartitur innerhalb weniger Wochen fertigstellte (er arbeitete von neun Uhr morgens bis elf Uhr abends und machte nachmittags nur eine Stunde Pause zum Ausruhen). Am 21. August schrieb er seinem Freund Eugene Ormandy, dem Dirigenten des Philadelphia Orchestra, mit dem ihn während seiner Jahre in Amerika eine enge Partnerschaft verbunden hatte, dass er „ein neues symphonisches Stück fertiggestellt habe, das ich Ihnen und Ihrem Orchester natürlich zuerst geben möchte“.
Rachmaninow spielte Fokine Fragmente vor. Der Choreograf antwortete mit einem Brief. „Vor der Anhörung hatte ich ein wenig Angst vor dem russischen Element, das Sie erwähnt hatten, aber gestern habe ich mich darin verliebt, und es erschien mir passend und schön.“ Fokine gab jedoch zu, dass er den Walzerrhythmus des zweiten Satzes problematisch fand: „Der Walzerrhythmus scheint Sie zu stören, Sie zu behindern … Der Gedanke ans Tanzen ist zweitrangig. Wenn ich wieder Freude daran hätte, Tänze zu Ihrer Musik zu kreieren, würde ich diese rhythmische Unterstützung überhaupt nicht brauchen.“ Ob Fokine da den Sinn des gebrochenen Rhythmus richtig erkannt hat?
Doch die von Rachmaninow so sehr gewünschte Zusammenarbeit mit Fokine bei den Symphonischen Tänzen kam aus ungeklärten Gründen nie zustande. Rachmaninows sehr voller Tourneeplan, sein sich verschlechternder Gesundheitszustand und sein Umzug nach Los Angeles machten es den beiden Männern schwer, sich auf das Projekt zu konzentrieren. Fokines Tod am 22. August 1942 beendete ihre Freundschaft und die Möglichkeit eines Balletts. Als er von Fokines Tod erfuhr, schrieb Rachmaninow: „Welch große Trauer! Schaljapin, Stanislawski, Fokine – das war eine Epoche in der Kunst. Nun sind sie alle fort! Und es gibt niemanden, der ihren Platz einnehmen könnte. Nur dressierte Walrosse sind übrig, wie Schaljapin zu sagen pflegte.“ Rachmaninow, an Krebs erkrankt, hatte damals selbst nur noch weniger als ein Jahr zu leben.
Die Symphonischen Tänze waren Rachmaninows letztes großes Orchesterwerk und eines von nur vier (neben der Rhapsodie über ein Thema von Paganini, der Dritten Symphonie und dem Vierten Klavierkonzert), die er komponiert hat, seit er 1917 im Alter von 44 Jahren Russland für immer verließ. Alle vier wurden vom Philadelphia Orchestra uraufgeführt. Obwohl Fokine behauptet, die Symphonischen Tänze enthielten ein starkes „russisches Element“, klingt das Werk tatsächlich „amerikanischer“ als alles andere, was Rachmaninow komponiert hat. Die Musik ist jedoch nur teilweise von optimistischer Natur und gibt sich nur scheinbar weniger der traurigen Nostalgie hin, die man so oft bei Rachmaninow hört. Sie verfügt über einen starken rhythmischen Antrieb, Energie und eine scharfe harmonische Sprache, die stellenweise an Strawinsky oder Prokofjew erinnert. Der prominente Einsatz des Altsaxophons im glühenden, lyrischen zweiten Thema des ersten Satzes scheint vom Jazz beeinflusst zu sein. Tatsächlich bemerkte er in einem Zeitungsinterview, er habe überlegt, das Stück einfach „Tänze“ zu nennen, „aber ich hatte Angst, die Leute würden denken, ich hätte Tanzmusik für Jazzorchester geschrieben.“ Bezeichnenderweise überarbeitete Rachmaninow (der endlos an den Partituren der Dritten Symphonie und des Vierten Klavierkonzerts herumbastelte) die Symphonischen Tänze nie und hielt sie (laut seiner Schwägerin Sofia Satina) für „seine beste Komposition“.
Sein “letzter Funke”, wie er die „Sinfonischen Tänze“ liebevoll nannte, wurde denn auch ein ganz persönliches Werk, bereits als sein letztes geplant, denn Rachmaniniow war wie bereits erwähnt krank, wurde zu einer Rückschau auf sein eigenes Leben in den Farben romantischer Stimmungsmalerei, wie sie im ursprünglich geplanten Titel „Fantastische Tänze“ zum Ausdruck kommt. Die Untertitel der drei Sätze – Mittag, Abenddämmerung und Nacht (nicht nur gemeint als Tageszeiten, sondern auch als Lebensabschnitte – scheinen dagegen nicht nur von der pessimistischen Lebenseinstellung des Komponisten, sondern auch von dem sich immer mehr verdüsternden Horizont der Epoche inspiriert zu sein. Frankreich wurde gerade erobert und stand vor der Kapitulation bzw. hatte kapituliert. Eine Reihe von musikalischen Zitaten oder zitathaften Anklängen durchzieht das Werk. Durch sie schlägt der erste Tanz die Brücke zurück bis zu Rachmaninows Jugend: zu der Oper „Der goldene Hahn“ von Rimsky-Korsakow und zu seiner eigenen, bei der Uraufführung durchgefallenen 1. Symphonie. Der marschartige Hauptteil scheint – in seiner an Bartók gemahnenden Motorik – die Kraft der Jugend zu verkörpern, deren Verlust der Mittelteil in zarter, träumerischer Melancholie beklagt. Es enthält so etwas wie eine künstlerische Lebensbilanz des Komponisten. Rachmaninow blickt darin mit Zitaten und Stimmungsanalogien nicht nur auf einige seiner Werke und die von Komponisten zurück, die ihn beeinflusst haben. Er zieht darin auch seine ganzen kompositionstechnischen Erfahrungen und Möglichkeiten zusammen. Der Orchesterapparat wird zu diesem Zweck zu monumentaler Größe gesteigert. Insbesondere der Bläserchor und das Schlagwerk sind stark erweitert.
Formal betrachtet, erinnern die Symphonischen Tänze an eine Symphonie in drei Sätzen, drei Bildern, in denen sich tänzerische, lyrische und marschartige Elemente abwechseln. Genauso könnte man auch drei thematisch verbundene symphonische Dichtungen darin sehen. Ein Triptychon, dessen einzelne Sätze erneut in drei Triptychons aufgeteilt sind. Ganz ähnlich wie man es auch von orthodoxen Ikonen kennt. Der Anfangsteil des ersten Satzes wird von einem Motiv beherrscht, das mit seiner archaischen Wucht und seinem stampfenden Rhythmus an „Le Sacre du printemps“ erinnert. Der Satz ist übrigens mit „Non allegro“ bezeichnet, wobei Rachmaninow das „Non“ zur Uraufführung wieder gestrichen sehen wollte, es bleibt also eigentlich ein „Allegro“, was aber von den Interpreten nur selten berücksichtigt wird, denn das „Non Allegro“ verblieb in der Partitur stehen, eine missverständliche Tempobezeichnung übrigens, denn „Non Allegro“ könnte ja sowohl langsamer als auch durchaus noch schneller als ein Allegro gedacht worden sein. Bei einigen Einspielungen wurde das (Non) in Klammern gesetzt. Es beginnt mit einem Knall: ein starker rhythmischer Puls, der sich zunächst leise in den Violinen auf beharrlich wiederholten Achtelnoten auf dem Ton C ankündigt und dann von den anderen Streichern und den Pauken aufgegriffen wird. Über diesem mitreißenden Fundament singen die Holzbläser eine flotte Melodie in absteigenden Quintintervallen, gefolgt von einer stark akzentuierten Akkordfolge, die an die Form der Melodie des „Dies irae“ aus dem katholischen Requiem erinnert, ein Motiv, das Rachmaninow in mehreren großen Orchesterwerken verwendet hat, darunter in der „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“. Bei Ziffer 10 der Partitur ändert sich die Stimmung (poco a poco rallentando), was zur Einführung einer der verführerischsten Melodien des Komponisten überhaupt führt, die er dem Altsaxophon überlässt. Damals war das Saxophon in der „ernsthaften“ Konzertmusik noch eine Neuheit, obwohl es bereits von Bizet, Ravel, Glasunow und gerade erst von Prokofjew in „Romeo und Julia“ verwendet worden war. Die schlanke Kombination der Klangfarben hier (der weiche Saxophonklang gegen die Begleitung von Oboen, Klarinetten und Englischhorn, ohne Streicher) ist für Rachmaninow erstaunlich, der in seinen vorhergehenden symphonischen Kompositionen dazu neigte, sich für eine emotionale Wirkung stark (sogar manchmal zu stark) auf die Streicher zu verlassen. Doch was ist der Zweck dieses seltsamen Saxophonsolos, eines Instruments, das selten in Sinfonieorchestern eingesetzt wird? Das Saxophon wurde zwar in Europa in der Werkstatt von Adolphe Sax entworfen und hergestellt, doch sein Erfolg kam erst, als es über den Atlantik exportiert und in Jazzorchestern eingesetzt wurde. Es war im Prinzip dieselbe Reise, die Rachmaninow erlebt hatte, als er seine Tänze komponierte, nachdem er kurz zuvor in die Vereinigten Staaten ins Exil gegangen war, während in der Alten Welt Krieg tobte. In diesem ersten Satz verleiht das Saxophon dem Migranten eine Stimme und verkörpert so in gewisser Weise Rachmaninow selbst. Nach dieser eindringlichen zentralen Episode kehren die Hauptthemen in einem Reprise-Abschnitt zurück, mit weiteren Verweisen auf das Dies irae-Motiv, einer verbindenden Idee nicht nur für dieses eine Werk.
Der zweite Satz – Andante con moto (Tempo di valse) – schlägt die stärkste Verbindung zur Welt des Tanzes, zur altbekannten Form des Walzers, umgeben von irisierenden Harmonien und von wunderbarer Poesie. Er wird auf groteske Weise von allerhand Einwürfen und zerhackten Akkorden begleitet. Die Stimmung erinnert an Tschaikowsky, Rachmaninows Vorbild und wichtigstem Förderer seiner Anfangsjahre (obwohl sich beide nie persönlich getroffen haben sollen). Er ist durch seinen stockenden, doppelbödigen Tanzschritt ein Gegenstück zu Maurice Ravels „La Valse“. Wie dort wird im Laufe einer großen, von wechselnden Bildern belebten Ballszene das Klischee des Walzers in beklemmender Weise verfremdet und dadurch (un)willkürlich zum Nachhall einer verklingenden Epoche. Es scheint, als ob Rachmaninow mit dem Titel Abenddämmerung den Untergang seiner eigenen Zeit beschwor, den er mit dem Krieg gekommen sah. Die Solovioline, die das Wort ergreift, weist eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Figuren des Teufels oder des Todes auf, denen wir in vielen russischen Märchen – und in anderen symphonischen Werken wie Saint-Saëns' Danse macabre – begegnen. Zudem finden wir in Saint-Saëns Stück erstmals den Gebrauch des Xylophons als Knochengeklapper in der klassischen Musik, von Rachmaninoff hier ebenfalls wieder aufgegriffen. Von den ersten Sekunden ihres Einsatzes an lässt uns die Violine den Tritonus hören, jener einzigartige Intervall, der in der Musik den Spitznamen „Diabolus in musica“ trägt. Dieses Tempo di valse ist tatsächlich „dämmerig“, um den Titel zu verwenden, den der Komponist im Sinn hatte: Es ist der Tanz eines untergehenden Adels (Rachmaninow entstammte dem russischen Kleinadel), einer Welt, die in Dunkelheit kippt, einer (Jugend)-Zeit, die Rachmaninow für endgültig vorbei hält. Es mangelt diesem Walzer deutlich an Selbstvertrauen, er beginnt stotternd in einem fragmentarischen Rhythmus und wechselt dann zwischen 6/8-, 3/8- und 9/8-Takt. Rachmaninow fügt an mehreren strategischen Stellen die Bezeichnung „Tempo rubato “ hinzu, sodass das Walzertempo schwankt und so den Zuhörer leicht aus dem Gleichgewicht bringt, einen Zuhörer, der von vielen anderen gehörten Walzern eine Gewissheit erwartet, die sich jedoch nie ganz einstellt. Im Gegenteil, er wird verunsichert. Es ist nur eine meisterhafte Einbildung von Sicherheit, die sich da einstellt, eine Dekonstruktion der Walzerform, wie bei Ravels „La Valse“ von 1920, den Rachmaninow bestens gekannt haben sollte.
Das letzte Stück ehemals „Nacht“ überschrieben, wird zu einer Nacht des Todes, der letzte Sinfonische Tanz also zu einer Art Totentanz. Der hochkomplexe Finalsatz beginnt mit einer Art diabolischem Geisterreigen, der sich im Stil einer Gigue entwickelt. Neben den anekdotischen zwölf Mitternachtsschlägen, die deutlich (aber doch pp) von den Glocken gespielt werden – auch hier fühlt man sich an Saint-Saëns und seinen „Danse macabre“ erinnert und sicher auch an die „Nacht auf dem kahlen Berge“ von Mussorgsky – deutet sich im hektischen Getümmel das Motiv des Dies Irae an. Das gregorianische Dies irae, landläufig mit dem göttlichen Zorn und dem Jüngsten Gericht in Verbindung gebracht und vom Komponisten bereits u.a. in der 1. Symphonie, der Toteninsel und der Paganini-Rhapsodie verwendet, taucht teils auch im Gewande einer Tarantella, teils als Cantus firmus in fahlem Licht auf. Es wird allmählich bis zur wilden Raserei eines veritablen Totentanzes gesteigert. Anspielungen an Liszts Dantesymphonie verdeutlichen den höllischen Charakter des Geschehens auch eine Anspielung auf Wagners „Götterdämmerung“ fehlt nicht. Die Antwort auf dieses Szenario des Grauens gibt etwa 30 Takte vor Schluss eine andere liturgische Melodie: das altrussische „Gelobt sei der Herr“, ein weiterer deutlicher religiöser Bezug wird durch die Musik hergestellt, die Rachmaninoff selbst für den neunten Abschnitt („Blagosloven yesi gospodi “ – „Gesegnet oder gelobt sei der Herr“) seiner Ganznächtlichen-Vigil op. 37 (oft fälschlich als „Vesper“ bezeichnet) schrieb, die er 1915 während des Ersten Weltkriegs vollendete. Dieses Thema stammt aus einem alten orthodoxen liturgischen Gesang und fungiert als affirmativer Kontrapunkt zum Pessimismus der Botschaft des Dies irae. Diese beiden Ideen verflechten sich in dem Satz in farbenfrohen und dramatischen Variationen, die abwechselnd düster und triumphal sind, gefärbt durch das Läuten der (Röhren)-Glocken und kontrastiert mit einem langsamen Mittelteil mit einer klagenden, fallenden Figur in den Streichern, die erneut an vergangene Zeiten zu erinnern scheint, vielleicht auch an eine düstere Zukunft.
Die nostalgische Stimmung wird in dem Satz zudem und ganz besonders durch Blechbläserfanfaren unterbrochen, die schließlich zum Finale überleiten, wo das Dies irae-Motiv triumphierend erklingt. Direkt vor der Coda, wo die Gesangsmelodie erneut erklingt, schrieb Rachmaninow in die Partitur das Wort „Alliluja“, gefolgt von einem Zitat der Alliluja-Gesänge aus der „Ganznächtlichen Virgil“ op. 37 (wie bereits weiter oben erwähnt), damit es auch den Rachmaninow unkundigeren Dirigenten und jedem anderen klar ist, worum es geht. In dieser Komposition der Vigil markieren die Alliluja- Gesänge das Ende der Erzählung von Christi Auferstehung. So scheint uns Rachmaninow zu einer Zeit, als die Welt in die immer schrecklichere Dunkelheit des Zweiten Weltkriegs stürzte, sagen zu wollen, dass das Leben den Tod besiegen wird, in welcher Form auch immer. Ob er dabei wirklich an eine Auferstehung dachte? Am Ende der Partitur schrieb er „Ich danke Dir, Herr“, vielleicht ein Ausdruck der Dankbarkeit für ein trotz allem bemerkenswerten Leben voller Kreativität, oder dass schließlich alles (auch der Krieg?) doch noch ein gutes Ende nehmen wird? Lange hallt dieser in den dröhnenden Klangwellen des letzten von insgesamt sieben Tam-Tam-Schlägen nach. Dieser Effekt variiert jedoch sehr stark in den verschiedenen Einspielungen und regen zu diverser Interpretation an, denn Rachmaninow lässt das Tam-Tam am Ende drei Mal erklingen, schreibt jedoch nur beim ersten Mal „Laissez vibrer“ hinzu, also „klingen lassen“. Manche Dirigenten lassen die Anweisung jedoch für alle drei Schläge gelten, manche nur für den ersten, lassen den dritten dann abdämpfen, sodass er gar nicht nachklingt. Kompromisslösungen gibt es ebenfalls zu hören (ein nur mehr oder weniger kurzes Nachschwingen). Dann, bei den echten Live-Aufnahmen, kommt der Applaus schneller und spontaner. Wenn es nachklingt, klingt der Applaus in den Ausschwingvorgang hinein, manchmal herrscht atemlose, spannungsvoll-knisternde Stille und man lauscht gebannt, wie der Klang langsam verhallt. Hinein in eine kleine Ewigkeit. Das gelingt nur selten, wenn der Dirigent auch das Auditorium fest im Griff hat und vielleicht die Hand ganz weit nach oben hält, um so tatsächlich die Spannung aufrecht zu halten. Eine Gewähr vor vorzeitig reinprasselndem Applaus ist das jedoch nicht. Bei Live-Aufnahmen platzt der Schluss-Applaus allzu häufig voll hinein ins ausschwingende Tam-Tam. Das macht viel kaputt, denn nun gibt es keinen rechten Verheiß der Ewigkeit, keine rechte Ermahnung an den allgegenwärtigen Tod, dann ist es für das Publikum wichtiger, die eigene Anspannung nach dem letzten Satz endlich zu lösen oder die Begeisterung am Werk oder an den Mitwirkenden endlich kundzutun. Andererseits ist das Tam-Tam gerade bei den russischen Komponisten das Instrument der Todesverkündung und nicht wenige Dirigenten (Stanislaw Kochanowski ist nur einer davon) gehen davon aus, dass mit dem letzten Schlag das Leben eben gerade final besiegelt wird. Und nichts weiter. Schluss und aus! Alle Dirigenten der frühen Schallplattengeschichte sind seiner Meinung, sie waren noch nah dran an Rachmaninow, kannte ihn selbst, haben Tipps von ihm bekommen. Vielleicht oder sogar wahrscheinlich geben sie Rachmaninows Willen oder Wunsch eher wieder als die neuen Interpretationen, die der Hoffnung mehr Raum geben. Schön, dass wie rätseln dürfen. Das regt zum eigenen Nachdenken an.
Über die tiefere Botschaft der Symphonischen Tänze hat es von jeher allerhand Spekulationen gegeben. Ein grüblerischer, wenn nicht gar depressiver Künstler verhandelt darin die großen Lebensfragen und deren tragische Ausweglosigkeit. Insbesondere aber nicht nur die Verwendung des Dies Irae Motivs hat die Interpreten zu Vermutungen darüber angeregt, dass sich Rachmaninow hier mit dem näher rückenden Ende seines Lebens auseinandergesetzt habe, zumal als er von seiner Krebserkrankung wusste, eine Frage, die ihn aber sowieso zeitlebens beschäftigte. Rachmaninow sah sein Verhältnis zu seiner Musik, die natürlich einen immensen persönlichen Aspekt hat, jedoch wesentlich sachlicher. Über das Präludium in cis-moll, über dessen „Gehalt“ ebenfalls vielfältige Spekulationen kursierten, hat Rachmaninow einmal gesagt: „Die Absolute Musik kann in einem Zuhörer gewisse psychologische Stimmungsbilder freisetzen. Aber ihre vorrangige Funktion ist es, ein geistvolles Vergnügen im spielerischen Umgang mit der Form zu bieten.“ Dies dürfte bei aller unfraglich vorliegenden existenziellen Tiefe auch für die Symphonischen Tänze gelten.
Merkwürdig ist jedoch, wie die Musikpublizistik mit diesem Vermächtniswerk Rachmaninows umgeht bzw. vielmehr über Jahrzehnte umgegangen ist. In den gängigen Musikführern, zumal den älteren, wird es ohne nähere Auseinandersetzung meist nur unter „ferner liefen“ oder gar nicht erwähnt. Die kritischen Äußerungen darüber sind nicht selten pauschal abwertend. Wohl selber sauertöpfig angehaucht behauptete man, es sei langweilig, bemängelte eklektizistische Anleihen bei anderen Komponisten der Zeit und dass es um dreißig, vierzig Jahre verspätet sei. All das ist angesichts der Suggestivität und dem mitreißenden Charakter dieses Werkes schwer nachzuvollziehen und wohl nur auf dem Hintergrund eines generellen Vorurteils gegenüber einem vermeintlich verspäteten Musiker zu verstehen, bei dem mit wachsendem zeitlichem Abstand der Gesichtspunkt der Epochengerechtigkeit doch nach und nach immer entschiedener an Bedeutung verlieren muss.
Das Alterswerk ist gekennzeichnet durch skeptische Ironie bis hin zur Darstellung des Grotesken sowie durch hochkomplexe Rhythmik und Harmonik mit einem schier unerschöpflichen Reichtum an Varianten (was von den Aufführenden höchste Konzentration verlangt). Rachmaninow konterkariert damit eindrucksvoll das Bild vom sentimentalen russischen Melancholiker oder Salonmusiker, das man von ihm unter Berufung auf sein gefühliges zweites Klavierkonzert und auf das berühmt-berüchtigte Prélude in cis-Moll immer wieder zu zeichnen versucht hat. Die Symphonischen Tänze, aber nicht nur diese, zeigen, dass man dem Komponisten mit der Etikettierung süßlicher Lyriker oder mit der Bezeichnung „Mister cis-Moll“, die ihm insbesondere in seiner Wahlheimat Amerika anhing, keinesfalls gerecht wird. Er erweist sich vielmehr als ein Künstler, der auf souveräne und kraftvolle Weise über ein außerordentlich weites Ausdrucksspektrum mit vielfältigen, auch gebrochenen Farben verfügt.
Die Sinfonischen Tänze haben gerade in jüngster Zeit grandiose Erfolge erzielt. Nach dem Sieg von Ravels „La Valse“ im Jahr 2022 (da wurde Ravel 150 Jahre alt) ging die Ehre des meistgespielten Konzertwerks im Jahr 2023 (da wäre Rachmaninow 150 geworden) den Statistiken von Bachtrack zufolge an Sergej Rachmaninows „Symphonische Tänze“. Oberflächlich betrachtet gibt es dafür zahlreiche mögliche Erklärungen. Zunächst einmal war 2023 der 150. Geburtstag des Komponisten, was dazu führte, dass sowieso schon ungewöhnlich viele seiner Werke im Konzert aufgeführt wurden; zudem zählte wohl auch die Version für zwei Klaviere mit, die in letzter Zeit ebenfalls nicht so selten aufgeführt und -genommen wurde. Indem Rachmaninow gerade in diesem Werk zahlreiche Referenzen setzt und Traditionen verknüpft, spannt er einen besonders weiten Bogen zwischen dem großen Russland, aus dem er stammte, und den Vereinigten Staaten, die ihn willkommen hießen. Wenn dieser Bogen in der heutigen Welt wie eine Utopie erscheint, sollte man bedenken, dass seine leuchtende Schlussbotschaft 1940 in einem sehr düsteren Kontext übermittelt wurde, am Ende einer musikalischen Reise, die den Zuhörer damals noch in einige sehr qualvolle Zeiten stürzte. Hoffen wir, dass der Erfolg der Sinfonischen Tänze 2023 noch glücklichere Jahre nach sich ziehen werden als damals, 1940. Die Hoffnung hält auch 2025 noch an.
(Text zusammengestellt mithilfe von Texten von Harlow Robinson (aus einem Programmheft des Boston Symphony Orchestra), einem Beitrag im Kammermusikführer (!) der Villa Musica Rheinland-Pfalz bei dem kein Autor genannt wurde, einem Text von Tristan Labouret von Bachtrack, einem Text von Kl. Heitmann aus dem Internet jeweils zu den Sinfonischen Tänzen Rachmaninows und einem Beitrag von Michael Stegemann (ganz oben) aus dem „Konzertführer“, Hrsg. von Attila Csampai und Dietmar Holland, der ein eigenes Kapitel zu den Sinfonischen Tänzen (noch?) vermissen lässt, zumindest in unserer 1. Ausgabe von 1987)
zusammengestellt bis 12.12.2025
96 Aufnahmen konnten wir hören und vergleichen, darunter waren:
3 historische Mono-Aufnahmen
58 Stereo-Einspielungen
2 Aufnahmen als Video, gehört auf YouTube und
35 Live-Konzerte, die vom Radio gesendet wurden (z.T. auch in den betreffenden Mediatheken der Sender, der ARD oder ebenfalls auf YouTube zu finden)
Zunächst die Übersicht, dann - wie immer - die ausführlichen Rezensionen.
Die historischen Mono-Aufnahmen. An ihrer sehr geringen Zahl mag man schon eine gewisse Geringschätzung des Werkes in den frühen Zeiten nach der Entstehung des Werkes bei Musikern und Produzenten erkennen können. Das hat sich in letzter Zeit merklich geändert.
5
Nikolai Golowanow
Sinfonieorchester des All-Union Radios und Fernsehens Moskau
Archipel
1949
10:36 9:00 12:44 32:20
4-5
Dmitri Mitropoulos
New York Philharmonic Symphony Orchestra
ipk Music Historic Series
1950, live
11:56 8:56 12:09 33:01
4
Erich Leinsdorf
Rochester Philharmonic Orchestra
Columbia, Maestoso
1953
10:52 7:59 11:56 30:47
Die Stereo-Einspielungen:
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR-Klassik
2017, live
11:03 10:00 13:48 34:51
5
Kirill Petrenko
Berliner Philharmoniker
BP Recordings
2020, live
11:58 9:48 13:52 35:38
5
Tugan Sokhiev
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
ROC
2012, live
11:20 9:52 14:05 35:17
5
Jewgeni Swetlanow
Staatliches Akademisches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija-Eurodisc
1973
12:33 10:30 13:51 36:54
5
Paavo Järvi
Orchestre de Paris
Virgin, Erato, Warner
2011, live
11:22 10:38 13:44 35:44
5
Mariss Jansons
Sankt Petersburger Philharmoniker
EMI
1992
11:13 9:22 13:33 34:08
5
Dmitri Kitajenko
Gürzenich Orchester Köln
Oehms
P 2013
11:50 10:57 15:31 38:18
4-5
Yuri Temirkanow
Sankt Petersburger Philharmoniker
RCA
1992
11:13 9:59 14:06 35:18
4-5
Yuri Simonow
Moskauer Philharmoniker
RMS Records
2012, live
13:37 10:25 16:02 40:04
4-5
Vladimir Ashkenazy
Philharmonia Orchestra London
Signum
2016, live
11:23 10:02 13:51 35:16
4-5
Vladimir Ashkenazy
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
Decca
1983
11:13 8:51 13:23 33:27
4-5
Mariss Jansons
Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam
RCO Live
2004, live
11:08 9:35 13:06 33:49
4-5
André Previn
London Symphony Orchestra
EMI
1974
11:25 9:51 13:22 34:38
4-5
Jewgeni Swetlanow
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija, Regis, CDK Music
1986, live
11:34 9:55 13:03 34:32
4-5
Edward Gardner
London Philharmonic Orchestra
LPO Live
2023, live
11:35 9:30 12:30 33:35
4-5
Sir John Eliot Gardiner
NDR-Sinfonieorchester (heute: NDR Elbphilharmonie Orchester)
DG
1993
11:25 9:11 13:10 33:46
4-5
Leonard Slatkin
Detroit Symphony Orchestra
Naxos
2012
11:18 9:27 13:04 33:49
4-5
David Zinman
Baltimore Symphony Orchestra
Telarc
1994
10:51 8:42 12:37 32:10
4-5
Vasily Petrenko
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
Avie Records
2008
11:37 9:58 14:03 35:38
4-5
Jewgeni Swetlanow
Staatliches Sinfonieorchester der Russischen Föderation
Canyon, Warner
1994
11:57 11:22 14:46 38:05
4-5
Tugan Sokhiev
Orchestre National du Capitole de Toulouse
Naive
2010
11:16 9:27 14:35 35:18
4-5
Vladimir Spivakov
National Philharmonic Orchestra of Russia (auch Russische Nationalphilharmonie genannt)
Spivakov Sound
2023
11:20 8:50 13:10 33:20
4-5
Enrique Batiz
Royal Philharmonic Orchestra London
Naxos
1991
11:21 9:18 15:31 36:10
4-5
Vladimir Ashkenazy
Sydney Symphony Orchestra
Exton
2008, live
11:09 9:32 13:39 34:20
4-5
Kyrill Kondraschin
Moskauer Philharmoniker
Melodiya, Hänssler-Profil, Audiophil Classics
1963
11:08 9:50 13:10 34:08
4-5
Simon Rattle
Berliner Philharmoniker
EMI
2010
11:47 9:48 14:03 35:38
4-5
Pavel Kogan
Staatliches Sinfonieorchester Moskau
Alto, Musical Concepts
1990
11:40 9:51 13:22 34:53
4-5
Yuri Temirkanow
Sankt Petersburger Philharmoniker
Signum
2008, live
11:17 9:20 13:50 34:27
4-5
Yuri Temirkanow
Sankt Petersburger Philharmoniker
Warner
2004, live
10:46 8:56 13:20 33:02
4-5
Peter Oundijan
Toronto Symphony Orchestra
TSO Live
2012, live
11:35 9:31 13:20 34:26
4-5
Edo de Waart
London Philharmonic Orchestra
Philips, Decca
1972
11:08 9:15 14:17 34:40
4-5
Yannick Nézet-Seguin
Philadelphia Orchestra
DG
2018
11:46 9:53 13:45 35:24
4-5
Neeme Järvi
Philharmonia Orchestra, London
Chandos
1991
11:24 10:52 13:44 36:00
4-5
Lorin Maazel
Berliner Philharmoniker
DG
1984
11:33 9:07 13:09 33:49
4-5
Valerie Kuzmich Polyansky
Russian State Symphony Orchestra
Chandos-Brillant
1998
11:54 10:51 14:09 36:54
4-5
Eiji Oue
Minnesota Orchestra
Reference Recordings
2001
11:52 10:25 14:27 36:44
4-5
Mikhail Pletnev
Russian National Orchestra
DG
1997
13:04 9:50 14:28 37:22
4
Semyon Bychkov
WDR-Sinfonieorchester Köln
Hänssler
2006, live
12:23 10:01 13:16 35:40
4
Andrew Litton
Bergen Philharmonic Orchestra
BIS
2012
11:22 9:23 14:11 34:56
4
Andrew Litton
Royal Philharmonic Orchestra London
Virgin, Erato, Warner
1989
11:22 9:15 13:58 34:35
4
Rico Saccani
Budapest Philharmonic Orchestra
BPO Live
1998, live
11:17 9:22 13:23 34:02
4
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1960
11:11 9:29 13:14 33:54
4
Vladimir Jurowski
London Philharmonic Orchestra
LPO Live
2003, live
12:31 9:35 14:02 36:08
4
Valery Gergiev
London Symphony Orchestra
LSO Live
2009, live
12:46 9:30 13:40 35:56
4
Eduardo Mata
Dallas Symphony Orchestra
Pro Arte
1988
12:13 9:15 13:20 34:48
4
John Wilson
Sinfonia of London
Chandos
2024
10:47 8:49 13:14 32:50
4
Sir Eugene Goossens
London Symphony Orchestra
Everest, Maestoso, Archipel
1960
11:28 8:03 11:46 31:17
4
Lan Shui
Singapore Symphony Orchestra
BIS
ca. 2010 oder 2011
11:49 10:32 14:07 36:28
4
Charles Mackerras
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
EMI
1989
11:57 9:10 13:39 34:46
4
Sergiu Comissiona
Vancouver Symphony Orchestra
CBC
1994
12:10 13:34 14:46 37:30
4
Robert Spano
Atlanta Symphony Orchestra
ASO Media
P 2011
12:16 9:36 14:40 36:32
3-4
Leonard Slatkin
Saint Louis Symphony Orchestra
Vox
1979
11:33 9:09 13:03 33:45
3-4
Andrew Davis
Royal Stockholm Philharmonic Orchestra
Finlandia
1996
12:12 9:00 13:21 34:33
3-4
Charles Dutoit
Philadelphia Orchestra
Decca, Newton
1990
11:02 9:12 13:15 33:29
3-4
Arnold Katz
Akademisches Sinfonieorchester Nowosibirsk
Melodija, Sony
1984
11:19 9:22 13:03 33:44
3-4
Donald Johanos
Dallas Symphony Orchestra
Vox, Athena
1967
11:14 8:56 13:13 33:23
3
Alexey Morgunov
Rachmaninow Symphony Orchestra
Artes Mirabilis
2023
12:15 10:28 14:31 37:14
3
Predrag Costa
London Symphony Orchestra
Edition Lilac
P 2016
11:40 10:19 14:48 36:47
3
Peter Lücker
Bohuslav-Martinu-Philharmonie, Zlin
Bayer Records
1991
12:45 9:40 12:32 34:57
Die beiden Hochglanz-Video-Aufzeichnungen bei YouTube:
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR-Klassik, YouTube
2017, live
10:59 10:05 13:15 34:19
4-5
Paavo Järvi
Tonhalle-Orchester Zürich
YouTube
2023
11:14 10:10 13:51 35:15
Die Radiomitschnitte, zum Teil abrufbar in den jeweiligen Mediatheken der jeweiligen Sender, der ARD oder auf YouTube:
5
Kirill Petrenko
Berliner Philharmoniker
RBB, später auch vom ORF gesendet
2020, live
11:53 9:36 13:42 35:11
5
Petr Popelka
SWR-Sinfonieorchester
SWR
2023, live
10:46 10:00 13:00 33:46
5
Joana Mallwitz
Konzerthausorchester Berlin
RBB, gesendet auch vom BR und anderen
2024, live
11:40 9:33 14:30 35:43
5
Elim Chan
ORF Radio-Sinfonieorchester Wien
ORF, gesendet vom BR
2023, live
11:00 9:47 13:25 34:12
5
Elim Chan
WDR-Sinfonieorchester Köln
WDR, gesendet vom BR
2024, live
11:04 9:33 13:00 33:37
5
Yannick Nézet-Seguin
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg (heute: wegfusioniert)
SWR
2006, live
11:19 9:18 13:05 33:42
5
Jakub Hrusa
Wiener Philharmoniker
BR
2023, live
11:53 10:07 13:53 35:53
5
Karina Canellakis
Netherlands Radio Philharmonic Orchestra
Deutschlandfunk
2025, live
11:38 10:00 14:08 35:46
5
Domingo Hindoyan
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
BBC, gesendet vom WDR
2023, live
11:12 9:10 13:09 33:31
4-5
Stephane Denève
RSO Stuttgart des SWR (heute: SWR-Sinfonieorchester)
SWR
2012, live
11:28 9:59 13:10 34:37
4-5
Simon Rattle
Berliner Philharmoniker
RBB
2014, live
11:25 9:37 13:45 34:47
4-5
Mariss Jansons
Wiener Philharmoniker
ORF
2011, live
11:42 10:40 14:15 36:37
4-5
Jakub Hrusa
Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR (heute: SWR-Sinfonieorchester)
SWR
2015, live
11:26 9:30 12:58 33:54
4-5
Nicolas Collon
WDR-Sinfonieorchester Köln
WDR
2025, live
11:43 10:12 13:35 35:30
4-5
David Robertson
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
RBB
2025, live
12:02 10:00 14:17 36:22
4-5
Lahav Shani
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
2023, live
11:22 10:55 14:35 36:52
4-5
Lahav Shani
Münchner Philharmoniker
BR
2025, live
11:33 10:17 14:21 36:11
4-5
Karina Canellakis
BBC Symphony Orchestra, London
BBC, vom BR gesendet
2018, live
11:26 9:35 13:02 34:13
4-5
Yannick Nézet-Seguin
Philadelphia Orchestra
SWR
2023, live
11:40 9:48 13:50 35:20
4-5
Susanna Mälkki
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (heute: SWR-Sinfonieorchester)
SWR
2006, live
10:40 9:33 12:00 32:13
4-5
Juraj Valcuha
NDR Elbphilharmonie Orchester, Hamburg
NDR
2025, live
11:56 10:14 14:08 36:18
4-5
Vladimir Jurowski
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
RBB
2022
12:36 10:26 13:38 36:40
4-5
Stanislav Kochanovsky (auch Kotschanowski)
NDR Radiophilharmonie Hannover
NDR
2024, live
12:11 9:56 14:18 36:25
4
Christian Macelaru
Orchestre National de France
BRF, gesendet vom SWR
2022, live
11:28 10:15 12:47 34:30
4
Lahav Shani
Israel Philharmonic Orchestra
Deutschlandfunk
2023, live
10:40 10:20 14:18 35:18
4
Petr Popelka
HR-Sinfonieorchester
HR
2024, live
11:09 10:06 13:47 35:02
4
Andrés Orozco-Estrada
HR-Sinfonieorchester
HR
2014, live
11:52 10:06 14:18 36:16
4
Alan Gilbert
NDR-Elbphilharmonieorchester
NDR
2021, live
11:50 9:40 14:40 36:10
4
Pietari Inkinen
Deutsche Radio-Philharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern
SR
2019, live
11:53 11:13 15:07 38:13
4
Daniel Raiskin
Staatsorchester Rheinische Philharmonie, Koblenz
SWR
2013. live
11:43 10:15 13:35 35:33
4
Stéphane Denève
Münchner Philharmoniker
BR
AD: ?
12:32 10:56 14:26 37:54
3-4
Stanislav Kochanovsky
Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, Torino
RAI, Deutschlandfunk
2023, live
12:08 9:36 13:49 35:23
3
Evan-Alexis Christ
Staatsorchester Rheinische Philharmonie, Koblenz
SWR
2022, live
13:09 11:02 15:30 39:41
Die ausführlichen Rezensionen:
Die historischen Mono-Aufnahmen. An ihrer sehr geringen Zahl mag man schon eine gewisse Geringschätzung des Werkes bei Musikern und Produzenten erkennen können. Das hat sich in letzter Zeit merklich geändert.
5
Nikolai Golowanow
Sinfonieorchester des All-Union Radios und Fernsehens Moskau
Archipel
1949
10:36 9:00 12:44 32:20
Nikolai Golowanow gilt als ein Freund Rachmaninows aus seligeren Zeiten, als der Komponist noch in Russland weilte. Jeder, der den Personalstil von Herrn Golowanow schon einmal kennenlernen durfte, der kann sich schon denken, was ihn hier erwartet. Der Stil des Dirigenten erscheint oft als grob, wild, hektisch und impulsiv, spontan und oft elektrisierend. Und gelegentlich wird schlecht gespielt, was jedoch kaum wundern darf, denn nirgends wird das Rubato so exzessiv genutzt wie bei ihm. Viel mehr als beim Uraufführungsdirigenten Eugene Ormandy, den Rachmaninow zwar sehr schätzte und mit dem ihm bereits seit vielen Jahren eine Freundschaft verband, dessen Darbietung seines letzten Werkes ihm aber nicht gefiel. Eigentlich böte sich Herr Golowanow als idealer Interpret für die symphonischen Werke Rachmaninows geradezu an. Diese aus mindestens zwei weit auseinanderliegenden Sitzungen (der mittlere Satz scheint bereits 1944 aufgenommen worden zu sein) bestehende Einspielung erscheint teilweise ungebärdig wie ein wildes Raubtier, unkultiviert und sie klingt mit großem Abstand am schlechtesten von allen gehörten Einspielungen. Dennoch geht von ihr ein ganz besonderer Reiz aus und wenn man Rachmaninows Darbietung auf dem Klavier in Ormandy Haus anhört, mit der er den Dirigenten auf die Uraufführung einstimmen wollte, dann gibt es mit der Aufnahme Golowanows die deutlichsten Übereinstimmungen.
Es geht los mit den flexibelsten Tempi, fast für jeden musikalischen Gedanken ein eigenes, und mit wilden Beschleunigungen und krachenden Entladungen im ff. Der Gestus erscheint mitunter ungestüm vorantreibend. Wie von allen guten Geistern verlassen oder besser: Wie von bösen Geistern besessen. Mit dem Orchester muss man Mitleid haben, wie soll man da zusammenbleiben? Kleine Teilchen scheinen mitunter wie „verschluckt“, man hört sie einfach nicht, dann gehen sie auch mal in einem ungestümen Beckenschlag verloren, der einfach alles sonst überdeckt oder auflöst. Das dann schon fast handzahme Lento zeigt die Holzbläser teilweise in korrekter Relation, was in diesem Zusammenhang schon als Sensation gelten darf. Denn selbst das Saxophon ganz allein sorgt an anderer Stelle schon dafür, dass die Technik das musikalische Signal übersteuert. Dann hört man vom übrigen Holz gar nichts mehr. Die folgende Kantilene mit den Violinen I und den Celli erklingt dann extrem rubatoreich, fast gibt es für jeden Takt ein eigenes Tempo. Rachmaninow wäre vermutlich begeistert gewesen. Wie bereits erwähnt, denn so entspricht das Spiel noch am ehesten seinen eigenen Ausführungen im Ormandys Studierzimmer. Es folgen berserkerhafte Steigerungsverläufe, ungestüm und extrem emotional, zumindest einmal für uns. Da wäre man gerne dabei gewesen. So beherzt oder vielmehr überstürzt hört man das sonst nirgends. Die „Klangzauber-Passage“ um Ziffer 27 darf dann wieder etwas Ruhe verströmen. Der Klangzauber hält sich naturgemäß wegen der rudimentären Klangtechnik in Grenzen. Ein zutiefst beeindruckendes Hörabenteuer.
Der zweite Tanz klingt besser als die beiden äußeren, leider wurden nicht alle drei Sätze gemeinsam mit dem zweiten aufgenommen. So kann man eine erstaunlich klare und schön klingende Solo-Violine bewundern und ein Orchester hören, das – wenn die Musik leise und von technischen Begrenzungen frei bleibt – seine beträchtlichen Qualitäten zeigen darf. Das Holz klingt so gar nicht schlecht. Sogar im Tutti klingt der zweite Satz deutlich besser. Auch der Walzer ist nicht frei von abenteuerlichen Beschleunigungen, die ein Tanzen vollkommen unmöglich machen würden. Dazwischen gibt es auch metrische Passagen (im Takt!), die aber kaum weniger leidenschaftlich erklingen, aber immerhin tanzbar wären. Das Orchester wallt immer wieder maximal auf, muss zugleich zauberhaft oder geisterhaft klingen und jeder einzelne Musiker muss ein Weltmeister im Rubato-Spiel sein und zugleich permanent hellwach auf den Dirigenten und die Mitspieler achten. Da wurde richtig was abverlangt. Und dann soll es auch noch ganz besonders spontan klingen, als ob das Orchester gemeinsam und im möglichst perfekten Zusammenspiel improvisiert hätte. Größter Respekt für diese Leistung!
Wie erwähnt klingt es leider im dritten Tanz wieder so schlecht wie im ersten. Aufhorchen lassen gleich die Glocken zu Beginn der Geisternacht. Die klingen nicht wie Glocken, sondern wie die Ambosse in Nibelheim in der unterirdischen Werkstatt der Nibelungen. Vielleicht waren die Röhrenglocken des Orchesters bereits eingeschmolzen worden zu Gewehrkugeln oder ähnlichem? Obwohl man die Musik manchmal erahnen muss (so schlecht klingt es aus Moskau) wirkt auch der letzte Satz mitreißend wie keine zweite Aufnahme. Da herrschen extreme Tempogegensätze, das Musizieren wirkt aber immer mindestens plausibel und der Mittelteil büßt keinerlei Spannung ein, wie bei so vielen anderen Aufnahmen, trotz seines überraschend langsamen Tempos. Das Allegro vivace erhält dann wieder den einzigartigen Vorwärtsdrang und eine aberwitzige Zuspitzung. Herr Golowanow ist da wieder ganz in seinem Element und spornt seine Musiker zu sagenhaften Höchstleistungen an. Vergleichsweise rasant dann auch die Zitate aus der Vigil, die so allerdings ihren hoffungsvollen Charakter und den optimistischen Zuspruch nahezu ganz verlieren. So wundert es nicht, dass der letzte erbarmungslose Tam-Tam-Schlag nicht nachklingen darf. Da ist Schluss und danach gibt es nichts mehr. Er öffnet so keinen Blick in eine andere Welt, die vielleicht noch weiterstrahlt. Ob das der authentische Rachmaninow-Klang für die Sinfonischen Tänze gewesen wäre? Vieles spricht dafür, vor allem wenn man an Rachmaninows Auszüge denkt, die er auf dem Klavier in Ormandys Studierzimmer vorgespielt hat. Ormandy konnte mit dieser Art des Spielens überraschend wenig anfangen, wie man auch seiner eigenen Aufnahme von 1960 entnehmen kann. Bei Golowanow wären Rachmaninows Vorstellungen auf offene Ohren getroffen. Elektrisierend und fesselnd.
Die Aufnahme klingt erheblich grobkörniger als die zweitälteste in unsere Liste, die mit Mitropoulos 1950. Immer wieder wird der musikalische Vortrag durch technische Unzulänglichkeiten gestört und die einfache Technik ist vom dynamischen Orchesterklang, der ja alles aufbietet was ein großes Orchester hergibt sehr schnell total überfordert. Mitunter gibt es sogar Gleichlaufschwankungen. Die Aufnahme klingt leider wirklich mies. Was wäre das ein Fest geworden, wenn man diese Musiker 2025 hätte aufnehmen können! Tempus passati.
4-5
Dmitri Mitropoulos
New York Philharmonic Symphony Orchestra
ipk Music Historic Series
1950, live
11:56 8:56 12:09 33:01
Vom damaligen Music Director der New Yorker Philharmoniker (1949-1958) gibt es noch einen älteren Live-Mitschnitt, genauer vom 20.12.1942. Dies sollte dann die erste Aufnahme (derzeit auf Marston) der Sinfonischen Tänze sein, eine noch ältere mit den Chicagoern unter Frederick Stock, wurde mal erwähnt, wir konnten sie aber nie dingfest machen. Der Mitropoulos auf Marston konnten wir leider nicht habhaft werden.
Rachmaninow selbst zog die Darbietung des Griechen derjenigen seines Freundes Eugene Ormandy vor, der seinerseits später verlauten ließ, dass ihm die Sinfonischen Tänze auch nicht besonders gefallen würden. Leider kam es nie zu einer kommerziellen Aufnahme mit Mitropoulos, ein weiteres Indiz, dass man einer Aufnahme des Werkes damals keine Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg einräumte. Immerhin gibt es die beiden Live-Mitschnitte. Auch Mitropoulos gab Rachmaninow vor dem Konzert noch Ratschläge zu Tempo und Interpretation. Im Anschluss an die Aufführung erteilte er der Aufführung sein ausdrückliches Einverständnis. Dies gilt allerdings für die Aufführung von 1942. 1950 weilte Rachmaninow bereits nicht mehr unter den Lebenden.
Trotz einer noch unzulänglichen Live-Aufnahmequalität wirkt das Spiel des Orchesters schon ziemlich farbig. Die Darbietung entschlossen, spannend, intensiv, ja fesselnd, druckvoll und mit einer gewissen Schärfe des Ausdrucks. Es wird mit viel Sinn für Dramatik gesteigert und in langen Bögen gedacht. Im Lento erklingt das Alt-Saxophon recht deutlich. Es wird jedoch sehr laut vom übrigen Holz umspielt. Die Streicher geben ihr Molto espressione (mit dem Klavier zusammen) ungemein ausdrucksvoll, lebendig phrasiert (d.h. schmerzlich durchpulst) und leidenschaftlich. Der klangsinnliche Aspekt wirkt noch stark reduziert, da wird man noch nicht von einem vollen, schönen Klang „umarmt“, wie in vielen späteren Aufnahmen.
Technisch ist der Beginn des zweiten Satzes nicht ganz störungsfrei, im weiteren Verlauf spielt das Orchester bereits sehr geläufig, als ob ein altbekanntes Stück vorläge. Es klingt voll und ganz nach Rachmaninow, rubatoreich, recht zügig, meist pulsierend. Sehr anschaulich und geschmeidig der immer wieder leidenschaftliche Wideraufbau des schon recht verführerisch wirkenden Walzers (trotz reduzierter Klangsinnlichkeit). Mitropoulos hat die Vor- oder Ratschläge (oder waren es Anweisungen?) jedenfalls besser beherzigt als Ormandy, denn der Vortrag wirkt wunderbar frei, wenn auch nicht so frei und lange nicht so aufgewühlt wie bei Golowanow. Zugleich wahrt die Darbietung aber den Überblick über das Ganze, und es gibt keinen Zerfall in einzelne „Bruchstücke“. Nie langweilig empfindet man den zweiten Satz gegenüber dem ersten als Steigerung. Das ist über die 96 gehörten Darbietungen hinweg meist genau umgekehrt.
Der dritte Satz klingt etwas kompakt und ziemlich draufgängerisch. Es gibt kein Nachklingen des letzten Tam-Tam-Schlages und Mitropoulos sollte mit Rachmaninow über dieses Thema gesprochen haben. Dennoch lassen die meisten Dirigent/innen den letzten Tam-Tam-Schlag gerade in modernen Einspielungen möglichst lange nachschwingen. In den Noten steht das nicht unbedingt, aber gerade diese Stelle ist bis heute nicht unumstritten und wie in der Werkbesprechung erwähnt, wird bis heute kontrovers darüber diskutiert.
Der Klang ist immer noch eher als eine rudimentäre Schwarz-Weiß-Zeichnung zu bezeichnen. Da gibt es noch keinen Farbenrausch, wenngleich schon mehr Farbe durchschimmert als bei Golowanow. Die Aufnahme ist jedoch bereits erstaunlich durchhörbar. Es gibt allerdings nur eine kleine, punktuelle Abbildung. Es verzerrt oft schon an Stellen, die noch nicht einmal besonders laut sind. Anhand der Publikumsgeräusche liegt unzweifelhaft eine Live-Aufnahme vor. Es klingt sehr wenig klangsinnlich und echte Dynamik kommt kaum mal auf.
4
Erich Leinsdorf
Rochester Philharmonic Orchestra
Columbia, Maestoso
1953
10:52 7:59 11:56 30:47
Dies sollte die erste kommerziell im Westen aufgenommene Einspielung der Sinfonischen Tänze sein. Erich Leinsdorf war nachdem er 1943-46 Chef des Cleveland Orchestra war (während dieser Zeit war er allerdings größtenteils im Kriegsdienst) Music Director des Rochester Philharmonic Orchestra.
Auffallend ist die ganz deutlich herausgestellte absteigende Linie der Violen, die das ganze Intro nachhaltig „nach unten“ (auch emotional) zieht. Das ist uns sonst nur bei Andrew Davis so deutlich aufgefallen. In allen anderen Fällen stehen Englischhorn und Klarinette im Vordergrund. Das Klavier wird hier als Besonderheit hellhörig ins Instrumentarium mit einbezogen. Das Alt-Saxophon ist hingegen im Lento nur ein Instrument unter mehreren. Es klingt bereits ganz schön, aber im Vortrag wirkt es, wie das übrige Holz, ziemlich starr und zu gleichmäßig. Wenig Rubato auch bei den Streichern. In die Dynamik wir mehr investiert, so hört man gute Steigerungen, recht knackig aber auch ein wenig massiv.
Auch der Walzer wirkt weniger rubatobeflissen wie zumeist. Es wird aber auch nicht stur geradeaus gespielt, also nicht ganz leidenschaftslos, aber die große Liebe scheint dieses Stück nicht für Erich Leinsdorf gewesen zu sein. So klingt der Satz nie sanft oder verführerisch. Vielleicht liegt das aber auch an dem noch wenig sonoren, fast völlig bassfreien, wenig brillanten und wenig weichen Klang? Allerdings war der bei Mitropoulos und noch mehr bei Golowanow noch ärmlicher und trotzdem wirkte der Tanz phasenweise sehr verführerisch und stets leidenschaftlich. Bei den Steigerungen lassen sich Leinsdorf und das Orchester hingegen nicht lumpen. Olympiareife Rekordzeit!
Zügig und ohne viel Federlesens geht es auf zum Finale, da wirkt es teilweise überstürzt, weil Leinsdorf infolge seines raschen Tempos über die Leistungsgrenze des Orchesters geht. Auch bei Leinsdorf bleibt der letzte Tam-Tam-Schlag staubtrocken, da schwingt nichts nach. Erich Leinsdorf hält bis heute den Temporekord.
Diese Aufnahme klingt schon deutlich besser als die Live-Aufnahme mit Mitropoulos und als die aus dem Sowjet-Studio mit Golowanow allemal. Erfreulich klar und recht offen. Sogar ein klein wenig räumlich bei einer allerdings staubtrockenen Studio-Atmosphäre.
Die Stereo-Einspielungen:
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR-Klassik
2017, live
11:03 10:00 13:48 34:51
Von Mariss Jansons liegen außer der vorliegenden Einspielung noch (mindestens) vier weitere vor. Die erste 1992 für sein damaliges Label EMI mit den Sankt Petersburger Philharmonikern, dann 2004 für das orchestereigene Label RCO Live mit dem Concertgebouw-Orchester Amsterdam und erneut 2017, dieses Mal zur Erstellung eines Video-Konzertmitschnitts, wiederum mit dem BRSO auf einer Tournee beim ersten Gastspiel des Orchesters in der 2015 eröffneten Philharmonie de Paris. Hinzu gesellt sich noch ein Radio-Mitschnitte von 2011 gesendet vom ORF mit den Wiener Philharmonikern. Auf alle Aufnahmen wollen wir einen Blick werfen. 2017 war Mariss Jansons 74 und er schöpfte aus einem besonders reichen Erfahrungsschatz was die Sinfonischen Tänze anlangt.
Uns gefällt die CD gewordene Einspielung aus dem Münchner Herkulessaal der Münchner Residenz ausnehmend gut. Wir haben ihn damals, als er gesendet wurde mitgeschnitten und man merkt dann, dass zur Erstellung der CD Teile aus den aufeinanderfolgenden Konzerten eingefügt wurden, denn die CD ist nicht vollkommen mit der Live-Übertragung identisch, wenngleich man schon sehr spitzfindig sein muss, um die geringen Unterschiede im Detail herauszuarbeiten, was wir natürlich nicht sind. Das Zusammenschneiden ist gängige Praxis, wenn man mehrere Konzerte nutzen kann, ist dagegen nichts einzuwenden, zumindest wenn es der Qualität des Ganzen zuträglich ist. Als man noch Aufnahmen unter Studiobedingungen finanzieren konnte, wurden ebenfalls die gelungensten Takes zu einem Ganzen zusammengefügt. Mariss Jansons war übrigens von 2003 bis zu seinem Tod 2019 Chefdirigent des Münchner Orchesters.
Man kann an der Anzahl von Aufnahmen schon erkennen, dass die Sinfonischen Tänze ein Paradestück von Herrn Jansons gewesen sein muss. Es stellt als solches zudem bereits den Höhepunkt seiner Gesamtaufnahme der sinfonischen und konzertanten Klavierwerke dar, die er in den 90er Jahren in Sankt Petersburg für EMI ausgenommen hat und er hat es darüber hinaus gerne auf Tournee mitgenommen.
Schon der Beginn erscheint von kraftvollem, entdeckungsfreudigem und temperamentvollem Gestus getragen. Agil aber vielleicht doch nicht mehr ganz jugendlich. Der Satz hätte in einer ersten Konzeption des Werkes ja „Mittag“ heißen sollen und nicht „Morgen“, sodass man übersetzt in die einzelnen Lebensabschnitte des Menschen die Kindheit und Jugend bereits hinter sich gelassen hätte. Demgemäß passt der Gestus des Beginns besonders gut ins Gesamtkonzept. Es fehlt nicht an Impulsivität, es darf aber auch schon schwelgen. Im recht zügig genommenen Lento erscheint das Alt-Saxophon kammermusikalisch dezent nicht als Solist, sondern fast als Primus inter pares mit den anderen Holzbläsern, die es melodiös umranken. Einzig die Bassklarinette fällt als ungemein sonor ein wenig heraus. Äußerst expressiv die Streicher mit dem „Sehnsuchtsthema“ im Anschluss an das Holzbläser-Kabinettstückchen. Umwerfend dynamisch das glanzvolle Blech. Hier wird ungemein lustvoll und mit Freude am Detail musiziert. Besonders brillant die von uns „Klangzauber“ genannte Passage bei der um Zi. 27 die kantablen Streicher von Klavier, Harfe und Glockenspiel angereichert werden.
Das Musizieren auf höchstem Niveau setzt sich im zweiten Satz fort. Geschmeidig, leicht, ungemein fein doch kraftvoll und mit einem recht deutlichen, aber geschmeidigen Rubato begibt man sich in den Walzer. Die deutlichen Tempowechsel wirken wie ein Pulsieren, stets ungemein expressiv. Solistisch spielt das Orchester voll auf der Höhe der Zeit, ob es nun von der Violine, vom Englischhorn oder der Oboe kommt. Fast gibt die Oboe schon zu viel Ausdruck in ihr Spiel. Durch den oft ein wenig langatmigen Mittelteil kommt man ohne Spannungsverlust, man musiziert aus vollem Herzen.
Auch im dritten Satz wirkt die Musik (nicht die Spielweise) wie verinnerlicht. Klangüppig, enorm dynamisch, orchestral perfektioniert. Die Klangsinnlichkeit geht erheblich über das vom Philadelphia Orchestra (in allen Einspielungen, nicht nur in der DG-Einspielung 2015) gebotene Niveau hinaus, der Vergleich könnte besonders interessant sein, nimmt man doch landläufig an, da das Philadelphia Orchestra eine ganz besonders lange Rachmaninow-Tradition auszuweisen hat, dass es daher hier führend sein müsste. Es fehlt in München nicht an Zwischentönen, ob kämpferisch, ob grüblerisch, auch die Übergänge werden geschmeidig und souverän gestaltet. Die Generalpause 5 T. vor Zi. 73 wird nicht, wie es das Fermate nahelegen würde, zusätzlich verlängert, sodass die anschließende Tremolo-Passage nicht so isoliert wirkt wie z.B. bei Svetlanow bei dem sie dadurch noch mehr aus dem Nichts kommt und wirkt wie eine Vorahnung des Todes. Rabenschwarz wirkt sie auch bei Jansons. Jedenfalls, selbst wenn sich der Tod nun nicht schon „fast“ selbst vorstellt wirkt es so, als spräche der Komponist hier aus seiner innersten Seele zu uns und da sieht es sehr, sehr düster aus. Die Schlusssteigerung gelingt fulminant: starke Hörner, hervorragende Trompeten, wunderbar schmelzende Streicher, das hört sich nach einer „Sternstunde“ an, denn selbst dieses Orchester bietet nicht immer diese Innerlichkeit, diesen tiefgreifenden Ausdruck und diesen Glanz. Ein großer Unterschied zur Live-Übertragung am Radio: Das Nachklingen des letzten fulminant angeschlagenen Tam-Tam-Schlages darf wie in der Unendlichkeit verschwinden. Das gehört mit zur Interpretation. Im Original-Radio-Mitschnitt grätscht das Publikum mit seinem Applaus dazwischen und macht dadurch viel kaputt. Damit steht es allerdings ganz und gar nicht alleine da.
Die Aufnahme des BR bietet ein sehr breites Dynamikspektrum, wirkt ungemein plastisch und körperhaft, voll, offen, sehr transparent, sehr präsent, brillant und farbig. Die Räumlichkeit wirkt eher kompakt als großräumig. Da ist die Live-Übertragung im 5.1. Surround-Klang fast im Vorteil (aber nur da). Der Orchesterklang wirkt dennoch gut gestaffelt, sehr gut durchhörbar und besonders ausgewogen. Die Bassstimmen bleiben prominent hörbar, die Gran Cassa profund und durchschlagskräftig. Das Klavier bleibt bei jedem Einsatz zumindest als Klangfarbe hörbar. Das gelingt den wenigsten Aufnahmen ähnlich gut. Die Transparenz bleibt auch im ff des Tutti vollauf gewährleistet. Eine so gute lebendig-pralle Aufnahmequalität gelingt auch dem BR nicht alle Tage.
5
Kirill Petrenko
Berliner Philharmoniker
BP Recordings
2020, live
11:58 9:48 13:52 35:38
Zu diesem Konzertmitschnitt, das den Weg auf eine SACD des orchestereigenen Labels geschafft hat, liegt uns auch noch ein live vom RBB gesendeter Radio-Mitschnitt vor. Es handelt sich dabei um eines der letzten Konzerte mit Publikum vor der Corona-Krise. Er scheint den Redakteuren des RBB ebenfalls gut zu gefallen, denn seitdem wurde die Aufnahme der Sinfonischen Tänze mit Petrenko in verschiedenen Konstellationen mehrmals wiederholt. Auch der ORF sendete das Konzert einmal auf dem Sendeplatz der sonntäglichen 11 Uhr-Matinee.
Petrenko geht den ersten Tanz nicht mit dem Ungestüm seines 1973 in etwa gleichaltrigen 45jährigen Landsmanns Jewgeni Swetlanow an. Das maßvolle Tempo lässt Raum zur Gestaltung und Reserven zur Steigerung. Gegenüber der Einspielung von Sir Simon Rattle 2010 wirkt das Spiel der Philharmoniker noch besser konturiert. Klanglich sind zum Beispiel die Soli nicht zu toppen. Das Saxophonsolo erklingt berührend schön, mit den fein gesponnenen Umspielungen der Kollegen könnte es kaum sinnlicher oder bezaubernder klingen. Das con espressione der Violinen I und Celli lässt dem Klavierklang noch genügend Luft um als konturierte Klangfarbe durchzukommen. Das herzergreifende Thema wird sehr eindringlich gespielt, durch den „sprechenden Gestus“ wirkt es wunderbar klar und widersteht so jeder „Erhebung“ ins Schmalzige. Überzeugender Steigerungsverlauf. Spannung von A bis Z.
Die Soli kommen einfach viel besser zur Geltung als in der Aufnahme mit Sir Simon, ein Beispiel kann das Violinsolo ab Zi. 31 sein. Makellos und mit flexiblem, ausdrucksvoll-farbigem Ton gefolgt vom herzzerrreißend schön spielenden Englischhorn und der Oboe. Wehmütiger kann einem kaum ums Herz werden. Der Walzer wirkt als Ganzes besonders eindringlich. Seltsam, dass der Satz sekundengenau die gleiche Spielzeit hat wie bei Rattle 2010, da wird Herr Petrenko doch nicht „abgekupfert“ haben?
Der nicht ernst gemeinte Verdacht kommt beim dritten Satz gar nicht erst auf. Er wirkt mit Petrenko schwungvoller, tänzerischer und vorantreibender. Das Xylophon kommt gebührend deutlich heraus. Petrenko lässt die Philharmoniker sehr starke Kontraste setzen, nicht nur dynamisch, sondern auch bei den Tempi. So befördert er den rhapsodischen Charakter, ähnlich wie wir das bei Golowanow gehört haben, allerdings klingt es hier unendlich viel besser und wirkt nicht so schroff wie 1949. Anders als Mariss Jansons 2017 setzt Herr Petrenko eine irritierend lange Generalpause 5 T. vor Zi. 73. Da hätte die Vorahnung des Todes lange genug Zeit um gehörig Anlauf zu nehmen, um sich so vom Unterbewusstsein bis ins Bewusstsein einzugraben, entsprechend schaurig klingt das Tremolo und dann kommt auch noch der Motivfetzen aus dem Trauermarsch der „Götterdämmerung“. Sinnfälliger lässt es sich kompositorisch kaum machen, dass Rachmaninow sein Ende aufziehen sieht. Allgemeinmenschlich ist es ebenfalls. Es folgt das lange Lamentoso, von dem auch die Trompeten betroffen sind (ab 4 T. vor Zi. 77) und später die Violinen und Violen. Das ist eindringlich und im Detail geschärft dargestellt. Daran mangelt es der eigentlich gelungenen Einspielung mit Sir Simon. Auch in Sachen Spannung liegt Kirill Petrenko vorne. Die Höhepunkte klingen ebenfalls eindringlicher und klingen reicher. Gerade auch das Tutti wirkt ungemein präsent und ganz hervorragend transparent. Petrenko verbindet das Temperament, die Dramatik und den unbedingten Ausdruckswillen der ersten Einspielung mit Swetlanow von 1973 mit dem höchstmöglichen Klangsinn und bestem Orchesterspiel. Es gesellt sich dann auch noch eine hervorragende Klangqualität zu einem alle Sinne ansprechenden Gesamtpaket.
Die Einspielung profitiert von einer gegenüber der 2010er EMI mit Sir Simon Rattle erheblich verbesserten Klangqualität. Diese erscheint, eigentlich alles andere als misslungen, gegenüber der neueren fast wie eine „graue Maus“. Die Edition von BP Recordings scheint sogar gegenüber den ersten Veröffentlichungen (Beethoven Schumann, Sibelius aber auch noch Tschaikowskys „Pathetique“) nochmals offener, klarer, sonorer und dynamischer geworden zu sein. Es klingt voller, detailreicher, brillanter, farbiger, plastischer und dreidimensionaler gegenüber fast allen anderen Einspielungen, die Rundfunkübertragung natürlich eingeschlossen. Das ganze Orchester klingt einfach fantastisch. Man wird dadurch ungemein in die musikalische Gestaltung mit involviert. Ist es die pure Sinnlichkeit des Klangs oder die dramatisch-geschärfte, noch spannendere Gestaltung, die das provoziert? Wahrscheinlich beides zusammen.
5
Tugan Sokhiev
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
ROC
2012, live
11:20 9:52 14:05 35:17
Dies ist eine CD-Veröffentlichung der Trägergesellschaft der dem Rundfunk assoziierten Berliner Klangkörper zu Ehren bzw. zur Bekanntmachung des damals neu sein Amt antretenden Chefdirigenten Tugan Sokhiev. Sie ist nicht in den kommerziellen Handel gelangt und diente eher zum internen Gebrauch, um z.B. Abonnenten bei Laune zu halten. Nach dem Motto: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Der junge Mann aus der russischen Teilrepublik Ossetien war von 2012-16 Chefdirigent des Berliner Orchesters bis ihn ein Ruf vom Moskauer Bolshoi erreichte, dann verschwand er ziemlich schnell nach Moskau. Seiner Position in Toulouse blieb er hingegen treu. Im Gefolge der russischen Invasion in die Ukraine legte dann beide Ämter (das in Moskau und das in Toulouse) nieder. Seitdem betätigt er sich nur noch als Gastdirigent. Aus Toulouse gibt es ebenfalls eine CD-Einspielung der Sinfonischen Tänze (eine kommerzielle auf Naive) mit ihm, die in allen Bereichen der Berliner die Vorfahrt lassen muss. Die Qualität der beiden Orchester kann, zumindest wenn man diese beiden Aufnahmen der Betrachtung zugrunde legen möchte, nicht der Grund gewesen sein, weshalb er sich, als der Ruf aus Moskau kam, entschied lieber in Toulouse zu bleiben und nicht beim DSO. Möglicherweise gab es vertragliche oder familiäre Gründe.
Dies ist eine eindrucksvolle Darbietung mit einem eindrucksvoll klingenden Orchester bei der sich auch die Technik-Abteilung die allergrößte Mühe gegeben und gezeigt hat, was sie kann. Wie 2010 in Toulouse wird das Werk mit jugendlich wirkender Frische eröffnet. Sofort bemerkt man, dass der Orchesterklang nun viel offener, transparenter, aber auch impulsiver wirkt als in Toulouse. Die Stimmentransparenz ist absolut glasklar. Die Höhepunkte werden hervorragend aufgebaut und man hört ein Orchester in durchweg bestechender Form und Musizierfreude. Das Lento wirkt gegenüber der Einspielung aus Toulouse etwas langsamer, was die Ausdruckshaftigkeit nur noch erhöht. Jedes Instrument klingt körperhaft, als ob es in natura vor dem Hörer platziert wäre. Man könnte einzig einwenden, dass die (exzellent klingende) Oboe gegenüber dem Alt-Saxophon gelegentlich zu laut ins Bild kommt. Das Saxophon spielt sehr expressiv und lebendig, nicht so ausschließlich auf die nur kantable, gerade Linie aus wie zumeist. Die Streicher danach erklingen extrem klang- und ausdrucksvoll, zum Herzerweichen schön. Der weitere Fortgang klingt lustvoll gespielt, fast rasant mit knackigem Blech und ebensolchem Schlagwerk. Wir waren nicht wenig überrascht von der Darbietung des ersten Satzes, denn bisher waren wir von den Einspielungen mit Herrn Sokhiev eher weniger begeistert, vor allem wegen ziemlich träger Tempi. Gerade zuletzt erging es uns so mit der Aufnahme der Paganini-Rhapsodie. Aber jedem Anfang, so sagt man, wohne ein Zauber inne.
Im zweiten Satz zeigt sich das Blech erneut besonders knackig, auch wenn man sich nicht erschreckt, weil es nicht gar so wild dreinfährt wie bei Swetlanow (1973). Bei Swetlanow geht vom Blech ein enormes Gefahrenpotential aus, es zerschneidet den Walzer mit purer (Klang)gewalt. Davon sind die Berliner noch ein Stück entfernt, sie bestechen mit Volumen, Glanz, auch Intensität. Das Tempo di valse hat Herr Sokhiev gut getroffen, er versucht es soweit möglich im Fluss zu halten, trotz der heftigen Unterbrechungen und des vorgeschriebenen Rubatos. Er legt großen Wert auf das Tänzerische und befördert den ungemein sinnlichen Klang des wahrlich aufblühenden Orchesters. Es hängt sich voll rein und es begeistert ihm zuzuhören. Der Satz hat so keinerlei Längen.
Den dritten „Tanz“ spielt das Berliner Orchester konzentriert und spannend, noch transparenter und geschärfter, auch etwas zügiger und temperamentvoller als das aus Toulouse. Sehr farbig und volltönend. Im Mittelteil beweist der junge Mann aus Ossetien viel Sinn für das Bedrohliche, Dämonische der Musik und entsprechend dunkel lässt er das Orchester klingen. Das Finale klingt einfach großartig durch die vollen, sonor klingenden Streicher, das detailreiche samtene, aber doch konturierte Holz, das impulsive Schlagwerk und das glanz- und druckvolle Blech. Da müssten sich die Philharmoniker „warm anziehen“, wenn sie ihre ohnehin imaginäre Poleposition in Berlin behalten wollen. Im Finale klingt es besonders impulsiv. Der letzte Tam-Tam-Schlag kann nicht lange nachhallen, denn man hat ihn mit dem wahrscheinlich stark aufbrausenden Applaus einfach gekappt. Es liegt hier ein echte Live-Aufnahme vor und man hätte den Applaus besser auf der Aufnahme belassen, dann hätte man hören können, wie es Herr Sokhiev mit der Länge der Vibration des Tam-Tams hält. Diese Darbietung hat trotzdem das Prädikat „großartig“ verdient.
Über die Klangqualität haben wir schon einige Worte verloren; gegenüber der Toulouser ist sie noch sonorer, noch offener, insgesamt sehr plastisch und körperhaft, bassintensiv, saftig, dynamisch, farbig und volltönend. Sie (oder das Orchester) hat mehr Sinn für die leisen Töne und erweist sich als ungemein detailreich. Eine exzellente Aufnahme, die gegenüber den beiden zuvor genannten nicht zurücksteht. Leider ist sie mit dem gravierenden Nachteil belegt, dass es sie nicht im Handel zu erwerben gibt. So wäre man auf den Second-Hand-Erwerb dieser Rarität angewiesen.
5
Jewgeni Swetlanow
Staatliches Akademisches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija-Eurodisc
1973
12:33 10:30 13:51 36:54
Dies Einspielung ist uns bisher nur als LP begegnet. Da Herr Swetlanow noch zwei weitere Aufnahmen der Sinfonischen Tänze vorgelegt hat, jeweils digital und übrigens mit in beiden Fällen demselben Orchester, dem er 1965-2000 35 Jahre lang als Chef vorstand, hat man auf die alte Analogaufnahme nicht mehr zurückgegriffen. Das war vielleicht verständlich aber in Kenntnis aller Versionen keine gute Idee, denn die 73er Version wirkt umwerfend feurig, mit jugendlichem Drive, sehr akzentuiert und quirlig. Da hatte man sich vielleicht gerade zum einhundertsten Geburtstag 1973 richtig ins Zeug gelegt. Besonders tänzerisch und besonders beherzt. Besonderes Kennzeichen ist das zu jener Zeit bei vielen sowjetischen Orchestern anzutreffende silbrig-helle und schneidende Blech, das vor allem von den Trompeten geprägt wird. Die Oboe spielt erheblich sensibler als gewöhnlich (zu denken wäre etwa an die Aufnahmen aus den 60er Jahren mit den Tschaikowsky-Sinfonien), das Englischhorn erweist sich als überraschend geschmeidig mit nur noch wenig „Resthärte“ im Klang. Das ist wichtig, denn in dieser Komposition wird es häufiger gebracht. Das Saxophon im Lento spielt sehr gefühlvoll, aber sein Klang erreicht lange nicht die Wärme, die es in den drei Aufnahmen zuvor oder beim Philharmonia mit Ashkenazy zeigen kann. Den Violinen (ab Zi.14) fehlt es - wie zu jener Zeit üblich – etwas an Wärme, aber man hat sie schon sehr viel härter gehört als in dieser Aufnahme. Mag sein, dass die in diesem Fall die Wärme der LP etwas gegengesteuert hat. So erlebt man ihr Spiel als sehr expressiv und durchaus als herzergreifend. Das Klavier bleibt als Klangfarbe dabei hörbar. Das Accelerando zwischen Zi. 17 und 18 entwickelt sich weniger poco a poco, wie es in der Partitur steht, sondern als ausgesprochen beherzt und sogartig. Die Trompeten dürfen bei Swetlanow 1973 noch ungehindert ihren Strahl über das ganze Orchester (und uns) ergießen, mitunter auch herausschreien. Das erscheint für uns nicht einmal unpassend, sorgt vielmehr immer wieder für einen gewissen Schauer, denn das Spiel des ganzen Orchesters macht den Eindruck, als käme es aus vollem Herzen. Und so spontan, als müsse man nicht mehr über das Spiel nachdenken. Aber nicht nur die ff oder die sf kommen voller Nachdruck und Überzeugung auch das cantabile wird mustergültig herausgearbeitet. Das alles mit einem nahezu unvergleichlichen Impetus, den auch Swetlanow selbst später nicht mehr erreicht hat.
Die Erzählweise im zweiten Tanz wirkt enorm spannend. Bei den sofort zu Beginn einsetzenden Trompeten und Hörnern zuckt man erschrocken zusammen, mit einem so grell aufblitzenden Laserlicht hat man nicht gerechnet, zugleich wirkt die Atmosphäre besonders bedrohlich. Die Spielweise des Orchesters wirkt sagenhaft dynamisch, sehr rubatoreich und so extrem verstörend auf Tänzer, falls sie hier einen „normalen“ Walzer erwartet haben. Das schrille Blech geht immer wieder durch Mark und Bein. Der Fluss des Walzers wird immer wieder nachhaltig gehemmt. Obwohl die Leidenschaft immer wieder heftig aufflammt: mit dem Tanzen wird das nichts. An die glühende Leidenschaft dieser Einspielung, gerade auch im zweiten Satz kommt kaum eine andere ran, auch nicht die von Kyrill Kondraschin, obwohl sie zugleich (trotz der Wärme von Analogaufnahme und LP) auch eine spürbare Kälte verbreitet. Seltsam, das passt eigentlich gar nicht so recht zusammen. Oder gerade doch.
Das Allegro vivace des dritten Tanzes überschlägt sich fast. Der Gestus wirkt dabei ganz besonders dringlich. Das Xylophon knallt einem fast entgegen, genau wie das Tamburino. Die Höhepunkte wirken enorm zugespitzt und voller Drive, während die resignativen Momente des Mittelteils ebenfalls enorm plastisch zur Geltung kommen. Die von der Fermate der Generalpause eingeleitete Tremolo-Passage um Zi. 73 wirkt dunkel, fahl und gruselig wie in keiner anderen Einspielung, wie ein Besuch von Gevatter Sensenmann persönlich, da läuft es eiskalt den Rücken runter. Die Bassklarinette zeigt sich wie die anderen solistischen Darbietungen viel besser „herausgeputzt“ wie man es von vorherigen Einspielungen des Orchesters erwarten konnte. Das Finale wird herausragend gesteigert. In keiner seiner drei Einspielungen (die zweite war live) lässt Swetlanow das Tam-Tam nachhallen. Trotzdem wirkt es nicht beendend, vielmehr scheint es so, dass am Ende immer noch alles offen, nichts entschieden ist. Es gibt keine Gewissheit. Bleibt der Klang des letzten Gongschlags lange stehen, kann er das Ende durchaus erhellen und überleiten ins ewige Leben. Obwohl gerade in Russland ist das Tam-Tam (manche sagen lieber Gong dazu) das Instrument des Todes oder der Todesverkündung. Auch Schostakowitsch hat es in diesem Sinn eingesetzt. Das „Alliuluya“, zuvor zitiert aus der Ganznächtlichen Vigil gäbe dieser Theorie Nahrung. Indes hat Rachmaninow beim letzten Tam-Tam-Schlag eben kein „laissez vibrer“ notiert. Nur beim drittletzten. Daran hält sich Swetlanow.
Der Klang der LP wirkt sehr dynamisch und offen, sehr plastisch, präsent, sehr räumlich und differenziert, auch die Streicher. Die erreichte Tiefenstaffelung ist erstaunlich. Leider klingt er im Tutti etwas blechern und wenn Piatti und Tam-Tam beteiligt sind: grell. Das ff des Tutti und alles was darüber hinausgeht führt zum Nachlassen der Transparenz. Ansonsten eine grandiose Einspielung, die man gehört haben sollte
5
Paavo Järvi
Orchestre de Paris
Virgin, Erato, Warner
2011, live
11:22 10:38 13:44 35:44
Mit Paavo Järvi (Chef des OdP 2010-2016) haben wir uns außer der Pariser Einspielung noch eine zweite mit dem Tonhalle-Orchester Zürich vom Rachmaninow-Jahr 2023 komplett angehört und teilweise angesehen, da es sich um ein blitzeblankes Video handelt, das vom Orchester selbst bei YouTube hochgeladen wurde. Teilweise nur deshalb, weil wir die reine Audioaufzeichnung bevorzugen, lenkt so doch weniger von der Musik ab. Die Pariser Aufnahme aus der Salle Pleyel, der Konzerthalle in der das Orchester residierte bevor die Philharmonie de Paris erbaut wurde, gefällt uns vor allem aus klanglichen Gründen besser als die Zürcher.
Paavo Järvi gestaltet den Beginn des ersten Tanzes ebenfalls temperamentvoll, frisch, pulsierend, fast feurig. Das Orchester zeigt sich von seiner besten Seite, klingt voll, sehr virtuos und flexibel. Das Lento erklingt recht zügig, in der Balance nach unserem Empfinden nicht ganz ausgewogen. Das Alt-Saxophon klingt gut, sollte mf spielen, wird aber von der pp und p spielenden Oboe zu deutlich rivalisiert. Sie drängt sich vor. Ob der kleine Fauxpas aufnahmetechnisch bedingt ist? Das kommt in sehr vielen Darbietungen vor und hängt meist daran, dass die Oboe nur sehr schwer richtig leise und zugleich voll klingen kann. So lassen sie viel Musiker/innen doch lieber voll und etwas laut klingen., wenn schon nicht beides zugleich möglich ist. Bei der Klarinette stören die allzu lauten Klappengeräusche. Da hätte vielleicht schon ein Tropfen Öl Linderung gebracht. Wenn Violinen I und Celli con espressione (und später alle Streicher zusammen) einsetzen kann man sich am guten Geschmack des Dirigenten erfreuen, da wird weder übertrieben, noch bleibt man zu flach. Das Accelerando erfreut ebenfalls poco a poco und mitreißend, da geht beides zusammen. Das Orchester ist hellwach zur Stelle. Durchweg klingt das französische Orchester heller als die Berliner (Philharmoniker oder DSO, das BRSO oder das Russische Staatsorchester in Swetlanows letzter Aufnahme), weshalb man verschiedentlich behauptet, es wäre als Rachmaninow-Orchester wenig geeignet. Das gleiche ist uns auch schon bei der Pariser Sibelius-Gesamtaufnahme mit Paavo Järvi zu Ohren gekommen. Daran können wir nichts finden. Allerdings hört man nur wenig vom Bass, was aber eher an der Aufnahmetechnik oder am Raum liegen mag. Der tänzerische Anspruch, den man durchaus an den Satz haben darf wird weitestgehend eingelöst, bisweilen klingt es sogar wild, denn die Höhepunkte werden direkt an- und ausgespielt, das Orchester zeigt dabei ein weites dynamisches Spektrum.
Der Walzer im zweiten Tanz wirkt lebendig und wenn er denn mal erblühen darf sehr elegant. Die Holzbläser-Soli gefallen sehr, auch Oboe und Englischhorn sind bei diesem Orchester mittlerweile hervorragend besetzt, die Streicher klingen wunderbar samtig. Das Rubato übertreibt der klarsichtige Dirigent nicht, bei ihm verzerrt der Walzer nicht, darf noch weitgehend Walzer sein. Manieriert wirkt bei ihm gar nichts. Der Satz wirkt vielmehr überlegen gestaltet und klanglich ausgesprochen ausgefeilt, gerade im leisen klingt das Orchester sehr subtil, plastisch und musikalisch überzeugend.
Im dritten Tanz wirkt die Gestaltung ebenfalls souverän, absolut klar, aber nicht nüchtern, was man vielleicht verwechseln könnte, aber nicht sollte. Es beginnt spannend, rhythmisch pointiert, detailreich und hellhörig musiziert. Dann ist der Zugriff auch stürmisch und sehr expressiv. Im elegisch-schmerzlichen Mittelteil riskiert Herr Järvi, dass die Spannung abfällt, aber Detailreichtum und Expressivität retten über das Tempo hinweg. Die Höhepunkte werden toll gestaltet und wirken sehr präzise, das Finale mitreißend und durchhörbar bis ins ff des Tutti. Beim letzten Tam-Tam-Schlag wählt Järvi einen schon brutal wirkenden sofortigen Abbruch des Klanges, da gibt es keinerlei Nachschwingen. Kein Hinüberleuchten ins Jenseits. Es könnte aber auch sein, dass das Pariser Publikum zu frühzeitig gejubelt hat und man sich entschloss beides d.h. den Nachklang und den Applaus rigoros abzuschneiden. Das wäre ein Eingriff in die Interpretation. Wir vermuten es, weil bei der Aufführung in Zürich (allerdings 12 Jahre später) das Tam-Tam nachschwingen darf bis zum völligen Entschwinden des Klangs. Järvi erreicht dies durch ein Querstellen seines Körpers, was sich als wirksamer herausstellt als die ganz nach oben gestreckte Hand bei anderen Dirigenten (z.B. bei Kirill Petrenko oder Mariss Jansons in Paris). Bei Järvi applaudiert in Zürich niemand zu früh. Die Musik darf wirken. Die Zürcher sind vielleicht auch nur disziplinierter als die Pariser. Wer weiß?
In Paris hat der Klang genau das richtige mittlere Maß von trockener Klarheit und warmem Hall. Das Orchester klingt plastisch, voll, sehr transparent, farbig und sehr dynamisch. In diesen Kriterien bleibt der Zürcher Video-Mitschnitt zurück. Die schillernde Instrumentation kommt so brillant zur Geltung. Von einem anwesenden Publikum hört man nichts.
5
Mariss Jansons
Sankt Petersburger Philharmoniker
EMI
1992
11:13 9:22 13:33 34:08
Mariss Jansons war bereits zu Jewgeni Mrawinskys Zeiten Dirigent der St. Petersburger (damals noch Leningrader) Philharmoniker. Genauer seit 1973. Sein Vater Arvid dirigierte das Orchester bereits seit 1952. Die Aufnahme entstand jedoch erst zu der Zeit als Yuri Temirkanow bereits Chefdirigent des Orchesters war (1988-22). Obwohl sich damals nach der Perestroika viele der russischen Orchestermusiker nach Westen aufmachten um einen Platz in einem westlichen Orchester zu erhalten, merkt man dem Orchester keinen personellen Aderlass an. Heute hat man den Eindruck, das Orchester wäre in die Bedeutungslosigkeit gefallen, man hört nichts mehr von ihm, vielleicht eine Folge des Aufstiegs des Kirov- bzw. Mariinsky-Orchesters als Konzertorchester? Ob sich da das richtige Orchester durchgesetzt hat? Bei dieser Aufnahme war Mariss Jansons 49 und er setzte den Schluss- und Höhepunkt seiner Rachmaninow-Gesamtaufnahme der Sinfonien und Klavierkonzerte für sein damaliges Label EMI.
Das Tempo zu Beginn erscheint auch in Sankt Petersburg straff und der Gestus als dringlich und dramatisch-kraftvoll. Er lässt noch an Mrawinsky, mit dem leider keine Aufnahme der Sinfonischen Tänze vorliegt, aber auch an Swetlanow 1973 denken. Das Alt-Saxophon im Lento klingt leicht angerostet in der Klangfarbe und sehr deutlich vom umrankenden übrigen Holz abgehoben. Es klingt bei ihm mehr nach Metall, bei den bisher gelisteten Aufnahmen eher nach Holz (zu dieser Gruppe gehört es ja ungeachtet des Materials aus dem es bis auf sein Blatt aus Holz besteht). Mit Ausnahme der Klarinette klingen Holzblasinstrumente 1992 nicht mehr nach Mrawinsky-Sound, sondern mitteleuropäisch weich und rund. Die Polyphonie des Geflechts bleibt gewahrt. Die Violinen klingen frei von frühdigitaler Härte, aber heller als bei den Berliner Orchester, beim BRSO oder den Amsterdamern), jedoch sehr ausdrucksvoll, geschmeidig und flexibel. Eine „Sehnsuchtsmelodie“ á la russe. Die Tempi erscheinen kontrastreich, die schellen Passagen mit scharfer Rhythmik, was einen gewissen jugendlichen Elan stark fördert. Die „Klangzauber“-Passage um Zi. 27 lässt ein brillantes Glockenspiel und ein gut dazu passendes Orchesterklavier hören und natürlich besonders wichtig: ein wunderbares Cantabile der Streicher. Beherzt.
Durch ein beschwingtes Tempo (noch etwas zügiger als in München, Amsterdam und Wien) wird der Walzer des zweiten Satzes fast tanzbar. Schon 1992 zeigt Jansons mit seinem Orchester meisterhafte Rubati und geschmeidige Übergänge, fast als ob St. Petersburg eine Nachbarstadt von Wien wäre. Sehr intensiv die Interruptionen der Blechbläser, die das tänzerische Treiben nachhaltig unterbrechen. Strahlend und gefährlich, aber nicht mehr mit der stählernen Schärfe der Mrawinsky-Zeit. Es stehen dem Orchester eine breite Ausdruckspalette bis zum Stürmischen zur Verfügung, ein messerscharfes Schlagwerk und ein äußerst präzises Blech.
Der dritte Tanz hält in rhythmischer Prägnanz und Rasanz was der zweite versprach. Hellwaches Musizieren mit höchster Präzision. Das Orchester steht wie unter Feuer für den Geistertanz um Mitternacht. Explosive ssf. Das Xylophon wird gebührend dazu zur Geltung gebracht, die Knochen sollen schon ordentlich klappern. Ein teils wild gestalteter Todestanz mit krassen Kontrasten. Es gibt anders als in München noch einen leichten Spannungsabfall im mit Seufzern durchsetzten Mittelteil, aber der ist diesbezüglich wirklich tückisch, weil der Spannungsabfall wie bereits einkomponiert erscheint. Nur wenigen gelingt es ohne Spannungsabfall durchzukommen (wie z.B. Jansons in München). Das Allegro vivace bringt die Spannung sofort wieder zurück, quirlig und kontrastreich zügig und bassgewaltig. Die Tam-Tam-Schläge (es sind ja insgesamt sieben, eine heilige Zahl) sind bis auf den letzten zu leise. Hier wäre ssf angezeigt. Da geht die Aufnahmetechnik in die Knie. Der letzte darf lange ausschwingen, ungestört von einem ungeduldigen Publikum, denn dies ist eine Aufnahme unter Studiobedingungen aus der St. Peterburger Philharmonie.
Der Klang der Aufnahme wirkt präsent, klar, offen, sehr dynamisch. Die Gran Cassa klingt trocken. Die gute Tiefenstaffelung überrascht ein wenig, denn die Bühne in St, Petersburg ist zwar breit aber relativ wenig tief. Es klingt knackig und ziemlich farbenfroh. Es gibt keine oder vielleicht nur noch für sehr empfindliche Hörer/innen bemerkbare digitale Rauigkeiten oder Härten.
5
Dmitri Kitajenko
Gürzenich Orchester Köln
Oehms
P 2013
11:50 10:57 15:31 38:18
Ganz ähnlich wie man es bereits bei seinem Tschaikowsky-Zyklus aus Köln kennenlernen konnte, zieht Dmitri Kitaenko, anders als er es als junger Mann bevorzugte (es gibt auch noch eine Aufnahme der Tänze bei Melodija aus den 70er oder 80er Jahren aus Moskau mit ihm, die wir leider nicht hören konnten), ein wenig zurückgenommene, ein wenig zum Getragenen hinneigende Tempi vor. Das lässt sich bei allen drei Tänzen beobachten. Nichtsdestotrotz wirken sie gespannt und das Orchester füllt sie mit seinem, den Eindruck hat man schon vor längerer Zeit gewonnen, gerade für russische Musik besonders zuträglichen dunklen Klang (zu beobachten ebenfalls bei der GA der Schostakowitsch-Sinfonie, damals noch für Capriccio produziert) meist vollends aus. An liebevollem Nuancenreichtum fehlt es ebenfalls nicht. So ist das Klavier genau im richten Maß (wie wir finden) hörbar. Wenn es zu laut kommt macht es die Kantilene der Streicher, eine der ganz großen Rachmaninow-Melodien ziemlich kaputt, denn es wirkt dann störend. Da kommt es auf das richtige Fingerspitzengefühl an. Zuvor müssten wir jedoch noch auf das ebenso berührende Alt-Saxophon eingehen, ein weiterer der unsterblichen Hits aus Rachmaninows Feder. Unsterblich deshalb, weil man es auch in ferner Zukunft noch spielen wird, zumindest wenn sich eine gewisse Zivilisation in Zukunft erhalten wird. Das Saxophon spielt in Köln auf die klassische Art, mit großem Ton ohne jede jazzig-nasale Verfärbung, mit weichem-sensiblem Ton. Die Oboe spielt sehr gut, nie aufdringlich, und auch Klarinette und Flöte stehen ihr in nichts nach. Das Orchester verfügt über ausgezeichnete Solisten. Das Saxophon spielt mit Herz und Verstand, keine Frage, aber doch sehr auf kantable Linie getrimmt, das haben wir schon flexibler, wenn man so will „sprachgewaltiger“ gehört. Den Ton haben wir zudem schon etwas sinnlicher gehört. Violinen I und Celli erklingen hervorragend differenziert mit expressiver Phrasierung und homogen. Die Streicher im Tutti anschließend vielleicht nicht ganz so strahlend, aber doch mit der warmen Fülle, die man auch von BP, DSO, BRSO kennt. Das Gürzenich Orchester spielt hier fast so russisch wie das Staatliche Sinfonieorchester der Russischen Föderation mit Jewgeni Swetlanow, eine Aufnahme, auf die wir noch zu sprechen kommen: sonor, voll, rund, dynamisch, dunkel. Die „Klangzauber“-Passage lässt das Wehmütige ungefiltert zu Wort kommen ohne dass die Brillanz von Glockenspiel, Harfe und Klavier zu kurz käme, wirkt dieses doch eingebettet in lyrisches Strömen, ohne Hast, aber auch ohne Larmoyanz.
Im zweiten Tanz wirken die Blechbläser-Interruptionen warm und strahlend, da war Swetlanow heftiger und kantiger. Der Walzer-Rhythmus findet sich erst langsam zusammen. Das Violinen-Solo klingt wunderbar sonor und trotzdem strahlend, die Phrasierung wirkt lebendig. Es schließen sich exzellent klingende Soli von Englischhorn und Oboe an. Langeweile kommt hier nicht auf. Alles wird unter einen langen, starken Bogen gestellt. Alles singt mehr oder weniger, allerdings ein trauriges Lied. Alle Stimmen erscheinen dabei sorgsam gewichtet. Selbst in der langsamsten Passage steckt noch Energie, die das Gefüge zusammenhält. Der Walzer wirkt immer noch expressiv, was angesichts des langsamen Tempos umso mehr aufhorchen lässt. Selbst das Episodenhafte bringt viel (stille) Leidenschaft rüber. Man spürt eine auffallend gelassene Kompetenz, die sich nicht aufdrängt. Der Dirigent weiß ganz genau wie er was machen muss und das Orchester weiß es offensichtlich umzusetzen.
Auffallend schon ziemlich am Anfang des dritten Tanzes: Die extrem deutlichen Glocken, die zwölfmal schlagen und meistens durch die pp-Anweisung kaum zu hören sind. Wegen ihrer Wichtigkeit im Gesamtzusammenhang des Satzes (sie läuten den geisterhaften Tanz erst ein), wählt Kitajenko hier ungefähr ein mf. Der Tanz wirkt durchaus langsam, aber als schwerfällig würden wir ihn nicht bezeichnen. Die Dynamik ist sehr breit gefächert und sie wirkt kraftvoll, der Klang immer noch dunkel und sonor, was zum Werk und besonders zu diesem Satz sehr gut passen will. Die Phrasierung wirkt nie starr, immer flexibel und einfach gekonnt. Beim Tam-Tam vermuten wir eine Spezialanfertigung denn dermaßen massiv im Klang und so gewalttätig angeschlagen hört man den letzten Schlag nur ganz selten, wenn überhaupt noch einmal. Er klingt, da kein Publikum anwesend ist ca. 20 Sekunden nach. Er soll wohl bis in die Ewigkeit hineinreichen. Ein Rekord dürfte es in jedem Fall sein. Eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche Einspielung. Nicht unbedingt mit Modellcharakter aber individuell und stimmig.
Der Orchesterklang wirkt warm, gedeckt und dunkel, dunkler als beim Orchestre de Paris, den anderen Orchestern aus deutschen Landen ähnlich, aber auch dem Philharmonia Orchestra London. Zudem wirkt er sehr transparent und plastisch. Die Räumlichkeit wirkt ein wenig gedrungen. Leider scheint man sich auch bei Oehms von der SACD verabschiedet zu haben. Die Dynamik wirkt ausgedehnt und straff. Es gibt eine sonore Klangfülle mit einem leichten Hang zum Fülligen (zumindest einmal bei unserer Abspielvorrichtung, die eigentlich neutral abgestimmt ist. Der Bassanteil ist entsprechend prominent. Es klingt weniger brillant als bei Paavo Järvi aus Paris, dafür viel sonorer. Man hat also die Wahl auch bei diesem Kriterium. Wenn man alles will: siehe ganz oben (bitte nicht Golowanow, sondern Jansons und/oder Petrenko).
4-5
Yuri Temirkanow
Sankt Petersburger Philharmoniker
RCA
1992
11:13 9:59 14:06 35:18
Von Yuri Temirkanow, der von 1988-2022, also bis ein Jahr vor seinem Tod Chef der Philharmoniker war, gibt es drei Einspielungen der Sinfonischen Tänze, 2004 erschien eine Aufnahme unter Live-Bedingungen für Warner und 2008, ebenfalls live für Signum. In allen drei Aufnahmen spielten die St. Petersburger Philharmoniker. Bei der ersten Einspielung war Herr Temirkanow 54. Im gleichen Jahr entstand übrigens mit demselben Orchester die erste Einspielung mit Mariss Jansons. Das Orchester musste damals viel aufnahmen und viel reisen, um Devisen zu erwirtschaften, die die plötzlich fehlende oder stark reduzierte Finanzierung durch den Staat auffangen konnten. Die UdSSR war ja sozusagen zahlungsunfähig geworden. Es musste auch in Städten gastieren, in denen man ein Orchester solchen Kalibers sonst nicht antreffen würde. Bei der Aufnahme 1992 war es ebenfalls unterwegs und die Aufnahme fand in der Blackneath Concert Hall unter Studiobedingungen in London statt. Uns gefällt übrigens diese älteste von Temirkanow am besten von den drei.
Wie bei Jansons erleben wir einen immer noch hochklassigen aber bereits mitteleuropäischen Klang. Der Gestus zu Beginn wirkt lebendig und jugendlich-vorantreibend. Im Lento tritt das Alt-Saxophon als gleichberechtigter Partner von Oboe, Klarinette und Englischhorn auf, die alle beriets exzellent klingen (voller Klarinettenklang!). Die Vortragsbezeichnungen der Dynamik lässt eigentlich auf eine herausgehobene Stellung schließen. Nicht wenige Aufnahmen realisieren das auch. Teilweise sogar mustergültig. Beim Einsatz von Violinen I und Celli gibt das Klavier mehr Farbe hinzu als bei Jansons und vielen anderen. Es stört aber nicht die Magie des Themas, wieder eines von Rachmaninows unsterblichen Sehnsuchtsmelodien. Das ist der Hauptgrund, weshalb das Klavier in so vielen Aufnahmen ganz, ganz leise gehalten wird, dass es bloß die Magie nicht stört. Selbstverständlich hat sich Rachmaninow was dabei gedacht, gerade hier eine Untermalung durch das Orchesterklavier beizugeben. Soll man ihn selbst da in jungen Jahren üben hören? Und über ihn wölbt sich eine Atmosphäre voller Melancholie und Sehnsucht? Wäre denkbar. Das Blech ist voll auf der Höhe, da gibt es keinen Qualitätsverlust durch Abwanderung in westliche Orchester, den man hören könnte. Es klingt sehr ähnlich wie in der Aufnahme von Mariss Jansons aus demselben Jahr.
Der zweite Tanz klingt 1992 von den drei Temirkanow-Aufnahmen am dynamischsten, gerade die Fanfaren des Blechs. Das Duett von Englischhorn und Oboe klingt sehr homogen, kein Vergleich mehr zu den kargen Bläserfarben aus der Mrawinsky-Zeit. Die Violinen klingen hochwertig, homogen, weich, auch brillant, wenn erforderlich. Das Orchester hatte damals alles, was ein modernes Spitzenorchester braucht.
Im dritten Tanz sind die Glocken deutlich zu hören, ebenfalls die Harfe und das so wichtige Xylophon. Die Gangart wirkt in den Außenteilen besonders wegen dem sehr gut aufgelegten Blech frisch und dynamisch, obwohl das Tempo gar nicht mal so schnell oder gar forciert voranschreitet. Die Klangfarben wirken gegenüber der Jansons-Aufnahme aus demselben Jahr durchweg heller. Im mit Seufzern durchsetzen Mittelteil entgeht Temirkanow nicht ganz der Gefahr Spannung zu verlieren, er formuliert jedoch schön aus und behandelt die Anweisungen in der Dynamik vorbildlich. Im Allegro vivace lebt er dann kräftig auf und vor allem das Blech macht den Hörer wieder richtig wach. Mit einer besonderen Spielfreude stürzt man sich aufs Dies irae, aber auch das „Alliluya“ erhält die ihm gebührende Emphase. Das Tam-Tam kann, da kein Publikum anwesend war, ungehindert ausschwingen, das gelang 2004 und 2008, da live aufgenommen wurde, nicht mehr.
Klanglich sind die Unterschiede zur 2008er Aufnahme Temirkanows nicht so groß wie zur 2004er, die uns klanglich am wenigsten gefallen hat, da sie die am schwächsten ausgebildeten Konturen aufweist. 1992 klang es transparenter als z.B. bei Ashkenazy in seiner ersten (Amsterdamer) Aufnahme, straffer und dynamischer. Voll und farbig klingt es bei beiden. Die Gran Cassa hat man bei Temirkanow noch nicht als das Instrument mit der höchsten Dynamik entdeckt. Das übrige Schlagwerk kommt besser ins Bild, auch besser als bei Ashkenazys Decca-Aufnahme. 1992 war die Technik bei Temirkanow noch besonders blechaffin.
4-5
Yuri Simonow
Moskauer Philharmoniker
RMS Records
2012, live
13:37 10:25 16:02 40:04
Diese Einspielung dürfte wohl die langsamste unserer gesamten Liste sein. Yuri Simonow ist seit 1998 Chef des Moskauer Orchesters und somit Nachfolger von Kondraschin und Kitajenko. Wenn man den Quellen glauben kann, wäre er es auch heute noch, 13 Jahre nach der Aufnahme, obwohl er bei der Aufnahme immerhin schon 71 war.
Der erste Tanz wirkt viel schwerer, ja behäbiger als in den vielen neueren Aufnahmen, wie unter anderem von Nezet-Seguin, Spivakov, Zinman oder Oundijan. Dennoch wirkt er tänzerisch, nur eben schwerfälliger. Das Lento erklingt sehr stimmungsvoll, das langsamere Tempo bekommt ihm besonders gut. Es klingt ungemein räumlich, das Alt-Saxophon schon fast ätherisch und entrückt, während das übrige Holz noch von seinen angestammten Plätzen her klingt. Die Streicher klingen voll und weich. Dies ist ein „großer“ Rachmaninow, stark akzentuiert, aufmerksam und mit besonders viel Gefühl gespielt und mit breiten, mächtigen Steigerungsverläufen. Sollte das die so viel beschworene „Russische Seele“ symbolisieren? Gegenüber Kondraschin 1963 oder Swetlanow 1973 wirkt der Vortragsstil lange nicht so geschärft, aber auf seine Art ungemein ausdrucksvoll, in der Gegenüberstellung mit den übrigen Aufnahmen fast schon exzentrisch.
Der Walzer wirkt ebenfalls langsam, jedoch genauso intensiv und gefühlvoll gespielt wie der erste Tanz. Die Streicher klingen überraschend homogen, voll und geschmeidig, denn wir hatten in letzter Zeit einige Einspielungen mit Simonow und den Moskauern gehört, die sie nicht mit diesen Klasse hören ließen und daher ganz anders in Erinnerung. Das Blech klingt glanzvoll und lange nicht mehr so silbrig und messerscharf wie früher. Die Rubati werden weidlich ausgekostet. Obwohl langsam: leidenschaftlich.
Der dritte Tanz wirkt sehr schwer aber auch sehr dynamisch. Bei den Glocken sind auch die Flöteneinsätze, die die Glocken unterstützen, gut hörbar. Sie sollten eigentlich immer hörbar bleiben, denn ihnen wurde ein mf mitgegeben, währen die Glocken p zu bleiben hätten (bei Zi. 57). Dennoch ziehen es die meisten Dirigenten vor, die Flöten unhörbar und lieber die Glocken etwas lauter spielen zu lassen. Simonow macht es eigentlich richtig. Die Scherzo-Elemente des Danse macabre, falls Rachmaninow auch dieses Erbe von Saint-Saens übernehmen wollte, fallen bei Simonow weg. Dennoch treten gerade die instrumentalen Finessen durch das langsame Tempo besonders hervor. Sehr schwerblütig, nur mit ein paar strahlenden Lichtblicken vom aufblitzenden Blech erhellt. Simonow kommt noch am ehesten an das „Dunkelschwarz“ von Swetlanow (1973) heran, wenn es um das Tremolo von Zi. 73 geht. Wenn das die Zustandsbeschreibung des Komponisten sein sollte, dann muss er zutiefst depressiv gewesen sein oder eine andere Vermutung: Er erinnerte sich gerade an den Moment, als ihm seine Krebs-Diagnose mitgeteilt wurde und wie Gevatter Tod dann gerade an ihm vorbeihuschte. Es könnte vieles sein. Aber nichts Gutes. So schwarz haben wir die Passage bisher nur bei Swetlanow gehört. Der gesamte Mittelteil lässt ganz besonders bei Simonow an das Lamentoso der „Pathetique“ denken. Im Ausdruck und in der Faktur. Die beiden Aufschreie der Trompeten 4 T. vor Zi. 77 erklingen bei Simonow auffallend nachdrücklich. Das Tänzerische wird ins Monumentale geweitet. Das würde nicht jedem gelingen. Dennoch wirkt es nicht langatmig. Da verlieren viele schnellere Gangarten schon viel früher an Spannung, nicht Simonow. Alle sieben Tam-Tam-Schläge sind herausragend hörbar, da kapitulieren viele Aufnahmen kläglich. Auch bei diesem Tempo beeindruckt die Coda nachdrücklich. Das Publikum übertönt rücksichtslos den letzten noch ausklingenden Tam-Tam-Schlag.
Es wird beim Klang der Aufnahme eine weite Räumlichkeit suggeriert, das Orchester erklingt offen, transparent, dynamisch, präsent und plastisch. Es gibt zwar allerlei Publikumsgeräusche während der Aufführung zu hören, dennoch ist die sehr gute Aufnahmequalität eine große Überraschung, wurde doch bei den letzten Einspielungen der Moskauer Philharmoniker häufig sorg- und lieblos verfahren. Es klingt besser als bei der Spivakov-Einspielung von 2023.
4-5
Vladimir Ashkenazy
Philharmonia Orchestra London
Signum
2016, live
11:23 10:02 13:51 35:16
Vladimir Ashkenazy ist ebenfalls mit drei Einspielungen in der Diskographie der Sinfonischen Tänze vertreten. Bei ihm käme sogar noch eine weitere Einspielung der Fassung für zwei Klaviere hinzu. 1983 spielte er seine erste für sein langjähriges Label Decca mit dem dunkeltönenden Concertgebouw-Orchester Amsterdam ein, eine Aufnahme, die vielen älteren Hörern als Fixpunkt oder Referenz gilt. 2008 spielte er mit dem Sydney Symphony Orchestra seine zweite live für Exton ein. 2016 dann seine letzte mit dem Philharmonia Orchestra ebenfalls live, aber für Signum. Wohl kaum ein Musiker dürfte sich so sehr mit dem Werk Rachmaninows auseinandergesetzt haben wie Herr Ashkenazy. Diskographisch zahlte sich diese Beschäftigung ebenfalls aus, so spielte er die Klavierkonzerte, das Solo-Klavierwerk, darunter wie bereits erwähnt auch die Fassung der Sinfonischen Tänze für zwei Klaviere, und das symphonische Werk teils mehrfach für LP bzw. CD ein. Bei dieser letzten Einspielung der Sinfonischen Tänze war er 79 und die gewählten Tempi sind die langsamsten seiner drei Einspielungen. Entsprechend wird der tänzerische Charakter der drei Sätze zurückgedrängt, gerade gegenüber seiner ersten Einspielung, aber man merkt dem 2016er Jahrgang die Fülle an Erfahrungen und Erkenntnisse an, die der Dirigent die Zeit über mit dem Werk sammeln konnte.
Die Aufnahme stammt aus der Royal Festival Hall und Ashkenazy ist mit dem Orchester bestens vertraut, ist er doch seit Jahrzehnten Ehrendirigent des Philharmonia Orchestra.
Gegenüber der 2008er Einspielung bringt er wieder mehr Spannung in den ersten Satz ein, er wirkt sehr atmosphärisch und es prickelt wieder, ähnlich wie bei der 83er mit dem Concertgebouw-Orchester. Die ganze Wiedergabe ähnelt der 83er mehr als der 2008er aus Sydney. Der tiefgründige, warme und homogene Orchesterklang des Londoner Orchesters gefällt am besten. Das Holz klingt wunderbar anschmiegsam (Klarinette und Oboe klingen butterweich!). Beim Lento wird besonders intim gestaltet. Das ist möglich, da das vortrefflich weich klingende Saxophon vom wunderbar leise gespielten Holz (Oboe, Englischhorn, Klarinette und Flöte) den Vortritt erhält. Die Wirkung ist sehr berührend, gerade weil die Innenbalance dieser Bläserkammermusik exzellent feinabgestimmt erscheint und das Saxophon zum Herzerweichen traurig und samtig-schön spielt. Auch die Violinen I und die Celli klingen bei ihrem Unisono von den drei Ashkenazy-Orchestern in London am besten. Das Tempo erscheint auch in dieser Passage gegenüber den beiden anderen Aufnahmen etwas verlangsamt und verdeutlicht. Aber auch die Wiederaufnahme des spritzigen A-Teils gelingt vorantreibender als in Sydney. Die Passage mit dem „Klangzauber“ bei Zi. 26 bleibt jedoch in Amsterdam unerreicht. Da spielen die Streicher gemeinsam mit Glockenspiel, Harfe und Klavier ein geradezu magisches Cantabile.
Der zweite Satz profitiert ebenfalls vom exzellenten Spiel des Philharmonia Orchestra. Das Rubato wirkt wieder deutlicher als in Sydney, der Walzer so zaghaft und zaudernd. Kein Tanz ins Glück, ein Arrangement eher bei dem man nolens/volens mitmachen muss. Er verströmt aber bei aller Präzision mehr Wärme als es in den beiden älteren Einspielungen gelingt, ohne auf den allerdings nie äußerlich wirkenden Biss ganz zu verzichten.
Der dritte Tanz erklingt gegenüber Sydney nochmals verlangsamt, er wird jedoch rhythmisch und pointiert gespielt. Das Xylophon kommt zunächst am besten durch, die Darbietung wirkt kontrastreich. Das exzellente Fagott fällt auf und immer wieder erfreut man sich am satten, farbigen Orchesterklang. Im Verlauf erscheint das Tamburino besser durch als das Xylophon. Die Einspielung verbreitet das Gefühl einer immensen Souveränität und Sicherheit und es scheint, als ob Ashkenazy hier die Summe seiner Erkenntnisse zieht. Der letzte Tam-Tam-Schlag hallt nur kurz nach, bis er vom Jubel in London übertönt wird.
Der Klang der Live-Aufnahme erscheint offen, warm, sehr deutlich und recht plastisch. Er ist dynamischer als die Aufnahmen aus Amsterdam und Sydney. Es gibt während der Aufführung keinerlei Publikumsgeräusche, die es bis auf die Aufnahme geschafft haben. Das Orchester erscheint gut gestaffelt mit einem sehr gut durchhörbaren Holz.
4-5
Vladimir Ashkenazy
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
Decca
1983
11:13 8:51 13:23 33:27
Vladimir Ashkenazy ist ein besonders engagierter Rachmaninow-Interpret. Er hat alleine die Sinfonischen Tänze drei Mal mit Orchester eingespielt (weiteres siehe Rezension direkt oberhalb).
1983, Herr Ashkenazy war damals 46 Jahre jung, geht er alle drei Tänze temporeicher an. Akzentuiert, vital mit einem jugendlich wirkenden Drang. Das Orchester zieht virtuos mit und wirkt klanglich abgedunkelt. Das Alt-Saxophon im Lento erklingt wunderbar weich, wirkt fast schon süßlich, in jedem Fall sinnlich und molto espressivo. Es kann sich gegen die übrigen Holzbläser-Girlanden sehr gut behaupten, ohne zu forcieren. Das Orchesterklavier bekommt in der folgenden Passage mit den auffallenden Streichern nur eine nostalgisch wirkende Klangfarbe zugewiesen. In dieser Aufnahme klingen die Violinen, besonders wenn sie leise spielen, wunderschön. Die „Klangzauber“-Passage bei Zi. 26 wirkt besonders gelungen, d.h. wenn einem die Aura des fast schon unwirklich verklärten nicht stört. Glöckchen, Harfe und Klavier schillern hier um die Wette.
Der Walzer wirkt bei Ashkenazy lebendig und er profitiert von der guten Balance zwischen den samtigen Streichern und dem recht bissigen Blech. Das Violinen-Solo wirkt besonders stimmungsvoll und wird exzellent gespielt, allerdings recht vibratoreich. Das würde heute wahrscheinlich nicht mehr so „vibrieren“. Das Gespann von Englischhorn und Oboe ist klanglich sehr gut aufeinander abgestimmt, das Rubato wird als verunsicherndes Element spürbar. Der Verlauf wirkt nach durchschreiten des expressiven Mittelteils ohne Längen beherzt und leidenschaftlich zugespitzt.
Der dritte Tanz wirkt rhythmisch, recht flott und tänzerisch betont. Das poco a poco accelerando wird mitreißend umgesetzt. Das Xylophon kommt deutlich ins transparente Bild. Das Spiel wirkt stets ausdrucksvoll bis zur Verzweiflung. Das Blech glänzt, auch die Hörner. Es wird nur wenige Aufnahmen mit Herrn Ashkenazy als Dirigenten geben, die gelungener sind als diese.
Der Klang wirkt durch die Akustik des leeren großen Saales des Concertgebouw etwas hallig und leicht verschwommen. Er ist warm, dunkel getönt und klangfarbenstark. Obwohl die Aufnahme noch in der Zeit entstand, als die Digitaltechnik noch meistens unausgereift klang, wirken die Violinen dieses Mal kaum hell und glasig, sie könnten jedoch etwas sonorer und wärmer wirken, wenn man den typischen Concergebouklang aus der Analogzeit oder von heute nimmt. Angesichts des Aufnahmedatums ist der Klang jedoch mehr als gelungen. Die Dynamik ist gut, aber sie könnte breiter sein, denn das Orchester bringt sie, sie verliert sich jedoch in Raum und Technik.
4-5
Mariss Jansons
Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam
RCO Live
2004, live
11:08 9:35 13:06 33:49
Mariss Jansons war 2004-2015 Chefdirigent in Amsterdam. Bei der Aufnahme war er 61 Jahre alt. Diese Aufnahme steht seltsamerweise vor allem aus klanglichen Gründen hinter den beiden anderen aus München und St. Petersburg zurück. Sie gehört nicht unbedingt zu den Glanzleistungen des orchestereigenen Labels, zumindest nicht, wenn man die SACD als CD abspielt.
Sie bietet jugendlich frische Tempi und sie wirkt akzentuiert. Das Orchester zeigt seine überragende Qualität in bestem Zusammenspiel, ausgezeichneter Homogenität und in den herrlichen solistischen Darbietungen. Auch das Saxophon im Lento kann mit den besten Darbietungen mithalten. Die Violinen wirken besonders warm und reichhaltig im Klang und übertreffen ihren Klang von 1983 in der Aufnahme mit Ashkenazy mühelos. Das ganze Orchester klingt weich, samtig, sinnlich und so melancholisch. Mitreißende Beschleunigungen.
Im zweiten Tanz zeigt Jansons und sein Orchester große agogische Freiheit, solistische Eloquenz und einen tollen Schmelzklang. Die St. Peterburger wirken in der 1992er Aufnahme generell etwas härter, sowohl im Klang als auch im Zugriff. Das Concertgebouw-Orchester kulinarischer, das BRSO klingt 2017 in keinem Fall hart, aber noch impulsiver.
Im dritten Tanz haben die St. Petersburger und das BRSO noch mehr Biss, obwohl die Amsterdamer ebenfalls auf Zack sind, ihre Stärke ist jedoch vornehmlich der crèmige, kulinarisch-sinnliche Klang. Zumindest einmal in dieser Einspielung. Nur von wenigen anderen Einspielungen wird der natürlich-voluminöse Klang des Tam-Tams erreicht, es klingt nun wirklich viel besser als in St. Petersburg, der letzte Schlag wäre sehr lange hörbar, wenn der Schlussapplaus nicht dazwischenfahren würde.
Das RCO-Live-Label befand sich noch ziemlich am Beginn seiner Tätigkeit, der produzierte Klang hatte aber schon was Typisches. Das Orchester klang bereits sonor, reichhaltig und tiefgründig, weich, voll und abgerundet. Das Orchester wurde breit und tief gestaffelt abgebildet und wirkt sehr transparent. Aber das Klangbild hat noch etwas leicht Schwammiges, wie wir es von der Ashkenazy-Aufnahme aus Amsterdam bereits kennen und vor allem könnte sie präsenter klingen. Gerade gegenüber der CD aus München wirkt der Klang ziemlich distanziert, besonders Schlagwerk und Blech stehen deutlich zurück und können ihre besondere emotionale Wirkung nur wenig ausspielen. Der Klang wirkt aber farbig und immer noch transparent und dynamisch. Als SACD sehr dynamisch und enorm plastisch, sehr räumlich und mit einer nahezu holographischen Abbildung. Immer weich, nie scharf.
4-5
André Previn
London Symphony Orchestra
EMI
1974
11:25 9:51 13:22 34:38
André Previn ist ein besonders vielseitiger Musiker und Dirigent. Er war Music Director des London Symphony Orchestra: 1969–1979 und Conductor Laureate: seit 1993.
Der erste Tanz beginnt energisch und pointiert, differenziert, farbenreich und rhythmisch elegant. Previn belässt dem Satz zumindest zu Beginn seine tänzerische Note. Im Lento wird das Saxophon sehr deutlich hervorgehoben, die anderen Holzbläser übernehmen ganz deutlich eine eher dienende, umspielende Rolle. Diese „Maßnahme“ lässt das Saxophon natürlich besonders glänzen, die Melancholie darf jedoch durch das recht zügige Tempo nicht ausufern. An Eleganz und Nuancenreichtum fehlt es nicht, es sieht vielmehr so aus, als hätte Previn ein besonderes Verhältnis zu dem Werk, so liebevoll wie er mit der Phrasierung umgehen lässt. Die nachfolgenden Streicher (zunächst sind es nur die Violinen I und die Celli artikulieren frei und mit zurückhaltendem Rubato, das Klavier darf klanglich durchscheinen. Die Streicher musizieren dann im Tutti beseelt, überhaupt befindet sich das Orchester in hervorragender Verfassung, sehr differenziert und doch zupackend. Frei und beweglich musizierend hält der Dirigent doch alles gut zusammen. Was die Musik von Rachmaninow gar nicht verträgt ist eine starre Musizierweise. Pervin macht es vor, wie es richtig geht, wenn schon kein Golowanow mehr da ist.
Der zweite Tanz wirkt atmosphärisch, also stimmungsvoll, schattenhaft und teils abgedunkelt. Doch transparent, das Holz noch etwas hart (Englischhorn und Oboe), aber virtuos. Insgesamt mehr eine Danse macabre als ein schwebender Walzer. Valse triste trifft es ganz gut. Ziemlich leidenschaftlich und warm abgetönt (eine Analogaufnahme) vergisst man verschiedentlich, dass es überhaupt um einen Tanz geht. Das mehrfache heftige Interrotto des Blechs hinterlässt seine Spuren, denn das Blech interveniert durchaus erschreckend, wenn auch nicht so heftig wie bei Swetlanow (insbesondere 1973). Das hat Béla Bartok vielleicht zu seinem Intermezzo interrotto des Konzerts für Orchester inspiriert.
Der dritte Tanz zeigt deutliche Glocken, rhythmisches, lebendiges Musizieren mit einigem Druck. Das wichtige Xylophon klingt deutlich, der langsame Mittelteil trotz seiner morbiden Thematik einfach durch die Schönheit des Klangs verführerisch, teils sogar süffig. Das Tremolo um Zi 73 wirkt hingegen wenig dunkel. Man bleibt sehr leise und zart und demgemäß würde Gevatter Sensenmann sich nur andeutungsweise zeigen, schemenhaft und als Geist, aber nicht wirklich erschütternd wie bei ein paar wenigen anderen Einspielungen. Das Allegro vivace nimmt einen temperamentvollen Verlauf, klanglich voluminös. Dadurch, dass es sich um eine Studioproduktion handelt, kann der letzte Tam-Tam-Schlag sehr lange nachhallen.
Die Aufnahme kam ehemals als Quadro-LP auf den Markt. Sie wirkt aber nicht so ausufernd räumlich wie manch andere Quadro-Produktion, die man wieder ins Stereo-Maß zurückgeführt hat. Sie klingt offen, sehr transparent, sehr dynamisch und brillant. Besser als so mache neue Digitalaufnahme, zu denken wäre z.B. an die Aufnahme mit Morgunov vom Rachmaninow-Jahr 2023. Die Basslinien sind gut durchhörbar. Der Analogklang wirkt weich aber sehr gut konturiert. Das direkte russische Konkurrenzprodukt von 1973 mit Swetlanow hört sich noch dynamischer an, aber etwas weniger differenziert.
4-5
Jewgeni Swetlanow
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija, Regis, CDK Music
1986, live
11:34 9:55 13:03 34:32
Dies ist Swetlanows mittlere Einspielung, die live im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums aufgenommen wurde. Die Tempi werden nicht mehr so kontrastreich ausgereizt wie in der ersten Einspielung. Es fehlt erneut nicht an Drive und deutlichem Marcato. Im Lento klingt die Oboe gar nicht schlecht, aber sie wird mit ihrem vorgeschriebenen pp viel zu laut und viel zu vordergründig wiedergegeben. Sie dürfte nicht lauter als die Klarinette oder die Flöte sein. Besonders negativ fällt es im Dialog mit dem Saxophon auf. Man kann sagen, dass die Oboe (wahrscheinlich ohne Zutun ihres Spielers) dem Saxophon die Show stiehlt. Das kommt davon, wenn der Tonmeister nicht genau in die Partitur schaut. So wird der Passage auch weitgehend die Intimität genommen. Die Violinen I (mit den Celli) klingen hingegen besser als in der ersten Aufnahme von 1973. Immer noch etwas hart, aber nun schon freier und offener und ebenso emotional gesättigt. Das Klavier kommt gut durch. Wir treffen dann erneut auf die beherzten Swetlanow-Steigerungen, wie 1973 gekrönt vom fetzigen, silbrig hellen Blech, dieses Mal leider sehr, sehr stark dominiert von den Trompeten, die fast alles überstahlen. Die „Klangzauber“-Passage nach Zi. 28 klingt etwas brillanter als 1973. Da ist harter Hochton im Spiel, was besonders dem Glockenspiel gar nicht mal schlecht bekommt.
Im zweiten Tanz erschrickt man beim ersten sordinierten Blecheinsatz nicht mehr wie 1973, das Violinen-Solo wirkt deutlich dunkler und melancholischer als damals. Die Walzerbewegung wirkt weniger gestört und etwas flüssiger, obwohl immer noch rubatoreich und zumeist sehr kraftvoll, vor allem bei den Bläsereinsätzen, die immer noch geeignet sind, die Hörer aufschrecken zu lassen. Das ganze Orchester wirkt vereint darin in höchste Ausdrucksregionen vorzustoßen.
Der dritte Tanz profitiert vom brillanten Orchesterspiel mit einem extrem leuchtkräftigen Schlagwerk und ebensolchen Trompeten. Der Gestus wirkt immer noch wild, aber dynamisch viel stärker eingebremst als ´73. Das Tremolo um Zi. 73 wirkt nicht mehr so dunkelschwarz und den Tod verkündend. Es läuft daher lange nicht mehr so eiskalt den Rücken herunter, allerdings war man ja auch bereits gewarnt, denn die ´73er hörten wir zuerst. Immer wieder gibt es einen strahlenden Höhepunkt, angeführt vom strahlenden Blech dessen Trompeten alles (unbotmäßig) dominieren. Die waren live noch mehr entfesselt als im Studio, oder das Mikrophon war ihnen zu hold und zugewandt. Fast wie 1973: Das funkelnde und blitzende Schlagwerk und das beherzte, schwungvolle Spiel.
Der Klang ist recht präsent, vor allem das Holz. Aber auch das Blech. Daher kommen auch die leuchtenden Farben. In leisen Passagen wirkt das Klangbild sehr transparent und räumlich, dann sind leider die Geräusche vom Publikum deutlich. Das Klangbild wirkt nicht gerade warm, angesichts des Datums aber nicht so kalt wie vermutet oder gar abweisend. In eigentlich allen Disziplinen steht die 86er CD hinter der 73er LP zurück. Seltsamerweise ist man bei späteren CD-Pressungen nie auf die ´73er Aufnahme zurückgekommen, sodass man sie schwer finden wird. Zeitweise galten Analogaufnahmen als veraltet und minderwertig. Da ist man zumindest in diesem Fall einem bedauerlichen Irrtum aufgesessen.
4-5
Edward Gardner
London Philharmonic Orchestra
LPO Live
2023, live
11:35 9:30 12:30 33:35
Edward Gardner ist als Nachfolger von Vladimir Jurowski seit 2021 Chefdirigent des Londoner Orchesters. Da es auf dem gleichen Label auch eine Aufnahme mit dem „alten“ Chef gibt, wäre ein genauerer Vergleich der beiden Live-Aufnahmen besonders reizvoll. Leider fällt die Aufnahmequalität der älteren Aufnahme Jurowskis zurück, obwohl man damals noch die SACD als Tonträger unterstützte. Das lässt den Vergleich bereits etwas „hinken“.
Es geht bei Gardner schwungvoll und ähnlich tatkräftig wie bei Jurowski los, aber klanglich noch etwas prägnanter. Das Lento fließt schneller dahin und erscheint uns nicht so subtil und eindringlich wie bei Jurowski gestaltet. Die Violinen I mit den Celli haben damals (2003) noch eine etwas homogenere Spielweise. Gardner bietet die vehementeren Beschleunigungen.
Der zweite Tanz hat bei Gardner mehr Schwung, wirkt weniger nostalgisch und elegisch. Es wird immer hellwach musiziert, daher auch tänzerischer als bei Jurowski, aber zugleich stimmungsvoll und rubatoreich.
Der dritte Tanz wirkt zügiger als bei Jurowski, der Gesamtklang deutlich brillanter und knackiger. Der Blick nach innen (nach der Fermate und dem Tremolo) wirkt bei Gardner nicht so dunkel (oder gar schwarz wie bei Swetlanow 1973). Wir hören bei Gardner eine sehr gut ausgebildete Schlusskurve mit einem spannenden Wettstreit von Dies irae und „Alliluya“. Das Finale wirkt tatsächlich toll inszeniert mit fulminanten Tam-Tam-Schlägen. Der Schlussjubel des Londoner Publikums (übrigens heftiger als bei Jurowski) prasselt rücksichtslos über den lange ausschwingenden Schlussgong herein.
Der Klang aus der Royal Festival Hall wirkt 2023 offener, präsenter, sonorer und plastischer als 2003. Die Tiefenstaffelung allerdings geringer, was man als Tribut an die Einstellung der mehrkanaligen SACD nehmen muss. Das Orchester klingt 2023 zudem dynamischer und deutlicher, nicht aber die Gran Cassa, die hat gegenüber 2003 nachgelassen. 2023 klingt es brillanter und körperhafter, insgesamt besser als 2003, als das Label noch ein wenig in den Kinderschuhen steckte.
4-5
Sir John Eliot Gardiner
NDR-Sinfonieorchester (heute: NDR Elbphilharmonie Orchester)
DG
1993
11:25 9:11 13:10 33:46
Sir John war 1991-94 Chefdirigent des Orchesters. Aus der HIP-Bewegung kommend hatte er beim Orchester damals mit gewissen Widerständen zu kämpfen (umgekehrt wird es ähnlich gewesen sein), sodass man heute rückblickend die vier Jahre nicht als die glücklichste Zeit in der Orchestergeschichte bezeichnen würde. Davon merkt man der Einspielung der Sinfonischen Tänze jedoch nichts an.
Dem ersten Tanz gibt man einen gewissen straffen Zug nach vorne mit, rhythmisch betont, pulsierend und lebendig. Das Orchester spielt klangvoll und lässt einen durch und durch Rachmaninow-typischen Klang hören, der nicht an HIP denken lässt. Da fremdelt niemand und nichts mit den romantischen Ansprüchen, die das Werk an die Interpreten stellt. Auffallend ist die Präzision der Aufführung, nicht nur das Zusammenspiel betreffend, sie betrifft auch den Umgang mit der Dynamik. Beim Lento finden wir die Relationen im Holzbläsergeflecht geradezu ideal. Wenn das Saxophon spielt hält sich das übrige Holz vorbildlich zurück, sodass sich das Saxophon völlig entspannt verströmen kann. Gewöhnlich wirkt es etwas zu sehr „eingesponnen“ durch die anderen Holzbläser oder wird eigens hervorgehoben, entweder durch lautes Spiel oder Veränderung des Aufnahmepegels speziell für das Saxophon, das eigens ein Mikrophon erhält. In Hamburg wählt man eine konzertsaalgerechte Möglichkeit. Die Streicher danach klingen voll, wirken aber leicht belegt, das Klavier untermalt sehr zurückhaltend, sollte ja auch nicht über ein p hinausgehen. Dennoch haben wir diese Passage schon eindrucksvoller gehört, schmelzender, sehnsuchtsvoller. Die „Klangzauber“-Passage ab 4 T. vor Zi. 27 klingt allerdings traumhaft, denn das Tempo wird ganz sachte verlangsamt, was ihr sehr guttut. Hier spielen die Streicher, durch Harfe, Klavier und Glockenspiel erst richtig zum Strahlen gebracht ein wunderbares Cantabile.
Auch der zweite Satz ist klar als Tanz erkennbar, der Walzerrhythmus ganz deutlich herausgearbeitet. Das Orchester lässt sich nun besonders klangvoll hören. Die Solo-Violine spart nicht an Vibrato, dem Anspruch an das Rubato-Spiel wird man vollauf gerecht. Die Partitur-Genauigkeit wirkt penibel, ohne dass man eine sklavische Abhängigkeit heraushören könnte. Im Gegenteil: Der Vortrag wirkt frei und beweglich. Die Außenteile wirken sehr expressiv, der Satz als Ganzes kurzweilig.
Den dritten Satz geht man straff an und lässt ihn knackig beginnen. Die Glocken hört man nur von weiter Ferne (so ist es auch gedacht), das Knochengeklapper erklingt sehr deutlich. Überraschend wirkt der Mittelteil klanglich recht schwelgerisch (selbstverständlich mit Vibrato), der Orchesterklang bleibt auch im lauten Tutti transparent. Der Kampf Dies irae und „Alliluya“ wird spannend vorangetrieben. Die Finalcoda hat Wucht und Temperament. Die Tam-Tam-Schläge wirken gewaltig, der letzte verklingt ungestört mindestens zehn Sekunden lang. Eine Aufnahme unter Studiobedingungen macht es möglich.
Diese Aufnahme klingt ausgezeichnet, viel plastischer, viel transparenter und viel farbiger, offener und luftiger, präsenter als die Aufnahme mit Charles Dutoit mit dem gefeierten Rachmaninow-Orchester aus Philadelphia aus demselben Jahr. Das Blech klingt knackig. Die Dynamik ist ausgezeichnet. Die Gran Cassa und das übrige Schlagwerk wird nicht versteckt. Das Ganze wirkt lebendig und brillant. Aufnahmen aus Hamburg in dieser Art wären durchaus in höherer Zahl willkommen gewesen, aber es sollte nicht sein.
4-5
Leonard Slatkin
Detroit Symphony Orchestra
Naxos
2012
11:18 9:27 13:04 33:49
Leonard Slatkin hat die Sinfonischen Tänze, wie auch die Sinfonien, zweimal eingespielt. Das erste Mal 1979 mit dem Saint Louis Symphony Orchestra für Vox. Bei der zweiten, bei der er 68 Jahre alt war, stand ihm jedoch das bessere Orchester, dem er übrigens 2008-2018 als Musikdirektor vorstand, und die bessere Klangtechnik zur Verfügung.
So beginnt das Werk schon mit mehr Energie und mehr rhythmischem Schwung. Es klingt alles zunächst temperamentvoller und stringenter. Die Streicher klingen ausgewogener, weicher, voller, runder, als ob es mehr an der Zahl wären. Das Holz kommt nicht so vorwitzig ins Bild wie in Saint Louis, das Klavier bleibt zurückhaltend. Im Lento präsentiert sich die Oboe nicht so vorlaut wie 1979, das Saxophon spielt molto espressivo und mit einem sehr schön schwebenden, leichten und klaren Ton, ohne einen metallischen (oder gar rostigen) Unterton, wie ein echtes Holzblasinstrument. Ein insgesamt viel ausgewogenerer und stimmungsvollerer Holzbläsersatz. Im weiteren Verlauf wirkt der Vortrag freier, nicht mehr so reststeif wie in Saint Louis, die Streicher voller, geschmeidiger, singender. Con espressione e molto espressivo. Das Klavier bleibt weiter zurück und ist nur noch als Klangfarbe hörbar. Auch Slatkin selbst wirkt souveräner, zumindest wenn man vom Orchesterspiel ausgehen darf.
Im zweiten Tanz wirkt das Tempo maßvoller, mit mehr Rubato und einer poitierten Phrasierung. Das Violinen-Solo klingt freier artikuliert und zeigt mehr Dynamik (besonders im leisen Bereich), Oboe und Englischhorn klingen weicher, vor allem die Oboe, die Streicher geschmeidiger. Der Gestus des Satzes wirkt emotionaler und tiefgründiger.
Der dritte Tanz hat das gleiche Tempo aber mehr Biss als 1979. Das Orchester spielt mit großer Selbstverständlichkeit auf, nicht so eingeübt, großbogiger und nuancenreicher. Im Solistischen ausdrucksvoller, eloquenter. Die Violinen strahlender, besonders das dolce bei Zi. 80 fällt ins Ohr, jetzt wirkt es wirklich „süß“. Das Xylophon spielt zwar in der vorgeschriebenen Dynamik, wirkt aber nicht exponiert genug, es sollte immer hörbar bleiben. Schließlich stellt es ein unverzichtbares Element bei einem Totemtanz dar. Die Coda bekommt ein gutes Tempo. Der letzte Tam-Tam-Schlag ist kräftig und hallt entsprechend lange nach. Man hört jetzt alle sieben Tam-Tam-Schläge! Die Einspielung stellt eine deutliche Verbesserung in allen relevanten Bereichen dar. Der Dirigent und das Orchester wirken nun reifer, geschmeidiger, souveräner. Das Werk tritt nun als Ganzes sozusagen plastisch hervor. Nicht mehr so episodenhaft wie zuvor.
Wie bereits eingangs erwähnt erweist sich die Klangqualität ebenfalls als verbessert. Es klingt nun voller, sonorer, kraftvoller und mindestens genauso klar. Der Bass gibt ein sattes Fundament, die Gran Cassa klingt tiefer, straffer und voluminöser, die Streicher ausgewogener. Das Klangbild ist tiefer gestaffelt, dynamischer und brillanter. Insgesamt stimmig. Eine rundum gelungene Einspielung zum moderaten Preis.
4-5
David Zinman
Baltimore Symphony Orchestra
Telarc
1994
10:51 8:42 12:37 32:10
Zunächst sieht es so aus, dass hier zwar eine grundsolide Einspielung vorliegt, bei der weder das Orchester als auch die Darbietung als solches aus der Masse der Einspielungen herausragen würden. Aber es wird besser gespielt als erwartet, sorgsam und genau, sogar sehr klangschön, sodass man zum Schluss kommt, dass sogar die Ormandy-Aufnahme von 1960 übertroffen wird. Und zwar buchstäblich und im übertragenen Sinn locker.
Der Walzer im zweiten Tanz wird sehr zügig und besonders tänzerisch genommen, im Vergleich sehr schwungvoll und intensiv, sodass er uns von den dreien dieser Darbietung am besten gefällt. Die Tempogestaltung vertreibt jede Langatmigkeit aus dem langsamen Mittelteil. Den schnelleren Außenteilen steht das Tempo sowieso sehr gut an. Auf das ausdrucksstarke Aufwallen, wie man es z.B. bei Sokhiev in Berlin hört, Jansons oder Petrenko braucht man allerdings nicht zu warten. Hier wird vornehmlich schlank und zügig musiziert. Vielleicht gedacht als Modernisierung oder Entschlackung des mitunter als sentimental oder sogar schwülstig angesehenen End- oder Zuspätromantikers?
Hellhörig geht es in den dritten Satz. Beim Einsatz der Glocken hört man genau, dass die Flöten mitspielen und dass diese eigentlich lauter zu hören sein sollten. Das ist eine Seltenheit und muss Zinman eigentlich hoch angerechnet werden. Zumeist hört man die Flöten gar nicht, manchmal nur als Farbanreicherung. Letzteres gefällt uns am besten. Das Orchester fällt auch im Vergleich mit anderen amerikanischen Einspielungen nicht ab, auch gegenüber der neuen mit Nézet-Seguin und dem Philadelphia Orchestra von 2015 nicht. Auch die Aufnahmequalität nicht. Der Mittelteil des dritten Tanzes klingt etwas schwelgerischer als der des zweiten Tanzes, aber immer noch nicht überbordend gefühlvoll. Ansprechend temperamentvoll, mit tänzerischem Anspruch und hoher Perfektion im Zusammenspiel, geht man ins Finale, wo die immensen Ressourcen der Aufnahmetechnik nun voll ausgereizt werden. Vor allem das Schlagwerk und insbesondere das Tam-Tam profitiert davon. Der letzte Tam-Tam-Schlag klingt nicht lange nach. Er wird nach Ablauf des Notenwerts, ein punktiertes Viertel gegenüber einem Achtel des restlichen Orchesters, rigoros am Nachhallen gehindert. Eigentlich partiturkonform.
Der Orchesterklang wirkt bei normaler Abspiellautstärke etwas entfernt, farbig und bassstark, sehr transparent, gut gestaffelt und realistisch-natürlich. Ein besonderes Schmankerl ist beim Label Telarc die Gran Cassa. So ist es auch dieses Mal. Das geht dann, wenn man es mal so ausdrücken möchte, etwas ins „Übernatürliche“. Ganz ähnlich wie bei der Aufnahme mit Eiji Oue und dem Minnesota Orchestra von RR. Die Violinen klingen nicht schlecht, man hat sie aber schon samtiger gehört.
4-5
Vasily Petrenko
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
Avie Records
2008
11:37 9:58 14:03 35:38
Dies ist eine Aufnahme aus der Liverpool Philharmonic Hall ohne Publikum. Sie beginnt leidenschaftlich und einnehmend-jugendlich, frisch, tatkräftig beherzt und impulsiv, im Verlauf bis ins Stürmische hineingesteigert. Von einem Non allegro kann eigentlich keine Rede sein. Das Orchester mach einen ganz ausgezeichneten Eindruck und kann zumindest in dieser Aufnahme jedem Londoner Orchester erfolgreich Paroli bieten. Da ist im Lento das Saxophon, weich und wenn man so will: zart-schmelzend in bester Abstimmung mit dem exzellenten übrigen Holz. Nur die Violinen erreichen nicht ganz die Qualität der allerbesten, klingen eher hell als sonor, die Abstimmung in der Kantilene mit dem Orchesterklavier passt. Es gibt keinerlei Durchhänger im Spannungsverlauf. Die Temponahme erfolgt kontrastreich, das Spiel wirkt wo möglich rhythmisch stark konturiert.
Das Blech im zweiten Tanz erklingt angemessen durchdringend, nicht schneidend. Das Violinen-Solo klingt ebenfalls erstklassig, nicht überlaut und nicht zu sehr in den Fokus gerückt. Im Ganzen spielt man den Satz sehr beweglich und geschmeidig, nie gekünstelt, aber bisweilen schon ziemlich schräg und bizarr, dann zögernd, dann schwelgerisch, dann bizarr, besonders wenn man sich die Bewegungen getanzt vorstellt, mit einem Hauch Mahler, Saint-Saens und Mussorgsky jeweils hellhörig erfasst und dennoch wie in einem Guss präsentiert. Dann wieder tänzerisch und mitreißend, Petrenko findet hier für jeden Abschnitt das richtige Tempo. Auch irrlichternd-virtuos. Das macht auch vorm Bedrohlichen nicht halt. Das dynamische Spektrum wird voll ausgereizt. Der zweite Tanz gefällt mit Petrenko besonders gut.
Im dritten Tanz werden die sf kraftvoll und heftig herausgestellt, die Glocken wirken recht nah: ein irrlichternder Geistertanz nach Mitternacht mit klarem Knochengeklapper und bestem Zusammenspiel. Teils dämonischer Tanz, teils Klagelied mit seiner Reflexion über die Sterblichkeit (um Zi. 78), mit dem Eintauchen in die Unterwelt und mit den Wagner-Anklängen. Der Mittelteil erlahmt weniger als in vielen anderen Aufnahmen, Petrenko verliert den Spannungsfaden nicht. Der ekstatische Kampf von Dies irae und „Alliluya“ klingt in anderen Einspielungen noch klarer, aber nur selten so mitreißend. Uns fehlt jedoch ein etwas flotteres Tempo. Von den sieben Tam-Tam-Schlägen hört man nur den letzten richtig, das ist schlecht, denn von den sieben sollte man schon alle hören, ist ja eine heilige Zahl, die sicher nicht zufällig von Rachmaninow gewählt wurde. Eine Zahl der Vollkommenheit, Ganzheit und Spiritualität in vielen Kulturen und Religionen, da sie die göttliche Dreiheit oder Dreifaltigkeit (3) mit der materiellen Welt (4) verbindet (3+4=7) und oft für vollendete Zyklen, Schöpfung und Weisheit steht, wie in den sieben Schöpfungstagen der Bibel, den sieben Chakren oder den sieben Wundern der Welt. Sie symbolisiert spirituelle Erkenntnis und Fülle, von den sieben Sakramenten im Christentum bis zu den sieben Himmeln im Islam und den sieben Weltwundern. Immerhin darf der letzte der sieben lange nachhallen bis er verschwunden ist (es ist kein Publikum anwesend), vielleicht bis in ein anderes Leben oder eine andere Welt? So darf man wenigstens mit Rachmaninow (und Petrenko) darauf hoffen.
Der Klang der Aufnahme wirkt klar, offen, voll, abgerundet, weich, doch immer noch straff konturiert und differenziert. Die Tiefenstaffelung ist gut, genau wie die Dynamik. Der Klang ist ausgewogen, d.h. unter anderem, dass keine der Orchestergruppen bevorzugt oder benachteiligt wird.
4-5
Jewgeni Swetlanow
Staatliches Sinfonieorchester der Russischen Föderation
Canyon, Warner
1994
11:57 11:22 14:46 38:05
Dies ist die letzte der drei Einspielungen, die Jewgeni Swetlanow von den Sinfonischen Tänzen vorgelegt hat. Er war dabei 66 Jahre alt. Der Gestus ist immer noch energisch, erneut kraftvoll, jedoch lange nicht mehr so abenteuerlustig und den romantischen Gestus durch pure Expressivität aufbrechend wie 1973 oder etwas weniger drastisch 1986. Das Orchester spielt immer noch sehr aufmerksam und im Vergleich mit vielen anderen Orchestern quirlig, aber im Vergleich zu den eigenen Vorgänger-Aufnahmen wirkt das Wilde darin domestiziert. Der weitaus beste Klang hat die neueste Aufnahme zu bieten, bei der wie bei seiner letzten Tschaikowsky-Gesamtaufnahme der Sinfonien, japanische Klangexperten, die selbst audiophile Klanggourmets zu sein scheinen, für die Klangtechnik zuständig waren. Sie ermöglichen, dass das Orchester in praktisch jeder Lebenslage einen von technischen Mängeln völlig unbeeinflussten seinen Top-Klang aufnehmen kann. Das ist aber nur einer der Gründe, möglicherweise hat sich das Temperament und damit verbunden die Dirigierweise des Dirigenten mit den Jahren verändert? Im Lento erscheinen die Holzbläser mit dem Alt-Saxophon an der Spitze nun viel harmonischer, auch etwas entfernter. Die Oboe klingt nun lange nicht mehr so vordergründig wie vor allem in der Live-Aufnahme von 1986. Die Präsenz der Holzbläserharmonien und -melodien ließ jedoch die 1973er Aufnahme am meisten zu Herzen gehen, obwohl das Saxophon 1994 einfach phantastisch klingt. Die immer noch sehr lebendige Dynamik wirkt in der neuesten Aufnahme sehr kontrastreich. Die Violinen klingen hier weitaus am besten, das Orchesterklavier ebenfalls. Die Passage wirkt jedoch nicht mehr so leidenschaftlich, traurig und herzzerreißend wie noch 1973. Nicht dass man nun meinen könnte, dieser Einspielung des ersten Tanzes würde es an etwas fehlen, dies ist immer noch ein Tanz aus Abenteuer, Liebe Anstrengung, Licht und Schatten, berauschend, sehnsüchtig, romantisch, verzweifelt, energisch und kraftvoll. Davon ist immer noch alles fühlbar, aber es überfällt einen nicht mehr so wie 1973, wirkt nun gemäßigter.
Im zweiten Tanz klingt das Holz (wie natürlich bereits im ersten, da haben wir es nur nicht erwähnt) am ausgewogensten (leider genauso am entferntesten, aber immer noch glasklar). Auch der abendliche Tanz, der Walzer ist von maßvoller, nun vielleicht sogar besonders morbider Leidenschaft durchdrungen. Ist es denn schon der letzte Walzer? Die glühende Leidenschaft von 1973 gibt es hier nicht mehr. Das Tänzerische wirkt gemütlicher, ruhiger. Die Einschübe des Blechs wirken nicht mehr so alarmierend wie zuvor (1986 und vor allem 1973) und lange nicht mehr so schrill. Da regiert nun eher die Fülle des Wohllauts. Die Einspielung möchte nun auch die nun erreichte und aufnehmbare großartige Orchesterkultur demonstrieren. Sie hinterlässt zumindest einmal diesen Eindruck und er ist nicht zu leugnen.
Beim dritten Tanz sind die Glocken (p), wie in sehr vielen Einspielungen, wieder viel lauter als die Flöten (mf), der Streicherklang wirkt phantastisch weich und crèmig, das ganze Orchester zwar vornehmlich dunkel doch auch farbenreich. Es spielt sehr virtuos und sein Blech klingt nun herausragend, nicht mehr russisch hart, silbrig und schneidend, sondern eher mitteleuropäisch weich und golden. Die Perestroika hat bereits Spuren hinterlassen, ob man nun andere Instrumente angeschafft hat oder die Techniker und Equipment aus Japan geholt hat. An Spannung hat das Spiel jedoch gegenüber `73 und ´86 verloren. Die Steigerungsverläufe steuern jetzt auf superdynamische Höhepunkte zu, aber die Sogkraft ist nicht mehr die alte. Den letzten Tam-Tam-Schlag lässt Swetlanow in keiner der drei Aufnahmen ausschwingen. Er bleibt der Partitur treu und lässt sich auf keine Mutmaßungen ein.
Der Klang der Aufnahme war lange Zeit referenzverdächtig, zumindest bis die Aufnahmen von Jansons (2017) und Petrenko (2020) auf den Markt kamen. In jedem Fall liegt hier die klanglich beste Aufnahme mit Swetlanow vor. Sie klingt voll, natürlich, sehr klar, sonor bis füllig, fast üppig, warm, weich, rund, wohlgeordnet und sehr dynamisch. Die räumlichen Proportionen stimmen genau. Es gibt auch im ff des Tutti keine Transparenzprobleme. Sie hat sich das Prädikat audiophil vollauf verdient. Oder auch luxuriös. Einziger möglicher Kritikpunkt ist die leichte Distanzierung des gesamten Orchesters. Das ist einer der Gründe, weshalb vor allem die 73er Aufnahme noch erheblich emotionaler und knackiger wirkt.
4-5
Tugan Sokhiev
Orchestre National du Capitole de Toulouse
Naive
2010
11:16 9:27 14:35 35:18
Aufgenommen wurde in La Halle aux graines in Toulouse. Tugan Sokhiev war 2008-2021 Chefdirigent des Orchesters in Toulouse, ab 2012 dann auch des DSO in Berlin. Sokhievs Nachfolger in Toulouse wurde übrigens der junge Finne Tarmo Peltokoski.
Der erste Tanz, ehemals sollte er „Mittag“ heißen, einen Titel den Rachmaninow jedoch wieder verwarf, beginnt Sokhiev in Toulouse ebenfalls beschwingt und vital. Das Lento spielt sich dicht vor „der Nase“ des Hörers ab, selbst die allerkleinste Nuance des Saxophons ist da zu hören, auch das allerkleinste Vibrato, ja das gibt es tatsächlich hier. Das zügige Tempo verhindert eine tiefere Versenkung, man möchte anscheinend nicht, dass es allzu melancholisch oder gar traurig wird. Das übrige Holz tritt zurück. Ab Zi.14 ist das Klavier eher ein optischer Statist, denn zu hören ist es fast nicht. Die Streicher spielen dagegen sehr expressiv und dürfen viel intensiver auf die Tränendrüsen drücken als das Saxophon zuvor. Die Darbietung des 33jährigen kann man kaum als nuancenreich in den Niederungen der Dynamik und während der langsameren Tempi bezeichnen (anders als nur zwei Jahre später in Berlin) aber als vorantreibend in den schnellen. Die „Klangzauber-Passage“ um Zi. 27 wird allzu zügig genommen, wie soll sich da die Magie (alleine schon des Glöckchen-Klangs verstärkt von Harfe und Klavier) richtig entfalten können?
Nach dem ehrfurcht- und einhaltgebietenden Blecheinsatz entsteht der Walzer zurecht nur zögerlich. Das Violinen-Solo erklingt expressiv; hört man da nicht die Scheherazade von Rimsky-Korsakow durch? Englischhorn und Oboe treten für die vorgesehene Dynamik sehr kräftig in Erscheinung, aber weich, rund und dunkel im Klang. Vorbei sind auch in Toulouse schon längst die Zeiten an denen die Doppelrohrblattinstrumente hart, hell, nasal und dünn geblasen wurden. Der Walzer selbst erfährt eine der lebendigeren Darbietungen, wallt groß auf, jedoch durchaus flott, ohne den tänzerischen Gestus zu ignorieren
Groß, kräftig und ambitioniert setzt sich das Orchester im dritten Tanz in Bewegung, stark kontrastierend, rhythmisch pointiert, kontrastreich und effektvoll. Der eher schwelgerische Mittelteil wirkt ausdrucksvoll, aber wie in den Sätzen zuvor nie richtig leise. Die Gegensätze werden kräftig gegenübergestellt und die Auseinandersetzung über die „Deutungshoheit“ zwischen Dies irae und orthodoxer Auferstehungsliturgie des Finales erfolgt kämpferisch. Das Orchester spielt wie aus einem Guss. Der letzte Tam-Tam-Schlag fällt ein wenig „mickrig“ aus und wirkt so der eigentlich auf Größe bedachten Darbietung unwürdig. Er klingt aber einige Sekunden lang aus.
Der Klang macht einen offenen, sonoren, weichen, vollen und abgerundeten Eindruck. Das Orchester wirkt präsent, aber doch ziemlich dicht und kompakt, also weniger räumlich. Andere Einspielungen wirken erheblich deutlicher, z.B. Sokhievs Berliner Aufnahme. Dort wird das Orchester noch besser aufgefächert und transparenter. Man hat zwar durch die Präsenz der Aufnahme einen „Erlebnisplatz“ ziemlich weit vorne erwischt, aber so fehlen einfach die richtig leisen Töne. Wie das klingen kann, lässt sich wiederum in Sokhievs Berliner Aufnahme viel besser hören. Sehr dynamisch geht es allerdings vom mf bis zum ff zu. Der Bass wurde nicht vergessen.
4-5
Vladimir Spivakov
National Philharmonic Orchestra of Russia (auch Russische Nationalphilharmonie genannt)
Spivakov Sound
2023
11:20 8:50 13:10 33:20
Das Orcheter wurde 2003 von Herrn Spivakov, der vielen Musikfreunden vielleicht noch eher als Geiger bekannt sein dürfte, gegründet. Nach über 20 Jahren ist er immer noch Chefdirigent und musikalischer Direktor. Er lässt „sein“ Orchester tatkräftig mit angetriebenem, frischem Spiel in den ersten Satz einsteigen. Sogar etwas aufgeregt und in jedem Fall sehr motiviert. Das Lento erklingt im Jubiläumsjahr in Moskau vielleicht besonders melancholisch. Vielleicht hat man auch an den Krieg in der Ukraine gedacht. Das Saxophon klingt ziemlich betörend, wird jedoch von der Oboe und der Klarinette sehr stark umrankt. Die Violinen I zunächst nur gemeinsam mit den Celli klingen da weniger weich, vielmehr leicht und ein wenig dünn, die Celli hört man deutlich heraus. Da gelang in vielen Einspielungen bereits ein vollendeter Mischklang, meist hört man jedoch die Violinen I in der Mischung stärker als die Celli. Das Tempo bleibt für ein Lento ziemlich flott, man tut alles, um nicht in Trauer, Selbstmitleid oder Depression zu versinken.
Der zweite Tanz, der unterbrochene Walzer, wirkt recht schnell, tänzerisch und vital. Da klingt es konzertanter, also weniger symphonisch als üblich. Das Holz wird deutlich herausgestellt. Das Blech kommt zwar ebenfalls gut zur Geltung, aber lange nicht so expressiv und erschreckend wie bei Swetlanow (besonders 1973). Sogar der Mittelteil wirkt noch etwas beschwingter als üblich. Wie das Orchester aus Toulouse spielt auch dieses Orchester nie richtig leise bzw. es wurde nie richtig leise aufgenommen.
Der dritte Tanz lässt einen schön irrlichterden Totentanz hören, allerdings wirken die tanzenden Toten hier alles andere als wirklich hinfällig. Sondern sehr vital und beweglich. Leicht, fast wie die Geister in Mendelssohns Sommernachtstraum. Sollte da etwa sanfte Ironie hörbar werden? Der Katzenjammer folgt natürlich, zu hören im Klagen und Seufzen des Mittelteils. Während das Xylophon deutlich herauskommt, wirkt das Blech weniger durchdringend, eher weich, kommt zudem in keiner Weise an das von Swetlanow (in allen drei Aufnahmen) gebotene heran. Spätestens beim letzten Tam-Tam-Schlag wird klar, dass wir keine Live-Aufnahme hören, denn er darf lange nachhallen und es brandet kein voreiliger Applaus oder Jubel auf.
Diese Aufnahme klingt ebenfalls eher präsent und gedrungen als räumlich oder gar ausladend. Das Holz klingt sehr nah, aber nicht gestochen scharf ortbar. Im solistischen Spiel eher, aber nicht im Zusammenspiel. Es liegt ein hoher Anteil an Mischklang vor. Insgesamt wirkt der Klang recht trocken, doch farbig, dynamisch und recht brillant. Angesichts des Aufnahmedatums klingt es etwas aufgerauter als andere neuere Produktionen beispielsweise aus Baltimore, Toronto oder Philadelphia.
4-5
Enrique Batiz
Royal Philharmonic Orchestra London
Naxos
1991
11:21 9:18 15:31 36:10
Diese Einspielung entstand in der Henry Wood Hall zu London. Der Mexikaner bringt tatsächlich ein wenig südländisches Temperament in den ersten Tanz mit ein. Es klingt nicht nur vorantreibend und akzentuiert, sondern fast schon ein wenig kampfeslustig. Im Lento besticht wieder einmal das „Jazz-Instrument“ schlechthin, das Alt-Saxophon mit einnehmend weicher Tongebung und Phrasierung, das umspielende Holz hält sich vorbildlich zurück, wirkt jedoch zugleich aufnahmetechnisch ein wenig zurückgesetzt, ohne dass es erheblich an Deutlichkeit einbüßen würde. Die Violinen I klingen (trotz der Unterstützung durch die Celli) glasig, also wenig warm und weich, sie phrasieren jedoch sehr ausdrucksvoll und lassen es nicht an gefühlvollem Rubato fehlen. Señor Batiz schärft die Dramatik in diesem Tanz wie sonst nur Jeweni Swetlanow in seiner ersten Einspielung von 1973, sogar noch etwas heißblütiger. Nach dem Lento wird ordentlich beschleunigt um so die Jugend oder das was im „Mittag des Lebens“ noch davon übrig ist temperamentvoll hochleben zu lassen. War doch alles nicht so schlimm, auch die Rückschläge haben wir überlebt, was will man mehr?
Der zweite Tanz ist hier ein weich wiegender Walzer, lebendig und ziemlich sinnlich und ausgestattet mit ungemein druckvoll angesteuerten Höhepunkten. Es wird viel Leidenschaft ins Musizieren eingebracht, durchaus geschmackvoll und die Herkunft nicht vergessend. Man bleibt also in Russland.
Der dritte Tanz beginnt ebenfalls enorm druckvoll, auf genau befolgte Partitur-Ausdeutungen trifft man zuhauf. So klingen die Glocken nur selten einmal so leise (pp) und die Flöten zugleich einmal so laut (mf). Im Verlauf werden die Partitur-Anweisungen ebenfalls voll ausgespielt, durchaus in ungewohnt drastischer Manier. So wirken die Seufzer so drastisch, dass man schon an eine Parodie denken könnte. Der Mittelteil wird leider ein wenig über Gebühr gedehnt und so das larmoyant-theatralische mehr als gestreift. Ob Rachmaninow es so gedehnt gewünscht hätte? Vor Zi. 80 werden die Hörner deutlich herausgestellt. Das Allegro vivace bleibt dann etwas hinter den Erwartungen an das Tempo in den drei bisher von Batiz gehörten Tänzen zurück. Plastisches Xylophon. Sehr zügiges „Alliluya“ als Stretta.
Der Klang der Aufnahme erscheint knackig und sehr dynamisch, etwas hart allerdings, aber durchhörbar und ganz gut tiefengestaffelt. Transparent auch im Streichersatz. Das Schlagwerk geniest besondere Präsenz, und da erscheint ein ff im Blech schon einmal ein wenig rücksichtslos, blechern und schreiend. Dann wird es auch mal undeutlicher, aber nicht unkultiviert.
4-5
Vladimir Ashkenazy
Sydney Symphony Orchestra
Exton
2008, live
11:09 9:32 13:39 34:20
Die zweite Einspielung Ashkenazys entstand 25 Jahre nach der Decca-Aufnahme, seiner ersten. Er war 2009-2014 Chef in Sydney und zur Zeit der Aufnahme 71. Das australische Orchester ist mittlerweile ein sehr gutes Orchester, gegenüber der ´83er Decca wirkt der Orchesterklang sogar etwas sonorer und bassstärker, was jedoch zuerst auf die verbesserte Aufnahmequalität zurückzuführen sein dürfte. Solistisch zeigt es sich ausgewogen und hochklassig besetzt. Das berührende Saxophon-Solo im Lento wirkt sehr kantabel und erscheint gut mit den übrigen beteiligten Holzbläsern abgestimmt. Nur die Violinen klingen weniger homogen als in Amsterdam, jedoch alles andere als schlecht. Während des Arioso der Streicher hören wir vom Klavier (bzw. Flügel) leider fast nichts, zumindest eine kolorierende Wirkung wäre wünschenswert gewesen, denn ein Klavier als Orchesterinstrument ist 1940/41 immer noch eine große Besonderheit. Strawinsky hat es allerdings schon 1911 in „Petruschka“ gebracht und Schostakowitsch in seiner Fünften. Eine Novität war es also nicht mehr. Das Blech klingt nicht so weich und geschmeidig wie in Amsterdam. Bei unserer „Klangzauber“-Passage vor Zi. 27 werden die Violinen nicht so glanzvoll vom Glockenspiel, Klavier und Harfe umsponnen wie ´83 oder auch 2016 in London. Da kann ja schon die Orchester- oder Mikrofonaufstellung oder -aussteuerung den Unterschied machen.
Der zweite Tanz erscheint nun im Tempo verlangsamt, aber nicht schwerfällig. Das Violinen-Solo fällt leicht ab, während Englischhorn und Oboe sehr schön rund und recht voll klingen. Beide sind zudem gut aufeinander abgestimmt. Die unterschiedlichen Tempi werden nun mehr untereinander ausgeglichen, 1983 zog Herr Ashkenazy noch eine kontrastreichere Gegenüberstellung vor. Es ergibt sich jetzt ein fließender Gesamteindruck, sodass der Walzer auf die (imaginären) Tänzer (bzw. Hörer) nicht mehr so sehr verunsichernd wirken dürfte.
Der letzte Tanz bekommt zunächst einen ziemlich deutlich herausgearbeiteten Scherzo-Charakter, ein Scherzo als eine Art Vorspiel zum abschließenden vierten Satz, integriert in einem Satz, wobei man den langsamen Mittelteil nicht vergessen darf. Das Schlagzeug könnte teilweise besser durchkommen, insbesondere Xylophon und Tamburino, wobei der Mangel beim knochenklappernden Totentanz schon mehr ins Gewicht fällt. Auch beim „Alliluya“ vermisst man die kräftigende Schlagzeugunterstützung. Der letzte Tam-Tam-Schlag klingt nicht nach.
Der Klang der Aufnahme aus Sydney wirkt klarer, dynamischer und sonorer als bei Decca 1983. Die Kindertage der frühen digitalen Aufzeichnung schlagen im Vergleich mehr durch als wenn man die 83er Aufnahme völlig isoliert von anderen hört. Nun klingt es auch nicht mehr hallig oder verschwommen. Der Orchesterklang wird gut aufgefächert, sogar der Streicherklang wirkt sehr differenziert. Insgesamt klingt es körperhafter und brillanter als in Amsterdam. Während der Aufführung gibt es keinerlei Regung des Publikums zu vernehmen, aber auch keinerlei Ausklingen des Tam-Tams, was auf einen Cut vor dem Beifallssturm hindeuten könnte.
4-5
Kyrill Kondraschin
Moskauer Philharmoniker
Melodiya, Hänssler-Profil, Audiophil Classics
1963
11:08 9:50 13:10 34:08
Diese Einspielung galt oder gilt bis heute vielen als eine Art Referenzeinspielung. Aus musikalischer Sicht wäre diese Einordnung nicht unverdient, leider kann die Klangqualität selbst in der vermeintlich besten Edition von Audiophil Classics, die der Aufnahme sogar eine Gold-CD als Tonträger spendiert, nicht gleichermaßen überzeugen. Mit Kyrill Kondraschin gibt es auch noch einen Live-Mitschnitt aus dem Jahr 1976 mit dem Concertgebouw-Orchester, bei dem er ja über einige Jahre bis zu seinem Tod eine Planstelle innehatte. Leider konnten wir auf diesen Mitschnitt nicht zugreifen.
Musikalisch ist die Darbietung vom Anfang bis zum Ende packend. Die Bassklarinette brummt ganz tief, da hat sich wohl ganz dicht dran ein Mikrophon verirrt. Man hört sie sehr oft da prominent mit, wo man sie bisher kaum zur Kenntnis genommen hat. Die Gangart Kondraschins ist dramatisch geschärft. Mit viel Energie und vitalem Schwung wird man bisweilen wie von einem Überfall überrascht und man erzeugt eine fast unglaubliche Spannung. Dem Saxophon-Solo gibt man eine deutlich von den anderen Holzbläsern unterschiedene klangliche Aura mit. Im Timbre ist es eines der am wenigsten ausgewogenen. Die Spielweise wirkt dennoch durch ihren romantischen Ausdruck. Die Violinen klingen leider trotz Gold-CD stark verfärbt und unfrei. Gerade nicht in der Agogik, die leistet nämlich gerade dem äußerst expressiven Ausdruck Vorschub. Das Spiel des Orchesters wirkt besonders nebenstimmenreich, wenn es nicht zu laut zugeht. Das Blech klingt sagenhaft dynamisch (teils noch mit Vibrato!) und wie bei Swetlanow 1973 noch mit dem typischen Sowjetklang der Trompeten, schneidend-scharf und silbrig-hell. Der Gestus erscheint unglaublich drängend, ganz ähnlich wie bei Swetlanow (1973), nur dass es bei diesem viel ausgewogener klingt. Bei beiden kommt die besondere Orchestercharakteristik sehr gut zum Vorschein. Da kann man die Aufnahme mit Golowanow getrost als Urahn sehen. Die Passage, die wir „Klangzauber“ genannt haben um Zi. 27 wird durch den Klang der Violinen eingeschränkt, der Glanz des Glockenspiels entfaltet sich ungehindert. Der erste Tanz klingt sagenhaft expressiv.
Der zweite Tanz eröffnet das Blech (die Hörner und vor allem die schneidend intensiven Trompeten) genauso überfallartig-erschreckend wie bei Swetlanow (1973). Der Bass poltert den Walzerrhythmus so laut wie in keiner anderen Einspielung mit. Die Solo-Violine erklingt rau und metallisch. Englischhorn und Oboe spielen ihr kleines Duett hart und steif aber immerhin recht intonationsrein. Die Streicher spilen unglaublich dynamisch auf, sodass es am oberen Dynamikende zum Übersteuern kommt. Das alles hört man auf der Gold-CD von Audiophile Classics in aller Deutlichkeit, man holt zwar das Beste auf der Aufnahme raus, aber die Aufnahme selbst lässt schon zu wünschen übrig, man kann eben aus einem „hässlichen Entlein“ keinen schönen Schwan zaubern. Der Mittelteil wallt richtig auf, geheimnisvoller und leidenschaftlicher als üblich. Die Schlusssteigerung erklingt soghaft und heftig.
Im dritten Tanz setzt sich das hellwache, straffe Musizieren fort. Das Blech bohrt sich regelrecht hinein ins Gemüt der Hörer/innen. Man hat nun den Pegel reduziert, was dem Orchesterklang etwas Präsenz raubt, an den verzerrten ssf ändert diese Maßnahme leider nichts, sodass man es besser beim vorherigen Aufnahmepegel belassen hätte, gerade wegen der „anmachenden“ Präsenz. Zu Beginn klingen die zwölf Glockenschläge sehr deutlich, vom gewünschten p kann man da schon lange nicht mehr reden. Die Hörner der Moskauer sind in bester Verfassung, ohne Intonationsmängel, ohne zu Kieksen. Mitternächtlicher Spuk ins Quadrat gesetzt. Das Knochengeklapper des Xylophon wurde kaum je so schrill gehört wie hier. Das Tam-Tam darf nachklingen (Aufnahme unter Studiobedingungen). Vorsicht bei dieser Einspielung sind Gehörschäden möglich.
Bei der Klangqualität liegen selten einmal Licht und Schatten so nah und so schroff beieinander. Die Dynamik ist mitunter sagenhaft weit und übertrifft auch moderne Digitalaufnahmen. Sie klingt beim Spiel von kleineren Besetzungen sehr offen und sehr transparent. Es sind Verfärbungen zu hören, die sich genauso verstärken, wenn es lauter wird, wie sich Offenheit und Transparenz verschlechtern. Die Präsenz ist teilweise sehr hoch, sodass das Erleben unmittelbar ermöglicht wird. Im heftigen ff übersteuert die Aufnahme und der Klang ändert sich ins unangenehm Schrille und es scheppert. Aus einer guten Körperhaftigkeit wird ein Klang, der sich nur noch in zwei statt drei Dimensionen abspielt. Und die gehörte Gold-CD soll noch die beste Ausgabe der Aufnahme sein, die je gehandelt wurde. Hätte man als Staatunternehmen, das Melodija zumindest früher einmal war, doch nur einmal in modernes Aufnahmeequipment investiert… Im Kalten Krieg zog man es vor alles in Waffen, Weltraumfahrt und Spionagegerät zu investieren. Und beim Klassenfeind einzukaufen, das war undenkbar, zumindest wenn es um den Klang der selbst produzierten Platten ging.
4-5
Simon Rattle
Berliner Philharmoniker
EMI
2010
11:47 9:48 14:03 35:38
Simon Rattle war von 2002 bis 2018 Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Er lässt den ersten Tanz klangschön aber etwas breiter und wenig drängend beginnen. Der Gestus wirkt eher suchend als abenteuerlich erobernd wie man es prototypisch bei Jewgeni Swetlanow (vor allem 1973) hören kann. Rattles Gestaltung wirkt zunächst viel weniger kontrastreich, aber durchaus noch recht intensiv. Das Lento wird wunderbar gefühlvoll und warm gegeben mit einem intim gestaltenden Alt-Saxophon und mit sehr schön spielenden Beiträgen von Oboe und Englischhorn, Klarinette und Flöte. Klanglich für unseren Gusto: Sonderklasse. Die Violinen I mit den Celli ab Zi. 14 und später dann alle Streicher klingen ebenfalls außerordentlich klangschön mit sprechender Phasierung, eher zart als mit Kraft oder gar Vehemenz gesteigert, wie bei Swetlanow. Meist hören wir ein Spiel wie auf Samtpfötchen, nur teilweise mal richtig zupackend, das Elegische betonend und reichhaltig im Klanglichen. Im Ganzen zurückhaltend und wenig plakativ und wenig auftrumpfend. Schon auf seinen „Lebens-Mittag“ scheint der Komponist wehmütig zurückzublicken. Aus der Situation des Alters heraus, während im Vergleich bei Swetlanow (1973) oder Kondraschin (1963) u.a. das Leben selbst pulste.
Im zweiten Satz zeigt sich der Walzer von seiner gefühlvollen Seite, das Englischhorn klingt umwerfend schön, genau wie die Oboe, das Orchester wird eigentlich nur noch von seinem eigenen Spiel zehn Jahre später bei Petrenko übertroffen. Simon Rattle gestaltet die Tempowechsel geschmeidig, nicht taumelnd, eher unterschwellig verunsichernd, sich erst spät zu richtiger Leidenschaft aufschwingend. Insgesamt wirkt das Spiel obwohl recht sanftmütig spannungsreich. Rattle hat dieses Mal die große Entwicklung im Satz im Auge. Es fehlen jedoch die Ausrufezeichen, die Entladungen vornehmlich des Blechs bei Swetlanow und dessen außerordentlicher Kontrastreichtum.
Im dritten Tanz nimmt das Spiel einen stark konzertierenden Charakter an, meist gelassen und freundlich wirkend. Man höre sich nur die sagenhaft weichen Streicherpassagen um Zi. 71 an. Diese Einspielungen stellt sich als ideal dar, wenn es um die Präsentation der Schönheiten der Musik geht. Da gibt es keine tiefschwarze, fahle Atmosphäre bei Zi. 73, keine Todeserfahrung, keine Verzweiflung, dazu klingt es einfach nicht nachdrücklich genug, währen die Seufzer-Motive sehr deutlich gemacht werden. Guter, spanender, aber langsamer finaler Steigerungsbogen. Dies irae und „Alliluya“ kommen klar zur Geltung. Das Laissez-vibrer des letzten Tam-Tam-Schlages reicht bis in die Stille hinein. Bei Rattle spielen die Philharmoniker fabelhaft klangschön wie bei Petrenko, aber lange nicht so intensiv und dramatisch.
Die Aufnahme klingt transparent, räumlich, weich voll, eher gedeckt als brillant, eher schimmernd als glänzend Das Orchester wird gut gestaffelt und klingt dynamisch solide. Gegen die zehn Jahre jüngere Aufnahme von BP Recordings mit Kirill Petrenko klingt sie bereits richtig in die Jahre gekommen.
4-5
Pavel Kogan
Staatliches Sinfonieorchester Moskau
Alto, Musical Concepts
1990
11:40 9:51 13:22 34:53
Das Orchester wäre trotz der ähnlichen Namensgebung nicht mit dem Staatlichen Sinfonieorchester Swetlanows (das heute seinen Namen trägt) oder den Moskauer Philharmonikern zu verwechseln. Aufgenommen wurde in einem Moskauer Filmstudio. Der dirigierende Sohn von Leonid Kogan und Jelisaweta Gilels, der Schwester von Emil Gilels, studierte zunächst Geige und gewann als solcher den Sibelius-Violin-Wettbewerb in Helsinki, wurde dann aber später Schüler des Dirigenten-Gurus Ilya Musin. Er hatte Chefpositionen in Zagreb (1988-90) und seit 1989 des Staatlichen Sinfonieorchesters Moskau inne.
Kogan lässt den ersten Tanz temperamentvoll und jugendlich, ja heißblütig beginnen. Das Lento wird weit in die Ferne gerückt, buchstäblich und im übertragenen Sinn wie: von weitem kommt die Erinnerung her, als betont nostalgische Erinnerung. Die Violinen spielen expressiv, erscheinen jedoch ebenfalls abgerückt, wie verklärt, aber diffus klingend. Der Gestus nach dem langsameren Mittelteil wirkt wieder spontan und vorantreibend. Die „Klangzauber“-Passage wallt bei den Streichern mächtig auf. Das Orchester macht einen mit dem Werk vertrauten Eindruck, spielt virtuos, kraftvoll und sauber.
Im zweiten Tanz wird nicht an Gefühl und Vibrato gespart, die Kontraste werden in den Vordergrund gestellt. Kogan scheint sich dabei auf die Tradition von Golowanow, Kondraschin und Swetlanow zu berufen, auch Mariss Jansons, der zwar kein Russe ist, aber ebenfalls bei Ilya Musin studiert hat, bringt ebenfalls noch Elemente aus dieser Tradition mit ein.
Der dritte Tanz erklingt erneut beherzt, zügig und kraftvoll-vorantreibend, ein Gestus der alle drei Tänze bei Kogan mehr oder weniger eint. So entwickelt sich zunächst etwas wie eine Geisterjagd, ziemlich geschärft. Der Mittelteil erklingt traditionsgerecht dunkel, sehr gefühlsbetont, fast depressiv. Das Allegro vivace dann wieder antrittsschnell, recht turbulent, mit straffen Steigerungen und prächtigen Höhepunkten. Da ist viel Verve gepaart mit einer gewissen Risikobereitschaft mit im Spiel. Die „Kampfbereitschaft“ zwischen den Themen (Dies irae und :Alliluya“ wird gut hörbar. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf ausklingen, er wird aber nicht so fest angeschlagen, dass er sehr lange nachklingen könnte. Wenn nur die Klangqualität besser wäre!
Es herrscht nämlich Hallenatmosphäre mit einem distanziert aufgenommenen Orchester, besonders beim Holz. Hallig und unbedämpft, das ist untypisch für ein Studio. Der Klang suggeriert zwar so eine gewisse Größe, aber auch eine gewisse Haltlosigkeit und Verlorenheit. Es klingt hart, wenig warm, jedoch ganz gut gestaffelt. Das Schlagwerk wird mit viel weniger Hall versehen als Holz oder Blech. Das wirkt schon etwas seltsam. Es werden eher dunkle, fahle, blasse Farben bevorzugt. Die Dynamik wirkt zwar kräftig, wird aber vom starken Hall in Mitleidenschaft gezogen. Schläge oder andere Dynamikspitzen verpuffen ein wenig im (zumindest einmal virtuell) riesigen Raum. Alles wirkt etwas diffus, was eine ganz eigene Stimmung mitbringt. Es klingt besser als bei Kondraschin 1963 aber schlechter als bei allen drei Swetlanow-Einspielungen.
4-5
Yuri Temirkanow
Sankt Petersburger Philharmoniker
Signum
2008, live
11:17 9:20 13:50 34:27
Dies ist Temirkanows letzte Einspielung der Sinfonischen Tänze und seine einzige aus Sankt Petersburg, obwohl er drei Mal „seine“ Sankt Petersburger dabei dirigierte. Ein Indiz, wie oft das Orchester damals auf Reisen war. Heute hört man indessen gar nichts mehr vom ehemals besten sowjetischen bzw. russischen Orchester. Vielleicht hängt es mit dem Aufstieg des Mariinsky Orchestra und Herrn Gergiev und dessen Verbindung zum Machthaber in Moskau zusammen. Und vielleicht hätte man ebenfalls ein eigenes Label gründen müssen? Herr Temirkanow war bei der Aufnahme 70. Wie 2004 wirkt der Beginn des Werkes nicht mehr so kraftvoll, jugendfrisch und abenteuerlustig wie 1992, als Temirkanow und Jansons mit demselben Orchester ihre beiden ersten Aufnahmen des Werkes machten. Im Lento erklingt das Alt-Saxophon schön präsent und es hat die Führung im Bläsersatz, der im Übrigen sehr schön kammermusikalisch abschattiert erscheint. Das Saxophon selbst klingt erneut etwas weniger weich und crèmig als bei den besten mitteleuropäischen Orchestern und erneut wie auch bei Jansons (1992) etwas angerostet. Das missfällt nicht, klingt eben nur anders. Die Violinen erklingen lange nicht mit der substanzreichen Fülle der Berliner oder des BRSO. Es wird aber sehr schön phrasiert und zu Tränen rührend gut gespielt. Es klingt eher wie in Philadelphia mit schlankem Ton, farbig, virtuos. Man spielt jedoch klangsinnlicher als 2004, was aber auch an der Signum -Klangqualität liegen könnte.
Beim zweiten Tanz kommt das Blech schön präsent ins Bild (wie 1992 und besser als 2004), fast so ätzend wie bei Jansons (1992). Da das Holz mittlerweile exzellent besetzt ist, überzeugt auch das Duett von Englischhorn und Oboe. Die Steigerungen wirken ausdrucksvoll bis leidenschaftlich. Der Walzer verbreitet endzeitliche Stimmung.
Nicht ganz so explosiv wie 1992 und immer etwas fülliger, im Verlauf langsamer und ein wenig behäbiger geht es im dritten Tanz voran. Das sind jedoch nur Nuancen, die eigentlich nur im direkten Vergleich zum Tragen kommen. So wird auch während der Schlusssteigerung weniger scharf rhythmisiert. Das Tam-Tam dürfte ausvibrieren, aber auch das Publikum in St. Petersburg hat keinen rechten Sinn dafür und applaudiert dazwischen, das wäre beim gestrengen Mrawinsky vermutlich nicht passiert.
Der Klang der Aufnahme wirkt etwas kompakter, aber immer noch klar und sehr präsent, vor allem das Holz. Brillant und etwas fülliger als in Temirkanows Aufnahmen von 1992 und 2004. Sie wirkt weniger perspektivisch, weniger tiefengestaffelt und weniger dynamisch als die 1992er Aufnahme.
4-5
Yuri Temirkanow
Sankt Petersburger Philharmoniker
Warner
2004, live
10:46 8:56 13:20 33:02
Dies Aufnahme entstand live in der Royal Albert Hall in London. Sie beginnt zügig, aber im Gestus nicht besonders drängend und etwas nüchtern. Das Saxophonsolo wirkt nicht so dynamisch und klanglich weniger angerostet als noch 1992 (bei Jansons/St. Petersburg besonders), es hätte jedoch ein etwas ausdrucksvolleres Rubato vertragen können (wie bei Jansons). Die Violinen I mit den Celli bzw. anschließend die kompletten Streicher ziehen ebenfalls ziemlich gerade durch. Ausdruck gewinnt diese Passage vor allem durch die Melodie selbst, weniger durch ihre Ausführung. Im Verlauf gibt es allerdings mitreißende Accelerandi. Das Orchester ist immer noch sehr gut, bei Jansons (und bei Temirkanow beide 1992) war der Zugriff jedoch noch vehementer und härter. Dies ist 2004 zumindest im ersten Satz fast schon ein Rachmaninow für Romantik-Verächter, es geht ziemlich klar und „straight“ durch, virtuos und recht kühl.
Attacca geht es zum zweiten Satz über (das Attaca-ineinander-Übergehen der drei Sätze machen innerhalb der kompletten Liste nur zwei oder drei Dirigenten). Eingangs wirkt das Blech noch flüchtig, als ob es noch nicht mit dem frühen Beginn gerechnet hätte, zusammen ist man aber doch. Da wo es vermerkt steht, wird das Rubato gebracht, genau wie es Temirkanow bereits 1992 zu tun pflegte. Das Violinsolo trägt viel Vibrato auf. Englischhorn und Oboe klingen wie bereits 1992 mitteleuropäisch, recht warm und voll. Der Streicherklang wirkt voll. Ein Walzer mit Auflösungserscheinungen, so wie er klingen soll. Der Mittelteil erneut ausdrucksvoll gestaltet, „schön“ dunkel, schattenhaft und gespenstisch.
Die Orchesterqualität scheint gegenüber den Aufnahmen von 1992 (Temirkanow und Jansons) nicht signifikant eingebüßt zu haben. Das bestätigt der dritte Tanz ebenfalls. Er wirkt rhapsodisch, jedoch wie in einem Guss musiziert. Der Mittelteil mit ausdrucksvollen Seufzer-Motiven. Im Allegro vivace erneut mit straffem Impetus, ohne an die 92er Jansons heranzukommen, da es ihr gegenüber vor allem aufnahmetechnisch an Dynamik fehlt. Das Thema aus der Vigil hat viel Schwung. Der letzte Tam-Tam-Schlag geht in seinem Ausschwingverhalten im begeisterten Applaus des Publikums der Royal Albert Hall unter.
Von den drei Aufnahmen Temirkanows (1992, 2004 und 2008) bringt diese die geringste Dynamik mit, ohne in dieser Disziplin schlecht zu sein. Sie klingt jedoch transparent, offen, voll und warm. Die Ortbarkeit einzelner Instrumente kann ebenfalls gefallen.
4-5
Peter Oundijan
Toronto Symphony Orchestra
TSO Live
2012, live
11:35 9:31 13:20 34:26
Eine Aufnahme aus der Roy Thomson Hall in Toronto. Peter Oundijan dürfte vielen Musikfreunden noch als hervorragender Geiger in Erinnerung sein, denn er war als solcher 14 Jahre lang Primarius des Tokyo String Quartet. Eine Überlastungsverletzung brachte ihn dazu, seinen beruflichen Schwerpunkt auf das Dirigieren zu legen. Er war 2003-2018 Musikdirektor des TSO. Heute ist er Chefdirigent des Colorado Symphony Orchestra. Technisch wird der erste Tanz makellos ausgeführt, schlank im Klang, flexibel im Tempo, mit beherzten Beschleunigungen und gutsitzenden und gutklingenden Soli wirkt der Satz viel leichter als üblich, obwohl man die Basslinie nicht vernachlässigt hat und die Violinen warm klingen. Dieser Rachmaninow wirkt modern interpretiert und ist mittlerweile ziemlich weit entfernt von der russischen, schwermütigen Art des Musizierens.
Das merkt man dem Gestus des zweiten Tanzes ebenfalls an. Er wirkt ziemlich lebendig und tänzerisch, kaum je die nostalgisch-melancholische Stimmung zum tieftraurigen überkippen lassend. Das hindert nichts daran, die Steigerungen intensiv zu gestalten und die Beschleunigungen im vorgegebenen Rahmen strikt zu beherzigen. Rubato wird nicht überbetont, erneut wird flexibel und technisch perfekt musiziert. Das eint fast alle Einspielungen vom amerikanischen Kontinent, ob sie nun aus Baltimore, Minnesota, Philadelphia oder wie hier aus Toronto stammen.
Der dritte Satz zeigt eine gewisse kantenlose Virtuosität, die die amerikanischen Orchester, zumindest die, die bei diesem Vergleich dabei sind, ebenfalls eint: virtuos aber weniger nachdrücklich, souverän, aber jeden emotionalen Überdruck meidend. Es fehlt so an der andernorts bereits gehörten Leidenschaft, aber das mag jeder anders empfinden. Es wirkt manches noch ein wenig verspielter, wo bei anderen bereits das Drama seinen Lauf nimmt. Die drei Tänze wären bestens geeignet als „Soundtrack“ einer Ballettaufführung, man kann die leichten Ballerinen schon richtig vor sich sehen, wie sie der Erdanziehungskraft trotzen. Dabei mangelt es keineswegs an Partitur-Treue, so hört man alle Tam-Tam-Schläge und der letzte davon darf bleiben, bis sich das Publikum in Toronto nicht mehr halten kann.
Das orchestereigne Label hatte 2012 noch nicht viele Aufnahmen veröffentlicht, dennoch wirkt das Ergebnis bereits hoch professionell. Der Klang ist offen, klar und gut ausbalanciert, gut gestaffelt und bietet ein breites und tiefes Panorama. Trotz der guten Basswiedergabe wirkt der Klang leicht. Es sind während der Aufführung keinerlei Geräusche von Zuhörern zu hören.
4-5
Edo de Waart
London Philharmonic Orchestra
Philips, Decca
1972
11:08 9:15 14:17 34:40
Edo de Waart gehört zu den ersten, die einen kompletten Zyklus der Sinfonien und einige Orchesterwerke aufgenommen hat. Zuerst mit dem LPO, dann als er 1973-79 Chef der Rotterdamer Philharmoniker wurde, ebendort. Zur Zeit der Aufnahme war der Dirigent 31. Es gibt mit ihm noch einen zweiten Zyklus mit den Niederländischen Radio-Philharmonikern auf Exton, der aber ohne die Sinfonischen Tänze auskommen muss. Der Dirigent soll bereits 1963 Oboist des Concertgebouw-Orchesters gewesen sein und wurde dort von Bernard Haitink gefördert. Bei Bernstein war er allerdings zuerst Assistent erst danach bei Herr Haitink. Vielleicht konnte er die Aufnahme deshalb mit dem LPO gestalten, da Haitink 1969-79 Chefdirigent desselben war. Beide niederländischen Dirigenten waren lange bei Philips unter Vertrag.
Als die Aufnahme veröffentlich wurde, stieß sie noch auf sehr wenig Konkurrenz. Zu kaufen gab es damals gerade mal die Ormandy-Aufnahme und die mit Kondraschin, wenn man Glück hatte, die anderen waren bereits wieder gestrichen oder noch nicht veröffentlicht. Man konnte damals also durchaus noch von einer Rarität sprechen. Und selbst die erste Swetlanow-Aufnahme, aus heutiger Sicht ein Meilenstein der Diskographie des Werkes, erhielt nur eine denkbar geringe Resonanz. Heute sieht es in Sachen Rachmaninow erheblich besser aus und an guten Einspielungen der Sinfonischen Tänze herrscht kein Mangel mehr. Edo de Waart bringt die Musik mit natürlichem Fluss, akribisch genau und mit einem fein abgemessen wirkenden jugendlich-frischem Maß an Leidenschaft. Das Saxophon-Solo klingt bereits sehr schön und es wird geschmeidig vom restlichen Holz umspielt, wobei die Oboe 1972 noch etwas heller klingt als in späteren Aufnahmen des Orchesters (2003 und 2023). Sie wird jedoch akustisch gut bedämpft, sodass es kaum stört. Die Streicher spielen empfindsam, nie dramatisieren sie so wie die russischen Aufnahmen von Kondraschin oder Swetlanow. Ihr flexibles Legato „spricht“ sanfter, das gelang also auch schon vor der HIP, vielleicht unbeabsichtigt. Der klare Philips-Klang bringt reichlich feine Details zum Vorschein. Die Dynamik wirkt recht kontrastreich.
Im Walzer wird der tänzerische Gestus durch Tempo und Schwung gewährleistet. Das Blech kommt sehr gut ins Bild und das ganze Orchester gefällt mit ausgezeichneter Innenbalance. Es schien dem jungen Dirigenten gerne gefolgt zu sein. Solo-Violine, Englischhorn, Oboe hat man bei dem Orchester schon deutlich unvorteilhafter gehört, als hier. Temperament geht hier noch vor Traurigkeit. Dies ist doch mehr eine Danse macabre als eine Valse triste. Es fehlt nicht an Nuancen.
Im dritten Tanz bringt de Waart nach dem Eingangs-Sforzato den als Anapäst-Rhythmus notierte Figur, als ob sie aus drei gleichlangen Noten bestehen würde. Das hört man sonst nur bei Neeme Järvi und Andrew Davis in dieser Form. Und alle drei werden staccato intoniert, eigentlich sollte nur der letzte der drei staccato gespielt werden. Seltsam, dass dies bei drei Dirigenten vermeintlich unabhängig voreinander vorkommt. Die dunklen Passagen wirken stimmig, das Allegro vivace könnte indes etwas mehr Drive mitbekommen. Der „Kampf“ Dies irae gegen „Alliluya“ erklingt kraftvoll und recht markig-entschlossen, allerdings hätten wir uns etwas mehr Tempo gewünscht. Der nicht sonderlich mächtig angeschlagene letzte Tam-Tam-Schlag hallt lange nach.
Der Klang der Analog-Aufnahme wirkt ausgewogen, recht voll, weich, abgerundet und warm, recht plastisch, transparent und recht körperhaft. Dynamik und Bass wissen zu gefallen, die Gran Cassa wird noch nicht wie später in machen Digitalaufnahmen übertrieben. Es wirkt brillant, sehr räumlich, deutlich und natürlich.
4-5
Yannick Nézet-Seguin
Philadelphia Orchestra
DG
2018
11:46 9:53 13:45 35:24
Das Philadelphia Orchestra war das Orchester der Uraufführung. Es hat also die längste Tradition in der Beschäftigung mir den Sinfonischen Tänzen. Es galt als das Lieblingsorchester Rachmaninoffs und er hielt es damals für das weltbeste. In unserem Vergleich erscheint es dreimal. 1960 mit Eugene Ormandy (CBS-Sony), 1990 mit Charles Dutoit (Decca) und zuletzt diese mit seinem derzeitigen Music Director (2012 bis zumindest 2030, wenn die Verträge eingehalten werden). Ganz ähnlich wie zuvor Peter Oundijan in Toronto wirken die Tempi wohlgewählt, der Gestus eher leicht und locker. Das ist nicht die russische Schule (und schon gar nicht das Klischee der „Russischen Seele“), eher folgen Dirigent und Orchester dem ursprünglichen Plan Rachmaninows eine Ballettmusik zu komponieren und sie auch so zu spielen. Hell und federnd. Im Lento wirkt das Saxophon einen Hauch rauer als beispielsweise das bei den Berliner Philharmonikern (Petrenko und Rattle), der Klang von Oboe und Englischhorn wirkt schlank und etwas härter als der warme, samtige Klang aus Berlin. Die Violinen und im Verlauf die Streicher allgemein erklingen ebenfalls schlank und hell, an den samtigen, schmelzenden Klang der Berliner kommen sie nicht heran. Es klingt jedoch auf amerikanische Weise sehr schön, sehr schlank und ebenfalls homogen, mit einem sehr hohen Maß an Präzision, aber man vermisst so etwas wie Herzenswärme. Das wäre allerdings eine höchst subjektive Kategorie, die jeder anders bewerten wird. Aber auch im Vergleich mit vielen Aufnahmen aus der Ormandy-Zeit vermisst man die Opulenz früherer Tage, zumindest wenn man sie schätzt. Es wirkt lichter, schlanker und noch etwas kühler. Nach wie vor oder vielmehr wieder wirkt das Zusammenspiel perfekt.
Wenn man nur die Einspielungen der Sinfonischen Tänze des Philadelphia Orchestra ins Kalkül ziehen möchte, dann klingt es bei Nézet-Seguin jedoch durchweg besser als bei Ormandy oder zumindest entspricht es dem heutigen Zeitgeschmack eher. Das Schlusslicht bildet der Klang des Orchesters im Zustand der Einspielung mit Charles Dutoit 1990. Davon später mehr.
Beim Walzer werden die vorgeschriebenen Rubati deutlich in Szene gesetzt und geschmeidig umgesetzt, sogar auffallend deutlich. Dies ist eine sehr transparente Darstellung bei der kein Detail verloren geht. Obwohl der Satz als Ganzes spannend wirkt, bleibt er in allem etwas blasser als bei Petrenko in Berlin.
Der dritte Tanz erklingt lebendig aber kaum drängend, auch hier zunächst zügig und locker-beschwingt. Meist wirkt es zudem ein wenig nüchtern, zumindest wenn man die Berliner unter Petrenko noch im Ohr hat. Ein ums andere Mal dachten wir an die Paganini-Rhapsodie, vor der wir eine Einspielung in derselben Besetzung vorliegen hatten. Das Orchester spielt im Prinzip genauso, bei den Sinfonischen Tänzen ertappten wir uns dabei, dass wir das Spiel des Solisten Daniil Trifonow als Manko empfanden. Er hat uns ein bisschen gefehlt bei den Sinfonischen Tänzen. Seltsam. Der ebenfalls lockerer als üblich gehaltene Mittelteil wirkt ein wenig unverbindlich. Die damalige (relative) Modernität wirkt abgemildert, Rachmaninow ist in dieser Einspielung zum Klassiker geworden. Die Tam-Tam-Schläge überzeugen. Und der letzte wird sehr beherzt angeschlagen so dass er sehr lange nachhallen kann. Nicht zuletzt weil es sich um eine Aufnahme ohne Publikum handelt. Zumindest haben wir nichts von ihm gehört.
Der Klang der Aufnahme wirkt schlank, plastisch, detailreich, klar, offen, brillant und dynamisch, recht prächtig im ff und farbig. Aber im direkten Vergleich von allem etwas weniger als man es in der Aufnahme mit Petrenko in Berlin hören kann. Für sich genommen klingt die Aufnahme sehr gut.
4-5
Neeme Järvi
Philharmonia Orchestra, London
Chandos
1991
11:24 10:52 13:44 36:00
Bei Neeme Järvi geht es im ersten Tanz zunächst stramm vorwärts. Das klingt mitunter etwas steif, denn von Rubato findet sich keine Spur. Beim Lento klingt das Holz sehr schön (incl. der Oboe) und obwohl ebenfalls zügig, sehr gefühlvoll. Das Saxophon darf dominieren. Das Orchester klingt insgesamt gut, die Violinen (besonders wenn die Violinen I mit den Celli alleine spielen) klingen etwas dünn, aber man entfaltet eine sehr lebendige, viril wirkende Dynamik. Auf Nuancen, besonders im leisen Bereich der Dynamik legt Herr Järvi sen. deutlich weniger wert als Sohn Paavo, der dem Vater in diesem Bereich besonders weit voraus ist. Langeweile wie bei Herrn Gergiev kommt keine auf.
Wenn wir auch den zweiten Satz mal mit der LSO-Aufnahme Gergiev vergleichen wollen, dann fällt auf wie gefühlvoller Neeme Järvis Tempo di valse gestaltet wird. Es klingt zudem farbiger, temperamentvoller und viel leidenschaftlicher. Und schwungvoller. Nun spielen die Streicher der Philharmonia sehr sinnlich!
Im letzten Tanz werden die sf gut betont. Die Glocken erklingen ganz ohne die Flöten, zumindest hört man keine, obwohl sie eigentlich lauter zu spielen hätten. Neeme Järvi lässt den Gestus im Mittelteil nicht so weit ins Depressive hineinfallen, bei ihm bleibt man immer noch mit beiden Beinen im Leben. Sogar vital und wenn wir „Nacht“ auf das Lebensalter übertragen wollen: auch noch im hohen Alter. Die Tam-Tam-Schläge erklingen deftig (überhaupt das Schlagwerk zur Gänze) und der letzte ist dabei der heftigste. Er klingt mit am längsten nach von allen gehörten Einspielungen, es dürften wohl 20 Sekunden sein, im Vergleich tatsächlich eine kleine Ewigkeit.
Die Aufnahme von Chandos wirkt sehr dynamisch, kraftvoll und farbig, das Orchester sehr körperhaft und präsent. Ganz anders als die Orchester-Aufnahmen dieses Labels Anfang der 90er Jahre gewöhnlich klingen. Nur vom Bass hört man fast nichts.
4-5
Lorin Maazel
Berliner Philharmoniker
DG
1984
11:33 9:07 13:09 33:49
1984 entstand die Gesamtaufnahme der Orchesterwerke Lorin Maazels als direktes Konkurrenz-Angebot der DG zur Decca-Einspielung Ashkenazys. Und als eine sehr späte Antwort auf die Veröffentlichungen von Edo de Waart bei Philips, Jewgeni Swtlanow bei Melodija-Eurodisc und Leonard Slatkin bei Vox, von denen man sich anscheinend weniger herausfordern ließ. Klanglich nicht völlig gelungen wirkt sie musikalisch mehr als gediegen. Man beginnt zwar nicht gerade mit jugendlichem Ungestüm aber auch nicht lahm. Die Phrasierung wirkt pointiert, die Spielweise hellhörig und partiturgerecht. Die Philharmoniker mussten das Werk, das damals sicher noch nicht zu ihrem Repertoire gehörte, neu einstudieren. Auf das Klavier hat man als Besetzungsbesonderheit besonderen Augenmerk gelegt. Im Lento klingt das Saxophon zwar ebenfalls weich, voll und rund, wie in den späteren Aufnahmen mit Rattle und Petrenko, aber sogar noch ein wenig jazzig eingefärbt. Trotz der frühen Anwendung der damals noch unausgegorenen Digitaltechnik klingen die für den spezifischen glasig-harten Klang, der auch vor der DG nicht ganz Halt machte, besonders anfälligen Violinen bereits recht voll und weich. Das hätte schlimmer ausgehen können. Das Orchester klingt noch stark nach der Karajan-Zeit, wenn man einmal vom enorm kräftigen Schlagwerk absieht, das alles andere als glatt wirkt. Das wäre vom damaligen Chef (bis 1954-1989) sicher nur abgedämpfter zu hören gewesen wäre. Nebenbei: Die sinfonischen Werke (also auch die Sinfonischen Tänze) waren für Karajan Terra incognita. Unseres Wissens dirigierte er nur das 2. Klavierkonzert einmal für die Schallplatte (mit Alexis Weissenberg). Zur Zeit der Aufnahme war das Verhältnis von Chef zu Orchester bereits merklich eingetrübt und man suchte für die damals noch lukrativen Schallplattenaufnahmen verstärkt Kontakte zu jüngeren Dirigenten.
Lorin Maazel kümmert sich ziemlich im zweiten Tanz wenig um einen rubatoreichen Vortrag, wie er dem Komponisten für sein Werk vorgeschwebt haben mag. „Sein“ Walzer erklingt klar, sehr deutlich und in ziemlich strenger Metrik. Wie fast immer bei den Berlinern spielt das Holz sehr klangvoll. Wir hören eine flüssige, auch stimmungsvolle Darbietung des Walzers, nicht ohne Empathie, teils sogar mit engagiertem Espressivo. Petrenko ließ jedoch noch engagierter und noch differenzierter spielen, er hatte allerdings zudem eine in jeder Hinsicht überlegene Klangtechnik an seiner Seite.
Der Schlusstanz wirkt temperamentvoll und er wird mit expressiven Steigerungen und brillant-prallen Höhepunkten veredelt. Man hat sich unterdessen an den Digitalklang der Violinen gewöhnt und nimmt nun einen homogenen Topp-Klang wahr. Die dunklen Passagen wirken besonders gelungen wobei die sonoren Bässe einen ganz besonderen Anteil haben dürften. Besonders im Mittelteil macht sich die besondere Legato-Spielkultur des Karajan-Orchesters bemerkbar. Die erhaben-rasante Coda erklingt mit der ganzen Strahlkraft des damaligen Blechs. Fast schon ein wenig blechlastig. Das Tam-Tam ist gut heraushörbar, der letzte Schlag wird jedoch sofort abgestoppt, sodass er nicht nachklingen kann.
Der Klang der Aufnahme wirkt erstaunlich transparent, die Räumlichkeit wirkt dabei jedoch kompakt. Das Orchester klingt sonor, farbig und brillant. Auf Tiefenstaffelung müssen wir jedoch verzichten, das Klangbild wirkt sehr flach. Das Schlagwerk kommt sehr gut zur Geltung, besonders die Pauken und die Gran Cassa.
4-5
Valerie Kuzmich Polyansky
Russian State Symphony Orchestra
Chandos-Brillant
1998
11:54 10:51 14:09 36:54
Dies ist die erste oder zumindest eine der ersten Aufnahmen des ehemaligen Swetlanow-Orchesters, das heute State Academic Symphony Orchestra of Russia „Evgeny Svetlanov“ heißt, ohne Swetlanow selbst. Obwohl er eigentlich noch bis 2000 dem Orchester vorstehen sollte, wurde er angeblich wegen mangelnder Präsenz 1999 entlassen. Polyansky war nicht sein Nachfolder, das war Wassili Sinaisky. Herr Polyansky leitet seit 1992 (angeblich bis heute) die State Symphony Capella of Russia, das Orchester das vor der Perestroika Staatliches Sinfonieorchester des Kultusministeriums der UdSSR (unter Roshdestwensky) war. In Moskau gibt es eine kaum durchschaubare Anzahl von Sinfonieorchestern, deren Unterscheidung durch die zahlreichen Umbenennungen nicht gerade einfacher wird. Man nahm wieder im Konzertsaal des Moskauer Konservatoriums auf.
Das Spiel des Orchesters wirkt schön, geschliffen und fein abgestuft. Der Gestus wirkt (anders als beim „alten“ Chef) wenig zugespitzt und vermittelt ein eher lässiges Zeitgefühl. Dass nun weniger Rubato zum Einsatz kommt als üblich, könnte nur bei der Aufführung eines Balletts von Vorteil sein. Während das Saxophon-Solo im Lento noch präsent und „konkret“ klingt, werden die umrankenden Holzbläsergirlanden dieses Mal mit einer entrückenden Hall-Glocke versehen. Das irritiert nicht wenig, denn solche Effekte ist man von ernsthaften Einspielungen klassischer Musik bis heute nicht gewöhnt. Vereinzelte Versuche die Musik so „interessanter“ klingen zu lassen gab es indes schon immer. Das gleiche Schicksal der klanglichen Entrückung wird den Violinen I, den Celli und dem Orchesterklavier anlässlich der „Sehnsuchtsmelodie“ zuteil, die im Raum geradezu entschweben. Nach Beendigung dieser Aura der Transzendenz gibt es wieder die „normalen“, recht griffigen akustischen Zustände. Der Verlauf entwickelt sich temperamentvoll mit tänzerischem Zugriff und dynamischem Verlauf. Das Spiel des Orchesters wirkt glasklar und sehr genau, man hat seit Swetlanow das Musizieren nicht verlernt. Sehr brillanter „Klangzauber“ um Zi. 27.
Die sonor und brillant klingenden Einwürfe des Blechs erschrecken nun nicht mehr, wie noch bei Swetlanow. Das was man im ersten Tanz an Rubato eingespart hat, das holt man jetzt üppig nach. Im Walzer variiert das Tempo ständig, man zögert, dann beschleunigt man leicht, dieser Walzer eskaliert diese Eigenschaft schon fast ins „Rubatoselige“, zudem wirkt er sehr triste. Manch einem Musikfreund könnte das schon zu viel des Guten sein, auf Dauer wirkt es auch auf uns so ganz bewusst anders, dass es fast schon selbstgefällig erscheint. Aber das kann man auch anders sehen. Das Orchester bleibt gut zusammen, der Orchesterklang wirkt immer noch ausgezeichnet, kann dem Klang der letzten Swetlanow-Einspielung von 1994 auf Canyon durchaus Paroli bieten.
Im dritten Tanz wirken besonders die Streichermelodien besonders energiegeladen. Das erinnert an den Gesang der russisch-orthodoxen Liturgie. Die Außenteile wirken trotz der relativ langsamen Gesamtspielzeit bewegt, treiben voran. Es ist der deutlich verlangsamte Mittelteil der für die Gesamtspielzeit verantwortlich ist. Sehr verträumt, fast entrückt kommt es hier fast zum Stillstand. Es gibt strahlend-majestätische Höhepunkte, so kraftvoll, dass sie nicht so schnell verpuffen. Das Xylophon erklingt deutlich, das Tam-Tam dreht langsam auf, der letzte gipfelt in einem extrem lauten Krachen. Länger klang noch kein Tam-Tam aus, zumindest nicht in unserer Liste. Dies ist in unseren Ohren eine ausgereifte Darbietung mit eigenem Profil und sehr gutem Klang und aber auch ein paar Längen.
Der Klang der Aufnahme ist luftig, offen, warm, transparent und sauber. Das Orchester erscheint gut gestaffelt, brillant und ausgewogen, bisweilen etwas hallig. Über die effektvolle Einhallung der beiden genannten Passagen im ersten Satz muss der ernsthafte Hörer gezwungenermaßen hinweghören. Ansonsten wirkt der Klang hochwertig.
4-5
Eiji Oue
Minnesota Orchestra
Reference Recordings
2001
11:52 10:25 14:27 36:44
Der 1957 in Hiroshima geborene Eiji Oue war von 1992-2002 Music Director des Minnesota Orchestra. In Deutschlang dürfte er dennoch eher als Chef der NDR-Radiophilharmonie in Hannover 1998-2009 in Erinnerung geblieben sein. Die Einspielung entstand in der Orchestra Hall in Minneapolis. Das Orchester spielt recht leicht und dynamisch, großbogig aber auch detailfixiert. Es spielt homogen und klangschön. Im Lento wird das Alt-Saxophon stärker herausgestellt als üblich. Das liegt vor allem daran, dass das umspielende übrige Holz noch weiter entfernt erscheint als das Saxophon selbst. Da es dabei nicht mehr vollständig in aller Klarheit zu hören ist, geht das Primat der Saxophonstimme schon über das zulässige Maß hinaus. In einigen Einspielungen konnte sowohl das Saxophon-Solo als auch die Ranken des übrigen Holzes deutlicher gehört werden. Die Crux dieser Einspielung könnte je nach Geschmack das allgemein ziemlich distanziert aufgenommene Gesamtorchester sein, in dieser entfernten Situation noch stark in der Lautstärke zu differenzieren und trotzdem deutlich zu bleiben ist schwierig. Die Violinen I und die Celli klingen sehr schön sind aber nicht auf expressive Rekorde aus. Das Klavier ist gerade noch hörbar. Alles verbleibt im entfernten Gesamtklang noch ganz deutlich. An Schwung und Vitalität fehlt es der Darbietung im ersten Tanz eigentlich nicht. Aber beides kommt einem nicht so nah und geht auch nicht unter die Haut.
Beim Walzer zeigt sich das Orchester im Solistischen gekonnt (Violine, Englischhorn und Oboe) und in den Gruppen homogen. Die Streicher müssen dabei besonders gelobt werden, sie wirken sehr präzise. Trotz des gebotenen Rubatos, das allerdings nicht exzessiv wirkt. Der Ausdruck des Satzes wirkt vielgestaltig, man geht zwar den schlanken, amerikanischen Weg, bleibt jedoch charaktervoll.
Die Eckteile des letzten Tanzes wirken besonders dynamisch. Das komplette Instrumentarium ist jederzeit gespenstisch klar zu hören, da wird nichts überdeckt. Im Finale wirkt das besonders strahlend und „glockenrein“. Dies ist das besonders schlanke Pendent zu nachfolgenden viel voller klingenden Einspielung Pletnevs. Das zuletzt sehr kräftig angeschlagene Tam-Tam darf ca. sieben Sekunden nachhallen, das ist schon viel.
Der Klang der Aufnahme wirkt kristallklar, sehr weiträumig und realistisch, so als hätte man einen Platz ziemlich weit hinten im Auditorium erwischt. Obwohl das Orchester distanziert abgebildet wird, klingt es sehr transparent, allerdings nicht in allen Situationen. Die Aufnahme wirkt sehr leise überspielt, damit die ausgesprochen wuchtige und staubtrockene Gran Cassa in voller Größe und Wucht bewundert werden kann. Da erreicht die Aufnahme tatsächlich die Referenzqualität, die der Name des Labels verspricht. Um eine angenehme Präsenz zu erreichen muss man den Lautstärkepotentiometer höher deutlich stellen als üblich, was die Gran Cassa dann übermächtig werden lässt. Dann muss man mit Gehörschäden rechnen. Es könnte körperhafter klingen, voluminöser und voller. Als Ganzes klingt es für uns dem Label-Namen zum Trotz nicht referenzverdächtig. In Sachen Transparenz, Räumlichkeit und Gran Cassa schon. Auch in diesem Bereich gehen die Geschmäcker bekanntlich auseinander.
4-5
Mikhail Pletnev
Russian National Orchestra
DG
1997
13:04 9:50 14:28 37:22
Wie Vladimir Ashkenazy spielte auch Mikhael Pletnev die Fassung der Sinfonischen Tänze für zwei Klaviere ein. Er nimmt das „Non Allegro“ wörtlich und schlägt ein langsames und bedächtiges Tempo an. Das Orchester macht einen hervorragend disponierten Eindruck. Klangsatt, farbenreich, dynamisch, solistisch erstklassig und ausgewogen befindet es sich bereits sieben Jahre nach seiner Gründung auf höchstem Niveau. Dem Gestus fehlen allerdings Drang und jugendliche Abenteuerlust. Ohne Rubato wirkt die Musik distanziert, wobei die Musiker das langsame Tempo erfolgreich nutzen, um detailreich auszugestalten und schwelgerisch auszukosten. Das geht – wie man hören kann – auch mit einer gewissen Distanz zum Spannungsgehalt der Musik. Das Lento wirkt fein austariert, die Oboe klingt weich und verführerisch. Sie wird jedoch vom beispielhaft weich, voll, nuanciert und sonor spielenden Saxophon noch übertroffen. Die übrigen Bläser halten sich mit ihren Girlanden rücksichtsvoll zurück. Das klingt einfach wunderbar. Die Streicher schwelgen im Anschluss zurückhaltend und in Melancholie. Pletnev lässt ausgesprochen detailgenau musizieren, manchmal wirkt es schon übertrieben gestochen. Er investiert wenig Impetus in Tempo und Beschleunigungen, stattdessen umso mehr in die Dynamik. Die Passage, die wir „Klangzauber“ genannt haben (um Zi. 27) Streicher mit Harfe, Klavier und Glockenspiel wird mit reinem Understatement geradezu verpasst. Diese Darbietung kommt einer De-Romantisierung der Musik schon ziemlich nah, zumindest wird sie sehr weit getrieben. Jedoch scheint der fulminante Klang allein schon die Spannung hochzuhalten.
Der Walzer wirkt durch und durch dunkel timbriert und wehmütig gestimmt, er könnte kaum vollmundiger klingen, nie schlank wie in Philadelphia oder Minnesota, teils bedächtig, teils sogar nochmals retardierend. Die Blech-Interruptionen wirken klanglich sehr weich und erschrecken niemanden. Der ganze Satz erwärmt eher, als dass er uns frösteln ließe. Selbst die Blitze des Schlagwerks erscheinen wie vergoldet.
Der dritte Satz oder Tanz wird vor allem vom sehr langsamen Mittelteil geprägt, der einen sehr wehmütigen Rückblick auf das Leben mit stark betonten Seufzern nimmt. Die Spannung wirkt gefährdet. Pletnev lässt sich sehr viel Zeit bis er zum Allegro kommt und auch das wirkt nicht so recht „vivace“, es wird aber ordentlich gesteigert, zwar breit, aber klangmächtig. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf lange nachhallen, obwohl er zunächst in der Klangfülle noch gebremst erscheint. Insgesamt eine eigenwillige Deutung des Stücks, die besonders durch ihre klanglichen Meriten und das fulminante Orchester überzeugt. Musikalisch stellen sich ein paar offen bleibende Fragen.
Der Klang wirkt breitbandig, transparent sehr detailreich, voll, sonor und plastisch, körperhaft und brillant. Das Orchester wird gut in die Tiefe gestaffelt. Es klingt nie dünn oder hart, vielmehr sinnlich und geschmeidig. Die Gran Cassa kommt wuchtig. Von den drei Aufnahmen der DG, die es derzeit vom Werk gibt, klingt sie nach unserem Geschmack am besten. Besser als die Maazels und sogar besser als die neuere Nézet-Seguins.
4
Semyon Bychkov
WDR-Sinfonieorchester Köln
Hänssler
2006, live
12:23 10:01 13:16 35:40
Bei Semyon Bychkov wirkt das Spiel des hochkarätigen Orchesters weich und stark abgerundet. Es hat keine Ecken und Kanten mehr. Die Kontraste wirken nicht scharf, sondern „versöhnlich“. Oft nimmt man ja, wenn man auf weit im Leben zurückliegende Ereignisse und Gefühle zurückblickt eine leicht verklärende oder doch abgemilderte Haltung an. So wirkt Bychkovs Darbietung. Im Lento kommt erneut ein wunderschön weicher, klagender Saxophon-Sound zu Gehör, vortrefflich umspielt und abgestimmt von der Oboe und den anderen Kolleg/innen des Holzbläsersatzes. Auch die Violinen I und Celli, später die Streicher im Tutti könnten kaum schöner klingen. Da geht die weich gerundete Artikulation mit dem warmen Orchesterklang eine sehr schöne Liaison ein. Das Orchesterklavier ist dabei vor leider Schönklang anscheinend beinahe unerwünscht und daher kaum zu hören. Das Accelerando erfolgt moderat. Es gibt hier kaum ein Aufbegehren. Gefühlvoll und präzise gespielt erscheint der Satz nostalgieverklärt. Ein wenig pickt sich der Dirigent aus dem Angebot, das ihm die Partitur macht, genau das heraus was ihm zu dem gewünschten Bild zu passen scheint.
Im zweiten Satz geht es im Gestus ganz ähnlich weiter, die Trompeten und Hörner zu Beginn könnte man beim besten Willen nicht als scharf artikulierend bezeichnen, alles klingt hier weich, abgerundet-warm und wie mit breitem Pinsel gemalt. Im Verlauf kaum einmal geheimnisvoll und nur mit „angemüdeter“ Leidenschaft. Man geht mit Bedacht und viel Genuss am eigenen Klang vor. Aber: Schöner, runder, weicher Klang allein ist bei diesem Satz allenfalls die halbe Miete.
Der dritte Tanz wird weitgehend von der Klangkultur und vom Klangsinn des Dirigenten getragen. Voller und vor allem weicher kann man das kaum spielen. Die Ausbrüche wirken ein wenig gediegen. Da wäre mit etwas mehr Impetus ein Mehr an Ausdruck drin gewesen. Der Mittelteil wirkt dann sehr schwer und traurig, die Spannung hängt ein wenig durch. Das bessert sich, sobald das Allegro vivace wieder einsetzt (8 T. nach Zi. 81). Das Finale klingt wuchtig und der letzte Tam-Tam-Schlag darf ausschwingen, allerdings nicht allzu lange (ca. fünf Sekunden). Ist eben live.
Der Klang der Aufnahme charakterisiert sie schon wesentlich mit: Voll, rund, weich, sonor, dunkel timbriert, nicht besonders transparent und nicht sehr weiträumig und ziemlich entfernt. Die Gran Cassa grollt dunkel und klingt „fett“. Im SACD-Mehrkanal-Modus gewinnt die Einspielung beträchtlich an Format. Dann wirkt die sogar audiophil, dann wird sie zu einer echten Empfehlung für die Klang-Gourmets unter uns.
4
Andrew Litton
Bergen Philharmonic Orchestra
BIS
2012
11:22 9:23 14:11 34:56
Andrew Litton hat die Sinfonien und weitere Orchesterwerke Rachmaninow zweimal eingespielt. Der Einspielung bei BIS, die während seiner Zeit als Chefdirigent in Bergen 2002-2015 entstand, ging eine erste in den späten 80er Jahren voraus, bei Virgin mit dem Royal Philharmonic Orchestra London. Im Gestus unterscheiden sich die beiden Einspielungen der Sinfonischen Tänze wenig, eher schon in Aufnahme- und Orchesterqualität. 2012 ist der dramatische Zugriff eher gering. Das Orchesterspiel des norwegischen Orchesters ist tadellos, weist aber keinen Drang nach vorne auf und neigt ein wenig zum gemütlich-süffisanten. Das Holz klingt erheblich wärmer als beim RPO 1989. In Bergen klingt das Saxophon-Solo mit Holzbläseruntermalung wunderschön, auch die Fagotte, da gibt es ganz fein gesponnene, sanfte Linien zu bewundern bei denen einzig die Oboe einen Hauch zu stark hervorkommt. Der Streicherklang profitiert ganz besonders von den warm und sonor klingenden Violinen. Das Orchesterklavier ist nur wenig hörbar. Es spricht aber für die Subtilität der BIS-Techniker, dass nirgendwo aufdringlicher Glanz spürbar wird. Die Steigerungen haben mehr Biss und zackigere Rhythmen als zuvor in London (1989), Die bereits beträchtliche Klangsinnlichkeit konnte nochmals gesteigert werden. Man beachte die auf die Sekunde gleiche Spielzeit dieses Satzes in den beiden Einspielungen Littons.
Die Blechfanfare, die den Walzer einleitet ist nicht ganz zusammen, vielleicht weil Trompeten und Hörner nicht nah beisammensitzen. Die Artikulation ist weder zackig noch erschreckend. Bei den Holzbläsern sieht es ganz anders aus, die klingen eindrucksvoll sonor und klangschön. Sie gehören mittlerweile zur absoluten Spitze.
Beim dritten Satz (Tanz) ist diese Einspielung eine der ganz wenigen, die realisiert, dass die Flöten (mf) lauter spielen als die Glocken (p) mit dem dann doch seltsamen (und einzigartigen) Ergebnis, dass man nun von den Glocken gar nichts mehr hört. Fast alle Dirigenten versuchen hier die (vermeintliche) Absicht des Komponisten zu erraten und bevorzugen die Glocken gegenüber den Flöten zumeist mehr als eindeutig. Ein besonders sinistres, zugleich aber auch klangschönes Spiel hören wir im Mittelteil. Der dunkle Klang des Orchesters scheint dafür wie gemacht. Das Mysteriöse (schaut da der Tod vorbei?) oder die intime Seelenschau (Rachmaninow gibt sein Innerstes preis) gelingt hier eindrucksvoller als zuvor in London. Die ziemlich lahme Coda hörten wir bereits in London (1989), nur im Finale zeigt Litton Temperament. Das Tam-Tam wird erneut am ausschwingen gehindert. Man stoppt den Vorgang mit dem Verstummen des übrigen Instrumentariums ab.
Der Klang wirkt 2012 der 89er Vigin recht ähnlich, allerdings klingt es dunkler, sonorer, wärmer, abgerundeter. Gemeinsam sind vor allem die weite Räumlichkeit und die leichte Distanzierung des Klangapparats gegenüber den Hörern. Die Dynamik ist sehr gut ausgeprägt, wobei die zündende Gran Cassa daran einen buchstäblich gewaltigen Anteil hat. Das übrige Schlagwerk wird hingegen vom übrigen Instrumentarium mitunter übertönt. Insgesamt wirkt der Klang der Aufnahme natürlich, sinnlich und verführerisch.
4
Andrew Litton
Royal Philharmonic Orchestra London
Virgin, Erato, Warner
1989
11:22 9:15 13:58 34:35
Zur Zeit dieser Aufnahme war Andrew Litton Chefdirigent beim Bournemouth Symphony Orchestra (1988-94). Als Pianist hat Litton stets auch ein Ohr für das Orchesterklavier, das man in dieser Einspielung mit am deutlichsten hören kann. Das Lento mit dem Saxophon-Solo nimmt Litton zügig und differenziert. Dies ist eine elegante Darbietung des ersten Tanzes, die den letzten Biss bei den Steigerungen vermissen lässt, aber mit zart gesponnener, lyrischer Expressivität überzeugt.
Im Tempo di valse wir viel Gespür für die Melancholie des Satzes spürbar. Er wirkt als Ganzes geprägt von besonderer Weichheit. Auch von der distanzierenden Klangtechnik, die die Melancholie noch zu verstärken scheint, da die nostalgische Perspektive noch weiter zurück in die Vergangenheit zu reichen scheint. Die Höhepunkte zünden nur durch die Gran Cassa, das Blech bleibt zu distanziert. Schade, denn die Darbietung ist im Musikalischen akkurat gestaltet.
Auch der dritte Tanz könnte mehr Drama versprühen. Gegenüber dem zweiten erscheint die Expressivität jedoch etwas gesteigert. Die Rhythmik wirkt mitunter allzu geschmeidig, da wo andere kantiger zu Werke gehen triumphiert hier immer das geschmeidig-sanfte Spiel der Streicher. Die Tremolo-Stelle, bei der uns Rachmaninow (möglicherweise) sein Innerstes offenlegt oder aber (möglicherweise) der Tod vorbeischaut (so schaurig, wie es sich insbesondere bei Swetlanow 1973 abhört, vielleicht nach Rachmaninows Krebs-Diagnose?) erklingt bei Litton dagegen harmlos und wenig mysteriös. Das anschließende Lamento mit der Seufzer- und Schmerz-Motivik zieht sich etwas in die Länge, obwohl sehr schön und eigentlich engagiert gespielt wird. Die Coda, die bei den besten geradezu entflammt wirkt, wird, um im Bild zu bleiben, von Litton zu spät angezündet. Insgesamt ist dies eine sehr sanftmütige Darbietung, weniger hochspannend, weniger dramatisierend. Wie später in Bergen lässt Litton den letzten Tam-Tam-Schlag abrupt abstoppen.
Der Klang der Aufnahme wird durch die großräumig wirkende Räumlichkeit geprägt, wobei besonders das Blech weit auseinandergezogen wird. Das Orchester wirkt eher distanziert als präsent, jedoch sehr klar und deutlich. Eigentlich könnte man auch von einem großzügig wirkenden Orchesterpanorama reden, wenn man den Verlust an Präsenz nicht so sehr bedauern müsste. Die Violinen klingen nicht ganz frei, die Streicher allgemein wenig sonor, nicht zuletzt, weil man die Basslinie sehr wenig hören kann. Der Klang wirkt insgesamt sehr schlank und etwas gläsern, kühl, aber nicht mehr hart. Der Klang aus Bergen wäre aus audiophiler Sicht vorzuziehen.
4
Rico Saccani
Budapest Philharmonic Orchestra
BPO Live
1998, live
11:17 9:22 13:23 34:02
Diese Einspielung entstand bei einem Konzert der Philharmoniker in der Ungarischen Staatsoper. Das Orchester ist dabei ganz gut in Form, es spielt mit Schwung und geschärftem Rhythmus, artikuliert prägnant und kontrastreich, spielt besser als in anderen Mitschnitten, die wir schon mit ihm hören durften. Das Orchesterklavier klingt zu hintergründig. Im ein wenig zu zügigen Lento wird das Saxophon vom durchweg gut klingenden übrigen Holz klanglich stark in Bedrängnis gebracht. Wenn es sich dann doch mal klanglich durchsetzen kann, klingt es wunderbar rund und leuchtend, auch im lauten Dynamikbereich verändert es nicht seine Klangfarbe. Die Violinen spielen con espressione und werden vom nach wie vor leisen Klavier, das sich in dem Fall als günstig erweist, kaum gestört. Wir hören herzhafte Beschleunigungen, angeführt von einem herzhaften Blech, das mit erfreulich kräftigen Hörnern besetzt ist.
Im zweiten Tanz (dem Walzer) darf man sich am gut klingendem Holz erfreuen und auch die Paarung Violine I und Celli, die Rachmaninow in diesem Werk häufiger einsetzt, passt sehr schön zusammen. Die Pauken klingen hingegen nur schwach und das Orchesterklavier bleibt nun nahezu unhörbar. Budapest ist nicht weit von Wien entfernt, das merkt man, denn der Walzer wirkt kurzweilig (auch zügig) und sehr ausdrucksvoll. Rubatoreich ohne extravagant zu wirken.
Im dritten Tanz wird überzeugend die Lyrik des Satzes betont, das genaue Musizieren wirkt geschmeidig, man meidet alles Exaltierte. Die Reprise des Allegro vivace wirkt etwas zurückhaltend, vor allem dynamisch, das Finale wird dann doch noch zu einer beachtlichen Stretta. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf nur kurz nachklingen, dann setzt das begeisterte Bravo in Budapest ein und verhindert ein längeres verhallen.
Dieses Mal scheint die Aufnahme nicht improvisiert gewesen zu sein. Sie wirkt durch und durch professionell, dunkel timbriert, gut gestaffelt, ausgewogen und recht dynamisch. Pauken und Schlagwerk klingen weit entfernt, wie tendenziell das Blech, auch die Violinen erscheinen etwas zurückgesetzt. Es wird solider Live-Klang geboten, ohne audiophilen Anspruch einzulösen, aber doch mit so viel Farbe und Brillanz, um den Klangzauber des Werkes einzulösen. Der Klang wirkt als Ganzes etwas streicherlastig. Das Publikum erweist sich während der Aufführung als sehr diszipliniert.
4
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1960
11:11 9:29 13:14 33:54
Im Nachlass von Eugene Ormandy befand sich eine höchstwahrscheinlich nicht vom Komponisten autorisierte Aufnahme in der ihm Rachmaninow höchstselbst am heimischen Klavier in Ormandys Salon aus den Sinfonischen Tänzen vorspielte. Das war zwei Wochen vor der Uraufführung. Rachmaninow wollte ihm zeigen, wie er die Musik gedacht hatte und wie er sie gerne im Konzert hören würde. Ormandy nahm heimlich auf Acetat-Platte auf, denn das Mikro stand unsichtbar für Rachmaninow, der am Flügel saß, in dessen Rücken hinter einem Vorhang versteckt. Auffallend ist die Freiheit in der Agogik (die sogar noch über Golowanow hinausgeht) mit der Rachmaninow mit seiner Musik umgeht. Darüber hinaus wird organisch und auf hohem Niveau gespielt, kein Wunder Rachmaninow war einer der besten Pianisten seiner Zeit. Inbrünstig, pathetisch, leicht lasziv, „als ob er Ravels La valse noch im Ohr hätte“. Ormandy hat das wohl gehört aber von all dem nichts in seine Interpretation der Sinfonischen Tänze aufgenommen. Er kam ja aus Ungarn in die USA und da wurde im Gefolge von Kodaly und Bartok ein anderer Umgang mit der Musik als in Rachmaninows Russland gepflegt. Später sagte Ormandy auch einmal, dass er die Sinfonischen Tänze eigentlich nicht mochte, dass sie ihm nicht gefielen. Rachmaninow gefiel dann auch die Interpretation von Mitropoulos besser, weshalb er dessen Darbietung 1942 in New York auch autorisierte.
Ormandy lässt das Orchester geradlinig und weitgehend rubatofrei den ersten Tanz durchqueren, als ob er bei der „Arbeitssitzung“ vor der Uraufführung nicht dabei gewesen wäre. Mit festem Tempo und emotional zurückhaltend. Das Orchester spielt allerdings mit der gewohnten Klasse. Das Saxophon-Solo im Lento klingt jedoch unausgewogen in den verschiedenen Tonlagen und durch sein starkes Vibrato wirkt es etwas schmierig, was unter Umständen aber damals nur „jazzy“ klingen sollte. Die Streicher glühen dann, geben „volle Pulle“, ganz so wie man es eigentlich von vorne herein erwartet hätte. Rachmaninows Pathos wurde insgesamt jedoch beträchtlich versachlicht.
Im Walzer gibt es, wie in so vielen Aufnahmen des Philadelphia Orchestra jener Zeit kein echtes p und schon gar kein pp. Es klingt wenig subtil und plüschig. Alle Stimmen werden integriert, es fällt keine aus dem Zusammenklang heraus, keine bleibt verborgen. Im zügigen Mittelteil lässt man es immer wieder brillant aufwallen. Das tadellose Spiel lässt in diesem Satz jedoch nicht überhören, dass man wohl keine Liebesbeziehung zum Werk aufbauen konnte.
Im dritten Tanz blitzt die Virtuosität des Orchesters immer wieder auf, es geht sehr dynamisch und straff durch den Danse macabre. Für 1960 hören wir einen hervorragenden Streichersound mit geisterhaften Effekten, die andere gerne überspielen. Es gibt keine ausladende Romantik, alles klingt straff, zügig und ziemlich objektiv. Es gibt auch kein lange nachhallender letzter Tam-Tam-Schlag. Nachdem nun der zweite von Rachmaninow eigens instruierte Dirigent den letzten Tam-Tam-Schlag nicht nachhallen lässt, sollte man doch annehmen, dass dies Rachmaninows Wünschen entspricht. Bei Mitropoulos verhielt es sich nämlich genauso. Rachmaninow selbst hat die Sinfonischen Tänze gemeinsam mit Vladimir Horowitz in der Version für zwei Klavier gespielt, leider nur privat und ohne dass jemand heimlich oder offiziell ein Aufnahmegerät hinzugestellt hätte. Sonst hätten wir noch genauer gewusst, wie lange der letzte Schlag nachzuklingen hat.
Wir hören einen recht plastischen, transparenten, vollen und sonoren Klang der Aufnahme. Die Gran Cass klingt tief und deutlich. Das Holz spielt wieder mit den Streichern und dem Blech wie in einer Ebene, sodass man keine Tiefenstaffelung bemerken kann. Dies ist der typische Breitwandsound aus Philadelphia. Analog zu Cinemascope und Panavision beim Film der 50er Jahre, wird der Klang sehr in die Breite gezogen. Mittlerweile gibt es viele Aufnahmen, die sinnlicher klingen als es bei dieser Aufnahme der Fall ist. 1960 hatte diese Aufnahme jedoch kaum ernsthafte Konkurrenz. Auch die 63er Kondraschin konnte da klanglich noch nicht mithalten. Da war sie zumindest im Klang führend bis 1973 Swetlanow und 1974 die Aufnahme mit Previn kamen. Musikalisch hingegen hätte die Kondrashin-Aufnahme Rachmaninow wahrscheinlich sehr viel mehr zugesagt als die Einspielung seines Freundes und des von ihm bewunderten weltbesten Orchesters aus Philadelphia.
4
Vladimir Jurowski
London Philharmonic Orchestra
LPO Live
2003, live
12:31 9:35 14:02 36:08
Im Jahr 2003, als diese Aufnahme entstand war Kurt Masur noch Music Director des Orchesters, wurde der junge Vladimir Jurowski erster Gastdirigent des LPO, von 2007-2021 dann selbst Music Director. Das orchestereigene Label war gerade erst gegründet, vermochte aber noch keine herausragenden Aufnahmen zu produzieren. Man nahm in der Royal Festival Hall auf, dem Stammsitz des Orchesters.
Zu Beginn geht es lebendiger und energischer als bei Wilson oder Nézet-Seguin zu, auch drängender, ohne Swetlanow 1973 je zu erreichen. Das Orchester spielt jedoch ausgezeichnet. Im Lento wird langsam und ausdrucksvoll erzählt, Oboe und Englischhorn lassen sich dabei mit echtem pp hören (Bravo) und sind so in der Lage dem molto espressivo und der bezaubernden Melodie des Saxophons klar den Vortritt zu lassen, was nicht gerade häufig gelingt. Und es wird dabei nicht technisch nachgeholfen! Das Lento als Ganzes klingt außerordentlich gefühlvoll. Auch Violinen I und Celli spielen sehr subtil (pp eingehalten). Man spielt nie lauter als es in der Partitur steht und f und ff unterscheiden sich deutlich.
Im zweiten Tanz gibt es kräftige aber keine erschreckenden Trompetenfanfaren, nicht scharf oder schrill, sondern golden und warm im Klang. Das geforderte Rubato wirkt geschmeidig, der Walzer erklingt zunächst sanftmütig, steigert sich aber bis zur schmerzlichen Elegie. Der Klang der Violinen besticht wieder durch seine Homogenität. Anders als bei Wilson wirken die Höhepunkte gut getimt und nachdrücklich.
Im letzten Tanz wird das Xylophon gut als Knochengeklapper erkennbar, dazu sollte es richtig klar und deutlich und vor allem nicht zu leise herauskommen. Die Soli klingen alle sehr klangschön, mitunter jedoch allzu behaglich, ein wenig zu viel Wärme aus dem Kaminofen. Es fehlt dem Klang nun die verführerische Note und auf die gesamte Länge gesehen fallen die einzelnen Teile durch das langsame Tempo ein wenig auseinander, die Spannung lässt nach. Die Schlusskurve erscheint dann wieder dynamisch und funkelnd. Es gelingt hier einmal live den letzten Tam-Tam-Schlag so lange klingen zu lassen, ohne dass das Publikum die Stimmung durch vorzeitiges Jubeln zerstört. Leider gelingt gerade der letzte Schlag ein bisschen verschlafen, vielleicht auch zweifelnd.
Klanglich kann die Aufnahme nicht so reüssieren wie musikalisch. Sie klingt recht klar, recht dynamisch und mit einem warmen, weichen Streichersound. Am besten klingt die Gran Cassa, hervorragend tief, voll und gut konturiert. Damals brachte das Label noch SACDs heraus. Damit hat es mittlerweile wie Pentatone aufgehört. Es mangelt der Aufnahme an Ortungsschärfe, wie man es mittlerweile von guten Aufnahmen erwartet und in dieser Liste auch von vielen Aufnahmen hören kann. U.a. von der Petrenko-Aufnahme aus Berlin 2020 (beispielhaft), oder auch zu bei Swetlanow 1994 oder Nézet-Seguin 2018.
4
Valery Gergiev
London Symphony Orchestra
LSO Live
2009, live
12:46 9:30 13:40 35:56
Valery Gergiev war 2007-2015 Music Director des LSO. Der Beginn der Sinfonischen Tänze wirkt wuchtig, breit und schwerfällig. Es werden starke Akzente gesetzt, es fehlt jedoch an tänzerischem Schwung und man tut sich schwer auf Touren zu kommen. Im Lento klingt das Holz gut abschattiert, das Saxophon klangschön aber auffallend zurückhaltend. In vielen Aufnahmen wird es an die akustische Rampe gestellt, hier nicht und man verschenkt so das molto espressivo. Die Violinen I und die Celli bei ihrem Unisono klingen luftig, sanft und leise, zart, homogen und leuchtend. Die „Klangzauber“-Passage ab 4 T. vor Zi. 27 wirkt bereits wie ein vorweggenommener Abgang des ganzen Satzes. Warum plötzlich so breit? Davon steht nichts in der Partitur.
Im zweiten Tanz kommt das Geheimnisvolle gut heraus, es wird wie heimlich sehr leise gespielt. Der Mittelteil ist vom Tempo her eine recht zähe Angelegenheit, während man den Rubato-Anweisungen durchaus genüge tut. Das ist nichts zum Tanzen, denn es wird auch mal ein Stillstand riskiert. Das Orchester spielt das alles tadellos und nuanciert.
Der dritte Tanz wirkt ein wenig flotter, fast könnte man sagen tänzerischer und der Klang wirkt nun etwas ausdrucksvoller, sogar geschärft. Er fällt aber im Verlauf immer wieder in depressive Langsamkeit zurück. Die lebendigeren Episoden dazwischen wirken wie unwirkliche Traumvisionen. Da wirken die dynamisch zugespitzten Exzesse im Verlauf fast wie aufgesetzt, sie können kaum Wege aus der Lethargie aufzeigen. Die Coda wirkt gemächlich aber sehr geräuschintensiv (nicht zuletzt durch eine enthemmte Gran cassa). Alle sieben Tam-Tam-Schlage sind gut hörbar, den letzten lässt man nicht ausschwingen.
Der Klang der Aufnahme wirkt offen, sehr räumlich, im Allgemeinen transparent, kraftvoll und auch im leisen Bereich dynamisch. Das Orchester wird sehr gut in Breite und Tiefe gestaffelt. Das Holz klingt ziemlich weit entfernt mit der Folge, dass es in der Lautstärke abgedämpft und zu leise erscheint. Man kann aber von einem natürlichen Konzertsaaleindruck sprechen. Wenn man die SACD fünfkanalig abspielt, dann kann man mit einer leichten Pegelerhöhung des mittleren Kamals das Holz merklich präsenter klingen lassen.
4
Eduardo Mata
Dallas Symphony Orchestra
Pro Arte
1988
12:13 9:15 13:20 34:48
Der Mexikaner Eduardo Mata war 1977-93 Music Director des Dallas Symphony Orchestra. Man kommt zu Beginn nur zögerlich in Schwung, erreicht erst bei Zi. 1 das beabsichtigte Tempo, das jedoch weit unter dem der Vorgängeraufnahme aus Dallas, der mit Donald Johanos am Dirigentenpult von 1967. Eine Aufnahme übrigens, die vielen audiophilen Hörern auch heute noch als Referenz dient. Dazu später mehr. Die Violinen klingen mit Mata nun erheblich seidiger, die Phrasierung rubatoreicher, rhapsodischer und „atmender“, der Gestus erzählender. Im Lento klingt das Saxophon viel weicher, das übrige Holz viel besser an das Primat des Saxophons angepasst, also durchweg leiser. Die Violinen, anfangs nur die Violinen I und die Celli, klingen immer noch hell aber erheblich homogener und seidiger als 1967, im Gestus nun spielerischer, lockerer, ohne die Melancholie gänzlich an ihrer Entfaltung zu hindern, sie wirkt jedoch nicht so erdrückend wie in vielen anderen Einspielungen. Auf uns macht diese Einspielung aus Texas einen viel musikalischeren Eindruck als die Aufnahme mit Donald Johanos 21 Jahre zuvor.
Der Walzer erklingt sanft und geschmeidig, mit dem gewünschten Rubato ausgeführt. Das Orchester macht einen verbesserten, gereiften Eindruck, solistisch wie auch im Zusammenspiel als Ganzes. Die Solovioline ertönt klangvoller und hat mehr Körper, das Duo aus Englischhorn und Oboe wirkt klanglich homogener. Den größten Unterschied machen jedoch die Violinen, die nun viel freier und flexibler musizieren. Das ist schon ein anderes Niveau. Tänzerisch meist sanft, sogar zärtlich zeigen sich viel mehr Valeurs und Zwischentöne, die bei Johanos einfach gefehlt haben. Dabei spielt man auch 1988 dynamisch und man ist zu tragisch wirkenden Steigerungen fähig. Insgesamt kann man die Musik nun deutlich ausdrucksvoller klingen lassen und es klingt einfach substanzreicher.
Trotz der vorherrschenden zum Diffusen neigenden Kirchenakustik (das ist auch zugleich der große Nachteil dieser Einspielung) sind im dritten Tanz gut erfahrbare Steigerungen drin. Das Xylophon kommt gut durch und alle sieben Tam-Tam-Schläge sind schön laut. Der Letzte wird wie es der Notenwert verlangt abgestoppt.
Der Klang der Aufnahme wird ihrem musikalischen Wert nicht ganz gerecht. Es klingt weich und betont räumlich. Das war damals Trend und der bestätigte sich fast die ganzen 90er Jahre hindurch. In diesem Fall befand man sich noch in der Dolby Surround Phase. Da versuchte man den Klang wie im Kino und Heimkino jener Jahre etwas räumlicher zu machen, als er in Stereo war. Das wirkte meist aufgeplustert. Die schiere Größe war wichtiger als eine hautnahe Präsenz. Das Orchester wirkt nun distanziert. Ein Konzertsaalfeeling wie man es eigentlich nicht so mag. Wie von einem der letzten Reihen des Konzertsaals. Sagen wir mal: Hinteres Drittel. Damals mag man das goutiert haben, heute wirkt es zu diffus und mulmig, nicht mehr klar genug. Das wäre dann tatsächlich die Domäne der alten Johanos-Aufnahme von 1967, die klingt nämlich präsent und knackig.
4
John Wilson
Sinfonia of London
Chandos
2024
10:47 8:49 13:14 32:50
Diese Einspielung entstand in der Church of St. Augustine in Kilburn im Norden Londons. Zu Beginn gibt es wenig jugendlichen Aufschwung und keinen Vorwärtsdrang. Das Non Allegro wirkt wie ein Moderato. Es fehlt auch an Dynamik. Die Soli im Lento wirken künstlich hervorgehoben, besonders das Saxophon. Der Dirigent soll allerdings eine eigene Neuausgabe des Werkes dirigieren, sodass wir nicht wissen, was davon nun plötzlich in der Partitur zu finden ist. Das Lento wirkt so wie ein Stück im Stück. Es werden vor allem die durchaus eloquenten Solisten präsentiert. Insgesamt wirkt der Satz wie ein Schaufensterbummel von einer schönen Stelle zur nächsten. Man kann den Drang nach Deutlichkeit auch übertreiben, so wünschenswert sie im Allgemeinen ja ist. Das Saxophon spielt indes ganz ausgezeichnet mit einer herausragenden Atemführung. Die Violinen wirken auf uns dagegen etwas flüchtig. Gegenüber Petrenko oder Swetalanow klingt das wenig eindrücklich. Eine eigene Sicht auf die Dinge, aber die wird kaum in Rachmaninows Interesse gewesen sein.
Der Walzersatz wirkt leichtfüßig. Das Rubato wirkt unauffällig und vermag den tänzerischen Ablauf nur wenig zu irritieren. Das Duo Englischhorn/Oboe (wie aus einem Guss) klingt wie alle solistischen Darbietungen wie bereits im ersten Tanz ausgezeichnet. Das Orchester hat sich ja erst vor ein paar Jahren wieder zusammengefunden und man versuchte dabei auf die Crème de Crème der Londoner Orchestermusiker zurückzugreifen, die z.T. auch in anderen Orchestern spielen.
Der dritte Tanz wirkt kaum dramatisch aufgeheizt und wenig kämpferisch. Dies irae und das „Alliluya“ aus der Vigil sind nur einfach zwei Themen ohne spezielle liturgische oder spirituelle Bedeutung. Das Blech spielt sicher und genau, es fehlt ihm die Durchschlagskraft. Der abschließende Tam-Tam-Schlag erklingt wie ein Kompromiss, er darf zwar nachhallen, aber nur kurz, von „Laissez-vibrer“ also keine Spur und schon gar nicht über den Notenwert hinaus. Da gibt der Notentext dem Dirigenten allerdings, wenn man den Buchstaben folgen will, recht.
Die Dynamik wirkt gerade an den Höhepunkten abgebremst, besonders wenn die Gran Cassa beteiligt ist. Die Soli werden deutlich hervorgehoben. Die Aufnahme ist transparent und präsent (also keine Kirchenakustik), brillant und warm zugleich und tonal ausgewogen.
4
Sir Eugene Goossens
London Symphony Orchestra
Everest, Maestoso, Archipel
1960
11:28 8:03 11:46 31:17
Sir Eugene leitete bereits die britische Uraufführung von Strawinsky „Sacre“, worauf er von Diaghilev für die Ballets russes engagiert wurde. Das Ende seiner Karriere kam abrupt, als 1956 seine langjährige heimliche Verbindung zu der australischen Erotik-Künstlerin und Okkultistin Rosaleen Norton bekannt wurde. Wer sich für die genaueren Hintergründe interessiert, sollte den englischsprachigen Wikipedia-Artikel über ihn aufsuchen. Goossens verlor daraufhin alle Ämter und kehrte mit beschädigter Reputation nach England zurück. Es ist die Frage, ob diese Vorkommnisse heute zu Zeiten der schrägen Selbstdarstellung im Internet seine Karriere nicht eher noch beflügelt hätte.1962 dirigierte er sein letztes Konzert mit dem London Symphony Orchestra. 1960 war er schon krank. Er schlägt im ersten Tanz ein mittleres Tempo an, das etwas mehr Drive vertragen könnte. Die Artikulation ist im Detail jedoch prägnant, geschärft und kontrastreich. Auf Eleganz wird weitgehend verzichtet. Da insbesondere die Oboe und das Englischhorn im Lento anscheinend nicht leise spielen können, wirkt das Solo des Saxophons stark bedrängt, was wiederum zur Folge hat, dass es sich mit einer ein wenig grob wirkenden Spielweise „wehren“ muss. Leider hatten wir keine Original-Everest zur Verfügung. Die Archipel ließ die Violinen anschließend etwas rau, hell und wenig sonor klingen. Da wünschte man die Aufnahme wäre seinerzeit für Decca gemacht worden, dann wäre sie vielleicht heute noch im regulären Angebot. Die „Sehnsuchtsmelodie“, eine der unsterblichen Melodien aus Rachmaninows Feder, wird bei Goossens schnell, sachlich und mit wenig Rubato durchgespielt. Da wird das Heimweh gut kaschiert. Bloß nicht mehr Melancholie zeigen als unbedingt nötig. Der Satz wirkt unbeteiligter als wir es erwartet hätten. Wie bereits mehrfach erwähnt, in den 60er Jahren war die Musik Rachmaninows noch ziemlich obsolet.
Im zweiten Satz erscheint das Tempo merklich angezogen und hier spüren wir den Drive, der uns im ersten ein wenig gefehlt hat. Der Walzer selbst bekommt nun etwas Rubato spendiert, es ist ja auch extra in der Partitur vermerkt und die Spielweise erscheint nun etwas leidenschaftlicher. Leider verzerrt die Solovioline so, als hätte sich (zu viel) Staub vor dem Abtastdiamanten angesammelt. Sollte da etwa eine Everest-LP als Vorlage digitalisiert worden sein? Es sind derzeit immer noch hochwertige Ausgaben im Original Everest-Outfit im Umlauf, wenn man bereit ist stolze Summen zu zahlen, ist man hochqualitativ dabei. Sehr gut gefällt der zügig gespielte langsame Mittelteil, bei dem die Spannung nicht durchhängt.
Im dritten Satz erleben wir nun mehr von der Dringlichkeit, die wir vom Dirigenten bereits im ersten Tanz erwartet hätten. Auch die Klangqualität lässt jetzt etwas mehr vom Everest-Original erahnen. Dennoch hätten wir von Goossens eine großbogigere Darbietung erwartet. Beim Blech kommen Trompeten und Posaunen nun knallig heraus, während die Hörner deutlich zurückstehen. Die Coda zeigt den Dirigenten dann in Bestform. Rasant dürfen sich die Zitate von Dies irae und der Vigil geradezu überschlagen. Das klingt fast ekstatisch. Beim sehr deutlich herausgestellten letzten Tam-Tam-Schlag gibt es kein nachklingen.
Uns lagen von der Aufnahme leider nur die kratzige Maestoso und die Archipel-Version vor, bedauerlicherweise nicht das Everest-Original. Maestoso bot sogar nur einen bescheidenen Mono-Klang. Beide rauschen und wirken etwas dumpf und flach. Die Satzeinteilung war bei Maestoso falsch. Da waren wieder echte Spezialisten am Werk. Die Archipel erklang immerhin in Stereo, halbwegs räumlich und offen, aber immer mal wieder leicht verzerrt und etwas blass, aber doch knackig und sehr dynamisch. Das Original dürfte erfahrungsgemäß präsenter, offener, körperhafter und brillanter klingen. Und farbiger, praller und saftiger.
4
Lan Shui
Singapore Symphony Orchestra
BIS
ca. 2010 oder 2011
11:49 10:32 14:07 36:28
Die Aufnahme entstand, wie die Gesamtaufnahme der Sinfonien incl. einiger Orchesterwerke in der Esplanade Concert Hall in Singapore. Der Zugriff zu Beginn wirkt entspannt, weder jugendlich-frisch, noch drängend oder besonders dramatisch noch besonders tänzerisch. Im Lento nimmt die Einspielung dann sehr viel mehr für sich ein. Das Holz klingt sehr angenehm, das Saxophon ganz wunderbar weich und kantabel. Übrigens: Es gibt in unserer Liste kaum ein Saxophon, das nicht besonders schön klingen würde, weshalb man sich fragen muss wieso es immer wieder als „besonders“ auffällt und so zu erwähnen ist. Ein Phänomen. Vielleicht weil das Solo auch die jeweiligen Spieler so begeistert? Die weniger gelungenen kann man wirklich an einer Hand abzählen. Es wird auch in Singapore innig gespielt. Zudem wird es von den Kolleg/innen vom Holz fein abgestimmt und leise umspielt. Das können dann wiederum längst nicht alle. Die Streicher klingen dann zwar etwas hell aber homogen und zart. Man ist starken Beschleunigungen nicht abgeneigt. Vielleicht kann man daran noch erkennen, dass Lan Shui ehemals ein Protégé Bernsteins war. Er scheint Rubato zu lieben, denn er bremst auch gern mal alles zwischendurch ein. Insgesamt wirkt sich seine Art zu dirigieren im Verlauf durchaus günstig auf die Lebendigkeit des ersten Tanzes aus.
Im Walzer klingt das Blech homogen und fein abschattiert, erschrecken kann es indes niemanden. Die Soli von Englischhorn und Oboe klingen exzellent, aber auch Flöte und Klarinette stehen keineswegs zurück. Beim eigentlichen Walzer übertreibt es der Dirigent (nach unserem Geschmack wohlgemerkt) ein wenig mit dem Dehnen und Drücken, besonders wenn man den dem Rubato abgeneigten Ormandy noch im Ohr hat. Lan Shui lässt das Orchester ganz besonders schattierungsreich spielen hat auch keine Angst vor ganz leisem Spiel. So lässt sich die Spannung vielleicht nicht für jedermann spürbar immer ganz gut hochhalten.
Im dritten Tanz wird erneut sauber und klar musiziert, nicht reserviert, aber auch nicht dämonisierend oder besonders geschärft. Bei den Blech-Attacken zuckt man nicht zusammen, sie klingen weich und abgerundet statt bedrohlich wie bei Swetlanow (am besten: 1973). So einen warm und behaglich klingenden und wirkenden Totentanz haben wir selten gehört Und es fehlt dann auch der große Zug, d.h. die nötige Spannung, um im diesmal sehr langsamen Mittelteil die nötige Spannung zu halten. Orchestral ziemlich virtuos, aber doch nie richtig zündend geht es ins Finale, da fehlt dann einfach Dynamik, Tempo und Feuer. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf lange nachklingen. Der unbestreitbare Vorteil einer Einspielung ohne Publikum.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr transparent und brillant, farbig und recht brillant. Das Orchester klingt warm und es gibt ein breit und tief gestaffeltes Panorama. Im leisen Bereich wirkt der Klang besonders nuancenreich.
4
Charles Mackerras
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
EMI
1989
11:57 9:10 13:39 34:46
Bei Charles Mackerras klingt das Orchester aus Liverpool etwas schwerer als bei Vasily Petrenko, die tiefen Register scheinen etwas mehr betont zu werden. Die Einsätze des Orchesterklaviers werden hellhörig herausgearbeitet. Im Lento ist das plastisch hervorkommende Alt-Saxophon klar der Chef in der Holzbläserriege. Auffallend ist, dass die Holzbläser, die im Tutti in dieser Aufnahme einen schweren (undeutlichen) Stand haben im Lento sehr viel präsenter klingen und Kammermusik machen können. Das hört sich an, wie ein separat aufgenommener Take, allerdings: Zum Wohle des Lento. Der Vortrag wirkt gefühlvoll. Die nachfolgend geforderten Streicher werden stark vom mitspielenden Klavier beeinflusst um nicht zu schreiben in Mitleidenschaft gezogen, es wirkt so deutlich eher wie ein Störenfried. Kaum zu entscheiden, ob das Rachmaninow so vorgeschwebt haben mag. Da die Streicher so nicht richtig aufblühen können…
Im Walzer-Satz wird an Rubato und an tänzerischem Engagement nicht gespart. Ein Nachteil der Aufnahme ist ihre mangelnde Transparenz, da zieht die neuere Aufnahme der Liverpooler mit Vasily Petrenko deutlich vorbei. Die Hauptstimmen sind alle da, aber der Rest?
Im dritten Satz wirkt die Danse macabre gemächlich, viel Kraft oder Elan geht von den Geistern nicht aus. Die Höhepunkte könnten besser wirken, wären sie nicht durch die maue Klangqualität eingebremst und eingetrübt. Generell wirkte das Orchester bei Petrenko mit der Musik vertrauter. Da liegen aber auch 19 für die Rachmaninow-Rezeption wichtige Jahre dazwischen. Der Mittelteil mit den vielen Seufzern wirkt ziemlich statisch, da fällt es auch Charles Mackerras schwer, die Spannung zu halten. Das haben wir allerdings bei nicht wenigen Darbietungen bemerken müssen. Der letzte Tam-Tam-Schlag hallt auch bei Mackerras nicht nach.
Der Klang der Aufnahme wirkt nur bei lichter Textur transparent und offen. Im Tutti fallen die Holzbläser weit zurück und der Gesamtklang verliert an Luftigkeit. Die neuere Aufnahme aus Liverpool mit Vasily Petrenko klingt in jeder Hinsicht besser. Bei Mackerras wirkt der frühdigitale Klang matt, also ohne Glanz, aber immerhin nicht mehr glasig oder hart. Von audiophil wirkender Wärme oder Körperhaftigkeit ist er jedoch noch weit entfernt.
4
Sergiu Comissiona
Vancouver Symphony Orchestra
CBC
1994
12:10 13:34 14:46 37:30
Sergiu Comissiona war von 1991-2000 Music Director in Vancouver. Das Orchester klingt zu Beginn kraftvoll und dynamisch und der volle, warme Klang nimmt ein, gerade wenn man den Liverpool-Klang der EMI zuvor noch gut im Ohr hat. Der kanadische Rundfunk hatte das Problem des unausgegorenen frühen Digitalklang ohrenscheinlich bereits hinter sich gelassen. Die Klavierstimme wirkt deutlich, aber nicht aufdringlich. Während Streicher, Schlagwerk und Blech wohlproportioniert erscheint, gerät das Holz (ähnlich der Liverpooler EMI-Aufnahme) in die Versenkung. Mister Comissiona geht den Satz unaufgeregt an. Das Lento wirkt atmosphärisch. Das Alt-Saxophon bringt ziemlich viel Vibrato mit ins Spiel. Die Violinen I und Cello, später dann alle Streicher, klingen in der großen Rachmaninow-Sehnsuchtsmelodie schlank und zart, aber nicht dünn. Sie gelingt ohne allzu fest auf die Tränendrüse zu drücken, anrührend. Da das Blech sich dann doch als ein wenig distanziert erweist und die Gran Cassa nicht gerade super-präsent erscheint wirkt der Biss in den lebhaften Passagen leicht reduziert, obwohl es an Dynamik eigentlich nicht fehlt.
Auch der zweite Satz wirkt sehr atmosphärisch, klangschön und ausdrucksvoll musiziert. Das den Fluss des Tanzes zerreißende Rubato wird nicht dramatisiert und nicht übertrieben, weshalb sich die vermittelte Unsicherheit in Grenzen hält. Somit erscheint der Satz ein wenig tanzbarer als üblich. Der weiche Klang vermittelt einen weichen Grundcharakter oder verstärkt ihn, sodass man gerade wenn man den langsamen Mittelteil noch in Betracht zieht Elemente des Scherzos und des langsamen Satzes stärker verbunden erscheinen als sonst. So ergäbe sich noch eher der Eindruck einer 4. Sinfonie, was nicht wenige, darunter Jewgeni Swetlanow sowieso schon stets behaupteten, als die lose Abfolge einer Suite von drei (mehr oder weniger verhinderten Tanzsätzen). Vielleicht ein wenig zu gelassen dargeboten, wirkt der Mittelsatz sonniger als üblich.
Im dritten Tanz wird die Klangmischung aus Glocken und Flöten deutlich hörbar, was ziemlich selten ist. Auch nun wirkt das Tempo ein wenig betulich, fast schwerfällig und der Gestus sehr wenig dramatisch, wenn man bedenkt, dass Allegro vivace drübersteht. Die Expressivität der sf oder ff hat leider nachgelassen, ebenso der Spannungsgehalt. Man neigt jetzt zum Schwelgerischen, Genüsslichen, auch wenn es dabei eher leise bleibt. Der tänzerische Aspekt leidet zunehmend unter dem langsamen Tempo. Der Mittelteil wirkt verträumt, denn die Seufzer-Motivik wirkt artikulatorisch abgeschwächt. Die Coda wirkt dann etwas zügiger, sodass man noch zu einer guten Schlusswirkung gelangt. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf sehr lange nachhallen.
Der Klang der Aufnahme des kanadischen Rundfunks wirkt offen, warm, präsent, räumlich, weich, recht voll, im Ganzen wohlproportioniert, dynamisch und transparent. Sie klingt im Ganzen sehr angenehm. Was für die Genießer, für die Klang-Kulinariker.
4
Robert Spano
Atlanta Symphony Orchestra
ASO Media
P 2011
12:16 9:36 14:40 36:32
Robert Spano war von 2001-2021 Musikalischer Direktor in Atlanta. Heute ist er dort Ehrendirigent des Orchesters. Seine Nachfolgerein wurde Nathalie Stutzmann. Die Tempowahl beim ersten Tanz befördert einen jugendlich-drängenden oder temperamentvollen Gestus nicht gerade. Aber sie wirkt überlegt und in sich stimmig. Das Orchester macht einen sehr gut besetzten Eindruck, es gibt keine schwachen Stellen und es klingt voll, homogen und spieltechnisch brillant. Das Saxophon-Solo im Lento klingt ebenfalls vorzüglich, die anderen Holzbläser-Stimmen umranken es ohne ihm die Führungsrolle streitig zu machen. Die Streicher klingen ausgezeichnet und das Orchesterklavier kommt zum Tragen, ohne die wunderschöne Melodie der Streicher zu stören. Das alles klingt gedeckt, so als ob die hohen Frequenzen ein wenig beschnitten worden wären.
Die Stimmung im Walzer wirkt gediegen, weniger nach Endzeitstimmung. Das Orchester klingt sonor, aber auch etwas schwer und lastend, das Blech kaum erschreckend. Wir hören, wenn überhaupt einen wenig dramatischen, eher gemütlichen Danse macabre. Wenig leidenschaftlich. Der Klang des Orchesters dunkelt ihn schön ein. Hier überwiegt aber der angenehm sonore, wohlig-weiche Gesamtklang.
Der Mittelteil des letzten Tanzes zerfließt ein wenig in Seufzern, da es dem ganzen Satz an rhythmischer und artikulatorischer Härte mangelt. Er passt ganz zum Samt und Seide-Konzept der vorherigen beiden Sätze. Die Außenteile wirken allzu gediegen um nicht zu sagen gezogen. Der letzte Tam-Tam-Schlag überrascht. Er verhallt mit am längsten von allen Einspielungen. Die 20 Sekunden deuten da schon eine kleine Ewigkeit an.
Wir hören aus Atlanta (vom orchestereigenen Label) einen ausgewogenen, vollen, satten, fast üppigen und warmen Sound. Er wirkt transparent, recht luftig, räumlich und präsentiert das Orchester in guter Tiefenstaffelung. Insgesamt sehr angenehm. Die Dynamik hinkt auffällig hinterher. In dieser Disziplin bieten die Aufnahmen von BR-Klassik mit Mariss Jansons oder von BP Media mit Kirill Petrenko deutlich mehr, auch was die Brillanz anlangt. Schlagwerk und Blech wünschten wir uns exponierter.
3-4
Leonard Slatkin
Saint Louis Symphony Orchestra
Vox
1979
11:33 9:09 13:03 33:45
In seiner ersten Einspielung der sinfonischen Tänze (der ja noch eine bessere aus Detroit folgen sollte) war Mister Slatkin 35 Jahre jung. Obwohl das Tempo nicht einmal langsam gewählt wurde vermittelt die Einspielung zunächst wenig Schwung, wirkt sogar mitunter träge und ohne besonderen Nachdruck. Das Orchesterklavier wirkt ein wenig geisterhaft. Man musiziert jedoch detailreich. Das Holz klingt damals noch typisch amerikanisch. Im Lento zeigt sich die Oboe gegenüber den Belangen des Saxophon-Solos oft als zu laut und die Klarinette verhält sich kaum besser. Die Flöte trifft den erforderlichen leisen und zurückhaltenden Ton viel besser. Das Saxophon wirkt gefühlvoll nutzt aber noch viel Vibrato. Die Oboe kann man hingegen als Stimmungskiller bezeichnen. Die Streicher zeigen nur einen reduzierten Glanz, man hat sie auch schon homogener gehört. Ansonsten zeigt das Orchester keine offenkundigen Schwächen, es klingt aber nicht ganz Top-Class. Die Kollegen aus Detroit machen es besser, aber da liegen auch 33 Jahre dazwischen. Heute ist das Orchester aus Saint Louis ebenfalls ein ganz anderes. Es klingt 1979 alles ziemlich sachlich, da gibt es keine hochgepeitschte Gefühlswelt. Vielleicht eher ein Rachmaninow gespielt für die Antiromantiker unter uns.
Der Walzer wirkt deutlich langsamer als er tatsächlich ist. Das Blech artikuliert wenig nachdrücklich und absolut nicht erschreckend. Atmosphärisch wenig geheimnisvoll oder spannend fehlt es erneut an Schwung. Rubato gibt es, wenn überhaupt nur in homöopathischen Dosen, das Holz bietet keine besonderen Finessen. Die Oboe bemüht sich auch in diesem Satz noch nicht einmal um ein richtiges p und ein Crescendo geschweige denn ein Decrescendo fällt ihr ebenfalls sehr schwer. Leidenschaft auf Sparflamme, da irrlichtert auch nichts, sehr zurückhaltend, fast schamhaft klingt es dieses Mal. Am Vibrato wird nicht geknausert. Als Danse macabre ziemlich harmlos.
Gewissenhaft aber allzu artig geht es im dritten Tanz weiter. Das klingt schon ein bisschen blutarm und man hört jeden Taktstrich mit. Der Vortrag wirkt nicht richtig frei, gehemmt wäre aber schon viel zu viel gesagt. Es geht leider auch nicht richtig in die Tiefe. Das Lamentoso der Trompeten wirkt oberflächlich (2 T. vor Zi.77), während es die Streicher viel deutlicher herausarbeiten. Den Steigerungen fehlt es an Feuer und es haftet ihnen was inszeniertes an. Der kraftvoll angeschlagene letzte Tam-Tam-Schlag darf lange ungehindert ausklingen. Insgesamt wirkt das komplette Werk leichtgewichtiger als sonst und man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass das Orchester die Komposition noch nicht ganz verinnerlicht hatte. Es wirkt seltsam unbeteiligt. Falls es am Dirigenten gelegen haben sollte, so hat er 33 Jahre später seine zweite Chance voll genutzt.
Der Klang der Aufnahme wirkt obwohl vom Elite-Team (Nickrenz/Aubort) analog aufgenommen nicht sehr warm, aber doch schon offen, präsent, klar und mit einer angenehmen Räumlichkeit versehen. Die Staffelung ist bereits recht plastisch. Die Violinen klingen keinesfalls kalt aber doch etwas spröde. Die Relationen wirken natürlich und ausgewogen, insgesamt gibt es nur wenig Glanz.
3-4
Andrew Davis
Royal Stockholm Philharmonic Orchestra
Finlandia
1996
12:12 9:00 13:21 34:33
Andrew Davis war gemeinsam mit Paavo Järvi Hauptdirigent des Orchesters 1995-98. Das Orchester wirkt zu Beginn temperamentlos und ziemlich schwerfällig. Es klingt jedoch voll und rund und seine dunklen Klangfarben würden eigentlich gut zu den Sinfonischen Tänzen passen. Es macht eigentlich einen gut vorbereiteten Eindruck und es wird gewissenhaft artikuliert. Es fehlt ihm noch etwas Fülle, vor allem jedoch an Leidenschaft. Das Lento erklingt schön transparent mit einem weich klingenden Alt-Saxophon als Primus inter pares. Die Streicher klingen bei der Sehnsuchts-Melodie homogen und das wunderschöne Thema wird dann zumindest nicht schleppend gespielt. Obwohl sogar ein wenig zügig wird es zum eigentlichen Höhepunkt dieser Darbietung, zumindest einmal vom ersten Satz.
Der nächtliche Walzer klingt wenig atmosphärisch, aber doch weich gerundet und sanft. Obwohl er nicht steif wirkt, kommt Rubato nur auf eine wenig irritierende Weise zum Einsatz. Der Klang des Orchesters erinnert an den des Bergener Orchesters, auch das WDR-Sinfonieorchester unter Bychkow klingt ähnlich. Und bei den Radio-Mitschnitten: Das Elbphilharmonie-Orchester. An Subtilität fehlt es nicht. Mit zunehmender Dauer wirkt das Spiel ein wenig beherzter, man dreht sich dann etwas nachdrücklicher im Kreis.
Der dritte Tanz wirkt etwas weniger bedrückend als sonst. Man überrascht hier mit einem leichteren und luftigeren Gestus, artikuliert aber auch weniger nachdrücklich. Der Mittelteil lädt mehr zum Klangbaden ein, fehlt doch der Eindruck herbstlich oder besser winterlicher Wehmut. Diese Satz fühlt sich langsamer an als er ist. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf nur so lange klingen, wie es der Notenwert gestattet, also ein punktiertes Viertel. Genau nach Vorschrift also, nicht länger.
Der Klang der Aufnahme wirkt wenig brillant, noch transparent aber auch ein wenig blass, insgesamt dunkel timbriert. Das Holz erklingt aus der Tiefe des Raumes, also entfernt, das ganze Orchester wirkt etwas distanziert, aber in den Relationen natürlich. Die Dynamik ist gut.
3-4
Charles Dutoit
Philadelphia Orchestra
Decca, Newton
1990
11:02 9:12 13:15 33:29
1990 gab es noch kein Kimmel Center wie 2018, man nahm noch in der Memorial Hall auf. Die Aufnahme fand noch in der Zeit als Riccardo Muti Music Director des Orchesters war. Charles Dutoit sollte erst 2008-12 die Geschicke des Orchesters leiten. Das Orchester macht einen lediglich wohlsituierten Eindruck. Es klingt nicht so herausragend wie Ormandys Orchesters zu dessen Zeit. Das mag auch an der alles in allem enttäuschenden Decca-Klangqualität zu tun haben. Der anfängliche Gestus ist schwer zu beschreiben, er ist eigentlich nichts richtig. Das Orchesterklavier ist nicht immer und nicht gerade deutlich zu hören. Das Lento wird gar nicht klar hervorgehoben, im Tempo nicht (es sollte eigentlich deutlich verlangsamt werden) und man spielt von den recht weit vom Hörer entfernten Plätzen. Das Saxophon klingt zwar angenehm aber eine einfühlsame Gestaltung bleibt aus. Man spürt kaum Melancholie, kaum Heimweh. Die Streicher machen es viel besser, sie dürfen wenigstens etwas Rubato investieren, spielen die wunderschöne Musik aber letztlich ebenfalls viel zu sachlich runter. Innerhalb des Satzverlaufs wird wenig Spannung aufgebaut. Die Einspielung wirkt wie eine Pflichterfüllung, weil man eben für alle Sinfonien Vertrag hat und die Tänze nicht außen vorlassen wollte. Trotz der langen Tradition hört es sich jedenfalls nicht nach einer Liebesbeziehung an weder beim Dirigenten noch beim Orchester, noch beim Technik-Team.
Der zweite Tanz wirkt wenig geheimnisvoll, kaum mit einer abendlichen Stimmung abgefüllt und ein wenig zu routiniert in den Steigerungen und an den Höhepunkten. Man merkt nicht viel von der legendären Klangqualität von Rachmaninows Lieblingsorchester.
Im dritten Tanz scheint die Spannung erhöht ohne ansatzweise an die Besten heranzukommen. Weder die schaurigen (Knochengeklapper) noch die melancholischen Passagen erhalten genug Nachdruck. Als großes Manko erweist sich erneut die im Tutti ziemlich mulmige Akustik, die bereits der Aufnahme der Paganini-Rhapsodie mit Gawrilow und Muti im betreffenden Vergleich so arg zusetzte. Diese Einspielung wirkt seltsam unbeteiligt, nicht schlecht, aber man hätte sich doch deutlich mehr erwartet. Allerlei Faktoren schein da ungünstig eingewirkt zu haben. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf nicht ausschwingen.
Der Klang der Aufnahme wirkt zwar recht voluminös aber distanziert, nicht besonders transparent und recht kühl. Zugleich ziemlich trocken aber doch undeutlich und wenig plastisch. Es wird auch nicht ansatzweise die Lebendigkeit der älteren Decca-Aufnahmen aus den 60er Jahren erreicht. Es fehlt an vergleichbarem Charme, am Schmelz und an der Attacke. Das ff im Tutti klingt mulmig. Die Dynamik ist ok, wenn die Gran Cassa beteiligt ist. Wenn man die Aufnahme mit der 30 Jahre älteren mit Ormandy vergleicht, dann klingt es vielleicht ein klein wenig besser, aber nicht in Sachen Deutlichkeit und Brillanz. An die 28 Jahre jüngere Einspielung mit Nézet-Seguin kommt sie in keinem Kriterium des Klangs nur annähernd heran.
3-4
Arnold Katz
Akademisches Sinfonieorchester Nowosibirsk
Melodija, Sony
1984
11:19 9:22 13:03 33:44
Arnold Katz (1927 in Peking geboren und 2007 in Düsseldorf beigesetzt) gründete 1956 das Orchester von Nowosibirsk und „diente“ ihm über 50 Jahre lang als sein Leiter. Er lehrte zudem am dortigen Konservatorium 1957-2004. Ab 1980 als Professor. Er gibt der Musik mit „seinem“ Orchester ein zügiges Tempo und einen tänzerischen Charakter. Das Orchesterklavier klingt deutlich, die Streicher etwas dünner als in den europäischen Spitzenklangkörpern. Im weiteren Verlauf zeigt sich das auch der „Rest“ des Orchesters damals noch nicht ganz den heutigen Stand erreicht hatte. Für 1984 war der Stand der Dinge jedoch mehr als beachtlich. Es wird großen Wert auf temperamentvolle Steigerungsverläufe gelegt.
Im Walzer klingt die Solovioline frühdigital verfärbt, rau und hart. Englischhorn und Oboe klingen gut und bringen das damals teilweise noch übliche Vibrato mit in ihr Spiel ein. Das verlangte Rubato in den Walzer mit einzubauen, das scheint (so weit weg von Wien) trotzdem eine Selbstverständlichkeit für dieses Orchester zu sein. Der Walzer atmet so die Unruhe und Unvorhersehbarkeit, die Rachmaninow bei der Komposition vorgeschwebt haben mag. Die Emotionen kochen ziemlich hoch.
Das steigert sich noch im nun ziemlich aufgewühlt wirkenden dritten Tanz, der allerdings auf Dauer gesehen unter dem kühlen und spröde wirkenden Klang der Violinen leidet. Der Klang hat sich leider im dritten Tanz verschlechtert, die Kontraste wirken eingeebnet, die Entladungen von Blech und Schlagwerk klingen gerade im Finale dynamisch besonders nivelliert und ganz flach. Das liegt nicht am Orchester, sondern an der Aufnahmetechnik. Der letzte Tam-Tam-Schlag hallt nicht nach.
Die Aufnahme klingt ziemlich flach, bietet also wenig Tiefenstaffelung, wenig Wärme und einen kühlen Gesamtklang. Sie klingt noch recht transparent bietet jedoch einen wenig körperhaften und einen noch frühdigital harten, spröden Klang. Beim Solo der Violine im zweiten Satz schlägt er sogar voll durch. Das Orchester könnte durchweg voller, luftiger und besser durchgezeichnet klingen. 1984 war dieser Klang leider gar nicht unüblich, sonst hätte Sony die Melodija-Aufnahme wahrscheinlich gar nicht ins Portfolio übernommen.
3-4
Donald Johanos
Dallas Symphony Orchestra
Vox, Athena
1967
11:14 8:56 13:13 33:23
Donald Johanos war 1962-1970 Music Director des Orchesters. In audiophilen Kreisen gilt diese Aufnahme vor allem als LP diverser einschlägig bekannter Labels als audiophile Highlight-Aufnahme und Demo-Disc. Als eine der angeblich besten audiophilen Aufnahme aller Zeiten wurde sie daher in die TAS-Liste aufgenommen. Sie wurde erst kürzlich als neu abgemischte CD unter ihrem Original-Label Vox wieder herausgegeben und kostet in dieser Form nur den normalen Mid-Price und keinen Liebhaberpreis. In dieser Form haben wir die Aufnahme gehört. Wie sieht es nun musikalisch aus? Das interessiert viele audiophile Hörer oft nur in zweiter Linie.
Das Orchester klingt 1967 bei dem Werk, das allenthalben noch unbekannt war und als vorgestrig galt wenig elegant. Nicht lahm, aber auch nicht gerade spritzig oder jugendlich-frisch. Das Holz hat bereits den von den Aufnahmen der 80er Jahre bekannten Standard. Im Lento entfaltet das Saxophon keine besonderer Verführungskraft, die Umspielungen durch die Holzbläserkollegen wirken etwas grob. Insgesamt klingt dieses musikalische Juwel wenig expressiv, wenig inspiriert und wie gerade mal durchgespielt. Die dynamischen Vorschriften werden nur halbwegs beachtet. Die Violinen zunächst nur Violinen I mit den Celli, klingen zwar homogen aber wenig sonor jedoch trotz ihres hellen Tons weich und rund, was dann auch für die gesamten Streicher gilt. Gespielt wird ohne die rechte Versenkung, also wenig innig. Die spätere Geschmeidigkeit, die es mit Mata zeigt, steht dem Orchester noch nicht zur Verfügung. Allerdings klingt es auch nicht ungehobelt oder grob. Seine Leistung wäre durchaus vergleichbar mit der Aufnahme aus St. Louis 1979, ebenfalls eine Aufnahme von Vox.
Im zeiten Satz zeigt das Orchester ein zügiges, fast geschärftes Tempo und einigen Biss. Das Blech bringt seine Einwürfe mit Signalcharakter. Die Solo-Violine spielt noch mit sehr viel Vibrato, der Walzer zeigt nur wenig Raffinement und geht wie gerade durch, allerdings nicht ohne Schwung. Der Mittelteil erklingt wenig geheimnisvoll. Dynamisch geht es gut zur Sache, vielleicht etwas zu robust.
Der dritte Tanz klingt zwar erfreulich dynamisch, aber auch sehr kompakt, als ob das Orchester in Kammerbesetzung spielen würde. Wenig expansiv und durch die trockene Akustik entfaltet sich wenig Klangzauber. Die Spannung kann im Mittelteil nicht gehalten werden, das Spiel wirkt wenig großbogig und man vermisst die Gefühlstiefe, man klebt, wie man dann immer sagt, an den Noten. An Temperament und Dynamik fehlt es allerdings nicht und dieses Charakteristikum wird in den diversen audiophilen Pressungen weiter vervollkommnet. Das Tam-Tam darf nach dem letzten Schlag nicht nachhallen, wie in eigentlich allen älteren Einspielungen.
Je nach Pressung klingt die Aufnahme tatsächlich als LP besser als als CD, wobei es als CD natürlich ebenfalls verbesserte audiophile Pressungen gibt. Kraftvoll erklingen vor allem die Pauken und die Gran Cassa. Lebendiger, dynamischer, seidiger und größer abgebildet klingt die LP. Farbig und durch die typischen weichen und vollen Mitten der Röhrenaufnahme geadelt. Wer das mag, der ist hier richtig. Athena gehört zu den besten, wird aber angeblich jetzt noch durch ein neues Remaster mit der Abtastgeschwindigkeit von 45rpm getoppt. Wir kennen es nicht.
Das Mid-Price-CD Remaster, das ebenfalls (vom Erzeuger) als audiophil bezeichnet wird, wirkt durchaus transparent und dynamisch, farbig, präsent und räumlich. Damals, 1967 mag die Aufnahme ein Markstein gewesen sein, wenn die bekannt miese Pressqualität von Vox dem Vergnügen keinen Riegel vorgeschoben hat. Heute wirkt die Aufnahme trocken und sogar etwas spröde, mit wenig Raumanteil versehen, allerdings sehr dynamisch. Eine gewisse Ähnlichkeit mit den Mercury-Living-Presence ist nicht zu überhören. Dem Orchester fehlt es jedoch an Fülle und Eleganz. Das Hauptpfund mit dem die Aufnahme wuchern kann ist und bleibt die Dynamik von Pauken und Gran Cassa.
3
Alexey Morgunov
Rachmaninow Symphony Orchestra
Artes Mirabilis
2023
12:15 10:28 14:31 37:14
Gemäß unserer Recherche dürfte es sich bei dem Orchester nicht um das von Mikhael Pletnev gegründete handeln, das bereits die Klavierkonzerte und die Paganini-Rhapsodie eingespielt hat und das als Sammelbecken für Musiker dienen soll, die von den Kriegen in der Ukraine und in Palästina betroffen sind. Hier sollte es sich um das Orchester des Rachmaninow-Wettbewerbes in Moskau handeln, ein Wettbewerb, der während des Krieges in der Ukraine erst gegründet wurde, vielleicht um die internationale Isolation Russlands ein wenig aufzubrechen. Der Wettbewerb sucht Sieger im Bereich Pianistik, Dirigieren und Komposition. Hier ein passender Artikel des BR: https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/rachmaninoff-competition-musikwettbewerb-in-moskau-matsuev-gergiev-kempf-100.html
Beim Dirigenten sind wir nicht sicher, ob es sich um einen Wettbewerbsteilnehmer handelt.
Sofort fällt bei dieser Einspielung auf, dass die Streicher viel zu leise klingen, was man von Pauken und Gran Cassa nicht behaupten kann. Alles klingt rundum sonor, immerhin handelt es sich um eine High-Resolution-Produktion. Der Gestus ist wenig dramatisch, wie so oft in aktuellen Darbietungen recht langsam und mit wenig Drang nach vorne. Das Saxophon klingt gut, spielt aber nicht molto espressivo. Das Concertare mit den anderen Holzbläsern wird auch dieses Mal von der zu starken Oboe belastet, das Saxophon ist in dieser Aufnahme nur ein Instrument von mehreren. Die sich anschließenden Violinen I und die Celli spielen das Sehnsuchtsthema sehr langsam, durchaus klangschön, aber ziemlich weinerlich, wenig expressiv auch hier, man weint sozusagen in sich hinein. Im Verlauf fällt es dem Blech schwer richtig zu glänzen, es fehlt ihm die nötige Dynamik. Eine sforzando-Spielweise bleibt aus. Es fehlt nicht an Klangzauber, nicht an Klangfarben es fehlt aber an Spannung.
Beim zweiten Tanz berücksichtigt man zwar das Tempo Andante, lässt es aber am Zusatz „con moto“ fehlen. Es irritiert zudem, dass das f von Trompeten und Hörnern leiser kommt als das f einer einzelnen Oboe oder einer einzelnen Flöte. Das Violinen-Solo haben wir noch nie so antriebslos gehört wie hier, das Holz klingt gut aber selten so lahm wie hier. Der zweite Satz bekommt kaum einen walzerartigen Schwung mit, tadellos und klangvoll gespielt aber seltsam inhaltsarm. Erst ab 5 T. vor Zi. 49 geht es beschwingter vorwärts.
Auch um Mitternacht (da kann man es noch am besten verstehen) tanzt es sich betulich und müde, weich, gerundete Rhythmen, spannungslose Steigerungsverläufe. Selten hat man ein so anämisches Schattenreich gehört. Selbst wenn uns Rachmaninow sein Innerstes zeigt (um Zi. 73) geht es kaum expressiv zu. Man meint fast, der Dirigent weiß nicht so recht, was er mit der Komposition anfangen soll. Die Seufzer-Motivik erfolgt ohne Nachdruck. Dem folgenden Allegro vivace fehlt es am angemessenen Drive. Dass man sich nicht einmal die großen Vorbilder Swetlanow, Kondraschin, Golowanow oder Kitajenko angehört hat, das hätte wenigstens den Weg gewiesen. Wahrscheinlich ist insbesondere Kondraschin längst obsolet und Unperson. Ein dem Regime abtrünniger. Hier gibt es nur die Noten, ein Spiel ohne Feuer mit harmlosen Blech-Akzenten. Was ist aus dem einst grandiosen russischen Blech nur geworden? Handzahm und ohne Biss erklingt es jetzt. Selten erklang ein eigentlich so guter High-Res-Klang so lahm. Nur die sieben Tam-Tam-Schläge ragen aus dem dynamischen Einerlei hervor das ist wirklich zu wenig. Eine so unbeteiligt wirkende Einspielung beansprucht schon fast Raritätenanspruch.
Klanglich sieht es besser aus, es klingt nämlich voll, rund, gedeckt und sonor, dreidimensional und transparent. Das Holz klingt hochwertig aber nicht eigens hervorgehoben, die Akustik wirkt natürlich. Die Dynamik speist sich fast nur aus den Gran Cassa. Ansonsten wird der audiophile Anspruch der High-Res-Produktion in der Dynamik nicht umgesetzt.
3
Predrag Costa
London Symphony Orchestra
Edition Lilac
P 2016
11:40 10:19 14:48 36:47
Predrag Costa ist eigentlich, so ist es jedenfalls zu lesen, ein serbischer Dirigent, der sich auf Barockmusik spezialisiert hat. Der Duktus des Beginns wirkt leger, ohne besonderes Brio. Beim Lento hat man das Englischhorn eigens nach hinten gesetzt, damit Oboe und Englischhorn leise genug erklingen, um das Saxophon nicht zu übertönen. Das Saxophon selbst spielt weich und rund, gefühlvoll und zart. Die Klarinette haben wir schon samtiger gehört, auch vom LSO, sogar in der Einspielung mit Previn von 1974 und mit Gergiev 2009. Die Violinen I und Celli spielen ohne die von Rachmaninow gewünschte Binnendynamik. Auch sie waren bei Previn homogener und voller. Sie scheinen nun unter dem Barockspezialisten mit weniger Vibrato zu spielen. Das Orchester spielt nicht mit der gewohnten Perfektion und es klingt episodenhafter als bei Previn. Schon im ersten Satz hat die neuere Aufnahme gegenüber den älteren bereits einige Mängel gesammelt.
Im Walzer spielen die Violinen, wie auch das Violinen-Solo erneut mit wenig Vibrato, man spielt aber auch mit weniger Rubato, weniger Kontrasten und weniger Spannung als die Spitzenaufnahmen.
Im dritten Tanz gibt es ein gemütlich wirkendes Voranschreiten, wenig akzentuiert, wenig erschreckend, wenig großbogig und meist sanft. Die Artikulation wirkt nicht so, als wäre sie der HIP angelehnt, was man aufgrund des vibratoarmen Spiels vielleicht annehmen könnte. Das saubere Spiel erfolgt den Noten entlang. Die Tam-Tam-Schläge kann man kaum hören, lediglich den letzten, der dann lange ausschwingen darf. Der zuvor gelisteten Darbietung mit Herrn Morgunov nicht unähnlich, wirkt auch diese ziemlich unbeteiligt.
Der Klang der Aufnahme wirkt präsent, etwas kompakt, aber übersichtlich. Die Gran Cassa wirkt wuchtig und ragt aus dem Klangbild heraus, auch das Blech klingt recht deutlich. Gute Basspräsenz, gute, aber nicht herausragende Dynamik. Von der Gran Cassa abgesehen ein solider Klang.
3
Peter Lücker
Bohuslav-Martinu-Philharmonie, Zlin
Bayer Records
1991
12:45 9:40 12:32 34:57
Eigentlich war Peter Lücker Mediziner und auch (Lokal)Politiker. Lücker beschäftigte sich immer parallel zu seinem Hauptberuf mit Musik, zunächst als Kontrabassist in verschiedenen Kammerorchestern und später nach einem Zusatzstudium bei George Hurst mit dem Dirigieren. Außer zahlreichen Konzerten als „ständiger Gast“ des Kurpfälzischen Kammerorchesters Mannheim bekleidete er die Stelle des Chefdirigenten des Konzertensembles Salzburg. Von dort wurde er 1989 an die Staatliche Filharmonie Bohuslav Martinů nach Zlín berufen auf die Position des Chefdirigenten. Neben der Konzerttätigkeit entstanden etwa 30 CDs mit romantischer Musik, unter anderem mit dem gesamten symphonischen Werk von Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow. Aufgenommen wurden die Sinfonischen Tänze in der Philharmonie Zlin.
Man begibt sich nicht sonderlich zügig oder entschlossen in den ersten Satz. Im Lento bemüht sich das Holz leise zu spielen, das scheint nur deshalb zu gelingen, weil es so weit entfernt zu hören ist. Das Saxophon kann so mühelos lauter erklingen, ohne an Klangqualität einzubüßen. Sein Klang bleibt aber starr und wenig ausdrucksvoll, wie das ganze Lento etwas grob gezimmert erscheint. Statt dass sich Lianen mit zarten Trieben und vegetativem, sanftem Wachstum gegenseitig umschlingen würden. Den Streichern im folgenden Sehnsuchtsthema fehlt Homogenität und Schmelz. Das Orchester kann aber sehr leise spielen und das nötigt Respekt ab. Das ff klingt grob, wenngleich die Technik viel schluckt. Zeitweise gibt es auch noch Verzerrungen. Bei allem Engagement kann das Spiel des Orchesters nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihm an Klasse fehlt, zumindest einmal im Vergleich mit den anderen in der Liste anzutreffenden. So klingt die „Klangzauber“-Passage um Zi. 27 für sich zwar ganz gut, aber nicht, wenn man gehört hat, wie traum- oder zauberhaft sie bei anderen klingen kann.
Im zweiten Satz ist der erste Einsatz des Blechs verwackelt. Das Violinen-Solo gefällt hingegen ganz gut. Wie transzendent und vom Irdischen entrückt erklingen Englischhorn und Oboe. Den Streichern, d.h. insbesondere den Violinen fehlen Fülle, Wärme und Kantabilität. Dem Walzer fehlt es so an sinnlicher Ausstrahlung. Er klingt ziemlich blass. Es fehlt auch an Schwung und Leidenschaft.
Die Artikulation im dritten Satz wirkt allzu oft verschliffen, nicht klar oder scharf genug. Gerade die schnell zu spielenden Figuren bei den Streichern. Dem Blech fehlt der rechte Strahl, sodass man es als fade wahrnimmt. In der Coda wirkt die Klangtechnik überfordert, der letzte Tam-Tam-Schlag klingt nicht nach.
Der Klang der Aufnahme wirkt nicht sehr transparent, nicht besonders gut durchgezeichnet oder differenziert. Vor allem kommt das Holz zu schwach ins Bild, zu schemenhaft. Der Gesamtklang wirkt topfig und hart. Das Blech wirkt dabei noch am vorteilhaftesten. Immerhin klingt die Aufnahme recht dynamisch, die Gran Cassa dabei überraschend mächtig. Bei den Streichern fehlt es außer am mehr oder weniger fülligen Wohlklang an der Trennschärfe zwischen den einzelnen Stimmen.
Die beiden Hochglanz-Video-Aufzeichnungen bei YouTube:
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR-Klassik, YouTube
2017, live
10:59 10:05 13:15 34:19
Wie die veröffentlichte CD entstand auch die Videoaufzeichnung der Sinfonischen Tänze mit Mariss Jansons und dem BRSO 2017. Man ging mit dem Werk jedoch auf Tournee und war damit das erste Mal überhaupt in der erst 2015 eröffneten Philharmonie de Paris zu Gast. Die damit verbundenen Kosten einer so hochkarätigen Videoaufzeichnung kann sich wahrscheinlich (von den deutschen Rundfunkanstalten) nur der BR leisten, zumal dies kein Einzelfall ist. Man griff dabei nicht auf den eigenen Technikerstab zurück, sondern auf ein französisches Team, wie man im Abspann an den französischen Namen unschwer erkennen kann. Um den Vergleich nicht ausufern zu lassen haben wir uns auf zwei ausgewählte Video-Aufzeichnungen beschränkt, die vermeintlich besten vielleicht, aber das weiß man immer erst nachdem man sie alle kennengelernt hat. Es gibt bei YouTube und in den Mediatheken noch mehr davon. Generell bevorzugen wir übrigens die reine Tonaufzeichnung, weil ohne Bild mehr Aufmerksamkeit für den Klang übrigbleibt.
Wenn wir nun die beiden Videos vergleichen, so zeigen uns beide ein makelloses Hochglanz-Bild. Die Bildführung wollen wir einmal so hinnehmen wie sie ist, anmerken wollen wir nur, dass in Zürich die Kamera sehr gerne auf dem Pauker ruht, auch wenn man die saftige Gran Cassa hört, während der Musiker, der die Gran Cassa bedient nie ins Bild kommt. Womit hat er das verdient?
Doch nun zur Musik. Ohne dass das Tonhalle-Orchester Zürich unter Paavo Järvi stoisch spielen würde, empfanden wir das BRSO meist als gefühlvoller und temperamentvoller, so glüht der Streicherklang ab Zi. 14 in Paris mehr, das anschließende Accelerando wirkt nicht weniger spritzig als in Zürich, eher noch ein wenig vehementer. Dirigent Jansons wirkt mit seinen 74 Jahren emotional beteiligter als der fast eine Generation jüngere Paavo Järvi, der allerdings meist recht kühl wirkt, was man der von ihm dirigierten Musik allerdings nur selten anmerkt. Beide haben eine phänomenale Übersicht und strahlen magistrale Ruhe aus. Musikalisch mag sich der Pariser Video-Mitschnitt nur minimal vom Münchner-Mitschnitt für die CD unterscheiden. Wahrscheinlich wollte man den heimischen Fernsehzuschauern nur einmal die Pariser Philharmonie zeigen, sonst hätte man auch aus dem Herkulessaal übertragen bzw. mitschneiden können.
Im zweiten Satz kann man wieder die Exzellenz der Münchner Solisten bestaunen und das großbogige, ausdrucksstarke, aber auch flexible, extrem nuancierte und rubatoreiche Musizieren aus einem Guss mit den großartigen Höhepunkten ebenso. Das Spiel machte auf uns einen verinnerlichten Eindruck, da wird zwar nichts dem Zufall überlassen, aber jeder kann sich auf den anderen verlassen und strahlt eine immense Sicherheit auch Freiheit aus, Sicherheit und Freiheit, die anscheinend vom Dirigenten ausgehen.
Hochkonzentriert und spannend auch während der elegischen Passagen des dritten Satzes. Das Orchester spielt in Höchstform von der Solo-Violine bis zur Bassklarinette. Das Tam-Tam darf fast ganz ausklingen, bevor auch das Pariser Publikum zu früh losbrüllt. Man kann es nachvollziehen. Sehr empfehlenswert wäre es, wenn man schon gerade in Paris im Konzert sitzt, sich auch die beiden Zugaben, vor allem der Beginn von Bartoks „Wunderbarem Mandarin“ anzuhören. Wahnsinn.
Vor allem überzeugt auch der Klang aus der Pariser Philharmonie. Bei Videos spielt er gegenüber dem Bild oft nur „die zweite Geige“. Nicht hier. Es klingt körperhafter, offener, räumlicher, transparenter und brillanter als in Zürich, wobei es jeweils nur um Kleinigkeiten geht. Aber in Summe macht es schon einen für jedermann spürbaren Unterschied, obwohl die Zürcher Aufnahme alles andere als schlecht ist. Beide Videos wirken jedoch dynamisch eingebremst. Da liegen beide Videos ganz eng beisammen. Beide Videos klingen übrigens schlechter als die jeweiligen CDs, wobei pikanterweise Järvis CD ebenfalls in Paris entstanden ist. Bei Jansons fehlt beim Video nicht ganz so viel gegenüber der CD wie bei Järvi. Nicht misszuverstehen: Beide Videos sind ganz dicke Empfehlungen und beide Videos kann man gratis schauen und hören. Wenn das mal keine Gelegenheit ist!
4-5
Paavo Järvi
Tonhalle-Orchester Zürich
YouTube
2023
11:14 10:10 13:51 35:15
In Zürich möchte man anscheinend eine ganze Videothek mit eigenen Mitschnitten aufbauen. Man geht dabei den Weg höchster Qualität. Man zeichnete in der Tonhalle selbst auf und allem Anschein nach hat man die Eigenproduktionen auch dankenswerterweise selbst bei YouTube eingestellt.
Das Bild hat, wie im Mitschnitt des BR, eine herausragende Schärfe und Klarheit, es ist ein Genuss zuzuschauen. Schnörkellos und extrem klar (eine Eigenschaft, die dem Dirigierstil Paavo Järvis eigen ist), genau wie zwölf Jahre zuvor bei der Aufnahme mit dem Orchestre de Paris, stürzt man sich ins musikalische Geschehen. Nicht ganz so feurig und nicht ganz so jugendlich-drängend wie vor zwölf Jahren. Das Orchesterklavier um Zi. 4 ist erneut kaum hörbar. Das Orchester macht einen hervorragenden Eindruck und spielt nicht schlechter als das Orchestre de Paris 2011. Solistisch ohne Fehl und Tadel. Perfektioniert, genau wie es schon der Dirigierstil Herrn Järvis zu veranlassen scheint (war ja in Frankfurt ebenfalls so zu beobachten). Im Lento spielt die Oboe leiser als die Klarinette! Bravo. Das kann man nur selten einmal hören. Das haben wir in unserem ganzen Vergleich, wenn wir uns recht erinnern, sogar nicht noch einmal gehört. Alle können pp spielen und vor allem: Sie machen es auch. Das verhilft dem Saxophon zur erwünschten Geltung und es kann ganz mit der dazu erforderlichen verführerischen Lockerheit spielen, ohne auch nur annähernd forcieren zu müssen. Das Holzbläser-Lento empfanden wir sogar als noch gelungener als 2011 beim Orchestre de Paris. Bei Zi. 14 kommt das Klavier jetzt deutlicher heraus, die Streicher können jedoch von ihm ungehindert ihr espressivo spielen, übrigens herzerwärmend schön und zudem in perfekter Harmonie, obwohl sich Violinen I und Celli gegenübersitzen. In den allermeisten Fällen sitzen sie, gerade weil Rachmaninow sie oft gemeinsam spielen lässt, nebeneinander (also so, dass man sich besser und näher hören kann). Es gibt deutliche Accelerandi, mitreißende Steigerungen, gekrönt von einem perfekt abgestimmten Schlagwerk, während uns das Blech bei der Aufnahme 2011 in Paris besser gefallen konnte, vielleicht nur weil es aufnahmetechnisch besser zur Geltung kam. Wie bereits oben erwähnt klingt die CD insgesamt noch besser, auch noch besser abgestimmt als „die Tonspur“ des Videos. Dann kommt aber sogleich der brillant aufgenommene „Klangzauber“ um Zi. 27. Trauriger kann man das kaum bringen ohne ins Wehleidige abzudriften,
Auffallend bei Beginn des zweiten Tanzes: das Blech spielt bereits mit den Schwelltönen, die eigentlich erst später kommen. Bei Zi. 32: voller Klang des Englischhorns, aber die Oboe steht nicht zurück und spielt sogar noch ein wenig empfindsamer. Der Walzer erklingt gegenüber 2011 nicht weniger lebendig, sogar noch etwas schneller und genauso spannend. Paavo Järvi wäre nicht Paavo Järvi, wenn er die große Linie aus den Augen verlöre. Die Steigerungen bestechen durch ihren sonoren Klang. Es hat sich viel getan im Zürcher Orchester.
Der dritte Satz wirkt kontrastreich und mit weit ausgereizten Dynamikgegensätzen. Auch da ergibt sich eigentlich kein Nachlassen gegenüber der Pariser Aufnahme Järvis von 2011. Trotz der Live-Situation darf der letzte sonore Tam-Tam-Schlag ganz anders als in Paris wie im „Nirvana“ verhallen. Dazu stellt sich Herr Järvi ganz zur Seite, sodass das Publikum ihn nicht von hinten sieht, das scheint sie so zu irritieren, da das nicht das gewohnte „Schlussbild“ vom Dirigenten ist, dass sie sich nicht trauen mit dem Beifall zu beginnen. Toller Einfall.
Das Bild sieht wie bereits erwähnt ganz exzellent aus, brillant und klar. Der Ton bringt eine satt klingende Gran Cassa ins Bild, die man jedoch nie sehen darf, stattdessen darf man immer wieder gerne den Pauker und seine Kessel bewundern. Seltsam. Sollte die Bildregie Gran Cassa nicht von Pauken unterscheiden können? Gegenüber Järvis CD-Aufnahme von 2011 klingt es weniger transparent, weniger dynamisch und nicht ganz so differenziert. Das Holz wirkt manchmal ein wenig entfernt, nicht immer sieht man das Instrument, das man hauptsächlich hört. Die Plattform YouTube und der lange Übertragungsweg nimmt sicher auch etwas Qualität weg, obwohl man sich nur wundern kann, was da mittlerweile an gut klingender Musik ankommt.
Die Radiomitschnitte, zum Teil abrufbar in den jeweiligen Mediatheken der jeweiligen Sender, der ARD oder auf YouTube:
5
Kirill Petrenko
Berliner Philharmoniker
RBB, später auch vom ORF gesendet
2020, live
11:53 9:36 13:42 35:11
Der vom RBB gesendete Mitschnitt entspricht nicht genau dem Tonträger, den es bei BP Media zu erwerben gibt. Das kann man schon an den geringfügig abweichenden Spieldauern der einzelnen Sätze erkennen. Dass es sich um eines der letzten Konzerte in der Philharmonie im Januar 2020 handeln würde, konnte damals noch niemand ahnen. Der RBB hat die Sinfonischen Tänze 2014 auch mit Simon Rattle gesendet, sodass sich wie bei den beiden Tonträgern, der im Fall Simon Rattle allerdings vier Jahre vor der RBB-Sendung anlässlich einer früheren Konzertprogrammierung 2010 entstanden ist, ein kleiner Vergleich geradezu anbietet.
Auch bei den „echten“, d.h. ungeschnittenen, da live gesendeten Konzertmitschnitten bringt Herr Petrenko noch mehr Spannung in die Musik ein: dazu dienen ihm nicht zuletzt sehr große, kontrastreiche dynamische Gegensätze, die fast schon schroff wirken. Bei Herrn Rattle klingt es dagegen mehr auf Ausgleich bedacht, aber drängender als bei der EMI-CD von 2010. Im Lento hören wir 2020 auch live bestens aufeinander abgestimmte Holzbläser-Kammermusik. Das Altsaxophon darf führen, die anderen bleiben deutlich leiser. So vermittelt sich die Magie dieser Passage am besten, zumal vor allem mit großer Emphase gespielt wird. Die Streicher spielen das Sehnsuchts-Thema hoch expressiv und zum Weinen schön. Das Klavier bleibt dabei mustergültig im Hintergrund. Die übergreifende Spannungsgestaltung wird bei Kirill Petrenko besonders spürbar. Auffallend im Verlauf sind die viel mehr als üblich ins Bewusstsein dringenden Bässe. Das ist wichtiger als man denkt und es ist verwunderlich, dass der Urgrund oder das Fundament des Orchesters so oft sträflich vernachlässigt wird. Die Spannungskurve beim Accelerando wirkt mitreißend, auffallend dabei auch das markige Schlagwerk. Sehr klangsinnlich sogar in der (gegenüber der BP-Media-Produktion) klangreduzierten Rundfunkübertragung, die „Klangzauberpassage“ um Zi. 27, die jedoch nicht kitschig und nicht zu glöckchenhaft ausfällt.
Im zweiten Tanz genießt man das nun wieder ein wenig dunkler als zur Rattle-Zeit timbrierte Orchester, das im Rundfunkmitschnitt nicht ganz so reichhaltig klingt wie bei der High-Res-Produktion von BP Media, aber natürlich genauso expressiv und genauso geschmeidig spielt, das versteht sich von selbst und mit demselben Rubato-Einsatz. Jedenfalls ist uns kein nennenswerter Unterschied aufgefallen. In beiden Fällen passt der sonore Klang besonders gut zu dem spannend gestalteten und äußerst kurzweiligen Walzer.
Der dritte Tanz wirkt zupackend und gespannt. Dabei hat man nie das Gefühl, dass die Zügel einmal schleifen würden, d.h., dass die Spannung nachlassen würde. Dennoch hört man eine befreit aufspielende Virtuosität. Die Generalpause mit der Fermate dehnt Petrenko (wie bei BP Recordings) lange und eröffnet so den langsamen Mittelteil, den man sich eindringlicher kaum vorstellen kann. Bei höchstmöglicher Klangqualität, die weitgehend auch via Radio erfahrbar bleibt. Zum Schluss gibt es dann noch eine leichte Beschleunigung bis zur Stretta. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf verhallen, dann aber setzt begeisterter Applaus ein mit vielen Bravos.
Der Klang wirkt noch etwas offener, dynamischer und dreidimensionaler, körperhafter als bei der Übertragung mit Rattle 2014. Und ebenso warm und sinnlich. Es ist uns keine lästige Dynamik-Kompression aufgefallen. Die Basswiedergabe erscheint auffallend klar und deutlich. Obwohl der Klang durch den ziemlich dünnen Schlauch der Datenreduktion geschickt wird, kann er sehr gefallen.
5
Petr Popelka
SWR-Sinfonieorchester
SWR
2023, live
10:46 10:00 13:00 33:46
Dieser Mitschnitt entstand im Rachmaninow-Jahr 2023, zum 150. Geburtstag des Komponisten. Ein Jahr später war Herr Popelka dann in Frankfurt beim HR-Sinfonieorchester zu Gast, die Aufnahme davon kann leider nicht mit der aus der Stuttgarter Liederhalle mithalten, ausschließlich aus übertragungstechnischen Gründen, denn völlig untypisch für den HR erscheint die Aufnahme stark in der Dynamik beeinträchtigt. Davon später mehr. Vielleicht hätten wir da besser auf das Video in der Mediathek des HR zurückgegriffen…
Seit 2023 ist Herr Popelka Chefdirigent des Prager Rundfunk-Sinfonieorchesters, in dem er bereits mit 19 Kontrabass spielte. Danach war er stellvertretender Solo-Kontrabassist bei der Staatskapelle Dresden. 2023 wurde er als neuer Chefdirigent der Wiener Symphoniker ab 2024/25 vorgestellt. Eine bisher rasante Karriere also. Beim Konzert in Stuttgart war er 37.
Den ersten Tanz, den man ebenso wie die anderen beiden Tänze genauso gut als sinfonische Dichtung bezeichnen könnte, gehen er und das Orchester mit jugendlich-frischem Entdeckergeist an. Spannend und pulsierend, sozusagen mit aufgelockertem Drama. Im Lento klingt das Alt-Saxophon weich und sehr kantabel, es trägt nicht dick auf. Die Umspielungen des übrigen Holzes geraten deutlich, aber zurückhaltend. Violinen I und Celli spielen die große Sehnsuchtsmelodie sehr zurückhaltend, obwohl sie mf spielen dürften. Erst wenn Violinen II und Violen hinzutreten und dann zum f ausholen blüht es richtig auf. Zuerst konnte man annehmen, dass der Effekt dieser „unsterblichen“ Melodie vielleicht sogar verschenkt würde. Es war nur besonders partiturgenau. Und das Schönste aufzusparen, kann die Spannung sehr wohl fördern. Das Klavier bleibt leise und stört die Inbrunst nicht. Das poco a poco accelerando kommt wirklich poco a poco. Der „Klangzauber“ um Zi. 27 wird klanglich von den Streichern beherrscht, nicht von Klavier, Harfe und Glockenspiel. Genauso wie es notiert ist.
Das Solo der Violine im zweiten Satz wird exzellent gespielt und es klingt sehr ausdrucksvoll, am Holz gibt es gar nichts zu mäkeln. Der Walzer wirkt sehr expressiv, dunkel getönt. Man merkt, dass der Dirigent ein besonderes Auge auf das tiefe Register des Orchesters hat. Er lässt es singen, e molto cantabile. Vom Klavier hört man jedoch herzlich wenig. Der Gebrauch des Rubato wirkt meisterlich, das Orchester folgt mit höchster Präzision. Wir hören eine meisterhafte Darbietung ohne die kleinste Länge. Das Stuttgarter Orchester spielt die Sinfonischen Tänze allerdings auch keinesfalls das erste Mal. Es ist, besonders wenn man das zweite (leider, leider ehemalige) SWR-Orchester aus Baden-Baden und Freiburg noch dazu nimmt mit großem Abstand das Orchester mit der größten Erfahrung in Sachen Sinfonische Tänzen in unserer kleinen Liste, die allerdings keiner Prüfung nach offiziellen Regeln der Statistik standhalten würde. Wir fanden außer der gerade vorliegenden mit Petr Popelka noch Aufnahmen mit Nézet-Seguin, Denève, Hrusa und Mälkki in unserem wirklich kleinen Radio-Archiv.
Der Geisternacht des dritten Satzes wird ein wilder Beginn zuteil. Man erfreut sich zudem an einem absolut transparenten Stimmenverlauf. Holz und Hörner sind immer klar und deutlich zu hören. Die Dynamik wirkt schmissig, die Tempi drängend. Auch beim Lamentoso wird das Tempo fließend gehalten. Die Seufzer-Motive nichtsdestotrotz ab Zi. 78 deutlich herausgestellt. Alle sieben Tam-Tam-Schläge sind deutlich, dunkel-sonor und kraftvoll hörbar, der letzte hat es in sich und hallt sehr lange nach. Das Publikum hat sich im Griff und kann sich lange genug zurückhalten. Bravo daher auch ans Stuttgarter Publikum. Da haben die Wiener Symphoniker einen Glücksgriff gelandet.
Der SWR präsentiert hier ein sehr gut aufgefächertes Klangbild mit einer glaubhaften Imagination von Raumtiefe und -breite. Es klingt räumlich und sehr transparent, voll, warm, sonor und körperhaft (letzteres vor allem bei den Solo-Passagen). Die Dynamik wirkt sogar „saftig“.
5
Joana Mallwitz
Konzerthausorchester Berlin
RBB, gesendet auch vom BR und anderen
2024, live
11:40 9:33 14:30 35:43
Bei dieser Übertragung waren die Sinfonischen Tänze Teil des Saison-Eröffnungskonzertes der Saison 24/25. Es wurde im Rahmen des Radio-Festivals ARD-weit live übertragen. Das KOB, das frühere Berliner Sinfonieorchester von Kurt Sanderling, stand seit der Wiedervereinigung etwas im Schatten der anderen großen Berliner Klangkörper. Seitdem die neue Chefdirigentin da ist (seit 23/24) zeigt es sich, dass man es plötzlich auf Augenhöhe wahrnimmt. Mit den Philharmonikern, der Staatskapelle, DSO und RSB. Da waren wir gespannt, ob sich diese Wahrnehmung bei den Sinfonischen Tänzen auch via Radio bestätigt. Übernommen hat Frau Mallwitz die noch von Ivan Fischer als die beste für die akustischen Gegebenheiten im Konzerthaus ermittelte Orchesteraufstellung mit den antiphonal aufgestellten Geigen und den Bässen mittig hinter den Bläsern an der Gebäudewand. Das fördert die direkte Reflektion der tiefen Töne. Und das ganze Orchester hört die Bässe nahezu gleichzeitig. Man hätte es sich von den Wiener Philharmonikern abschauen können. Der Musivereinssaal ist ähnlich geschnitten wie das Berliner Konzerthaus. Der Goldene Schnitt lässt grüßen.
Frau Mallwitz lässt das Stück deutlich nachdenklicher beginnen als gewöhnlich um dann jedoch schnell das volle Tempo zu erreichen. Man hört alles. Darin übrigens der Aufnahme von Frau Mälkki (wie konnten erstmals vier Dirigentinnen hören, auch daran kann man ersehen, dass die Sinfonischen Tänze viel populärer geworden sind) voraus. Das Orchesterspiel wirkt aufmerksam, beweglich und farbig. Im Lento kommt viel mehr Rubato zum Einsatz, auch das unterscheidet das Dirigat von Frau Mallwitz von dem von Frau Mälkki, also bereits da, wo es nicht explizit von Rachmaninow in der Partitur niedergelegt wurde. Auch wenn dem Oboisten fast ein Ton wegbleibt erklingt das Holz in bestechender Klarheit und besonders sanft. Violinen I und Celli con espressione. Das Accelerando kommt gefühlvoll poco a poco und nicht reißerisch wie bei Frau Mälkki. Immer wieder bemerkt man das gefühlvolle Zusammenspiel und man bemerkt, wie sehr auf die Balance geachtet wird. Das Orchester kann auch sehr leise spielen.
Der zweite Satz wirkt stimmungsvoll, dunkel und schattenhaft. Auch darin geht Frau Mallwitz über die Darbietung von Frau Mälkki hinaus. Alleine schon der gefühlvolle Gebrauch des Vibrato. Wir hören sehr gute Soli von Violine, Englischhorn und Oboe, die sich beide im Timbre weitmöglich angenähert haben. Der Walzer erhält eine durch das geschmeidige Spiel geförderte nachdenkliche, aber auch teils schwermütige, auch sinnliche Note. Es klingt jedoch immer transparent, nie dickt es auf und es sind uns keinerlei Überdeckungen aufgefallen. Wie bei La Valse mit nostalgischer Erinnerung an eine Zeit, die nun nie mehr wiederkehren wird.
Im dritten Satz gibt es keinen Spannungsverlust im Mittelteil, obwohl man sich von Anfang an viel Zeit lässt. Aber man weiß damit etwas anzufangen. Die Glocken sind mit den Flöten zu hören; weich klingt auch das Blech bei den lautstarken Interruptionen. Da wäre vielleicht ein höherer Trompetenanteil im Klang aufrüttelnder in der Wirkung. Der Tanz der Geister hat Eleganz und er profitiert vom hellsichtigen Blick auch auf die Nebenstimmen. Das fällt sehr positiv auf. Die Übergänge zwischen den zahlreichen verschiedenen Tempi wirken geschmeidig, man findet eigentlich immer den für den Moment passenden Ausdruck. Die Musik wirkt sogar im langsamen Mittelteil lebendig gehalten, es erstarrt nicht so wie in so vielen anderen Aufnahmen. Und: Jeder Lichtblick wird bestmöglich zum Strahlen gebracht. Man kann alle sieben Tam-Tam-Schläge gut hören, auch bei Frau Mallwitz wirkt der letzte extrem mächtig und er hallt lange nach.
Die Übertragung haben wir gleich zweimal mitgeschnitten, einmal direkt beim RBB, dann auch noch beim BR. Dabei fiel auf, dass es beim BR besser klingt. Nicht viel besser, aber merklich. Die höhere Datenrate macht´s aus. Es klingt so sehr transparent, angenehm warm, offen, voll und präsent, räumlich sogar ziemlich dreidimensional und sehr bassstark (besonders die Gran Cassa und die Kontrabässe). Es gibt keine lästigen Regelvorgänge, die die Natürlichkeit des Konzerteindrucks nachdrücklich korrumpieren. Jedenfalls waren sie für uns nicht spürbar.
5
Elim Chan
ORF Radio-Sinfonieorchester Wien
ORF, gesendet vom BR
2023, live
11:00 9:47 13:25 34:12
Dieser Mitschnitt hält das Debut der Dirigentin bei den Salzburger Festspielen fest. Wir konnten eine Sendung des BR mitschneiden, der die Aufnahme seinerseits vom ORF zur Verfügung gestellt bekam. Das Konzert fand in der Felsenreitschule statt. Elim Chan war 2019-24 Chefdirigentin des Antwerpener Sinfonieorchesters. Ein zweiter Mitschnitt liegt uns mit ihr und dem WDR-Sinfonieorchester von 2024 vor. Beide unterscheiden sich nur marginal.
Sie legt schon zu Beginn ein zügiges Tempo vor, das den Rhythmus betont und pulsierend wirkt. Sie hat offensichtlich das ganze Orchester im Blick, was man an den klaren, wichtig genommenen Nebenstimmen erkennen kann. Die Oboe klingt auch beim ORF RSO kaum noch nach Wien, wie man im sehr zügig genommenen Lento besonders gut hören kann. Das Saxophon spielt mit viel Vibrato, womit vielleicht eine gewisse Nähe zum Jazz hergestellt werden soll. Zugleich klingt sein Klang aber auch weich geformt und wunderbar warm. Da werden sozusagen in einem „keinen“ Solo zwei Welten vereinigt, Klassik und Jazz. Englischhorn und Oboe passen klanglich gut zusammen. Allerdings wird das Solo von den Girlanden des Holzes fast erdrückt, sodass man fast annehmen könnte, diese Girlanden könnten auch Fessel sein. Nach unserem Geschmack gebührt dem Saxophon eher eine solistische Rolle, ist es doch neben dem Klavier die große Besonderheit in der Instrumentation, aber wer wollte daran zweifeln, dass Rachmaninow vielleicht doch eher an Fesseln dachte? Die große Sehnsuchtsmelodie zieht allzu schnell vorbei, eine Romantikerin scheint Frau Chan nicht unbedingt zu sein. Wichtig ist ihr der geschärfte Blick auf die Nebenstimmen und viel Brio bei den Steigerungsverläufen. Selten hört man des Satz so quirlig tänzerisch, ja teils explosiv. Dabei kann von nervender Nervosität keine Rede sein, eher von vorantreibender Jugendlichkeit, die noch nicht von gänzlich vereinnahmenden Depressionen vereinnahmt scheint. Beim „Klangzauber“ um Zi. 27 gibt man sich der Kantabilität ungleich mehr hin als beim Lento zuvor. Das Orchester macht einen ganz ausgezeichneten Eindruck. Eloquente Solisten, warmer, sonorer Grundton, sehr homogene Streicher mit weichem Klang (allerdings noch nicht ganz mit der Aura der Philharmoniker) und aufmerksame Bläser, die mit Brillanz pp spielen können. Da scheint die Harmonie mit Frau Chan gepasst zu haben.
Im zweiten Satz, der mitunter einen marschartigen Unterton erhält, erscheinen die Einschnitte durch das Blech hart. Der Walzerrhythmus dann straff. Das Solo der Violine erklingt flexibel, sehr klangschön dann nochmals das Gespann aus Englischhorn und Oboe. Auch beim ORF RSO hat man das warme, weiche Timbre der beiden besonders eng verwandten Instrumente schon weit angenähert; wie verschieden klangen beide Instrumente früher, nicht nur in diesem Orchester! Der Walzer wirkt erwärmend, mit Empathie gespielt und leicht in der Bewegung.
Der letzte Satz beginnt sehr dynamisch und brillant, eine echte „Hexennacht“. Spätestens jetzt ist es klar, dass Frau Chan eine Temperamentsmusikerin ist. So temperamentvoll klingt der Satz höchst selten. Im Mittelteil verliert sich naturgemäß diese Art der Intensität, es klingt aber immer noch zügiger und vor allem bewegter als bei den meisten anderen, er hat Fluss und durchaus noch Spannung. Besonders impulsiver, mitreißender Verlauf und man erfreut sich an der unkomprimierten Dynamik, die auch die Tam-Tam-Schläge mächtig rüberbringt. Der letzte hätte schön ausklingen können, aber das Publikum in Salzburg wollte sich lieber selbst toben hören.
Der Klang der Aufnahme wirkt recht präsent, ausgewogen und farbig, es ist keine auffällige Manipulation der Dynamik spürbar, was wir uns auch für den Mitschnitt der Tänze mit den Wiener Philharmoniker aus Bukarest gewünscht hätte. Das Landesstudio Salzburg ist hier bei uns nicht zum ersten Mal mit gekonnten Aufnahmen aufgefallen.
5
Elim Chan
WDR-Sinfonieorchester Köln
WDR, gesendet vom BR
2024, live
11:04 9:33 13:00 33:37
Dieser Mitschnitt wurde wieder im ARD-Sommerfestival gesendet, also von allen „Kulturprogrammen“ der ARD gleichzeitig. So lassen sich Personalressourcen während der Ferienzeit einsparen. Teilweise ist man jedoch im Rest des Jahres im Rahmen der Kostenreduktion dabeigeblieben. Überall Sparzwang. Wir wählen daher in einem solchen Fall immer den BR, da er den Hörern die höchste Datenrate spendiert. Aufgenommen wurde anlässlich des Klavierfestivals Ruhr in der Essener Philharmonie.
Das Orchester wirkt wie ein Jahr zuvor das ORF RSO in Salzburg animiert und mindestens so schwungvoll wie ein Jahr später mit Nicolas Collon. Und genauso wie in Salzburg gestaltet Frau Chan das Lento. Das Saxophon darf kaum einmal über die anderen Holzbläser drüberkommen, ist nur ein gleiches unter gleichen. Aber: dieses Mal spielt es ohne Vibrato. Die Sehnsuchtsmelodie wirkt nun ausdrucksvoller als in Salzburg, das Klavier bleibt dezent. Die Beschleunigung wirkt nun noch etwas rasanter als beim ORF RSO in Salzburg, also erneut quirlig und sehr lebendig.
Im zweiten Satz geht es genauso straff, ja furios zu wie in Salzburg. Der Walzer profitiert von der bestechenden Spielkultur des Orchesters, dem die Musik Rachmaninows spätestens seit Bychkow und Macelaru (GA der Sinfonien ohne die Sinfonischen Tänze) nicht mehr fremd ist.
Besonders die beiden Außenteile werden nun noch etwas im Tempo gesteigert und nirgends schlagen die Glocken so Alarm wie bei Elim Chan. Sie zeigen hier aber kein Feuer oder eine Naturkatastrophe an, sondern „nur“ eine nächtliche Danse macabre, die wie in Salzburg gespenstisch-temperamentvoll wirkt. Schlimm genug, würde Rachmaninow meinen. Die Dirigentin hält die Spannung und fördert die Kontraste, selbst im notorisch depressiven Mittelteil. Aus dem Finale wird tatsächlich eine Stretta gemacht, man merkt, wie sich das Publikum nur mühsam beherrschen kann, bis der lange Nachhall des letzten Tam-Tam-Schlags verklungen ist, dann tobt es los, fast so toll wie in Salzburg. Das dunkler und sonorer klingende WDR-Sinfonieorchester hatte zuvor schon Schönbergs Klavierkonzert und die Rhapsodie in Blue in den Fingern, wirkte aber noch sehr frisch, als es um die Sinfonischen Tänze ging. Das ORF RSO wirke jedoch noch ein wenig frischer. Da waren zuvor Auszüge aus Prokofievs „Romeo und Julia“ zu bewältigen.
Der Klang der Aufnahme wirkt warm und sonor, brillant und straff, aber nicht übermäßig räumlich, sondern vornehmlich präsent, was besonders gut zum Dirigierstil Elim Chans passt. Wir haben auch bei dieser Sendung keine Dynamik-Kompression bemerkt, die uns lästig geworden wäre. Diese Aufnahme zu hören hat richtig Spaß gemacht. Obwohl sie die Nr. 90 in der zeitlichen Abfolge war.
5
Yannick Nézet-Seguin
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg (heute: wegfusioniert)
SWR
2006, live
11:19 9:18 13:05 33:42
Beim 2006 im Konzerthaus in Freiburg aufgenommenen Konzert war Monsieur Nézet-Seguin 31jähriger Chefdirigent des Orchestre Métropolitain in Montréal (was er heute noch immer ist), noch nicht in Rotterdem und schon gar nicht in Philadelphia oder an der MET. Doch er holt aus dem inzwischen wegfusionierten Orchester einen volleren und saftigeren Klang heraus als aus dem Philadelphia Orchestra, das im Jubiläumsjahr 2023 u.a. die Sinfonischen Tänze im Festspielhaus Baden-Baden gab, die ebenfalls vom SWR aufgenommen wurden. Dabei war das Orchester aus Baden-Baden und Freiburg damals vermeintlich lange nicht so vertraut mit dem Werk wie das Rachmaninow-Orchester schlechthin (wie man annehmen sollte) aus Philadelphia, das das Werk bereits 2018 für die DG aufnahm und auf der Tournee sicher bereits mehrmals spielte. Das Holz dieser „Perle des Südwestens“, wie man das Orchester früher liebe- und respektvoll nannte, verfügte auch über die voller und sonorer klingenden Violinen und Holzbläser und beim Blech kann man zwar einen deutlichen Klang- aber kaum einen Qualitätsunterschied feststellen. Es ist immer noch kaum zu glauben, dass es das Orchester nicht mehr gibt und ähnliches droht jetzt der Deutschen Radiophilharmonie, das ja bereits fusioniert wurde und seinen Beitrag bereits geleistet hätte! Da gäbe es sicher bessere Sparmöglichkeiten, aber die betreffen die Verwaltung zunächst mal selbst und man spart sich ja ungern selbst weg. Der Gestus wirkt beherzter als beim Philadelphia Orchestra, jedoch schon damals nur wenig drängend, aber auch nicht so balletthaft-leicht und nicht ganz so brillant wie bei den Amerikanern. Beim „Klangzauber“ um Zi. 27 kommt das Klavier kaum zum Zuge, umso mehr das Glockenspiel. Das Orchester spielt wie das aus Philadelphia mit hoher Perfektion.
Im zweiten Satz hören wir ein ausgezeichnetes Solo der Violine, die Soli von Englischhorn und Oboe sind beide für sich genommen ebenfalls sehr gut gelungen, jedoch sind sie im Timbre recht verschieden, sodass die Übergänge nicht so nahtlos erfolgen, wie wenn sie sich klanglich näherstehen würden (z.B. wenn man von beiden Instrumenten Exemplare des gleichen Instrumentenbauers nehmen würde). Manch einer hört die Timbres aber auch lieber unterschiedlich, vielleicht um die Stimme deutlicher abgegrenzt zu hören, auch das wäre völlig legitim, jedem das Seine. Uns berührte die Darbietung mit dem SWR-Orchester mehr als die 17 Jahre später aufgenommene mit dem Philadelphia Orchestra, vielleicht weil das Orchester einfach wärmer klingt und etwas fülliger, es lässt sich jedenfalls vom jungen Nézet-Seguin ganz besonders inspirieren, spielt sehr differenziert und wirkt meist gefühlvoller, aber auch tänzerischer als die Amerikaner.
Im dritten Satz klingen die Glocken sehr deutlich, die meisten lassen sie stärker spielen als das p der Partitur, vielleicht damit auch jedem klar ist, dass es Mitternacht ist und der Spuk nun beginnen kann. So auch hier. Die Flöten kommen wie meist kaum durch (obwohl mf). Rachmaninow hatte wohl eher eine Fernwirkung der Glocken im Sinn. Es entwickelt sich ein ziemlich wilder Totentanz mit harten Kontrasten. Aber vor allem der langsame Mittelteil weiß durch die warmen Klangfarben und das besonders ausdrucksvolle Spiel zu begeistern. Das Tam-Tam durfte schon damals bei Nézet-Seguin lange ausklingen, das Publikum war damals davon anscheinend noch stark verunsichert, denn der Applaus setzte nur sehr zaghaft ein, dann blendete man leider schon schnell aus. Es wäre interessant gewesen, wie sich damals das Publikum zu der fulminanten Darbietung verhalten hätte. Sie übertrifft die des Philadelphia Orchestra 2023 in Baden-Baden zumindest in unseren Ohren deutlich. Und da tobte das ganze Festspielhaus. Aber wie heißt es doch so schön: „Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner.“ Es wurde damals klar, dass man auf den Dirigenten aufmerksam werden musste.
Der Klang der Aufnahme ist fast so transparent wie 2023 im Festspielhaus, aber voller und sonorer. Allerdings war die Datenrate damals noch höher und man sendete in Dolby Digital 5.1. Dem Philadelphia Orchestra spendierte man hingegen bei der Sendung nur „schnödes“ Stereo.
5
Jakub Hrusa
Wiener Philharmoniker
BR
2023, live
11:53 10:07 13:53 35:53
Dies ist eine Aufnahme vom George Enescu Festival 2023 aus dem Sala Palatului. Wahrscheinlich wurde sie vom Rumänischen Rundfunk erstellt und dann im Rahmen der EBU-Austauschkonzerte dem BR zur Sendung überlassen. Genaueres wurde bei der Sendung nicht mitgeteilt. Die europäischen Rundfunkanstalten tauschen ja gerne ihre selbst aufgenommenen Konzerte mal untereinander aus, um den Hörern Neues zu bieten. Die Wiener haben die Sinfonischen Tänze auf Tournee mitgenommen und außer in Bukarest auch in Luzern und Grafenegg aufgeführt, nachdem man sie dem heimischen Publikum im Wiener Konzerthaus präsentierte. Acht Jahre zuvor gab es die Sinfonischen Tänze mit Herrn Hrusa bereits in einem Konzert in der Stuttgarter Liederhalle zu hören. Davon später mehr.
In Bukarest klingt es nun im gleichen Tempo jedoch etwas drängender zu. Im Lento hören wir sehr transparent eingefangene Kammermusik. Man würde die Wiener Oboe oder das Wiener Englischhorn kaum noch wiedererkennen, wenn man die Entwicklung in den letzten Jahren nicht mitverfolgt hätte, so weich und sanft, wie sie jetzt klingen können. Das Saxophon ragt aber heraus, auf ganz bezaubernde Weise und das soll auch so sein. Das „Sehnsuchtsthema“ erklingt mit aller Expressivität und Homogenität. Das Klavier bleibt nun viel leiser als im Stuttgarter Mitschnitt mit Herrn Hrusa. Das ist auch viel besser so, denn es will zur Streicherkantilene einfach nicht so recht passen, wurde hier von Rachmaninow wohl eher als Fremdkörper eingesetzt. Im weiteren Verlauf wird die Crux dieser Aufnahme ganz besonders deutlich, denn der unselige Abregelvorgang, der die Dynamik kaputtmacht, setzt wieder ein und noch schlimmer, er kann noch nicht einmal ein Übersteuern verhindern, wozu er eigentlich einmal nützen sollte. Bei der Bläserkammermusik des Lento wähnte man sich schon im klanglichen Elysium. So kann es gehen. Der „Klangzauber“ um Zi. 27 bezaubert dann wieder umso mehr, denn bis zum mf hat man die aufnahmetechnischen Parameter kongenial eingestellt. Da kommen die Qualitäten des Orchesters voll zum Tragen, um sie drüber hinaus, ab mf aufwärts, nahezu zunichte zu machen.
Wie weich und sonor das fantastische Duo aus Englischhorn und Oboe auch im zweiten Satz klingt! Und was für ein Walzer, vorausgesetzt die Partitur lässt es einmal zu, dass man sich ungehindert drehen darf, dann in aller Intensität, voller Schwung, farbig und wundervoll abgerundet im Klang. Da kam das RSO Stuttgart des SWR, so sein sperriger Name damals noch, bevor 2016 die Fusion kam, doch nicht so ganz mit. Da ist auch noch ein ganz besonderer sinfonischer Impetus dabei. Nicht über Gebühr schwelgerisch, aber doch betörend und eben im besonderen Klanggewand der Wiener Melancholie. Man frönt nicht dem Schönklang, steht aber kurz davor und gibt dem Ganzen einen leicht dekadenten Endzeitklang mit. Eine Wiener Spezialität, die der junge Tscheche trefflich zu befördern weiß.
Im dritten Satz arbeiten Hrusa und die Wiener die Fandango-Anklänge besonders anschaulich heraus. Wir dachten kurz, sowas wie Kastagnetten zu hören, aber letztlich kann es doch nur das Tamburino gewesen sein. Das Spiel klingt funkelnd, aber wie ärgerlich ist das Abregeln der Dynamik immer, wenn das Orchester lauter wird. Als ob es sich um Pop-Musik handeln würde. Beim Mittelteil hält sich die Kompression zurück. Er wird zum Hochgenuss, zumal der fast schon obligatorische Spannungsabfall nicht stattfindet. Vielleicht ist es aber auch nur die pure Klangschönheit (und die Akzentuierung), die den Hörer gebannt zuhören lässt. Sehr sinnlich. Am Ende kommt es leider zu einem reichlich undifferenzierten Klangkonglomerat, dynamisch reduziert zu einem mf, obwohl das Orchester alles gibt werden alle Instrumente gleichlaut und räumlich kommt alles aus einer Stelle. Dass der letzte Tam-Tam-Schlag wegen des Publikums nicht ausklingen darf ist da noch das kleinste Übel.
Der Klang ist nur in den relativ leisen und solistischen oder kammermusikalischen Passagen sehr klar, sagenhaft präsent, sehr räumlich, offen, körperhaft, sehr brillant und plastisch. Ab mf verengt sich das Klangbild, die Transparenz verschlechtert sich sprunghaft, die Stimmen verklumpen und die Dynamik geht verloren. Wann wird den Technikern klar, dass man mit klassischer Musik nicht genauso umgehen darf wie mit den neusten Hits der Pop-Charts? Vom BR sind wir das nicht gewohnt, vielleicht wurde das Material bereits in dieser Form aus Rumänien angeliefert? Da sind wir überfragt.
5
Karina Canellakis
Netherlands Radio Philharmonic Orchestra
Deutschlandfunk
2025, live
11:38 10:00 14:08 35:46
Karina Canellakis ist seit 2019 und zumindest bis 2027 Chefdirigentin der Niederländischen Radio-Philharmoniker. Wie bei Mariss Jansons handelt es sich um eines der Lieblingsstücke der Dirigentin, allgemein sagte sie, sie „liebe“ Rachmaninow. Sie hat das Werk, so war im Pauseninterview zu erfahren, schon sehr oft aufgeführt, aber sie mache es immer anders, es wäre jedes Mal aufs Neue ein Abenteuer es zu spielen, es käme ihr manchmal vor wie eine Traumsequenz und vor allem müsse die Balance stimmen. Aus dem Jahr 2018 lag uns noch ein Live-Mitschnitt von den Londoner BBC Proms aus der Royal Albert Hall vor, der 2025 aber in fast allen Belangen übertroffen wird. Der Mitschnitt 2025 erfolgte in der Berliner Philharmonie beim Musikfest Berlin. Frau Canellakis hat bei „ihrem“ Orchester alles im Griff, es klingt ausgesprochen schwungvoll (ähnlich wie bei Elim Chan) und es geht kein Ton daneben. Das Stück beginnt schon pulsierend und mit rhythmischer Verve, aber nicht schneller als in London sieben Jahre zuvor. Das Orchesterklavier ist auch bei Zi. 4 schon gut zu hören. Schon zu Beginn wird klar, dass die Niederländer mit dem BBC Symphony Orchestra mindestens auf Augenhöhe spielen. Man spürt sogar ein Plus an Sicherheit und Vertrautheit mit dem Werk (und mit der Dirigentin). Im Lento genießt das Alt-Saxophon deutliche Priorität, der „übrige“ Bläsersatz steht deutlich zurück, ohne dass die Konturen verschwimmen würden. Das Saxophon selbst klingt sehr klangschön-schmelzend, was seiner Klage nur noch besser zur Geltung bringt. Frau Canellakis bringt nun mehr Rubato ein als in London, ein weiteres Indiz für gewonnene Sicherheit aller Beteiligten. Die Dirigentin lässt hier vielleicht die Zügel etwas lockerer. Das kommt der Lebendigkeit der Musik zugute. Der „Klangzauber“ erklingt in allerbester Balance, Streicher, Klavier, Harfe und Glockenspiel sind alle gleichermaßen gut zu hören. Das Orchester kann auch wunderbar leise spielen, was man beim BBC Symphony kaum hören konnte.
Das Violinen-Solo im langsamen Satz erklingt mit starkem Espressivo, sein Ritardando wirkt wenig ausgeprägt. Oboe und Englischhorn sind im Timbre hervorragend aufeinander abgestimmt. Der Walzer wirkt leidenschaftlich mit spürbarer Dunkelwirkung („Abend“, so ein erster, später wieder verworfener Titel des Satzes). Die Bässe sind ja beim Walzer ein besonders wichtiges Rhythmus-Instrument, damit es richtig schwingt, hier klingt er mal gut und kräftig akzentuiert. Der Walzer klingt melancholisch, lässt aber auch ein wenig Licht einfallen und man kann sich auch mal die Paare lebendiger vor sich drehen sehen. Die Blechzäsuren ragen kräftiger aus dem Kontext hervor, aber nicht so eruptiv wie bei Swetlanow (1973), der da wohl für alle Zeiten den Maßstab gesetzt hat. Der Satz hat gegenüber 2018 in London erheblich an Intensität gewonnen, auch an Perfektion im Orchesterspiel. Es gibt feinere Rubati, man spielt auch mal richtig leise, die Accerlerandi ziehen immer noch deutlich an, wirken aber nicht mehr so mechanisch und gedrillt.
Im dritten Satz klingt das Orchester stets sauber, voll, rund und warm, obwohl es bereits ein immens anstrengendes Programm mit Zeitgenössischem hinter sich hat. Steigerungen werden manchmal mit einem leichten Accelerando verbunden, dabei wird nicht übertrieben. Der oft von Spannungsabfall bedrohte Mittelteil klingt ausdrucksvoll. Der letzte eindrucksvolle Tam-Tam-Schlag darf lange verhallen, bis sich das Berliner Publikum nicht mehr halten kann. Völlig zurecht. Das klingt alles sehr stimmig und gekonnt.
Der Klang wirkt klar, offen, brillant und räumlich. Der Bass wirkt mächtig und impulsiv, vielleicht auch dank der Surround-Lautsprecher-Konfiguration die der Deutschlandfunk anbietet oder vielmehr damals noch angeboten hatte. Wir haben keine störende Dynamik-Kompression bemerken können.
5
Domingo Hindoyan
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
BBC, gesendet vom WDR
2023, live
11:12 9:10 13:09 33:31
Der Dirigent, wie Gustavo Dudamel und Rafael Payare aus dem venezolanischen „El Sistema“ hervorgegangen, ist seit 2021 Nachfolger von Vasily Petrenko in Liverpool und ab 2025 zudem Musikdirektor der Oper von Los Angeles. Die Sinfonischen Tänze bildeten den Abschluss des Saisoneröffnungskonzertes des Orchesters, das in der Philharmonic Hall Liverpool stattfand.
Bei Domingo Hindoyan geht es mit mehr Dampf und einem stärker tänzerisch angetriebenen Rhythmus los als zum Beispiel bei Lahav Shani oder David Robertson. Auch das Lento wirkt zügig, wobei das Alt-Saxophon bestens herauskommt, auch weil die anderen Holzbläser sehr leise spielen können. Butterweich und sinnlich erklingen die Streicher bei der „Sehnsuchtsmelodie“ mit relativ deutlicher Untermalung durch das Klavier. Es klingt sehr gut und man spielt zügig, aber zugleich auch expressiv. Das Orchester hat, diesem Mitschnitt nach zu urteilen, internationales Top-Niveau, es klingt ebenso gut wie die besten Rundfunkorchester aus unserer Liste. Die Passage des „Klangzaubers“ um Zi. 27 erklingt mit starkem Streicheranteil.
Dass der 2. Satz zu großen Teilen ein sehnsüchtig-melancholischer Abgesang auf eine untergegangene Epoche darstellt (in dem Fall die Zarenzeit) wird offenkundig. Die Solovioline hat nicht die Klangfülle des Pendants des DSO, Englischhorn und Oboe haben unterdessen ein ganz herausragendes Niveau erreicht, da müssen sich die Londoner Orchester richtig anstrengen, um da noch mitzuhalten. Und Klarinette, Flöte und Fagott stehen nicht zurück, im Gegenteil die Holzbläser sind mittlerweile zu einem Aushängeschild für die Exzellenz des ganzen Orchesters geworden. Der Walzer entwickelt sich beschwingt-temporeich, leidenschaftlich, federnd und recht impulsiv. Hervorzuheben wären auch noch die an diesem Abend makellosen und kraftvollen Hörner. Der Tanz wirkt angesichts des Ausdrucks noch richtig leichtfüßig.
Der Beginn des dritten Satzes wirkt atmosphärisch. Man spielt sehr farbig und kraftvoll, da passt auch das gewühlte Tempo sehr gut dazu. Es irrlichtert, aber trotzdem sind diese Geister nicht leichtgewichtig oder gar Schwächlinge, sondern sehr kraftvoll. Das Orchester investiert besonderen Nachdruck, nur das Tremolo nach der Generalpause bleibt zu lange unhörbar, obwohl es lediglich pp gespielt werden soll, darf es doch nicht gar so leise sein. Ein kleiner Schönheitsfehler. Im Mittelteil bestechen besonders die wunderbare Homogenität und warme Kantabilität der Streicher. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf bei Hindoyan nicht lange nachschwingen, nur der Notenwert, dann ist Schluss.
Die BBC-Aufnahme klingt offen, transparent mit einer guten Tiefenstaffelung, es fehlt gegenüber den besten Übertragungen nur etwas Volumen und Körper. Es handelte sich aber nicht um eine Direkt-Übertragung, die meist noch ein Quäntchen besser klingen.
4-5
Stephane Denève
RSO Stuttgart des SWR (heute: SWR-Sinfonieorchester)
SWR
2012, live
11:28 9:59 13:10 34:37
Mit Stephane Denève hatten wir ebenfalls zwei Mitschnitte in der Sammlung. Dabei wissen wir nicht, wann die Aufführung mit den Münchner Philharmonikern stattfand. Sie hat sich jedenfalls deutlich verändert, alle Sätze dauern länger und erscheinen schwermütiger und langatmiger. Davon später mehr. Monsieur Denève war von 2011-2016 der letzte Chefdirigent des RSO Stuttgart bevor es fusioniert wurde. Seitdem heißt es nur noch SWR-Sinfonieorchester. Danach wechselte er zum Royal Scottish National Orchestra, anschließend nach Brüssel. Gegenwärtig ist er Music Director in Saint Louis.
Der Gestus erweist sich gegenüber der Münchner Aufnahme im Orchesterklang heller aber auch frischer. Auch sonst kann man dieses Mal kleinere Unterschiede in der Orchesterqualität ausmachen. Auch in Stuttgart wirkt das Bläserensemble beim Lento etwas herangezoomt. Es klingt sehr gut, das Saxophon kommt auch dieses Mal in der Liederhalle wunderschön zur Geltung. Besondere Phrasierungsschmankerl, die es zu erwähnen gäbe, haben wir nicht gehört, die braucht es aber auch gar nicht. Die Streicher in Stuttgart klingen homogener als bei den Münchner Philharmonikern, sind einfach besser zusammen, das Klavier klingt dezenter ohne einen störenden Effekt auf die Streicher auszuüben. Das Schlagwerk klingt straffer und fetziger, auch die Reprise mit mehr Überschwang (oder ist es Wut?) als in München, ohne den grundsätzlich melancholischen Grundcharakter zu übergehen.
Im zweiten Satz gefällt die Solovioline besser, sie artikuliert sehr schön und es erscheint spontan das Bild von Rimsky-Korsakows „Scheherazade“ vor dem inneren Auge des Hörers. Der Walzer wirkt eleganter als in München und klingt sinnlicher, grundsätzlich leichtfüßiger.
Im dritten Satz gibt Monsieur Denève in beiden Fällen ein flottes Allegro vivace vor, beide Male wird die Fermate über der Generalpause als unwichtig erachtet, der Mittelteil wirkt stimmungsvoll, nicht so übermäßig larmoyant oder lamentoartig. In München allerdings zieht sich der Mittelteil dahin. Die Reprise des Allegro vivace gelingt in Stuttgart temporeicher und anspringender. Sogar ein rasantes Finale folgt dann mit einer sogartigen Stretta. Die Tam-Tam-Wirkung wird nicht hervorgehoben und der letzte Schlag wird am weiterschwingen gehindert.
Die Aufnahme aus Stuttgart erklingt ohne störende Dynamik-Kompression, sehr dynamisch, räumlich und transparent, farbig, warm und sonor. Genauso wie die großen Orchester heute von den diversen Sendern meist aufgenommen werden, wenn man keine „Dynamikverfälschung“ verwendet.
4-5
Simon Rattle
Berliner Philharmoniker
RBB
2014, live
11:25 9:37 13:45 34:47
Vier Jahre nach den Konzerten die zur Aufnahme für die EMI-CD führten (4. und 5.9.2010) wurden die Sinfonischen Tänze von Sir Simon erneut programmiert. Sie gehörten zum Saisoneröffnungskonzert 2014, das ja seit vielen Jahren regelmäßig im Radio übertragen wird. Gemeinsam mit dem kompletten „Feuervogel“ ging es danach wie jedes Jahr wieder auf Tournee. Simon Rattle hatte übrigens gerade bei den Philharmonikern gekündigt.
Die Oboe spielt im Lento nicht ganz so makellos, wie man es von ihr gewöhnt ist, aber doch einzigartig im pp-Spiel. So kommt das Alt-Saxophon ganz leicht in der Dynamik drüber. Da übrige Holz schließt sich sehr leise und betörend weich spielend an. Das Lento hat schon einmal gut geklappt, denn die Sinfonischen Tänze standen am Anfang des Konzertes, der „Feuervogel“ folgte. Die Streicher erfreuen bei der „Sehnsuchtsmelodie“ erneut (wie bereits 2010) mit ihrer sprechenden Phrasierung, wirken aber ausdrucksvoller als auf der CD. Man vermeidet jeden Zug ins Schwelgerische. Auffallend transparent erfolgt der Einbezug des Schlagwerks. Das Accelerando wirkt nun kraftvoller, zupackender; überhaupt hat das Spiel gegenüber 2010 an Feuer zugelegt. Die Gestaltung wirkt nun abwechslungs- und kontrastreicher. Betörender „Klangzauber“ bei Zi. 27. Man hat den Eindruck, dass sich Sir Simon mehr traut, mehr Risiko eingeht als 2010, doch nicht etwa, weil er sowieso schon gekündigt hat? Das kann ja auch eine befreiende Wirkung haben. Vielleicht sollten die Berliner auch merken, was sie verlieren?
Im zweiten Satz gibt es großartige Soli von Violine, Englischhorn und Oboe, die sich längst schon wieder gefangen hat. Es klingt schön dämmrig, ja zwielichtig, mal etwas dunkler, mal etwas heller, mit interessanten Schattierungen. Die Übergänge wirken nicht immer unmerklich, es soll wahrscheinlich auch gar nicht so wirken, denn die Störungen des „normalen“ Ablaufs eines Walzers sind ja werkimmanent und sollten nicht kaschiert werden. Der ganze Satz wirkt nicht mehr so freundlich wie 2010, es gibt einen temperamentvollen Abschluss mit kräftigen Ausrufezeichen.
Der dritte Satz hat viel Schwung und noch mehr Kraftentfaltung als 2010, wirkt auch etwas expressiver und gefühlvoller. Wir hören nun eine fast makellose Aufführung in exquisiter Klangqualität. Beeindruckender, weil temperamentvoller und zupackender. Der letzte Gong-Schlag klingt monumental und er darf klingen bis er fast verklungen ist, fast eine kleine Ewigkeit, dann erst meldet sich das begeisterte Publikum.
Dies ist klanglich ein guter Mitschnitt, recht transparent, voll und sonor, sehr dynamisch, ohne spürbaren Kompressionseffekte bei der Dynamik.
4-5
Mariss Jansons
Wiener Philharmoniker
ORF
2011, live
11:42 10:40 14:15 36:37
Diese Aufnahme aus dem Wiener Musikvereinssaal entstand zwischen den Einspielungen in Sankt Petersburg und München (CD) bzw. Paris (Video). Der Orchesterklang ist erwartungsgemäß üppig und brillant. Der Beginn des ersten Satzes wirkt energisch und emotional. Das Saxophon im Lento klingt superb, wird jedoch nicht extra herausgestellt, indem man eine spezielle Mikrophon-Anordnung bemühen würde. An der Oboe kann man nur noch von weitem den früheren Klang erkennen. Sie klingt jetzt (oder vielmehr 2011, 2023 in Bukarest war es dann wieder etwas anders) erheblich gedeckter und ihr Klang ist passgenau auf den des Englischhorns abgestimmt (vice versa). Immer noch kann sie wunderbar klagen. Flöte und Bassklarinette darf man im Lento ebenso im wunderbar deutlich zu hörenden Holzbläsersatz besonders hervorheben. Im „Sehnsuchts-Thema“ danach sind die Wiener Streicher voll in ihrem Element (besonders die Violinen), wer könnte Traurigkeit und Schönheit besser miteinander zusammenbringen und das ohne kitschig zu übertreiben? Dabei bleibt der Klang immer noch durchlässig für das Orchesterklavier. Insgesamt wirkt der erste Satz emotional, aber doch lockerer und nicht ganz so unter Strom gesetzt wie beim BRSO, dort klingt es noch etwas straffer und kraftvoller. Die Tagesform, insbesondere des Dirigenten mag da manchmal auf diesem Niveau den Unterschied machen.
Im zweiten Tanz können wir ein klanglich herausragendes Solo der Violine hören, das Duett mit Englischhorn und Oboe steht da nicht zurück, betörend vor allem die Oboe. Sehr stimmungsvoll. Die Kontrabässe erklingen auffallend präsent, was für die Rhythmik eines Walzers nicht unwichtig ist. Die Rubati wirken stark ausgeprägt, die Übergänge nichtsdestotrotz meisterhaft. Der Walzer klingt bei Jansons auf unaufdringliche Weise wunderbar emotional und stets klanglich superb. Die Aufnahme mit dem BRSO wirkte insgesamt auch im zweiten Satz noch etwas straffer und bei den Höhepunkten noch ein wenig eindringlicher. Die CD konnte die Dynamik eben wesentlich unverschliffener rüberbringen, was sich gerade an den Höhepunkten bemerkbar macht.
Orchestral wirkt der letzte Satz zunächst dramatisch und emotional ziemlich aufgeladen, aber das Tempo wirkt gegenüber Sankt Petersburg und München verlangsamt. Eine im besten Sinne romantische Darbietung mit besonders stark ausgeprägten Gefühlsgegensätzen entspinnt sich dennoch. Das Orchester zeigt sich in Bestform, die Hörner klingen makellos, werden aber leider virtuell viel zu weit entfernt in den Hintergrund platziert, wir können allerdings nur für den Rundfunk-Hörer sprechen. Im Konzert kann es ganz anders gewesen sein. Die Trompeten hingegen nutzen ihre begünstigte Position vor den Mikrophonen weidlich aus. Insgesamt sagen uns die Tempi in München (und St. Petersburg) mehr zu. Auffallend ist, dass dies alle drei Sätze betrifft. Vielleicht war Mariss Jansons gesundheitlich ein wenig angeschlagen? Gerade gegen Ende wurde das Tempo 2017 nochmal mächtig angezogen, was die Finalwirkung beträchtlich erhöht. Da war einfach mehr Feuer drin. Allerdings beweist das Wiener Publikum Sachverstand, denn der letzte mächtige Tam-Tam-Schlag darf endlich auch mal live richtig ausklingen.
Die Aufnahme, damals noch per Satellit im 5.1 Dolby Digital Sound gesendet, wirkte sehr transparent, schön breit und schön tief in der Abbildung des Orchesters, zudem weich und sonor. Der Bass kommt in diesem Format fast zwangsläufig (durch den separaten Subwoofer-Kanal) sehr gut zur Geltung, die Gran Cassa sogar fulminant. Während das Schlagwerk noch gut zu hören ist, werden die Hörner dieses Mal zu den Verlierern im Gesamtklang. Dynamisch ist der Radioklang wie immer zurückhaltend. Gegenüber der BR-CD wirkt die Aufnahme dünner und dynamisch ziemlich eingeebnet, aber sie wirkt sogar räumlicher und sie ist frei von unangenehmer Dynamikkompression (was die Aufnahme der Wiener in Bukarest leider so stark in Mitleidenschaft zog).
4-5
Jakub Hrusa
Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR (heute: SWR-Sinfonieorchester)
SWR
2015, live
11:26 9:30 12:58 33:54
2015 war Jakub Hrusa gerade noch Chefdirigent des PKF-Prague Philharmonia (2008-2015), aber 2016 dann Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, ab 2025 dann zusätzlich Musikdirektor des Royal Opera House Covent Garden. Er hat sich also bereits lange vor dem Jubiläumsjahr 2023 in dem er das Werk mit den Wienern mit auf Tournee nahm, mit den Sinfonischen Tänzen auseinandergesetzt. Und bei den Stuttgartern ist das Werk anscheinend regelmäßig auf dem Programm zu finden: 2006 mit Susanna Mälkki, 2012 mit Stephane Denève, 2015 mit Jakub Hrusa und 2023 mit Petr Popelka. 2015 hören wir erneut das beeindruckende solistische Können der betreffenden Musiker/innen und ein fein abgestimmtes, homogenes Zusammenspiel auf höchstem Niveau. Die Tempi sind in allen drei Sätzen etwas schneller als 2023 mit den Wienern, wirken aber locker gespielt mit einem leicht spürbaren Drang nach vorne. Das Lento erklingt schon damals flott. Das Saxophon flutet geradezu die ganze Stuttgarter Liederhalle, zumindest wird das bei der Radioübertragung suggeriert. Das übrige Holz ist dann dem Saxophon gegenüber räumlich sehr weit entfernt, sodass alleine von daher die Ranken der Stimmen sehr dezent umspielen. Da hat das Saxophon allem Anschein nach ein „eigenes“ Mikrophon bekommen. Trotz dieses Tricks wirkt diese Passage herzergreifend. Die Streicher im „Sehnsuchtsthema“ spielen sehr kantabel, aber auch sehr deutlich. Das Klavier kommt für unsere Ohren zumindest zu laut. Die Darbietung wirkt großbogig
Der Walzer wird sehr gefühlvoll gespielt, jedoch weniger kraftvoll als beispielsweise bei Domingo Hindoyan. Selten baut sich einmal richtiger Schwung auf. An Lebendigkeit mangelt es eigentlich nicht, hin und wieder braust es sogar auf. Auch im zweiten Satz ist das Orchesterklavier laut und deutlich mit von der Partie. Das ist ziemlich einzigartig, es hat wahrscheinlich ebenfalls ein eigenes Mikrophon mit der entsprechenden Aussteuerung bekommen.
Das Orchester gibt sich auch im dritten Satz keine Blöße. Klingt ausgezeichnet und bietet butterweiche, geschmeidige Übergänge. Die Höhepunkte werden temperamentvoll bis zu einer gewissen Heftigkeit gesteigert. Im Finale darf das Blech besonders prominent hervortreten. Der letzte Tam-Tam-Schlag klingt sehr laut und darf lange nachklingen.
Der Klang der Aufnahme wirkt voll, offen, sonor und detailreich. Das Orchester bekommt eine gute Staffelung. Das Blech wirkt nicht immer so blitzsauber vom übrigen Orchester getrennt wie sonst, Schlagwerk und besonders die Gran Cassa sind präsent, sehr schlagkräftig und schlagfertig.
4-5
Nicolas Collon
WDR-Sinfonieorchester Köln
WDR
2025, live
11:43 10:12 13:35 35:30
Wie beim Konzert mit Elim Chan hat das WDR-Sinfonieorchester auch dieses Mal ein „Auswärtsspiel“. Dieses Mal im Dortmunder Konzerthaus. Der Gründer und Chefdirigent des auswendig spielenden Aurora Orchestra ist zugleich Chefdirigent des Finnischen Radio-Sinfonieorchesters in Helsinki. Er war zum ersten Mal zu Gast beim WDRSO. Während sich das Orchester bereits vielfach mit den Sinfonischen Tänzen auseinandergesetzt hat, ist es für den Rachmaninow-liebenden Dirigenten erst das dritte oder vierte Mal, dass er sie dirigiert. Damit sind pro Mal jeweils Proben und zwei, drei oder sogar vier Konzertabende gemeint.
Nicolas Collon hat bei seiner Darbietung keine „russische Schwere“ im Sinn, die man gemeinhin (und nicht zu Unrecht) mit dem Namen Rachmaninow verbindet. Das Orchester klingt (ganz ähnlich wie bereits bei Elim Chan) leicht, akzentuiert und präzise. Das Lento wird bereits von einem gefühlvollen Rallentando vorbereitet und das Saxophon klingt, wie es fast immer klingt, wenn es im klassischen Sinn geblasen wird, sehr, sehr schön und herzerweichend. Es wird auch in Dortmund von der Technik deutlich hervorgehoben. Mit den holzblasenden Mitstreitern kommt man sich so nicht ins Gehege. Violine I und Celli spielen sehr homogen und phrasieren „sprechend“; es könnte kaum eindringlicher klingen. Insgesamt erreicht man eine lebendige, jugendlich und frisch wirkende Darbietung des ersten Tanzes.
An Rubato mangelt es dem zweiten nicht. Der Walzer klingt luzide und sehr gefühlvoll.
Dem Orchester merkt man die Spielfreude auch im dritten Tanz an. Es klingt auch hier lebendig und intensiv und man erfreut sich an den präsenten und sauber intonierenden Hörnern. Die Musik wird auch im schmerzerfüllten, langsamen Mittelteil fließend gehalten, sodass er weniger lastend wirkt als in den meisten anderen Aufnahmen.
Das Finale hat Temperament, klingt immer transparent und man merkt, dass dem Schlagwerk ein offenes Ohr geschenkt wird, von Xylophon über Tamburino bis zum Tam-Tam. Der letzte Schlag allerdings wird nur auffallend kurz angeschlagen. Da wird noch nicht einmal das punktierte Viertel gehalten, nur das Achtel das auch das übrige Orchester als letzten Ton zu spielen hat. Das wäre dann das einzige echte Manko. Ein ganz kleines angesichts einer großartigen, bewegenden Leistung.
Die Aufnahme gerät größtenteils sehr präsent, manchmal scheint man jedoch geradezu richtig weg zu zoomen und das Orchester scheint dann entfernter. Das geht dann auch mit der von uns so gefürchteten und bei uns so unbeliebten Dynamikkompression einher. Jedoch behutsamer als in den anderen bisher erwähnten Übertragungen mit dieser „schlechten“ Eigenart. Generell klingt das Orchester weich, rund, voll und farbig. Eingebremst wurden leider vor allem Tam-Tam und Gran Cassa.
4-5
David Robertson
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
RBB
2025, live
12:02 10:00 14:17 36:22
Die letzten Positionen David Robertsons waren 2005-2018 Chef beim Saint Louis Symphony und 2014-2019 beim Sydney Symphony Orchestra. Nach dem Konzert in der Berliner Philharmonie ging man noch gemeinsam auf eine kleine Tournee, die unter anderem nach Linz und München führte. Ähnlich wie der jüngere Lahav Shani treibt David Robertson das Geschehen im ersten Satz nur wenig an. Man hat jedoch den Eindruck, dass man den Satz sozusagen laufen lässt, natürlich de facto nicht unkontrolliert, sondern so, wie es das Schicksal mit dem Leben macht: für den Betroffenen fremdbestimmt. Im Lento spielt das Saxophon mit aller Kantabilität und Süße und es erscheint eng verwoben mit dem übrigen Holz. Ähnlich wie bei den Philharmonikern oder beim RSB klingt das Holz ganz hervorragend: homogen, sanft und sehr ausdrucksvoll. Aber so solitär gut wie noch in den 60er bis 80er Jahre ist das Berliner Holz nicht mehr, weltweit hat man ordentlich aufgeholt und schlecht klingt es bei den großen Orchestern nirgendwo mehr. Und die Streicher des DSO machen es in der „Sehnsuchtsmelodie“ nicht schlechter. Die Beschleunigungen werden behutsam eingeleitet, dann aber immer nachdrücklicher (eben poco a poco). Es trieft nicht vor Emotionen, bleibt klar und geschmeidig, aber auch nie kühl oder gar sachlich. Es wirkt intensiv, ohne dass man nun genau schreiben könnte woran es liegt.
Im zweiten Satz findet man sofort den richtigen Ton, die Stimmung passt. Der Walzer erklingt in aller Sinnlichkeit, bleibt aber locker, es gibt keine Verkrampfungen durch die Unterbrechungen durch das Blech oder die erzwungenen Rubati. Bei Robertson und dem DSO „atmet es“ und „hat Luft“. Den Mittelteil kann das DSO immer mal durch kleine Phrasierungs-Überraschungen spannend machen. Da wird nirgendwo Druck ausgeübt, es fließt.
Das im dritten Tanz zurückhaltende Tempo verleiht ihm eine eher träumerische Note, man hört sehr sorgfältig auf die Stimmen und ihre harmonischen Bezüge untereinander. Es spricht für die Musikalität der Beteiligten, dass die Spannung trotz den eigentlich langsam wirkenden Tempos erhalten bleibt. Etwas mehr Schwung und etwas mehr Biss hätte die tänzerische Wirkung und die finale Sogkraft allerding noch befördert. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf eine Weile aushallen, wird dann aber doch komplett abgedämpft. Diese Darbietung lässt wenig aktiven Zugriff oder Eingriff in die Musik spüren, der Dirigent wirkt wie aus dem Hintergrund und hat doch alle Fäden in der Hand.
Die Aufnahme vom RBB klingt klar, weich, voll, warm, sehr transparent und bei der Dynamik wird kein unmusikalischer „Kompressor“ spürbar. Neuerdings scheint es noch etwas sinnlicher zu klingen. Das liegt aber dann doch auch am Werk selbst. Eine besonders gelungene Aufnahme des RBB.
4-5
Lahav Shani
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR
2023, live
11:22 10:55 14:35 36:52
Vom jungen israelischen Dirigenten haben wir drei Aufnahmen in unserem kleinen Archiv von Rundfunkaufnahmen. Aus dem gleichen Jahr stammt ein Mitschnitt vom DLF vom Musikfest Berlin 2023 mit dem Israel Philharmonic Orchestra (2023 hatte Rachmaninow Konjunktur, besonders die Sinfonischen Tänze) und zwei Jahre später war er wieder in München zu Gast, dann aber bei „seinem“ zukünftigen Orchester, den Münchner Philharmonikern beim Freiluftkonzert auf dem Odeonsplatz.
Beim BRSO dirigierte er, als man bei den Philharmonikern noch über einen Nachfolger von Gergiev nachdachte bzw. spekulierte. Mittlerweile wissen wir mehr. Er musiziert mit dem BRSO wie zuvor mit „seinem“ IPO nicht sonderlich frisch, jugendlich oder gar überschäumend. Man lässt es, ähnlich wie bei Roberson geschehen, als ob keine Einflussnahme erforderlich oder erwünscht wäre. Die Gran Cassa erklingt sehr zurückhaltend. Sie setzt schon als Erstes eine gewisse Duftmarke an der man bereits in etwa erkennen kann, wie es im Verlauf weitergehen wird. Die Solobeiträge klingen etwas voller als beim Israel Philharmonic. In München zoomt man die Holzbläser im Lento nicht heran. Das Saxophon erklingt als Gleiches unter Gleichen, man nimmt keinerlei Rücksicht darauf, dass das Saxophon deutlicher hervorklingen sollte. Das hört sich bei Mariss Jansons ganz anders an. Die Streicher des BRSO klingen etwas voller und farbiger als die des IPO. Alles erklingt ohne Rubato ziemlich gerade durch in einem recht schnellen Tempo und wirkt auf uns doch etwas oberflächlich. Aber es klingt geschmeidig. Ein Lento sollte eigentlich so langsam wie ein Largo gespielt werden, nur nicht so gewichtig. Wenn man es so nimmt, dann ginge Shani zumindest teilweise fehl. Es klingt immerhin sehr geschmeidig. Das Holz wird immer wieder besonders in den Fokus gerückt. Das Cantabile ab 3 T. vor Zi. 27 (von uns „Klangzauber“ genannt) klingt erneut wärmer und voller als beim IPO in Berlin im gleichen Jahr.
Zu Beginn des zweiten Satzes sind Trompeten und Hörner nicht ganz zusammen. Die exzellente Violine (erneut weniger rau als beim Israel Philharmonic) geht den gewohnt hervorragend klingen Soli von Englischhorn und Oboe voraus. Das Orchester zeigt Dynamik und Perfektion in der rubatoreichen Walzerbewegung. Man konnte ja mit Mariss Jansons vor Jahren schon viel daran proben. Das Tempo wirkt langsam, was dem morbiden, vom Zerfall mehr als bedrohten Charakter dieses Tanzes nur noch Vorschub leistet. Das Holz wird stimmig hervorgehoben. Dennoch konnten wir auch im zweiten Satz keinen übermäßig romantischen oder gefühlvollen Gestus bemerken. Es klingt nicht so aufgewühlt wie bei Mariss Jansons, das klare und rationale Kalkül tritt etwas stärker hervor, aber gefühllos wirkt auch der zweite Satz auch nicht.
Im dritten Satz lässt die präsentere Aufnahme im Verbund mit dem ausdrucksvolleren Spiel und dem wärmeren Klang des Orchesters mehr Anteilnahme zu als beim Gastspiel des IPO in Berlin im gleichen Jahr. Da klang es deutlich entfernter. Trotz des langsam gespielten Mittelteils kann die Spannung hochgehalten werden. Die Seufzer werden ordentlich herausgestellt. Das BRSO macht immer noch einen vertrauten Eindruck mit dem Werk. Der letzte Tam-Tam-Schlag wird nur erstaunlich schwach angeschlagen und verstummt so von alleine ziemlich schnell. Er darf aber ungehindert ausklingen, denn das Publikum hält sich überraschend lange mit dem Applaus zurück.
Das Orchester erscheint in dieser Aufnahme gut gestaffelt, weich, voll und rund, recht dynamisch und etwas fülliger als das IPO bei der Übertragung aus der Berliner Philharmonie. Es klingt präsenter, etwas trockener und absolut nicht hallig. So wie es eben klingt, wenn der BR aus dem Herkulessaal sendet.
4-5
Lahav Shani
Münchner Philharmoniker
BR
2025, live
11:33 10:17 14:21 36:11
Das Konzert in München, das vom Orchester in einer provisorisch aufgebauten transparenten Rundbogenbühne gespielt wurde, die Zuhörer waren sozusagen Open Air, war der Ausgangspunkt einer Tournee, die der designierte neue Chefdirigent (ab 2026) mit „seinem“ neuen Orchester unternehmen wollte. Im Rahmen derselben hätte auch das Konzert beim Flandern-Festival stattfinden sollen, wo Dirigent und Orchester aus seltsam fadenscheinigen Gründen kurzfristig ausgeladen wurden, viele reduzierten den eigentlichen Grund letztlich darauf, dass der Dirigent ein Jude sei. Das Konzert in Wien wurde von Aktivisten gestört. Im Sommer 2025 war die Stimmung wegen des Gaza-Krieges stark aufgeheizt und extrem kontrovers. Alles wurde zu einem Politikum. Das nur zur Erinnerung, falls diese Zeilen auch noch Jahren gelesen werden sollten und die Erinnerung bereits verblasst ist. In München konnten sich die Musiker voll auf die Musik konzentrieren (soweit es eben möglich ist), es ist uns nicht bekannt, dass es zu Störaktionen gekommen wäre. Es fehlt, das merkt man schon gleich zu Beginn, die weich klingende Süße der Sendung mit dem BRSO zwei Jahre zuvor. Sicher bedingt durch das plexigläserne „Konzerthaus“, die offenen Wände und die Störgeräusche durch das schwatzhafte Open-Air-Publikum. Die Tempogestaltung hat sich erwartungsgemäß in der kurzen Zeitspanne nicht grundlegend geändert. Das Holz wird weniger hervorgehoben. Im Lento wird das Alt-Saxophon erneut mit dem übrigen Holz gleichbehandelt. Es ist noch nicht einmal Primus inter pares. Das ist in allen drei Aufnahmen Shanis, die wir gesammelt haben, gleichermaßen zu beobachten. Die Ranken aus Klang des Holzes treten so für unser Empfinden zu stark und robust auf und setzen das Saxophon stark unter Druck, wirken fast wie Fessel. Das wäre eine plausible Deutung, denn der Einwanderer Rachmaninow wird sich bisweilen ähnlich gefühlt haben. Die Streicher der Philharmoniker klingen eigentlich gut, kommen aber unter den erschwerten akustischen Bedingungen nicht an Fülle und Glanz des BRSO heran. Das war auch nicht zu erwarten. Ähnliches kennt man von den Schönbrunn-Konzerten der Wiener Philharmoniker. Die klingen im Glaspavillon auch seltsam gepresst und trocken. Man hat auch den Eindruck, dass man sich nun mehr auf die größeren Bögen konzentriert, während beim BRSO zusätzlich das Detail noch besser zur Geltung kam. Das Engagement des Orchesters ist jederzeit spürbar, vielleicht auch um den neuen Chef bestmöglich zu unterstützen. Die eigentlich markanten Einsätze des Schlagwerkes verpuffen ohne großen Effekt, vor allem Pauke und die kleine wie auch die große Trommel sind stark in Mitleidenschaft gezogen. Der „Klangzauber“ mit dem Glockenspiel in unserer speziellen Passage um Zi. 27 hält sich in Grenzen. Dazu braucht es nicht nur vollendete Präzision, sondern auch eine gute, mitschwingende Akustik.
Im Gegensatz zum BRSO ist das weich klingende Blech zu Beginn des zweiten Satzes (Trompeten und Hörne) dieses Mal völlig synchron. Bei der Violine fehlt die „weich klingende Süße“ im Ton, anscheinend hat man sie etwas zu nah mikrophoniert. Englischhorn und Oboe haben es viel besser erwischt. Sie klingen beide bestechend schön und ihr Timbre ist soweit angeglichen, dass man kaum noch hören kann, wann welches der beiden Instrumente spielt. Der Walzer wirkt etwas fließender als beim BRSO, was vor allem dem etwas flotterem Tempo geschuldet ist; er wirkt aber auch nicht so stark zerfahren, scheint mehr den Ausgleich als den Gegensatz zu suchen und tänzerischer. Er soll hier ja bewusst Unruhe verbreiten, denn wie im Leben kann man nun im Tanz kaum er sicher sein, wie es weitergeht. Unsicherheit macht sich breit. Dieser Effekt wirkt nun abgemildert, ohne dass die Musik geglättet wirken würde. Eine Darbietung, die bei uns trotz der klanglichen Einschränkungen einen gereiften Eindruck hinterließ, vergleichsweise erwärmender und weniger geisterhaft als beim BRSO und beim IPO in Berlin.
Der dritte Satz startet zunächst mit gehörigem Schwung und sehr ausdrucksvoll. Der Mittelteil profitiert von den langen Bögen, die Dirigent und Orchester schlagen können. Man gewinnt den Eindruck, dass Dirigent und Orchester sogar während der Aufführung zusammenwachsen. Dieses Mal gab es kein Halten fürs Münchner Publikum. Kaum wird der letzte Tam-Tam-Schlag, übrigens bei den Philharmonikern richtig kräftig und nicht so lasch wie beim BRSO angeschlagen, da grätscht es auch schon mit dem Beifall dazwischen. Dieses Mal hätte er lange aushallen können, es sollte leider nicht sein.
Der Klang der Aufnahme wirkt diffuser als aus dem Herkulessaal und weniger brillant, um nicht zu schreiben leicht muffig. Vom Schlagwerk hört man nicht viel und wie bereits eingangs erwähnt fehlt es ein wenig an der weichen, süßen Sinnlichkeit. Zum Mitschnitt des Shani-Konzertes aus Berlin mit dem IPO kommen wir erst später
4-5
Karina Canellakis
BBC Symphony Orchestra, London
BBC, vom BR gesendet
2018, live
11:26 9:35 13:02 34:13
Dieses Konzert fand anlässlich der BBC Proms in der riesigen Royal Albert Hall statt. Die Aufnahme kann man sofort als gut durchhörbar erkennen. Das Klavier bei Zi. 5 ist glasklar zu hören, das geht sehr oft an dieser Stelle geradezu unter. Gegenüber dem Berliner Mitschnitt mit den Niederländischen Radiophilharmonikern, deren Chefin Karina Canellakis seit ein paar Jahren ist, kommt in London nur wenig Schwung auf, der Gestus wirkt im Vergleich lascher. Das Lento wirkt dafür ein wenig gefühlvoller, das Alt-Saxophon ist eindeutig der Chef der Bläserharmonie. Das übrige Holz tritt zurück, wobei man die Umspielungen stets deutlich hört. Violinen I und Celli klingen geschmeidig, da wird sich richtig ausgesungen und man scheint das vorgegeben p zu vergessen und weitet dann das mf zum f. Das Klavier bleibt bei der „Sehnsuchtsmelodie“ leise im Hintergrund und stört nicht. Manchmal wundert man sich über die seltsame Vorstellung der Dynamik (das kam in Berlin mit den Niederländern nie vor), denn in London klingt das pp der Klarinette lauter als das mf aller Violinen und Celli. Wir könnten uns gut vorstellen, dass da die BBC-Technik mal kurz im Tiefschlaf war. Das Kantabile der Streicher bei unserer „Klangzauber-Passage“ um Zi. 27 lässt die Streicher auch wieder statt mf volles ff hören, an der Stelle macht es aber nicht so viel kaputt. Im Gegenteil, es wirkt zwar nicht ganz korrekt, aber beeindruckend.
Im zweiten Satz unterwirft sich bereits die Solovioline starkem Rubato. Englischhorn und Oboe spielen mit vollem und weichem Klang, wie es heute auch in Großbritannien üblich ist. Der Walzer bekommt jetzt vergleichsweise mehr Schwung als der erste Satz. Das Blech hat hier keine erschreckende oder einschüchternde Aufgabe zu erfüllen, aber es klingt auch nicht so weich und golden wie bei Frau Mallwitz. Zumeist spielen die BBC-Symphoniker präzise, was angesichts des Rubatos gar nicht so einfach scheint. Im zweiten Satz scheint es Frau Canellakis besser als im ersten zu gelingen die Leidenschaft im Spiel der Briten zu entfachen. Das Accelerando vor Zf. 49 wirkt scharf. Die Höhepunkte werden immer schnell erklommen und gehen mit einer kräftigen Entladung einher. Dabei hilft eine stattliche Gran Cassa und kräftiges Beckenzischen.
Der dritte Satz wirkt in der Relation zu den Sätzen zuvor noch temperamentvoller und temporeicher. Das geschmeidige Orchesterspiel gefällt, jedoch könnten die Dynamik und die Kontraste noch deutlicher ausfallen. Allerdings: Frau Canellakis lässt sich kein f, ff oder sf entgehen. Die Einsätze des Schlagwerks, ob Tamburo, Xylophon oder Glockenspiel wirken allesamt deutlich und alle sieben Tam-Tam-Schläge sind nahezu unüberhörbar. Das Finale findet einen Stretta-artigen Abschluss. Der letzte Tam-Tam-Schlag dürfte lange ausschwingen, wenn das Londoner Publikum nicht dazwischenkäme.
Der Klang der Aufnahme lässt das Orchester etwas entfernt erscheinen und es zudem auch noch stark in die Tiefe hinein zu staffeln. Das Phänomen bessert sich, wenn man die Lautstärke erhöht. Das Auditorium verhält sich unruhig, sind ja auch sehr viele Zuhörer zugegen, es könnten 8400 sein, wenn das Konzert ausverkauft gewesen wäre. Die Dynamik und besonders das brillante Schlagwerk gefällt. Und die schnelle, straffe Gran Cassa.
4-5
Yannick Nézet-Seguin
Philadelphia Orchestra
SWR
2023, live
11:40 9:48 13:50 35:20
Dieser Mitschnitt entstand im Festspielhaus Baden-Baden anlässlich einer Tournee des Philadelphia Orchestra das zum 150. Geburtstag mit drei verschiedenen Konzert-Programmen ausschließlich mit Werken des Jubilaren zu Gast war. Rachmaninow sagte einmal über das Orchester, es sei: „Das Beste vom Besten, weltweit.“ Das ist aber schon lange her. Wie bei der DG-Aufnahme von 2018 wirkt der Gestus zu Beginn wenig drängend und jugendlich, aber nicht mehr ganz so leicht und locker. Klavier und Harfe kommen sogar besser heraus als auf der CD. Das Orchester hat in den fünf Jahren keine spürbare Änderung erfahren und der Tourneestress hat sich zumindest in unseren Ohren nicht bemerkbar gemacht. Das Saxophon klingt sogar noch etwas sanfter und wehmütiger als auf der CD. Der „Klangzauber“ (eine Kombination von Streicherklang, Klavier, Harfe und Glockenspiel) Zi. 27 wirkt erneut sehr gelungen und verführerisch.
Mit geschmeidigen Rubati wird der Abgesang-Charakter des Walzers deutlich gemacht. Die Soli wirken lebendig, gerade das Holz glanzvoll, die Streicher beweglich. Der Scherzo-Charakter der Außenteile wird ebenfalls hörbar. Die sordinierten Trompeten und Hörner bringen einige andere noch gruseliger (denken wir nur an Swetlanow). Wie bereits auf der CD wirkt das Spiel zwar schon virtuos aber auch ein wenig glattgebügelt. Das gilt für alle drei Sätze, die der Dirigent übrigens jeweils ineinander übergehen lässt, ohne Pause. Dazu besteht laut Partitur keine Veranlassung. Vielleicht musste man Zeit einsparen um noch einen Nachtflug erreichen?
Der dritte Satz wirkt konturen- und kontrastreich gestaltet. Der Gestus erscheint erneut etwas drängender als 2018 und wirkt nicht mehr so nüchtern, mit mehr Anteilnahme gespielt, was vielleicht der Live-Situation geschuldet ist. Allerdings klingt es nun nicht mehr perfekt wie im Konzertsaal in Philadelphia unter Studiobedingungen. Der Dirigent möchte den letzten Tam-Tam-Schlag gerne ganz lange ausklingen lassen, aber er die Rechnung ohne einen vorlauten Bravo-Rufer gemacht, der voll dazwischen grätscht bevor das Tam-Tam ganz verklungen ist, vielleicht um sich wichtig zu machen, vielleicht weil er das Nachschwingverhalten eines kraftvoll angeschlagenen Tam-Tams einfach nicht abschätzen konnte. Für 2500 andere ist die Spannung damit zerstört. Zum Thema Orchesterqualität im Sendegebiet des SWR haben wir uns schon anlässlich der Aufnahme von 2006 aus dem Konzerthaus Freiburg geäußert, bei dem der damals noch jüngere Nézet-Seguin ebenfalls am Pult stand.
Der Klang der Aufnahme ist wie bei der DG-CD transparent, farbig, offen und recht sonor geraten. In Sachen Raumtiefe und Luftigkeit kann der Rundfunkmitschnitt nicht mithalten, in Sachen Dynamik schon gar nicht. Das Orchester klingt in Baden-Baden noch ein wenig schlanker als in der Verizon Hall. Dabei klingt der Mitschnitt des SWR für eine Rundfunkübertragung mit so einer geringen Datenrate noch sehr gut. Wir vergleichen hier ja auch Äpfel mit Birnen.
4-5
Susanna Mälkki
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (heute: SWR-Sinfonieorchester)
SWR
2006, live
10:40 9:33 12:00 32:13
Diese Aufnahme stammt wieder einmal aus der Stuttgarter Liederhalle. Da sitzen anscheinend echte Rachmaninow-Fans. Es ist nämlich auffallend, wie oft sich der SWR in unserer kleinen Sammlung mit den Sinfonischen Tänzen beteiligt. Es waren ja mal zwei Orchester im Sendegebiet, das macht natürlich auch was aus. Die finnische Dirigentin war 2002-2005 Chefdirigentin in Stavanger, 2006-2013 beim Ensemble intercontemporain in Paris und 2016-2024 beim Helsinki Philharmonic Orchestra. Dort ist sie jetzt, wie nachzulesen ist, Professorin an der Sibelius Akademie. Die Sinfonischen Tänze setzt sie immer wieder gerne auf ihre Programme. Man spürt auch eine gewisse Verbundenheit mit dem Werk und eine ziemlich individuelle Herangehensweise. Das Orchester spielt klar, transparent und präzise. Frau Mälkki setzt einen sensationellen rhythmischen Antrieb um und die Gran Cassa muss alles zeigen, was in ihr steckt. Das Tempo ist eines der schnellsten überhaupt. Das Lento klingt klar wie Quellwasser und schnell, so ganz und gar nicht russisch. Fast schon rasant und temperamentvoll. Es breitet sich sogar eine gewisse Hektik aus. Das Saxophon wird nicht besonders herausgestellt, seine Besonderheit nicht betont. Wie wir es auch bei Nézet-Seguin oder Popelka hören können. Die Balance ist jedoch gewährleistet und die Holzbläserranken klingen gut. Eine etwas klarere Hervorhebung würden wir jedoch bevorzugen. Das „Sehnsuchtsthema“ von Violine I und Celli erklingt ebenfalls sehr zügig. Da wäre viel mehr Emotion herauszuholen gewesen, aber genau das will Frau Mälkki offensichtlich gerade vermeiden. Das schnelle Tempo vermag Melancholie und Traurigkeit fast gänzlich zu überspielen. Da geht eine ganze Dimension (nämlich die in die Tiefe) verloren. Ob das nun oberflächlich wirkt? Na, tieflotend mal nicht. Das ist ein Tribut an das Tempo das vielleicht vorgelegt wird, weil die Spannung in jedem Fall gehalten werden soll. Aber kein Gewinn ohne Verlust.
Solistisch wusste das RSO Stuttgart bereits 2006 zu überzeugen, ob es nun Violine, Englischhorn oder Oboe ist. Im zweiten Satz passt auch das Tempo viel eher zum Gewohnten. Der Walzer klingt nun schön tänzerisch, ausdrucksvoll, leicht, bezaubernd und er wird makellos vom Orchester vorgetragen. Das Blech klingt nobel, aber nie scharf oder erschreckend schrill, eher fast schon sanft. Frau Mälkki spart nicht mit temperamentvollen Aufschwüngen, es gibt auch im Mittelteil keinen Spannungsabfall.
Wie es sich für einen „ordentlichen“ Schlusssatz gehört gibt es bei Frau Mälkki ein richtiges Allegro vivace, das seinem Namen alle Ehre macht. So ergibt sich ein deutlicherer Anteil an scherzohaften Elementen, oder man nimmt sie eher als solche wahr. Wir hören pointiertes Musizieren mit lebendiger Dramatik. Manchmal gerade noch so zusammengehalten, denn die Fliehkräfte sind nun bereits enorm. So riskiert man zwar nicht unbedingt Spannungsverlust, aber doch Detailverlust gerade bei den rasantesten Passagen. Der meist besonders gefährdete langsame Mittelteil wird ebenfalls zügig bewältigt, denn immer wieder wird das Drama befeuert. Erstaunlich wie feurig das Orchester hier angetrieben wird. Dabei erinnern wir uns noch gut an eine fast ein bisschen dröge „Iberia“ von Debussy mit Frau Mälkki. Im Finale gehen dann doch viele kleine Details verloren und gerade der eher feierliche, erhabene Charakter der zitierten Vigil leidet, stattdessen gibt es hier eine waschechte Stretta. Dazu passt dann, dass es keinerlei Nachklingen des letzten Tam-Tam-Schlages gibt.
Die Aufnahme klingt transparent, offen, dynamisch, warm. Eine sehr gelungene Aufnahme, bei der es keine aufdringlichen, fehlgeleiteten Regelvorgänge gab, obwohl es sich um ein „Mittagskonzert“ handelte und nicht um das weniger datenreduzierte (bei Direktübertragungen) „Abendkonzert“.
4-5
Juraj Valcuha
NDR Elbphilharmonie Orchester, Hamburg
NDR
2025, live
11:56 10:14 14:08 36:18
Der Dirigent war Schüler von Ilya Musin und Janos Fürst. 2009-16 war er Chef des Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI in Turin, 2016-22 des Teatro di San Carlo in Neapel und ab 2022 Music Director des Houston Symphony Orchestra. Er ist regelmäßig beim NDR zu Gast. Wir hören das Orchester zu Beginn mit einem etwas dringlicheren Gestus als beim Chefdirigenten des Orchesters Alan Gilbert mit dem das Werk 2021 auf dem Programm stand (siehe weiter unten). Das Orchester wirkt nicht ganz so dunkel, gar düster und leicht träge, sondern frischer, aktiver. Das sind zwar spürbare Unterschiede, aber sie sind wirklich nicht groß. Das Lento erklingt wie bei Gilbert erneut laut und deutlich, als ob die Technik ein wenig nachgeholfen hätte. Das Saxophon spielt im pp deutlich leiser als die Oboe im pp. Ähnlich verfahren die Klarinette und die Flöte. Für uns sollte eindeutig dem Alt-Saxophon ein Primat gebühren. Es ist die Besonderheit und wie glauben, dass es für Rachmaninow den Emigranten verkörpert, der wie er selbst von Europa nach Amerika emigrierte, emigrieren musste, auch um Erfolg zu haben (wie das Saxophon im Jazz). Das kann man natürlich wie fast alles auch anders sehen. Der Emigrant wird hier von den Etablierten klein gehalten. Dann passt diese Version wieder gut ins Bild. Wichtig ist natürlich auch, dass das Saxophon schön voll, samtig und hervorragend kantabel klingt wie hier in der Elbphi. Nur machen ihm wie bereits bei Alan Gilbert seine hölzernen Mitstreiter das Leben schwer. Bei uns stellt sich in diesem Fall immer das Bild von den rankenden Girlanden ein, die die Melodie des Saxophons nicht nur nicht richtig zur Geltung bringen, sondern es wie Fessel fast erdrücken. Violinen I und Celli klingen sehr schön zusammen, bei vielen vermisst man insgeheim die Violinen II oder sogar die Violen, hier klingt es bereits schön voll. Im Anschluss kommt dann, wenn tatschlich der ganze Streicherapparat zu Wort kommt großes Rachmaninow-Gefühl auf. Das Klavier stört dabei nicht, nur das Holz wirkt nicht ganz synchronisiert.
Im zweiten Satz spielt die Solo-Violine etwas schlanker als beim Chef, sie trägt nun nicht so dick auf und Englischhorn und Oboe bilden ein perfektes Paar. Der Walzer gelingt etwas beschwingter und spannender als 2021, es gibt mehr Rubato und mehr Leidenschaft, obwohl es sogar etwas langsamer zugeht. Die Oboe dominiert ein wenig im Folgenden den Bläsersatz, das Blech überzeugt mit wunderbar homogenem Klang. Auch die tiefen Streicher imponieren mit ihrem Klang und lassen die höheren noch samtiger klingen. Die Akustik der Elbphilharmonie wird das Ihrige dazu beitragen.
Kraftvoll beginnt der dritte Satz. Die Glocken haben dieses Mal eine gut hörbare Flöten-Unterstützung, so soll es klingen. Man beherzigt den Rhythmus, schließlich geht es hier um Tänze und auch der dritte Tanz wirkt drängender als bei Alan Gilbert. Es gibt ein sehr präsentes Tremolo bei Zi. 73, es klingt aber nicht so finster wie bei Alan Gilbert. Im Seufzer-Mittelteil lässt Herr Valcuha das Orchester mehr atmen und er hält die Spannung besser. Die Oboen klingen aber stets zu laut, als ob sie solistisch an der Rampe stünden. Da war wohl ein Mikrophon ein wenig zu laut eingestellt. Herr Valcuha scheint immer einen besonderen Blick auf die tiefen Töne zu haben (Bassklarinette, Kontrafagott). Das Finale wird leider ein Opfer der Dynamik-Kompression. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf lange ungehindert ausschwingen.
Diese Übertragung haben wir im Unterschied zur Aufnahme mit Alan Gilbert als Direktübertragung gehört. Sie klingt etwas plastischer, präsenter, offener, brillanter und viel dynamischer. Sie wird abgerundet durch einen tiefen, runden Streicherbass. Eine Dynamik-Kompression ist spürbar, besonders bei den Entladungen von Blech und Schlagwerk. Sie wird anscheinend nur punktuell eingesetzt.
4-5
Vladimir Jurowski
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
RBB
2022
12:36 10:26 13:38 36:40
Vladimir Jurowski ist seit 2017 Chefdirigent beim RSB und seit 2021 Nachfolger von Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper. Wie in seiner Darbietung mit dem London Philharmonic auf LPO Live von 2003 geht Herr Jurowski den ersten Tanz eher verhalten als jugendlich-frisch an. Er hört eher hinein, als dass der Gestus kraftvoll nach außen gewandt wäre. Den Steigerungen fehlt es hingegen nicht an Power. Das Orchester klingt weich, farbig und sinnlich und über alle Orchestergruppen hinweg hört man eine unaufdringliche Perfektion. Im Lento hören wir wieder einmal ein wunderbar weich und rund klingendes Alt-Saxophon, dieses Mal mit ein klein wenig Vibrato belebt. Bei der Sehnsuchtsmelodie dominieren die ersten Violinen über die Celli von denen man wenig hört. Das spricht zwar für eine perfekte Intonation aber nicht unbedingt für eine perfekte Balance innerhalb des Unisonos. Und vielleicht ist es doch ein wenig zu schnell, um noch weiter in die Tiefe blicken zu lassen. Das Klavier hält sich vortrefflich zurück.
Der mehr oder weniger sanft bewegte sonore Klang gefällt uns im Walzer sehr und scheint auch auf die imaginierten Tanzpaare sinnlich und verführerisch zu wirken, bewegend auch die große Linie, die Herr Jurowski nie aus den Augen verliert.
Im dritten Satz erschüttern ziemlich heftige Eruptionen die mitternächtliche Geistersession. Es klingt zwar immer noch satt und sonor wie in London, aber nicht mehr so behaglich wie an einem die Winternacht erwärmenden Kaminfeuer. Die Spannung wird nun besser gehalten. Wenn auch nicht ultimativ, dazu fehlt schon alleine ein etwas erhöhtes Tempo. Der letzte Tam-Tam-Schlag kann jetzt lange nachhallen bis zum Verschwinden. Das Publikum kann sich beherrschen und zeigt sich gut informiert.
Der Klang der Aufnahme wirkt voll, offen, abgerundet, dynamisch und gut gestaffelt.
4-5
Stanislav Kochanovsky (auch Kotschanowski)
NDR Radiophilharmonie Hannover
NDR
2024, live
12:11 9:56 14:18 36:25
Als Nachfolger von Andrew Manze ist Herr Kochanowski erst seit 24/25 im Amt. Dies war dann praktisch sein Begrüßungskonzert, er war gerade bereits ernannt, aber doch noch Gastdirigent. Das Konzert fand im Großen Sendesaal des NDR in Hannover statt. Ein Jahr zuvor (im Jubiläumsjahr) führte es das Werk bereits mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI in Turin auf. Das Orchester aus Hannover hinterlässt beim Vergleich einen erheblich besseren Eindruck, was genauso für die Aufnahmequalität des NDR Hannover gegenüber der RAI gilt. Dazu später noch etwas mehr. Das Tempo im ersten Satz ist das gleiche. Man hört einen gewissen Marschcharakter. Im Lento klingt in Hannover das Saxophon voller und weicher. Das übrige Holz wirkt sozusagen achtsamer, es umspielt das Saxophon leiser, die Umspielungen erscheinen „nur“ als Ergänzung oder Bereicherung, rivalisieren aber nicht mit der Hauptstimme des Saxophons. Die Streicher beim „Sehnsuchtsthema“ klingen homogener, können mehr Ausdruck transportieren und spielen gefühlvoller. Das Accelerando klingt gefühlvoller.
Das Violinen-Solo im zweiten Satz klingt ganz exzellent, dem Vernehmen nach sprang Anton Barakhovsky vom BRSO ein, keineswegs weniger gelungen das Duo Englischhorn und Oboe. Der volle, flüssige, leidenschaftlichere, sinnlichere und atmosphärischer Sound macht den Unterschied gegenüber der Turiner Aufnahme. Das Spiel wirkt temperamentvoller. Da scheinen Dirigent und Orchester ja bereits in dem frühen Stadium der Zusammenarbeit sehr gut zu harmonieren.
Im dritten Tanz meint Herr Kochanovsky einen Fandango herauszuhören, entsprechend feurig geht er die Rhythmen an. Im Mittelteil fordert er die klanglichen Fähigkeiten und das Zusammenspiel der Radiophilharmonie und es zeigt sich auch da, dass sie das Turner Orchester übertrifft. Das Tam-Tam ist für den russischen Dirigenten ein Symbol des Todes. Wenn es bei ihm so lange nachklingt und das macht es, so ist es wohl kaum ein Hinweis, dass das Leben in irdeneiner Form noch über den Tod hinaus weitergehen könnte. Das „Alleluya“ klingt so inständig, wie es bei dem Tempo möglich ist. Das Publikum in Hannover lässt sich mehr Zeit mit dem Applaus als das Turiner und wartet, bis der letzte Tam-Tam-Schlag gänzlich verstummt ist.
Der füllige 5.1. Dolby Digital Sound wirkt räumlich und brillant. Viel transparenter, mit mehr Raumtiefe und farbiger als der italienische Klang, den der Deutschlandfunk 2023 weitergereicht hat.
4
Christian Macelaru
Orchestre National de France
BRF, gesendet vom SWR
2022, live
11:28 10:15 12:47 34:30
Bei diesem EBU-Austauschkonzert nahm der Belgische Rundfunk das Französische Nationalorchester beim Klarafestival im Palais des Beaux Arts (heute „Bozar“ genannt) in Brüssel auf, zwei Wochen nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine, was einen Programmwechsel zur Folge hatte. Die Sinfonischen Tänze waren jedoch nicht davon betroffen.
Christian Macelaru hat anlässlich des 150. eine GA der Sinfonien Rachmaninows vorgelegt, dabei jedoch die Sinfonischen Tänze ausgelassen. Er war 2019-25 Chef des WDR-Sinfonieorchesters (heute noch künstlerischer Partner) und 2000-2027 des Orchestre National de France. Derzeit ist der Music Director des Cincinnati Symphony Orchestra.
Er treibt den ersten Satz nicht mit dem vorantreibenden Biss von Elim Chan oder dem leichten, aber Eleganz verströmenden Impetus von Nicolas Collon (beide mit „seinem WDR-Sinfonieorchester) voran, aber doch prägnant. Das Orchestre National lässt keine schwachen Stellen mehr erkennen. Die Oboe hat mittlerweile internationalen Standard. Das Saxophon im Lento darf führen, so wie es Rachmaninow vorschwebte. Der Bläsersatz wirkt jedoch etwas weniger ausgewogen als bei den besten. Ist ja auch echtes live und manche Unausgewogenheit mag aus der Mikrophon-Aufstellung herrühren. Die Streicher im Anschluss klingen hingegen auffallend entfernt und wolkig, man bemerkt jedoch noch das ausdrucksvolle Spiel. Das Klavier klingt von noch weiter her. Das Spiel könnte insgesamt kontrastreicher und etwas dramatischer klingen. Vielleicht liegt es an der schönfärberischen, leicht halligen Akustik, dass das Blech und das Schlagwerk so sehr zurückhaltend erscheinen, vielleicht liegt es am Laissez-faire gegenüber den exakten Partitur-Angaben? Jedenfalls können beide Orchestergruppen den Gesamtklag nie mal richtig aufbrechen. Die Streicher hingegen klingen geradezu balsamisch schön und überaus süßlich, als ob man da etwas manipuliert hätte. Das Accelerando erfolgt antrittsschnell.
Im zweiten Satz können wir erneut die extrem schön klingenden Streicher hören und ein behutsames oder achtsames Musizieren mit wenig Schwung und immer leicht verschleiert. Das Blech wirkt nun etwas exponierter.
Im dritten Satz geht es dann griffiger zu mit mehr Dynamik, vor allem durch das Blech, das jetzt den Gesamtklang auch mal wirkungsvoll aufbricht. Allerdings klingt das Holz immer noch mitunter lauter als das Blech. Die Streicher luxurieren und auch alles andere ist auf möglichst schönes Spiel aus, was übrigens vortrefflich gelingt. Man wohnt hier weniger einem Tanz der Geister bei als einem Laufsteg auf dem sich anscheinend allerlei Pariser Schönheiten tummeln. Allerdings nicht ohne Spannungsverlust. Die Verzweiflung im Mittelteil wirkt so nicht unerheblich gemindert. Wunderbar crèmiges Streicherspiel. Sehr weich klingendes Blech. Die als Stretta ausgeformte Coda erfreut. Der kräftig angeschlagene letzte Tam-Tam-Schlag darf auch in Brüssel nicht bis zum Ende ausklingen.
Der Klang des Orchesters wirkt entfernter als es allgemein bei Rundfunkübertragungen bei den von uns empfangbaren Sendern üblich ist. Die Streicher wirken in der groß und ausladend wirkenden „Halle“ wolkig, ihre Konturen verwischen. Das begünstigt das leichte Schweben und die Wahrnehmung einer beginnenden Auflösungstendenz. Da wollen wir mal nicht zu viel hineininterpretieren. Das Orchester soll möglichst voll, weich und rund klingen. Präsenz und Transparenz wirken reduziert, eine störende Dynamik-Kompression oder andere Regelvorgänge sind uns nicht aufgefallen.
4
Lahav Shani
Israel Philharmonic Orchestra
Deutschlandfunk
2023, live
10:40 10:20 14:18 35:18
Seit 2020 ist Lahav Shani Music Director des Israel Philharmonic Orchestra. Zuvor war er bereits Gastdirigent bei den Wiener Symphonikern und Chef der Rotterdamer Philharmoniker. Ab 2026 wird er dann auch noch Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Diese Aufnahme entstand beim Musikfest Berlin in der Philharmonie. Die Sinfonischen Tänze waren ein gern gesehenes Mitbringsel bei vielen Tourneen im Rachmaninow-Jahr 2023. Wie bereits bei den anderen beiden Aufnahmen mit Lahav Shani erleben wir den Beginn ohne besonderen Antrieb. Man achtet aber sehr hellhörig auf die Details. Das Klavier bei Zi. 4 hört man längst nicht immer und schon gar nicht so deutlich. Im Lento zeigen sich Saxophon und das übrige Holz gut miteinander abgestimmt, aber erneut mit dem (für uns) zu schnellem Tempo. Es lässt kein Nachspüren der in den Klängen verborgenen Informationen zu. Es ist gegenüber dem Tempo zuvor keine Verlangsamung zu spüren und Zeit für ein gefühlvolles Rubato bleibt auch nicht. Zudem wirkt der Klang des Saxophons ein wenig „unrund“. Das anschließende wundervolle „Sehnsuchtsthema“ in den Streichern geht auch sozusagen gerade durch. Ein Rachmaninow für Romantik-Verächter, könnte man meinen. Das gute Orchester befindet sich durchaus auf dem Stand der guten Rundfunk-Sinfonieorchester.
Die Solo-Violine hat anscheinend ein Mikrophon genau gegenüberstehen. Sie erklingt so laut wie ein Solist an der Rampe. Englischhorn und Oboe befleißigen sich auch in Israel eines ähnlichen Timbres. Der Walzer erhält ein eher getragenes Tempo mit einem ziemlich morbid wirkenden Tonfall. Vom Orchesterklavier haben wir im zweiten Satz nichts gehört.
Im dritten Satz hören wir viel ausdrucksvolle, teils liebevolle Details doch es fehlt der große Zug. Das Orchester gibt sich zwar keine Blöße, aber eine mitreißende, gar kathartische Entwicklung konnten wir dieses Mal nicht miterleben. Dazu wirkte die Musik auf uns zu distanziert. Nicht so gespannt wie die beiden anderen Mitschnitte. Shani versteht es, den letzten Gong-Schlag vollends ausklingen zu lassen, ohne dass das Publikum verfrüht dazwischengeht. Für Shani sind die drei Sätze eine Art Gebete, ohne dass der Komponiste (oder wir) die Hoffnung haben könnten von Gott erhört zu werden.
Der Klang der Aufnahme vom Deutschlandfunk ist transparent, gut gestaffelt, weich, voll und rund. So wie man es inzwischen gewöhnt ist, seit es die hohe Datenrate gibt. (Man sendet seitdem immer auch zum Stereoton einen 5.0 Raumklang mit. Da kann man selbst wählen.) Letzteres scheint inzwischen schon wieder abgestellt worden zu sein.
4
Petr Popelka
HR-Sinfonieorchester
HR
2024, live
11:09 10:06 13:47 35:02
Mit Petr Popelka haben wir weiter oben bereits einen Mitschnitt aus Stuttgart von 2023 besprochen. Im Prinzip sollte sich in dem Jahr darauf nicht viel geändert haben, zumal die Qualität der beiden Orchester durchaus vergleichbar ist. Aber leider ist dieses Mal bei der Klangqualität aus Frankfurt der „Wurm drin“. Leider haben wir nicht wie üblich der Direktübertragung beigewohnt, sondern der Wiederholung des Konzertmitschnitts ein paar Wochen später beim Sendeplatz, der sich „Mittagskonzert“ nennt. Da wurde leider reichlich Gebrauch von der gefürchteten Dynamik-Kompression gemacht. Davon später mehr.
Das Orchester spielt zunächst impulsiv, wie wir das auch vom Stuttgarter SWRSO gehört haben. Das Marcato im Holz erscheint aber schon weniger kraftvoll. Dies ist eigentlich eine der zahlreichen „Paradegruppen“ des Orchesters. Im Lento erklingt das Saxophon allein im p oder mf, wie auch das übrige Holz lauter wie zuvor das ff im Tutti. Das gelang dem SWR viel gefühlvoller und nicht so ruppig, dass es sofort ins Ohr springt. Ziel der Übung ist es anscheinend immer ein gleichbleibend lautes Signal über den Äther zu schicken, wie bei einem rock-Konzert. Überflüssig zu erwähnen, dass das Holz als solches dem des SWR-Sinfonieorchesters in nichts nachsteht. Butterweich spielen die ersten Violinen mit den Celli zusammen das „Sehnsuchtsthema“, noch ohne „Füllung“ durch die zweiten Violinen und Violen und noch ohne das Fundament der Bässe. Das hört man in Frankfurt sogar besser. In Stuttgart klang er zuvor schon sonorer und legte dann an Fülle weniger zu. An der Phrasierung der beiden Orchester kann man keinen Unterschied feststellen. Die Dynamikspitzen werden in Frankfurt dieses Mal überdeutlich gekappt. Schon jetzt können wir die Empfehlung aussprechen: Wenn irgend möglich immer die Direktübertragung zu wählen statt der Konzertwiederholung.
Im zweiten Satz bemerkt man, dass Herr Popelka immer ein waches Auge (oder Ohr) auch die Holzbläserstimmen hat. Es scheint aber so, dass man die Balance sogar zugunsten des Holzes gegenüber den Streichern verändert hat, denn letztere treten in der Balance gegenüber ersteren gegenüber dem ersten Satz zurück. Der Dirigent hat nichtsdestotrotz alles im Griff und hält auch im Mittelteil die Spannung hoch. Auch in Frankfurt betont er die dunkle Seite des Tanzes und bei ihm wirkt das Blech ganz gehörig als Unruhestifter. Man spielt tänzerisch und lässt es an Kantabilität nicht mangeln.
Gegenüber dem Stuttgarter Konzert hat Herr Popelka das Tempo im dritten Satz verlangsamt, obwohl sich das Orchester des HR eigentlich wieder von seiner besten Seite zeigt. Uns schien die Spannung im langsamen, seufzergesättigten Mittelteil in Frankfurt etwas nachzulassen. Da die „Spannung“ jedoch eine der subjektivsten Beobachtungen ist, die man bei einem Konzert machen kann, sollte man das nicht überbewerten. Das Holz genießt wie im zweiten Satz die Vorzüge der veränderten Balance und bekommt immer mal wieder ein „Spotlight“ in Form einer Dynamikanhebung. Popelka arbeitet viele Feinheiten heraus, die Technik bringt nicht alles davon im wünschenswerten Maß zu Gehör. Der letzte, kraftvolle Tam-Tam-Schlag hat dann genauso viel „Schmackes“ wie beim SWR. Allerdings klingt es dieses Mal über die gesamte Darbietung der Sinfonischen Tänze gehört beim SWR viel stimmiger und viel „naturbelassener“.
Mit dem starken Einsatz der Dynamik-Kompression leidet leider der gesamte Fluss der Musik, vor allem werden die „Eruptionen“ von Blech und Schlagwerk wegnivelliert. Alle anderen Orchestergruppen werden ebenfalls negativ beeinflusst, denn auch die Räumlichkeit verändert sich und die Imagination einer stabilen Entfernung vom Hörer zum Orchester. Das hört sich so an wie früher, als man die Dynamik noch von Hand regulieren musste, um ein Übersteuern des Magnetbandes zu vermeiden. Jetzt wird jedoch alles digital gespeichert und der unverzerrt wiederzugebende Dynamikbereich hat sich beträchtlich erweitert. Bei anderen Aufnahmen funktioniert es ja auch. Dieses Mal gibt es „Punktabzug“. Wir hätten mal zum Vergleich noch das Video in der HR-Mediathek anhören sollen, da könnte es vielleicht besser klingen, aber jeder Vergleich muss auch mal ein Ende haben.
4
Andrés Orozco-Estrada
HR-Sinfonieorchester
HR
2014, live
11:52 10:06 14:18 36:16
2014 war Señor Orozco-Estrada gerade zum Chefdirigenten des Frankfurter Orchesters ernannt worden, er bliebt es bis 2021. Seit 2023 ist er Chefdirigent des Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI in Turin, von dem wir ebenfalls einen Mitschnitt im Archiv gefunden haben. Derzeit ist er zudem GMD der Stadt Köln und als solcher Chef der Oper und des Gürzenich Orchesters. Die Rundfunkorchester lassen ihn aber anscheinend nicht ruhen, denn 2026 wird er Chef des Schwedischen Rundfunk-Sinfonieorchesters in Stockholm. Dieses Mal haben wir erneut nicht die Direktübertragung mitgeschnitten, sondern eine Sendung im ARD-Nachtkonzert, gesendet vom BR. Der Dirigent aus Kolumbien wählt einen Mittelweg zwischen temperamentvoller Frische der Jugend und gelassener Altersmilde, also ein mittlerer Hitzegrad wenn man so will. Im Lento zeigen sich die Holzbläser erneut klangschön und gekonnt. Besonderheiten fielen uns nicht auf. Das Orchester spielt den Satz aufmerksam, warm timbriert, klangschön und mit dem typischen nahtlosen Zusammenspiel, noch mehr geprägt von der Ära mit Paavo Järvi. Es ist keinerlei Nüchternheit im Spiel.
Der zweite Satz erklingt durchaus kontrastreich, das Blech hält sich aber zurück und möchte niemanden erschrecken. Das klingt nobel. Dem Walzer wird ein warm singender Streicherklang zuteil, da schöpft man aus den Vollen, vorausgesetzt an der Dynamik beißt sich kein Kompressor (im eigentlichen Sinne: ein Zusammendrücker, Zusammenquetscher) fest. Das Klavier walzt mal deutlicher mit wie sonst in vielen Darbietungen des zweiten Satzes. Dem Walzer haftet jedoch eine gewisse Gemütlichkeit an, man spielt jedoch nicht im „Autopilot“, auch nicht im ruhigeren, langsamen Mittelteil. Es klingt durchweg klangsinnlich, wie wir es von diesem Orchester gewöhnt sind.
Dem dritten Satz fehlt das Feuer, mal spielt als ob man keinerlei Risiko eingehen möchte, allzu sorgfältig aber auch detailreich und sehr klangschön, es reißt aber nicht mit. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf nur so lange schwingen, wie es der tatsächlich notierte Notenwert vorgibt, dann wird abgestoppt.
Es klingt viel besser als beim Mitschnitt mit Herr Popelka, obwohl dieser zehn Jahre jünger ist. Das liegt vor allem daran, dass es keine übermäßigen Regelvorgänge gibt, die den Fluss der Musik und die natürliche Räumlichkeit, die sich während eines Konzertes nicht verändern sollte, weitgehend erhalten bleiben. Wenn man es damit übertreibt, wird dem aufmerksamen Hörer, der nicht im lärmenden Auto sitzt oder die Musik mit dem Handy hört, der Genuss insbesondere am Klang vergällt. Dieses Mal haben wir den Vergleich des Mitschnitts der Radiosendung mit dem vom HR eingestellten YouTube-Video gemacht: Vom Radio klingt es voller, etwas wärmer und etwas transparenter, bei Verwendung der gleichen Abspielkomponenten. Wenn man aufs Bild verzichten kann…Aber: das Video ist immer und überall verfügbar, wo es Internet gibt, ein unbestreitbarer Vorteil.
4
Alan Gilbert
NDR-Elbphilharmonieorchester
NDR
2021, live
11:50 9:40 14:40 36:10
2021 waren die Sinfonischen Tänze auf dem Programm des Silvesterkonzertes in der Elbphi zu finden. Alan Gilbert war von 2004-2015 bereits erster Gastdirigent des damaligen NDR-Sinfonieorchesters, seit 2019 dann Chefdirigent zumindest einmal bis 2029, wenn nichts dazwischenkommt. Bei Alan Gilbert weckt der Beginn des ersten Satzes keine Assoziationen an eine noch frische oder unverbrauchte Jugend, die Rhythmik wirkt eher weich, als straff und auch das Schlagwerk kommt nicht richtig zur Geltung. Dafür die Oboe im Lento umso mehr, das allerdings ziemlich schnell genommen wird. Das geschieht ziemlich oft. Wir dachten eigentlich, Lento wäre ein langsames Zeitmaß. Das Saxophon erklingt hingegen nur als Gleiches unter Gleichen. Klanglich weich und kantabel, haben wir die Saxophon-Stimme jedoch schon eindringlicher gehört. Wahrscheinlich wegen dem hier wenig hervorgehobenen Klang und wegen des für unser Empfinden zu schnellen Tempos. Und die Holzbläser-Girlanden umschlingen die Melodien des Saxophons zu fest, sie erscheinen eher wie Fessel, die es an der freien Entfaltung hindern. Genau das kann aber auch gewollt sein. Das NDR-Orchester erklingt hier übrigens mit einem besonders dunklen Klang, der auch Celibidache besonders gut gefallen hätte. Violinen I und Celli klingen beim „Sehnsuchtsthema“ wie eine Gruppe und sie spielen con espressione! Das Accelerando wirkt allerdings etwas hausbacken, wenig temperamentgeladen, während die Kantabilität des Satzes kaum besser zur Geltung kommen könnte.
Im zweiten Satz spielt die Solo-Violine mit einem großen, vibratogesättigten Klang groß auf. Ob das einen nostalgischen Charakter befördern soll oder der „russischen Seele“ Stimme verleihen soll? Es wirkt aus der Zeit gefallen, aber in dem Zusammenhang nicht einmal deplatziert. Das Orchester pflegt einen stets vollen, warmen, mitunter schwelgerischen Klang, bei einem recht maßvollen Tempo, das einem noch langsamer vorkommt als es ist. Da sieht man keine jungen Leute mehr tanzen, wenn dann nur bereits ergraute. An Gefühl mangelt es indes nicht, der volle, warme Sound wirkt nur selten mal ein wenig dick und düster, meist klingt es auch noch wunderbar transparent. Er vermag den Hörer über die ärgste Melancholie hinwegzutragen. Es gibt eher wenig Rubato und wenn, dann mit Bedacht.
Der Danse macabre im dritten Satz mutet intensiv, sehr dunkel aber auch etwas schwerfällig an. So dunkel klingen derzeit noch nicht einmal die Berliner Philharmoniker deren Domäne das früher einmal war. Aber manchmal denkt man auch, dass die Elbphilharmonie vielleicht auch ein Quantum Hochton wegschlucken könnte. Sicher überlässt man das Endresultat bei NDR nicht dem Zufall und der Klang ist genauso wie er ist gewollt. Besonders gelungen gelingt, wenn man das so sagen darf, die schaurige Sicht auf die Zukunft (ans eigene Grab?) um Zf. 73. Allerdings ist man vom Spannungsniveau bei Swetlanow weit entfernt. Klanglich wirkt es sehr düster. Das Tempo wirkt zwar nicht schleppend, aber durch eine gewisse Schwunglosigkeit scheint man sich doch dem Lamentoso hinzugeben. Das Allegro vivace wirkt dann klanglich etwas mulmig und in Tempo und Dynamik eingebremst. Beeindruckend dann der sehr lange Nachhall des letzten sehr kraftvollen Tam-Tam-Schlages.
Auch diese Aufnahme konnten wir nicht als Direktübertragung hören. Dennoch sind Raumtiefe und Transparenz meist sehr gut und dennoch erhält das weit entfernt platzierte Blech noch eine gute Präsenz. Der Klang wirkt warm, farbig, weich und dunkel, überhaupt nicht trocken und mit dem genau richtigen Raumanteil, also überhaupt nicht hallig. Allerding nicht besonders dynamisch und nicht gerade brillant.
4
Pietari Inkinen
Deutsche Radio-Philharmonie Saarbrü-cken-Kaiserslautern
SR
2019, live
11:53 11:13 15:07 38:13
Nikolai Lugansky, der im Konzert vor den Sinfonischen Tänzen das Zweite Klavierkonzert von Johannes Brahms spielte, meinte zum Ende der Komposition seines Landsmannes also dem letzten Tam-Tam-Schlag und seinem Nachhallen, dass man da keine echte Verklärung hören könne, höchstens ein Versuch dazu. Pietari Inkinen war von 2017-2025 Chefdirigent der DRP.
Der erste Tanz zeigt sich recht beschwingt und lebendig. Im Lento werden die Holzbläser wie herangezoomt, um ihnen eine glänzende Prä-senz zu gewähren. Während das Saxophon zunächst nur ein Instrument unter mehreren darstellt, schwingt es sich im f zu partiturgerechter Dominanz auf, klanglich zeigt sich der komplette Bläsersatz ausgewogen und klangschön. Das Tempo bleibt auch beim „Sehnsuchtsthema“ von Violinen I und Celli zügig, beide Gruppen klingen homogen und gemeinsam eindringlich, aber nicht schmalzig. Das Accelerando wirkt eher flott und angetrieben als poco a poco, die Höhepunkte wirken energiegeladen und strahlend. Im „Klangzauber“ um Zi. 27 findet sich genug Glitzer von Glockenspiel und Harfe und genug Streichersüße, das Verhältnis passt. Wie nicht selten vermisst man, wenn Herr Inkinen dirigiert, die ganz leisen Töne, ein pp wird bestenfalls zu einem p. Es scheint so, dass andere da mehr wert darauflegen, zum Beispiel sein Nachfolger bei der DRP, Josep Pons.
Im zweiten Tanz vernehmen wir eine sehr expressive Solo-Violine, das Englischhorn begeistert mit sonorem Volumen und Charakter und die Oboe passt ganz gut dazu. In manchen Orchestern erscheinen die Timbres der beiden Instrumente noch weiter angenähert, z.B. wenn man bei beiden Instrumenten denselben Herstellers verwendet. In manchen Orchestern bevorzugt man indes gerade ein unterschiedliches Timbre. Die Darbietung erscheint spannend und mit viel Espressivo wirkt die Leidenschaft schon ein wenig drückend und behindert die leichte und lockere Art eines üblichen Walzers. Das Holz setzt strahlend-helle Girlanden dagegen, können die sich ausbreitende Schwermut aber nur partiell aufhellen. Der Walzer will einfach nicht in Schwung kommen, wird immer wieder vom Blech ausgebremst und Wehmut belastet ihn. Im Mittelteil kann er sich mitnichten erholen, im Gegenteil, da gibt es schmerzhafte Aufschreie. Eine intensive Darbietung.
Im dritten Satz hören wir zu den Glocken im p auch mal wieder die Flötenunterstützung im mf. Das ist genau richtig, trotzdem wird es höchst selten so realisiert. Die Hörner werden markant hervorgehoben. Und man hört nicht nur bei ihnen jede Nuance. Aber sie agieren auffallend makellos, das ganze Orchester spielt hervorragend, impulsiv und werkdienlich. Der dritte Satz wirkt in der Relation bis zum Mittelteil zügiger als der zweite. Beim Mittelteil des dritten Tanzes wählt man jedoch ein sehr langsames Tempo, das macht ihn noch wehmütiger und das Spannungsniveau erscheint nun doch gefährdet. Das Finale wird dann leider von einer schroffen Reduktion des Aufnahmepegels fast schon entwertet, offenkundig wegen des Einsatzes der Gran Cassa, der sonst möglicherweise zu laut geworden wäre. Immerhin hat man auf ein nervendes auf und ab des Pegels verzichtet. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf sehr lange nachhallen, allerdings nicht ganz verhallen, denn das vorlaute Publikum hatte mal wieder, wie in den meisten Konzertsälen, etwas dagegen. Immerhin zeigt es sich begeistert.
Der Klang aus der Saarbrücker Kongresshalle zeigt sich offen und transparent. Dieses Mal wirkt die Orchesteraufstellung dreidimensionaler und tiefer als sonst bereits gehört, also weniger flächig. Das Holz erscheint besonders im Fokus, auch Blech und Schlagwerk erklingen durchaus präsent, allerdings wirken gerade die Eruptionen des Schlagwerks wieder stark eingeebnet. Die den Orchesterklang grundierende Basswiedergabe ist gut.
4
Daniel Raiskin
Staatsorchester Rheinische Philharmonie, Koblenz
SWR
2013. live
11:43 10:15 13:35 35:33
Auch die Rheinische Philharmonie ist in unserer Liste zweimal vertreten und der SWR ergänzt seinen ohnehin schon gewichtigen Beitrag zur Sammlung um zwei weitere Aufnahmen. Er ist ja schon fast „der“ Rachmaninow-Sender, wenn es um die Sinfonischen Tänze geht. Er hat eben schon früher als die anderen Sender damit angefangen sie zu senden, nicht erst um das Jubiläumsjahr 2023 herum. Von den beiden Aufnahmen aus Koblenz ist die mit Daniel Raiskin eindeutig zu bevorzugen. Daniel Raiskin war Schüler von Milan Horvat, Mariss Jansons, Neeme Järvi, Woldemar Nelson und Jorma Panula. Da konnte er viele Vorbilder kennenlernen. Er war 2005-2016 Chefdirigent in Koblenz, seit 2018 Chef in Winnipeg und seit 2021 Chef der Slowakischen Philharmonie in Bratislava. Solistisch zeigt sich das Orchester ganz gut besetzt, der Gestus zu Beginn wirkt entschlossen und vorantreibend. Das Klavier zwischen Zi. 4 und 5 haben wir nicht hören können. Beim Lento hakt es bei der Übergabe von Saxophon zu Englischhorn, aber das kann live und ohne doppelten Boden schon mal passieren. Die Oboe spielt wie man es in nicht wenigen Aufnahmen hören kann mitunter zu laut. Violinen I und Cello spielen das „Sehnsuchtsthema“ durchaus klangvoll. Die Klavieruntermalung durch das Klavier erfolgt glücklicherweise nur sehr leise und zurückhaltend. Insgesamt eine bis dahin stimmige und recht spannende Darbietung.
Im zweiten Satz klingt die Solovioline ein wenig rau. Beim Duo von Englischhorn und Oboe hören wir guten Klang und eine einwandfreie Phrasierung, das Holz wirkt insgesamt gut besetzt. Der Ausrutscher des Saxophons im ersten Satz war nur ein Ausrutscher. Der Walzer bietet starke Temposchwankungen, dennoch wollen die Leidenschaften nicht so recht aufwallen.
Der dritte Satz überzeugt mit präzisem und homogenem Zusammenspiel und deftigen ssf. Das Xylophon kommt sehr gut ins Bild. Der Mittelteil bleibt zwar immer noch relativ zügig, dennoch gerät die Spannungskurve ein wenig in Gefahr, trotz des überzeugenden Spiels. Sobald es mit dem Allegro vivace weitergeht, ist die Spannungskurve wieder straff gespannt und die Musik treibt ordentlich voran.
Der Klang der Aufnahme wirkt offen und recht transparent, die Dynamik ist zwar reduziert, wirkt aber nicht manipuliert oder künstlich nivelliert.
4
Stéphane Denève
Münchner Philharmoniker
BR
AD: ?
12:32 10:56 14:26 37:54
Dieser Konzertmitschnitt ist wieder ein Fundstück aus dem ARD-Nachtkonzert im Sommer 2025 gesendet. Mit Informationen sind die Sprecher mitten in der Nacht oder ganz früh am Morgen immer sehr knauserig. So haben wir keine Information vom Aufnahmeort (aller Wahrscheinlichkeit die Münchner Philharmonie am Gasteig) und keine vom Aufnahmedatum. Er unterscheidet sich deutlich vom Mitschnitt des SWR mit Denève aus Stuttgart. Alle Tempi sind spürbar langsamer geworden und wirken schwerer, schwermütiger, teils lastender, teils langatmiger. Ganz ähnlich dem NDR Elbphilharmonie-Orchester wirkt der Klang der Münchner ziemlich dunkel und weich-gerundet. Das merkt man sogar an der Gran Cassa, der es an Straffheit fehlt. Rasanz findet sich noch nicht ansatzweise. Das Orchester kommt jedoch klanglich besser ins Bild als bei Lahav Shanis Mitschnitt vom Odeonsplatz. Im Lento werden Saxophon und die umspielenden Holzbläser nach vorne gezogen um die Deutlichkeit zu erhöhen. Das Holz erscheint so den heimischen Hör-Raum schon ganz allein komplett zu füllen. Man spielt sehr sachte und leise um dem Alt-Saxophon zu voller Geltung zu verhelfen. Die Violinen I und die Celli sind bei ihrem unisono deutlich zu unterscheiden. Es wirkt auch jede Gruppe für sich genommen nicht ganz homogen. Auch bei der Phrasierung wäre mehr Expressivität herauszuholen. Das „spricht“ nur wenig und alles erscheint etwas gleichlautend. Das Klavier spielt leise und stört nur wenig. Im Verlauf wird man etwas temperamentvoller, das Klangbild haben wir in den komplexeren Passagen schon aufgeräumter und differenzierter gehört. Es klingt jedoch beileibe nicht beiläufig.
Im zweiten Satz hören wir eine Solo-Violine mit großer Attitude und einem (deplatzieren?) Glissando, das man ansonsten nie hört. Irgendwie erscheint der Ganze Satze besonders auf Nostalgie getrimmt. Der Walzer erklingt kräftig, sodass man problemlos einen Ländler-Charakter heraushören kann. Mitunter absichtlich (?) wenig elegant. Es liegt jedoch kein durchgängiger neuer Charakterzug vor. Der Walzer unterscheidet sich stark von Denèves Stuttgarter Version. Das Rubato geht über das übliche Maß hinaus. Vor allem die Langsamkeit erscheint nahezu zelebriert.
Der dritte Satz eröffnet mit einem langsamen Lento. Das folgende Allegro vivace lässt uns behände herumhuschende Mitternachtsgeister erkennen. Die Generalpause erscheint nur sehr kurz, ohne die Fermate umzusetzen. Das kurze Zitat aus der Götterdämmerung wird als solches gar nicht erkennbar, der langsame Mittelteil erscheint stimmungsvoll, Tempo und Spannungsbogen hängen jedoch (für unsere Ohren jedenfalls) leicht durch. Die Spielweise verstärkt die Larmoyanz. Dies alles nur im Vergleich, alleine gehört mag der Eindruck ein etwas anderer sein. Die Finalwirkung ist gut, wenngleich das Tam-Tam nicht gerade herausragend durchkommt. Zudem wird der letzte Schlag zeitig am weiterklingen gehindert.
Der Klang zeigt das Orchester gut gestaffelt, farbig, präsent, also insgesamt besser als beim Konzert vom Odeon-Platz 2025 mit Lahav Shani. Den störenden Einsatz eines Dynamik-Kompressors oder Dynamik-Begrenzers konnten wir nicht feststellen.
3-4
Stanislav Kochanovsky
Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, Torino
RAI, Deutschlandfunk
2023, live
12:08 9:36 13:49 35:23
Die Aufnahme entstand im L'Auditorium Rai di Torino "Arturo Toscanini" im Jubiläums-Jahr 2023. Im ersten Satz werden die marschartigen Elemente herausgearbeitet. Das Orchester erreicht nicht ganz die Perfektion der zuvor bereits erwähnten Rundfunkorchester. Im Lento klingt die Oboe dünner, weniger fein und weniger weich, im Volumen reduziert. Das Alt-Saxophon wirkt auf uns gegenüber dem übrigen Holz zu zurückgezogen, lässt auch einmal die typischen Anblasgeräusche hören, wie man sie vom Jazz her kennt. Es hat es schwer, sich gegenüber einer Oboe, die eigentlich im pp spielen sollte, dies aber nicht tut, überhaupt zu behaupten. Im Verlauf der Aufführung wird jedoch deutlich, dass das Mikrophon in der Nähe der Oboe einen zu hohen Aufnahmepegel verfolgt, denn man hört sie immer führend durch. Der Bassklarinette geht es nicht viel anders, selten hat man sie so „machtvoll“ und autoritär vernommen. Das Holz mag zwar gefühlvoll gespielt haben, aber sein Klang erscheint keinesfalls als weich und voll. Immer wieder hört man es „leicht kratzig“, wenn es lauter spielt, so wie man den Klang der jeweiligen Instrumente nicht gewohnt ist. Wir vermuten ein kleineres technisches Malheur. Ein pp-Spiel lässt den ganzen Satz über kein Holzblasinstrument hören. Es fehlen zudem die mitschwingenden Elemente des Raumes. Es klingt sehr trocken.
In den beiden folgenden Sätzen klingt es nicht anders, die Solo-Violine wirkt nicht ganz frei, genau wie Englischhorn und Oboe. Beide können aber auch jetzt nicht leise spielen, oder wollen es nicht. Die Streicher leiden besonders unter der trockenen Akustik, das schwingt einfach nicht schön, als ob der Klang an den Instrumenten kleben bleibt, da schwebt nicht zu uns rüber. Da bleibt die Sinnlichkeit sozusagen auf der Strecke. Der Walzer als Tanz wirkt eher langsam, fast tastend und die Streicher sind beim Rubato nicht immer ganz zusammen. Es klingt einfach nicht besonders schön. Wenig atmosphärisch. Und schon jetzt lässt sich sagen: Kein Vergleich zu Kochanovskys Darbietung mit den Hannoveranern.
Im dritten Satz vernimmt man ungewöhnlich große Probleme des Orchesters beim präzisen Zusammenspiel, keine Patzer, aber auch kein einmütiges Musizieren. Kochanovsky ist einer derjenigen, die sich trauen der Generalpause eine richtig andauernde Fermate mitzugeben. Das Tremolo der Celli danach ist lange unhörbar, das ist dann doch zu leise. Beim Molto espressivo um Zi. 74 kommt dann Wärme ins Spiel, darauf hatte man lange gewartet. Beim Lamentoso der Trompeten kört man sogar noch Vibrato. Die Innenbalance des Orchesters wirkt unausgewogen. Der Eindruck bezieht sich selbstverständlich nur auf die Aufnahme, nicht auf den Klang im Konzertsaal, da kann das ganz anders geklungen haben. Die Tam-Tam-Schläge klingen mächtig, der letzte darf lange ausklingen bis zum Verstummen. Für den Dirigenten ist das Tam-Tam ein Symbol des Todes und dass es lange nachklingen darf keine Verheißung auf ein Leben danach..
Der Deutschlandfunk sendete wie bei der Übertragung der Niederländischen Rundfunkphilharmoniker im 5.0 Dolby-Digital-Format. Trotzdem fällt die Aufnahme aus Italien klanglich weit ab. Es klingt zwar recht transparent und räumlich, aber dürr, also ohne Fülle und Geschmeidigkeit, en wenig grobfaserig und wenig brillant. Das haben wir aus Turin schon häufiger so gehört, wir vermuten vielleicht sogar eine andere Ästhetik. Die Studioatmosphäre aus dem ungewöhnlich hohen Konzertsaal wirkt gnadenlos trocken, fast synthetisch. Bis auf die Gran Cassa wirkt die Aufnahme zudem wenig dynamisch.
3
Evan-Alexis Christ
Staatsorchester Rheinische Philharmonie, Koblenz
SWR
2022, live
13:09 11:02 15:30 39:41
Evan-Alexis Christ war von 2008 bis 2018 Generalmusikdirektor des Brandenburgischen Staatstheaters Cottbus. Er kommt von der Oboe. Nach der Anstellung in Cottbus scheint er keine Chef-Position mehr übernommen zu haben, außer der in Sarajevo 2023 und 24.
Das Orchester klingt besonders im Verhältnis zur Aufnahme aus Italien wieder voll und weich. Das zu Beginn gewählte Tempo wirkt langsam, noch nicht schleppend. Das Lento „lebt“ vom besonders groß abgebildeten, weich, klar und warm klingenden Alt-Saxophon, aber auch die anderen Holzbläser, besonders Englischhorn und Oboe spielen laut mit (wie bereits bei Daniel Raiskin). Klarinette und Flöte gelingt die untergeordnete Umspielung des Saxophons viel besser. Die Gestaltung erweist sich als kontrastreich aber wenig großbogig und mehr an den einzelnen Ereignissen interessiert, die dann entsprechend aufbereitet werden, als am dramatisch-gerafften Geschehen. Zu dem kommt auch noch das langsame Tempo, das der Dramatik ebenfalls nicht zuträglich ist und den Fluss hemmt.
Im zweiten Satz wirken die Soli von Violine, Englischhorn und Oboe schön aufbereitet. Der Walzer wirkt teilweise wie bis zum Stillstand abgebremst. Rubato wird weidlich ausgekostet, immer mit der Tendenz zum bewusst Bedeutungsvollen. Die große Linie verliert man sehr schnell aus dem Fokus.
Die Tendenz zum Verweilen schadet dem Zusammenhang auch im dritten Satz. Die Generalpause 5 T. vor Zi. 73 wird sehr lange gehalten. Von einem agitato ist im Verlauf keine Spur zu finden. Der Mittelteil wird zu einer spannungslosen Zone. Ab Allegro vivace geht es dann zwar wieder vorwärts, es bleibt aber flach. Der letzte Tam-Tam-Schlag darf sehr lange nachhallen, ohne dass das Koblenzer Publikum mit einer Beifallsbekundung einschreitet.
Gegenüber der Koblenzer Aufnahme mit Daniel Raiskin erscheinen Abbildung und Transparenz verbessert, bei der Dynamik wird leider wieder reichlich Gebrauch vom „Dynamik-Kompressor“ gemacht, da wird fleißig zusammengequetscht, die Dynamikspitzen radikal gekappt. Das betrifft vor allem die Gran Cassa, die nun einmal die mächtigste Dynamik zu zeigen hätte, wenn man sie ließe, aber auch Blech, Pauken und Tam-Tam werden eingebremst.
13.12.2025